Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 226/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 232/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21. April 2005 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2003 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Mittel Melatonin.
Die 1990 geborene Klägerin ist die Tochter des versicherungspflichtigen Z. H ... Sie ist schwerstbehindert, pflegebedürftig nach der Pflegestufe III, seit Geburt blind und leidet laut Angaben des Klägerbevollmächtigten unter einer ausgeprägten Skoliose, Atem- und Lungenproblemen, Unruhezuständen und Verdauungsproblemen.
Am 31.03.2003 bescheinigte der Kinderarzt H.R. , dass die Klägerin unter deutlichen Problemen im Tag-Nacht-Rhythmus leide, was einerseits eine deutliche familiäre Belastung darstelle, andererseites Beschulung und Therapien erschwere. Melatonin sei bereits vor Jahren mit Erfolg angewandt worden, um den Schlaf-Wach-Rhythmus zu regulieren und sei vorliegend als Medikament anzusehen. Alternative medikamentöse Behandlungen seien deutlich nebenwirkungsreicher und führten aufgrund der Einschränkung der Lungenkapazität zu Atemdepression. Es werde daher um Übernahme der Kosten für eine dauerhafte Melatoninmedikation gebeten. Die Kosten hierfür beliefen sich auf ca. 40 EUR pro Monat. Nach Einholung einer ablehnenden Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung am 22.04.2003, wonach Melatonin lediglich eine Zulassung als Nahrungsergänzungsmittel besitze, lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme mit Bescheid vom 30.07.2003 ab.
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine Vereinbarung mit dem R. Kinderzentrum vom 07.08.1996 vor, wonach die Eltern mit der Behandlung des nicht zugelassenen Medikaments einverstanden seien nach Aufklärung über das Fehlen wissenschaftlich seriöser Erkenntnisse über die Behandlung. Die Mutter der Klägerin machte geltend, entsprechend den vorgelegten Protokollen sei das Schlafverhalten durch Melatonin erfolgreich beeinflusst worden. Die Beklagte wies den Widerspruch nach erneuter Anhörung des MDK am 02.09.2003 am 29.10.2003 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 12.11.2003 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht, die Einhaltung des Schlafrhythmus habe auch lebensverlängernde Wirkung. Das Sozialgericht Landshut hat die Beklagte mit Urteil vom 21.04.2005 verpflichtet, der Klägerin die Kosten der Versorgung mit dem Mittel Melatonin ab dem 01.04.2003 zu erstatten. Wenn schon unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für ein zugelassenes Arzneimittel im sog. off-label-use zu erstatten seien, so müsse dies auch für ein zugelassenes Nahrungsergänzungsmittel gelten. Die hierfür vom Bundessozialgericht genannten engen Voraussetzungen lägen vor. Es handle sich um eine seltene Krankheit, es stehe kein anderes wirksames Medikament zur Verfügung, es liege eine fachärztliche Empfehlung vor, tatsächlich sei das Mittel bereits über ein Jahr angewandt worden, es werde weiter auf eigenes Risiko angewandt und es liege eine positive medizinische Prognose vor.
Gegen das der Beklagten am 20.07.2005 zugestellte Urteil hat diese am 10.08.2005 Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, ein Nahrungsergänzungsmittel könne nicht wie ein Arzneimittel behandelt werden. Als Nahrungsergänzungsmittel dürfe es nach Ziffer 20.1 Arzneimittel-Richtlinie nicht verordnet werden, als Arzneimittel besitze es keine Zulassung. Zwar existiere mittlerweile eine Zulassung für ein retardiertes Melatonin-Präparat in Kanada, das Bundessozialgericht habe aber in mehreren Urteilen der jüngeren Vergangenheit die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Import-Arzneimittel grundsätzlich verneint. In seinem Urteil zum off-label-use vom 19. März 2002 habe das Bundessozialgericht klargestellt, dass der indikationsfremde Einsatz eines für ein anderes Anwendungsgebiet zugelassenenen Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausscheide und ausnahmsweise nur dann in Betracht komme, wenn das Arzneimittel schon zugelassen sei, also ein Zulassungsverfahren mit allen Sicherheitshürden erfolgreich überstanden habe.
