L 6 R 27/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 152/01 A FdV
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 27/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 08.11.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte lehnt einen Rentenanspruch schon aus versicherungsrechtlichen Gründen ab.

Der Kläger ist 1941 geboren. Er ist jugoslawischer Staatsangehöriger und wohnt in Serbien-Montenegro, Teilrepublik Kosovo. Er hat keine Berufsausbildung. In seiner Heimat hat er keine Versicherungszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt. In Deutschland war er von Juli 1970 bis März 1982 durchgehend versicherungspflichtig beschäftigt und von April 1982 bis Juni 1984 - mit einem Monat Unterbrechung (Juni 1983) - arbeitslos gemeldet.

Am 23.08.1995 beantragte der Kläger bei seinem heimischen Versicherungsträger in P. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; der Antrag ging bei der Beklagten am 18.08.1997 ein. Mitübersandt wurde das Gutachten der Invalidenkommission P. vom 07.12.1995 aufgrund der Untersuchung vom 07.05.1995. Danach besteht beim Kläger ab 07.12.1995 krankheitsbedingt Invalidität auf Dauer (Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter zwei Stunden). Der Kläger habe im Jahr 1990 einen Herzinfarkt erlitten und leide jetzt an stark ausgeprägten stenokardischen Beschwerden. Bereits seit dem 31.12.1990 liege nach den jugoslawischen Vorschriften "ein Körperschaden in Höhe von 60 % ( ...) auf Dauer wegen Krankheit" vor. Der psychische Befund enthält den Hinweis "stark neurotisiert" und mündet in die Diagnose einer Pseudoneurasthenie. Als weitere Gesundheitsstörung nennt die Invalidenkommission ein Leistenbruchrezidiv im Dezember 1990 nach bereits zweimaliger rechtsseitiger Leistenbruchoperation während der Beschäftigung in Deutschland.

Mit Bescheid vom 10.09.1997 lehnte die Beklagte den Rentenantrag aus versicherungsrechtlichen Gründen ab. Ausgehend vom Datum der Antragstellung, dem 23.08.1995, erfülle der Kläger nicht die Voraussetzung der Belegung von drei Jahren Pflichtbeitragszeiten im maßgeblichen, davor liegenden Fünfjahreszeitraum, hier 23.08.1990 bis 22.08.1995. In diesem Fünfjahreszeitraum seien keine Pflichtbeitragszeiten vorhanden. Auch die Übergangsregelung sei nicht erfüllt: Die Zeit vom Januar 1984 bis zum Rentenantrag sei nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt; unbelegt sei insbesondere der Zeitraum Juli 1984 bis Juli 1995.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger Widerspruch. Er habe viermal einen Herzinfarkt erlitten. Die Beklagte möge entsprechende medizinische Aufklärung betreiben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wies darauf hin, dass aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Aussage über das Bestehen von verminderter Erwerbsfähigkeit nicht getroffen worden sei, da der Rentenanspruch aus einem anderen Grund scheitere, nämlich an den nicht erfüllten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wie bereits im Ausgangsbescheid dargestellt.

Hiergegen erhob der Kläger am 17.12.1997 Klage zum Sozialgericht Landshut. Er machte eine freiwillige Versicherung in der jugoslawischen Rentenversicherung der Landwirte von 1989 bis 1997 geltend.

Die Beklagte nannte als letzten Arbeitgeber des Klägers die Firma S. GmbH Metall-, Holz-, Glasverarbeitung in M. , I. Straße (Beschäftigungszeitraum 06.02.1974 bis 27.03.1982). Diese kann heute keine Angaben mehr zur Beschäftigung des Klägers machen.

Mit Schreiben vom 09.02.1998 teilte der Kläger u.a. mit, er habe im Jahre 1983 vom deutschen Arbeitsamt keine Arbeitserlaubnis erhalten. Er habe eine neunköpfige Familie und verfüge über keine Mittel für den Lebensunterhalt.

Der Kläger übersandte ein Schreiben des Arbeitsamtes M. vom 29.06.1984, mit dem sein Antrag vom 18.05.1984 auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis abgelehnt wurde. Gesetzliche Voraussetzung sei u.a. die ununterbrochene Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Erteilung der Arbeitserlaubnis. Beim Kläger lägen jedoch Unterbrechungen vor.

Mit Urteil vom 08.11.2002 wies das Sozialgericht die Klage ab und bezog sich auf die angefochtenen Bescheide. Im Übrigen wies das Gericht darauf hin, dass ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage nicht erforderlich sei. Auch nach den Klägerangaben selbst bestehe die Erkrankung erst seit 10.12.1990, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen schon längst nicht mehr erfüllt gewesen seien.

Gegen das Urteil legte der Kläger Berufung ein: Eine medizinische Sachaufklärung werde erweisen, dass er schon seit 1997 Invalide sei.

Das Gericht machte ein Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht M. zum Gegenstand des Verfahrens und wies auf die maßgebliche Frage hin, ob der Kläger im Zeitpunkt des Rentenantrags vom 3.08.1995 noch berechtigt gewesen sei, Beiträge zur jugoslawischen Rentenversicherung zu zahlen. Laut Gutachten besteht nach serbischem Recht keine nachträgliche Beitragszahlungsmöglichkeit.

Auch konkret für den Kläger teilte der Versicherungsträger P. auf gerichtliche Anfrage mit, dass der Versicherte "kein Recht hat, die Beiträge zu zahlen und diese Beiträge zu damaliger Zeit als gezahlt" anzusehen.

