L 10 AL 135/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 1007/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 135/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 02.03.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten.

Der 1959 geborene Kläger ist seit 23.07.1986 Beamter auf Lebenszeit und bei der Beigeladenen als technischer Fernmeldehauptsekretär beschäftigt. Mit Bescheid vom 21.01.2003 stellte das Amt für Versorgung und Familienförderung N. (AVF) beim Kläger eine geschwürige Dickdarmentzündung (Colitis ulcerosa) und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule als Behinderungen nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) fest. Den Grad der Behinderung (GdB) bewertete es mit 30.

Am 12.03.2003 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Er wies zur Begründung darauf hin, dass er regelmäßig während der Dienstzeit wegen Durchfällen stundenweise ausfalle, so dass sein Arbeitsverhältnis wegen dieser Behinderung, die ihn in Leistung und Mobilität einschränke, und wegen eines Personalauswahlverfahrens nach dem Tarifvertrag (TV) R. mit der Möglichkeit der Versetzung in wohnortferne Standorte (mit Schichtbetrieb) gefährdet sei. Die Gleichstellung sei auch zur Gewährung zusätzlicher Sozialpunkte gemäß TV R. erforderlich, um den bisherigen wohnortnahen Arbeitsplatz zu erhalten. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung bestätigten, dass der derzeitige Arbeitsplatz des Klägers behindertengerecht gestaltet, das Behalten jedoch wegen Leistungs- und Mobilitätseinschränkungen gefährdet sei. Bei einer Versetzung des Klägers müsse von einer eingeschränkten Arbeitsleistung ausgegangen werden. Die Schwerbehindertenvertretung wies ergänzend darauf hin, dass der derzeitige Arbeitsplatz wesentlich zur Stabilisierung des Klägers beigetragen habe. Es sei daher von besonderer Bedeutung, diesen Zustand zu erhalten. Allerdings bestehe die Möglichkeit, dass der Kläger im Zuge einer Umorganisation zur Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit (VQE/PSA) nach B. versetzt werde. Die für den Kläger in Betracht kommenden Arbeiten könnten derzeit nur dort angeboten werden. Es handele sich um Schichtbetrieb. Die Fahrzeiten von bis zu drei Stunden/Tag seien vom Kläger wegen der Behinderungen nicht zu leisten. Diese Versetzung könne mit einer Gleichstellung verhindert werden. Eine generelle Fürsorgepflicht gebe es beim Arbeitgeber D. nicht mehr.

Mit Bescheid vom 04.07.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es lägen keine besonderen Umstände vor, die bei dem Kläger als Lebenszeitbeamten eine Gleichstellung rechtfertigten. Die allgemeinen Darlegungen zu etwaigen künftigen Leistungseinschränkungen, zur Sicherung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses und zum Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen könnten eine Gleichstellung nicht begründen.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers - dieser führte aus, dass ihm bei einer Versetzung niedriger bewertete Arbeiten angeboten werden könnten, die er als Beamter nicht ohne weiteres ablehnen könne - durch Widerspruchsbescheid vom 04.11.2003 zurück. Der derzeitige Arbeitsplatz des Klägers werde übereinstimmend als behindertengerecht beurteilt. Es lägen nur geringe Arbeitsunfähigkeitszeiten vor. Nach § 5 Abs 5 TV R. würden die Beschäftigungseinsätze bei der VQE im Regelfall wohnortnah, berufsbezogen und behindertengerecht erfolgen. Auch sei nicht zu erkennen, dass der Kläger anderen Anforderungen nicht nachkommen könne. Seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen schränkten eindeutig nur seine Mobilität ein. Die tarifvertragliche Regelung schließe eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses insgesamt aus.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Durch die Umstrukturierungsmaßnahmen der T. sei sein Arbeitsplatz gefährdet, denn der TV R. sehe nur "im Regelfall" eine wohnortnahe und berufsbezogene Vermittlung vor. Die Gleichstellung sei daher erforderlich, um ihm möglichst lange die Gelegenheit zu geben, am bisherigen geeigneten Arbeitsplatz verbleiben zu können.

Mit Urteil vom 02.03.2005 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gleichstellung des Klägers verurteilt. Weder die Beklagte noch der Arbeitgeber hätten darlegen können, dass der Kläger ohne eine Gleichstellung seinen derzeitigen behindertengerechten Arbeitsplatz behalten könne. Das Gericht gehe deshalb von einer Gefährdung des Arbeitsplatzes aus. Damit lägen die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens dergestalt vor, dass der Kläger einem Schwerbehinderten gleichzustellen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Bei Beamten auf Lebenszeit scheide eine Gleichstellung grundsätzlich aus, da der Arbeitsplatz sicher sei und dieser Personenkreis einer Konkurrenzsituation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausgesetzt sei. Zwar könne auch bei Beamten beim Vorliegen besonderer Umstände eine Gleichstellung angezeigt sein. Solche Umstände bestünden beim Kläger jedoch nicht. Insbesondere habe dieser nicht vorgetragen, dass ihn der Arbeitgeber aus behinderungsbedingten Gründen versetzen wolle. Sein Arbeitsplatz sei zu keinem Zeitpunkt behinderungsbedingt gefährdet gewesen. Die unternehmerischen Entscheidungen der T. hätten mit der Behinderung des Klägers nichts zu tun. Sinn der Gleichstellung sei es auch nicht, Sozialpunkte zu sichern. Im Übrigen könnten weitere Sozialpunkte eine Versetzung des Klägers nicht ausschließen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 02.03.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Wortlaut des Gesetzes erfasse gerade seinen Fall. Wolle man ihm die Gleichstellung verwehren, stelle man ihn schlechter als vergleichbare Arbeitnehmer in der Wirtschaft. Für eine Schlechterstellung von Beamten gegenüber Arbeitnehmern bestehe aber kein Anlass. Durch die Gleichstellung erreiche er einen sozialen Schutz, der bewirke, dass er nicht oder nur erschwert versetzt werden könne.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie weist darauf hin, dass der Kläger bezüglich seines Arbeitsplatzes nach beamtenrechtlichen Gesichtspunkten behandelt werde, bei der Ausübung des Ermessens der T. jedoch auch bei Beamten herangezogen werde. Bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtige sie - die Beigeladene - eine Gleichstellungsentscheidung.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des AVF sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet, denn das SG hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte zur Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten verurteilt.