Demgegenüber hat der Klägerbevollmächtigte auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.10.2004 hingewiesen (B 1 KR 27/02 R). Danach seien Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftrete, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheide, vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil das nicht zugelassene Arzneimittel im Einzelfall aus dem Ausland beschafft werden müsse. Die Klägerin leide aber unter einer ernsten, lebensbedrohenden Krankheit, die mittels Melatonin behandelt werden könne. Seit Antragstellung habe sie hierfür 1.327,44 EUR aufgewendet, wie dies von ihrer Apotheke bescheinigt werde.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.07.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 kann keinen Bestand haben. Zu Recht hat es die Beklagte mit Bescheid vom 30.07.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 abgelehnt, die Kosten für die Versorgung mit Melatonin zu übernehmen.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für das ab 01.04.2003 selbst beschaffte Mittel Melatonin kann lediglich § 13 Abs.3 Alternative 2 SGB V sein. Danach ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr.22 S.101 ff., 104 m.w.N.). Dies ist vorliegend wegen der fehlenden Arzneimittel-Zulassung zu verneinen.
Die Beklagte ist nach § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 i.V.m. § 31 Abs.1 SGB V zur Versorgung der bei ihr familienversicherten Klägerin mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Von vornherein nicht enthalten ist im Leistungskatalog des § 27 Abs.1 SGB V die Versorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln. Soweit § 31 Abs.1 Satz 2 SGB V Ausnahmeregelungen für bestimmte Nahrungsmittel enthält, sind diese vorliegend nicht einschlägig, weil darin lediglich eine Ermächtigung zur Zulassung vorgesehen ist für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolisate, Elementardiäten und Sondennahrung. Nahrungsergänzungsmittel dienen gerade nicht primär der Krankenbehandlung im Sinne des SGB V, sondern der für jeden Menschen erforderlichen Ernährung. Wegen dieser anderen Zweckbestimmung sind Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Unter diesem Gesichtspunkt kann Melatonin also nicht als verordnungsfähig eingestuft werden.
Bei Melatonin handelt es sich um ein Arzneimittel, das vorliegend auch als solches eingesetzt wird. Als Arzneimittel sind in der Krankenversicherung jedenfalls solche Mittel einzustufen, die die Definition des Arzneimittelgesetzes erfüllen. Danach sind Arzneimittel u.a. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper vom menschlichen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen (§ 2 Abs.1 Ziffer 3 Arzneimittelgesetz). Melatonin ist das Haupthormon der Epiphyse. Es wird fast nur nachts ausgeschüttet, da Licht die Bildung von Melatonin hemmt. Es spielt physiologisch eine Rolle in der Schlafinduktion und in der Steuerung zirkadianer Rhythmen. Aufgrund der pharmakologischen Wirkungen, der beanspruchten Indikationen und der nicht ausreichend geprüften Unbedenklichkeit ist das Hormon in Deutschland nach einer Mitteilung des damaligen Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte uneingeschränkt als Arzneimittel nach § 2 Abs.1 AMG einzustufen (Wertsche/Schulz: Melatonin eine klinisch-pharmakologische Bewertung, MMP 2004, S.39; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. August 1998 - Az.: 2 L 46/98).
Der Versorgungsanspruch eines Versicherten mit Arzneimitteln unterliegt den sich aus § 2 Abs.1 und 12 Abs.1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Es führt daher nicht schon zur Leistungspflicht der Beklagten, dass die Therapie mit dem streitigen Arzneimittel im Fall der Klägerin positiv gewirkt haben soll und sie bei ihr nach Ansicht ihres Kinderarztes einem Alternativpräparat vorzuziehen sei (im gleichen Sinn BSG, SozR 3-2500 § 27 Nr.5 S.11). Zur Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinn geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell eines Arzneimittels, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 72, 256 ff.; BSGE 89, 184 f.). Unstreitig ist Melatonin die arzneimittelrechtlich notwendige Zulassung nicht erteilt bzw. diese gar nicht beantragt worden. Dies wäre aber unerlässlich, um das zu fordernde Mindest-Niveau der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Im Interesse der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards hält das BSG sogar die Verordnung eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels trotz Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für ausgeschlossen, wenn das Arzneimittel weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (BSG, Urteil vom 18.05.2004, SozR 4-2500 § 31 Nr.1). Melatonin verfügt lediglich über eine Zulassung in Kanada.
Die vom Sozialgericht angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln (sog. off-label-use, vgl. Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184 ff.) kann kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis herbeiführen. Diese Rechtsprechung ist angesichts des Grundsatzes entwickelt worden, dass ein zugelassenes Arzneimittel nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war aber ein zugelassenes Arzneimittel, ein ordnungsgemäß im Inland auf seine pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften zuverlässig geprüftes Mittel. Keinesfalls kann einem derartigen Produkt ein verkehrsfähiges "Nahrungsergänzungsmittel" gleichgestellt werden, das von vornherein aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Es mag sein, dass ein zulässigerweise über eine Apotheke in Verkehr gebrachtes Mittel keine unkalkulierbaren Risiken für etwaige Gesundheitsschäden enthält. Es fehlt aber jedenfalls der Nachweis, dass es den Anforderungen an eine wirtschaftliche und qualitativ ausreichende Verordnungsweise genügt, wie sie vom deutschen Krankenversicherungs- und Arzneimittelrecht vorausgesetzt wird. Zudem liegen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für Schlafstörungen zugelassen werden kann. Die Ergebnisse der zahlreichen Studien und Anwendungsbeobachtungen sind teilweise unklar und widersprüchlich.
Wenn das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2004 (SozR 4-2500 § 27 Nr.1) von der Notwendigkeit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung absieht, so ist dies nur vor dem Hintergrund einer Ausnahmesituation verständlich. Ausdrücklich hält der erste Senat des Bundessozialgerichts an seinem Urteil vom 18. Mai 2004 (a.a.O.) fest und bejaht einen Ausnahmefall nur zur Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation. Nur bei der Therapie einer singulären Krankheit bestehe nicht die Gefahr, dass die maßgeblichen nationalen bzw. europarechtlichen Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit, wie sie im Zulassungserfordernis zum Ausdruck kommen, durch ein Ausweichen auf die Beschaffung des Mittels aus einem Staat mit weniger strengen Prüfungs- und Zulassungsmaßstäben systematisch umgangen werden könne. Bei Krankheiten, die im angedeuteten Sinne einzigartig seien, sei hinreichend gewährleistet, dass auch der Einsatz des Medikaments ein Einzelfall bleibe und die Einbeziehung in die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht nicht zu einer arzneimittelrechtlichen Zulassung durch die Hintertür führe. Genau dies ist aber im Fall der Kostenübernahme für das Mittel Melatonin zu befürchten. Sicher leidet die Klägerin aufgrund ihrer Schwerstbehinderung und zahlreichen funktionellen Einschränkungen unter einer singulären Krankheit, deren Behandlung durch das jugendliche Alter der Patientin erschwert ist. Das begehrte Mittel zielt auf die Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus, der für den Allgemeinzustand eine wesentliche Bedeutung hat. Weil dies aber nicht nur für die spezielle medizinische Situation der Klägerin gilt, sondern allgemein für vielfältige Krankheitsbilder, wie dies die möglichen Indikationen von Melatonin beweisen, kann eine systematische Erforschung erwartet werden. Schlafstörungen sind weit verbreitet, so dass über deren Behandlung bereits wissenschaftlich seriöse Erkenntnisse vorliegen. Erst wenn entsprechende Erkenntnisse für das derzeit in der Entwicklung befindliche Melatonin-Präparat vorliegen und die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt ist, ist eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung anzuerkennen.
Aus diesen Gründen war die Berufung in vollem Umfang erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Mittel Melatonin.