Auf den vorliegenden Fall ist das seit dem 01.07.2001 geltende SGB IX anzuwenden. Nach § 2 Abs 3 SGB IX sollen schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50 aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn das AVF hat die bei ihm festgestellten Behinderungen durch Bescheid vom 21.01.2003 mit einem GdB von 30 bewertet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Gleichstellung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Antragstellung (BSG SozR 3-3870 § 2 Nr 1). Die Beklagte ist an die gemäß §§ 68 Abs 2, 69 SGB IX erfolgten Feststellungen des AVF gebunden (Wiegand, Kommentar zum Schwerbehindertengesetz, § 2 RdNr 4). Auch hat der Kläger seinen Wohnsitz im Bundesgebiet (§ 2 Abs 3 iVm Abs 2 SGB IX). Bei den persönlichen Voraussetzungen ist die Beamteneigenschaft kein Hinderungsgrund ("behinderte Menschen").

Die sachlichen Voraussetzungen des Klägers für eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen liegen jedoch nicht vor.

In Literatur und Rechtsprechung ist - soweit ersichtlich - herrschende Meinung, dass minderbehinderte, im Dienst befindliche Beamte und Richter für die Gleichstellung grundsätzlich ausscheiden, weil sich für diesen Personenkreis keine Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf den Arbeitsplatz herleiten lässt (vgl Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11.Aufl 2005, § 2 RdNr 53 mwN; Schäfer in Kossens/von der Heide/Maaß, Praxiskommentar zum Behindertenrecht - SGB IX - 2002 § 2 RdNr 22; Wiegand aaO RdNr 6). Der Kläger ist nach wie vor Lebenszeitbeamter, auf den nach Auskunft des Vertreters der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 16.03.2006 das Bundesbeamtengesetz anzuzwenden ist.

Allerdings soll nach anderer Ansicht auch bei Lebenszeitbeamten in bestimmten Ausnahmefällen der Arbeitsplatz im Sinne des § 2 Abs 3 SGB IX gefährdet sein, wenn z.B. die Behörde aufgelöst wird oder der Dienstherr ein Verfahren auf Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit einleitet (LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 10.11.1995 - L 6 Ar 159/94 - ZfS 1996, 375 - 377; Wiegand aaO RdNr 6) bzw. wenn die beruflichen Entfaltung gefährdet ist (Mrozynsky, SGB IX, Teil 1 2002 § 2 RdNr 58).

Es kann vorliegend jedoch dahinstehen, ob § 2 Abs 3 SGB IX auf Lebenszeitbeamte anwendbar ist, denn es liegt beim Kläger keine der o.g. Ausnahmesituationen vor. Insbesondere wird seine Dienststelle nicht aufgelöst.

Nach der Auskunft des Arbeitgebers vom 06.06.2003 ist der Arbeitsplatz des Klägers nicht auf Grund behinderungsbedingter Auswirkungen - der derzeitige Arbeitsplatz des Klägers ist behindertengerecht gestaltet - sondern wegen einer betrieblichen Umorganisation gefährdet. Die Schwerbehindertenvertretung bestätigte am 26.05.2003 ebenfalls, dass der Kläger deshalb versetzt werden könnte. Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Arbeitsplatz des Klägers nicht behinderungsbedingt, sondern lediglich aus betrieblichen Gründen gefährdet ist.

Mit Rücksicht auf die vom Gesetz geforderte Kausalität ("infolge Ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz ... nicht behalten können") ist nach der Rechtsprechung in solchen Fällen zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung in der Behinderung selbst die Schwierigkeit der Erhaltung des Arbeitsplatzes liegt (BVerwG Urteil vom 17.05.1973 - V C 60.72, Juris Nr WBRE 10653800 RdNr 20). Dies ist vorliegend eindeutig nicht der Fall, denn der Arbeitsplatz ist möglicherweise wegen der betrieblichen Umstrukturierung gefährdet und nicht wegen der Gesundheitsstörungen des Klägers. Somit scheidet die Gleichstellung des Klägers auch schon des Nichtvorliegens eines Ausnahmefalles aus.

Auf die Berufung der Beklagten ist daher das Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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