Die 1990 geborene Klägerin ist die Tochter des versicherungspflichtigen Z. H ... Sie ist schwerstbehindert, pflegebedürftig nach der Pflegestufe III, seit Geburt blind und leidet laut Angaben des Klägerbevollmächtigten unter einer ausgeprägten Skoliose, Atem- und Lungenproblemen, Unruhezuständen und Verdauungsproblemen.
Am 31.03.2003 bescheinigte der Kinderarzt H.R. , dass die Klägerin unter deutlichen Problemen im Tag-Nacht-Rhythmus leide, was einerseits eine deutliche familiäre Belastung darstelle, andererseites Beschulung und Therapien erschwere. Melatonin sei bereits vor Jahren mit Erfolg angewandt worden, um den Schlaf-Wach-Rhythmus zu regulieren und sei vorliegend als Medikament anzusehen. Alternative medikamentöse Behandlungen seien deutlich nebenwirkungsreicher und führten aufgrund der Einschränkung der Lungenkapazität zu Atemdepression. Es werde daher um Übernahme der Kosten für eine dauerhafte Melatoninmedikation gebeten. Die Kosten hierfür beliefen sich auf ca. 40 EUR pro Monat. Nach Einholung einer ablehnenden Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung am 22.04.2003, wonach Melatonin lediglich eine Zulassung als Nahrungsergänzungsmittel besitze, lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme mit Bescheid vom 30.07.2003 ab.
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine Vereinbarung mit dem R. Kinderzentrum vom 07.08.1996 vor, wonach die Eltern mit der Behandlung des nicht zugelassenen Medikaments einverstanden seien nach Aufklärung über das Fehlen wissenschaftlich seriöser Erkenntnisse über die Behandlung. Die Mutter der Klägerin machte geltend, entsprechend den vorgelegten Protokollen sei das Schlafverhalten durch Melatonin erfolgreich beeinflusst worden. Die Beklagte wies den Widerspruch nach erneuter Anhörung des MDK am 02.09.2003 am 29.10.2003 zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 12.11.2003 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht, die Einhaltung des Schlafrhythmus habe auch lebensverlängernde Wirkung. Das Sozialgericht Landshut hat die Beklagte mit Urteil vom 21.04.2005 verpflichtet, der Klägerin die Kosten der Versorgung mit dem Mittel Melatonin ab dem 01.04.2003 zu erstatten. Wenn schon unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für ein zugelassenes Arzneimittel im sog. off-label-use zu erstatten seien, so müsse dies auch für ein zugelassenes Nahrungsergänzungsmittel gelten. Die hierfür vom Bundessozialgericht genannten engen Voraussetzungen lägen vor. Es handle sich um eine seltene Krankheit, es stehe kein anderes wirksames Medikament zur Verfügung, es liege eine fachärztliche Empfehlung vor, tatsächlich sei das Mittel bereits über ein Jahr angewandt worden, es werde weiter auf eigenes Risiko angewandt und es liege eine positive medizinische Prognose vor.
Gegen das der Beklagten am 20.07.2005 zugestellte Urteil hat diese am 10.08.2005 Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, ein Nahrungsergänzungsmittel könne nicht wie ein Arzneimittel behandelt werden. Als Nahrungsergänzungsmittel dürfe es nach Ziffer 20.1 Arzneimittel-Richtlinie nicht verordnet werden, als Arzneimittel besitze es keine Zulassung. Zwar existiere mittlerweile eine Zulassung für ein retardiertes Melatonin-Präparat in Kanada, das Bundessozialgericht habe aber in mehreren Urteilen der jüngeren Vergangenheit die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Import-Arzneimittel grundsätzlich verneint. In seinem Urteil zum off-label-use vom 19. März 2002 habe das Bundessozialgericht klargestellt, dass der indikationsfremde Einsatz eines für ein anderes Anwendungsgebiet zugelassenenen Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausscheide und ausnahmsweise nur dann in Betracht komme, wenn das Arzneimittel schon zugelassen sei, also ein Zulassungsverfahren mit allen Sicherheitshürden erfolgreich überstanden habe.
Demgegenüber hat der Klägerbevollmächtigte auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.10.2004 hingewiesen (B 1 KR 27/02 R). Danach seien Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftrete, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheide, vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil das nicht zugelassene Arzneimittel im Einzelfall aus dem Ausland beschafft werden müsse. Die Klägerin leide aber unter einer ernsten, lebensbedrohenden Krankheit, die mittels Melatonin behandelt werden könne. Seit Antragstellung habe sie hierfür 1.327,44 EUR aufgewendet, wie dies von ihrer Apotheke bescheinigt werde.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.07.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 21.04.2005 kann keinen Bestand haben. Zu Recht hat es die Beklagte mit Bescheid vom 30.07.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2003 abgelehnt, die Kosten für die Versorgung mit Melatonin zu übernehmen.
Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für das ab 01.04.2003 selbst beschaffte Mittel Melatonin kann lediglich § 13 Abs.3 Alternative 2 SGB V sein. Danach ist eine Krankenkasse zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine notwendige Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch reicht jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr.22 S.101 ff., 104 m.w.N.). Dies ist vorliegend wegen der fehlenden Arzneimittel-Zulassung zu verneinen.
Die Beklagte ist nach § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 i.V.m. § 31 Abs.1 SGB V zur Versorgung der bei ihr familienversicherten Klägerin mit den für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Von vornherein nicht enthalten ist im Leistungskatalog des § 27 Abs.1 SGB V die Versorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln. Soweit § 31 Abs.1 Satz 2 SGB V Ausnahmeregelungen für bestimmte Nahrungsmittel enthält, sind diese vorliegend nicht einschlägig, weil darin lediglich eine Ermächtigung zur Zulassung vorgesehen ist für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolisate, Elementardiäten und Sondennahrung. Nahrungsergänzungsmittel dienen gerade nicht primär der Krankenbehandlung im Sinne des SGB V, sondern der für jeden Menschen erforderlichen Ernährung. Wegen dieser anderen Zweckbestimmung sind Nahrungsergänzungsmittel grundsätzlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Unter diesem Gesichtspunkt kann Melatonin also nicht als verordnungsfähig eingestuft werden.
Bei Melatonin handelt es sich um ein Arzneimittel, das vorliegend auch als solches eingesetzt wird. Als Arzneimittel sind in der Krankenversicherung jedenfalls solche Mittel einzustufen, die die Definition des Arzneimittelgesetzes erfüllen. Danach sind Arzneimittel u.a. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper vom menschlichen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen (§ 2 Abs.1 Ziffer 3 Arzneimittelgesetz). Melatonin ist das Haupthormon der Epiphyse. Es wird fast nur nachts ausgeschüttet, da Licht die Bildung von Melatonin hemmt. Es spielt physiologisch eine Rolle in der Schlafinduktion und in der Steuerung zirkadianer Rhythmen. Aufgrund der pharmakologischen Wirkungen, der beanspruchten Indikationen und der nicht ausreichend geprüften Unbedenklichkeit ist das Hormon in Deutschland nach einer Mitteilung des damaligen Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte uneingeschränkt als Arzneimittel nach § 2 Abs.1 AMG einzustufen (Wertsche/Schulz: Melatonin eine klinisch-pharmakologische Bewertung, MMP 2004, S.39; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20. August 1998 - Az.: 2 L 46/98).
Der Versorgungsanspruch eines Versicherten mit Arzneimitteln unterliegt den sich aus § 2 Abs.1 und 12 Abs.1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Es führt daher nicht schon zur Leistungspflicht der Beklagten, dass die Therapie mit dem streitigen Arzneimittel im Fall der Klägerin positiv gewirkt haben soll und sie bei ihr nach Ansicht ihres Kinderarztes einem Alternativpräparat vorzuziehen sei (im gleichen Sinn BSG, SozR 3-2500 § 27 Nr.5 S.11). Zur Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinn geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell eines Arzneimittels, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 72, 256 ff.; BSGE 89, 184 f.). Unstreitig ist Melatonin die arzneimittelrechtlich notwendige Zulassung nicht erteilt bzw. diese gar nicht beantragt worden. Dies wäre aber unerlässlich, um das zu fordernde Mindest-Niveau der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Im Interesse der Mindestsicherheits- und Qualitätsstandards hält das BSG sogar die Verordnung eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels trotz Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für ausgeschlossen, wenn das Arzneimittel weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (BSG, Urteil vom 18.05.2004, SozR 4-2500 § 31 Nr.1). Melatonin verfügt lediglich über eine Zulassung in Kanada.
Die vom Sozialgericht angeführte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln (sog. off-label-use, vgl. Urteil vom 19. März 2002, BSGE 89, 184 ff.) kann kein für die Klägerin günstigeres Ergebnis herbeiführen. Diese Rechtsprechung ist angesichts des Grundsatzes entwickelt worden, dass ein zugelassenes Arzneimittel nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt. Davon kann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung war aber ein zugelassenes Arzneimittel, ein ordnungsgemäß im Inland auf seine pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften zuverlässig geprüftes Mittel. Keinesfalls kann einem derartigen Produkt ein verkehrsfähiges "Nahrungsergänzungsmittel" gleichgestellt werden, das von vornherein aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Es mag sein, dass ein zulässigerweise über eine Apotheke in Verkehr gebrachtes Mittel keine unkalkulierbaren Risiken für etwaige Gesundheitsschäden enthält. Es fehlt aber jedenfalls der Nachweis, dass es den Anforderungen an eine wirtschaftliche und qualitativ ausreichende Verordnungsweise genügt, wie sie vom deutschen Krankenversicherungs- und Arzneimittelrecht vorausgesetzt wird. Zudem liegen keine Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für Schlafstörungen zugelassen werden kann. Die Ergebnisse der zahlreichen Studien und Anwendungsbeobachtungen sind teilweise unklar und widersprüchlich.
Wenn das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2004 (SozR 4-2500 § 27 Nr.1) von der Notwendigkeit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung absieht, so ist dies nur vor dem Hintergrund einer Ausnahmesituation verständlich. Ausdrücklich hält der erste Senat des Bundessozialgerichts an seinem Urteil vom 18. Mai 2004 (a.a.O.) fest und bejaht einen Ausnahmefall nur zur Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation. Nur bei der Therapie einer singulären Krankheit bestehe nicht die Gefahr, dass die maßgeblichen nationalen bzw. europarechtlichen Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit, wie sie im Zulassungserfordernis zum Ausdruck kommen, durch ein Ausweichen auf die Beschaffung des Mittels aus einem Staat mit weniger strengen Prüfungs- und Zulassungsmaßstäben systematisch umgangen werden könne. Bei Krankheiten, die im angedeuteten Sinne einzigartig seien, sei hinreichend gewährleistet, dass auch der Einsatz des Medikaments ein Einzelfall bleibe und die Einbeziehung in die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht nicht zu einer arzneimittelrechtlichen Zulassung durch die Hintertür führe. Genau dies ist aber im Fall der Kostenübernahme für das Mittel Melatonin zu befürchten. Sicher leidet die Klägerin aufgrund ihrer Schwerstbehinderung und zahlreichen funktionellen Einschränkungen unter einer singulären Krankheit, deren Behandlung durch das jugendliche Alter der Patientin erschwert ist. Das begehrte Mittel zielt auf die Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus, der für den Allgemeinzustand eine wesentliche Bedeutung hat. Weil dies aber nicht nur für die spezielle medizinische Situation der Klägerin gilt, sondern allgemein für vielfältige Krankheitsbilder, wie dies die möglichen Indikationen von Melatonin beweisen, kann eine systematische Erforschung erwartet werden. Schlafstörungen sind weit verbreitet, so dass über deren Behandlung bereits wissenschaftlich seriöse Erkenntnisse vorliegen. Erst wenn entsprechende Erkenntnisse für das derzeit in der Entwicklung befindliche Melatonin-Präparat vorliegen und die arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt ist, ist eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung anzuerkennen.
Aus diesen Gründen war die Berufung in vollem Umfang erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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