Auf Anfrage des Gerichts konnte die Bundesanstalt für Arbeit lediglich noch die Kopie einer Arbeitserlaubniskarte übersenden. Diese enthält Einträge über eine Tätigkeit als "Abräumer" in der Bahnhofsgaststätte M. im Juli 1984. Der letzte Eintrag datiert vom 27.03.1985.

Das Gericht wies den Kläger auf das Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hin. Die Beweisaufnahme sei abgeschlossen. Es wurde eine Frist zur Stellungnahme gesetzt; trotz Monierung antwortete der Kläger nicht.

Zur mündlichen Verhandlung vom 24.01.2006 erschien der Kläger nicht. Er hat die Benachrichtigung vom Termin am 15.12.2005 erhalten.

Er beantragt sinngemäß, 1. das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 08.11.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.1997 aufzuheben und 2. ihm auf Grund des Antrags vom 23.08.1995 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, hilfsweise - ab 01.01.2001 - wegen Erwerbsminderung zu zahlen.

Die Beklagte beantragte, nach Lage der Akten zu entscheiden.

In der Sache beantragt sie, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts sowie die Prozessakte hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach Aktenlage entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde und auch die übrigen Voraussetzungen des § 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfüllt sind.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gem. § 44 des Sechsten Sozialgesetzbuches in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.). Denn zum Zeitpunkt der letztmaligen Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt.

1. Gemäß § 44 Abs.1 Satz 1 Nr.2 ist versicherungsrechtlich erforderlich, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung belegt sind, wobei sich der Fünfjahreszeitraum durch eventuelle Aufschubzeiten verlängert (§ 44 Abs.4 i.V.m. § 43 Abs.3). Der Versicherungsschutz für Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit "toleriert" somit eine Lücke von 24 Monaten. Er war daher im Falle des Klägers nach den Feststellungen zum Versicherungsverlauf letztmals für einen hypothetischen Versicherungsfall spätestens im Juni 1986 (letzte rentenrechtliche Zeit im Juni 1984 sowie Lücke im Juni 1983 !) erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt lag beim Kläger jedoch noch keine Erkrankung vor. Auch subjektiv macht er eine Erkrankung erst für die Zeit ab dem Herzinfarkt im Jahr 1990 geltend; dementsprechend gibt es - auch objektiv - keine medizinischen Unterlagen im Hinblick auf eine Erkrankung vor dem Jahr 1990. Zu Recht hat das Sozialgericht daher mit dieser Begründung den Rentenanspruch abgelehnt.

2. Auch die Ermittlungen des Senats haben keine weiteren Erkenntnisse erbracht.

2.1 Selbst wenn der Eintrag in der von der Bundesanstalt für Arbeit übersandten Arbeitserlaubniskarte als Hinweis auf eine Beschäftigung im Juli 1984 zu deuten wäre, so könnte dies keinen Rentenanspruch begründen; denn eine solche Beschäftigung könnte laut Karteneintrag längstens bis zum 27.03.1985 gedauert haben. Der Kläger mag dies daher gesondert abklären lassen.

Ausgehend von dem ersten aktenkundigen medizinischen Ereignis - Herzinfarkt im Dezember 1990 - müssten rentenrechtliche Zeiten durchgehend bis mindestens November 1988 dokumentiert sein, um einen Rentenanspruch zu begründen. Daran fehlt es in jedem Fall.

2.2 Der Kläger kann die unbelegten Zeiten ab 1984 auch heute nicht mehr mit freiwilligen Beiträgen belegen. Für das jugoslawische bzw. serbische Recht gilt dies nach der entsprechenden Auskunft des Versicherungsträgers in P ...

Für das deutsche Recht ist die Beitragszahlungsbestimmung des § 197 Abs.2 SGB VI maßgeblich, wonach eine Beitragszahlung bestenfalls für das Vorjahr teilweise noch möglich ist. Eine Unterbrechung der Frist durch das aktuelle Rentenverfahren gem. § 198 Satz 1 SGB VI gilt naturgemäß nur für die Beiträge ab dem Jahr des Rentenantrags, hier also ab 1995. Die Beiträge bis 1994 können dagegen nicht mehr rechtswirksam entrichtet werden.

2.3 Daran ändert auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nichts. Die Versagung der Arbeitserlaubnis durch die Arbeitsverwaltung im Jahr 1984 reicht allein jedenfalls nicht aus, um einen Beratungsmangel der Arbeitsverwaltung festzustellen, den sich die Beklagte zurechnen lassen müsste.

Zum einen ist der Tatbestand "Versagung der Arbeitserlaubnis" nicht vergleichbar mit dem Tatbestand "Beendigung der Arbeitslosmeldung", für den grundsätzlich eine Beratungspflicht der Arbeitsverwaltung besteht. Nur im letztgenannten Fall ergibt sich zwingend, auch aus der Sicht des Sachbearbeiters der Arbeitsverwaltung, dass in der Folge eine Lücke im Versicherungsverlauf auftreten wird. Im Übrigen sind die Begleitumstände des Bescheides heute nicht mehr rekonstruierbar; insbesondere trägt der Kläger hierzu selbst nichts vor. Ein Beratungsfehler lässt sich auch insoweit nicht nachweisen. Zum anderen wäre er sicherlich als nicht kausal für die unterbliebene Beitragsentrichtung anzusehen, was der Senat aus dem bisherigen Prozessverhalten des Klägers selbst folgert. Maßgeblich hierfür ist die Reaktion bzw. Nichtreaktion des Klägers auf die Hinweise während des Berufungsverfahrens, eine eventuelle Beitragszahlung nach serbischem Recht zu überprüfen. Der Kläger hat, ausweislich seines Schweigens, hieran kein Interesse gezeigt. Um so weniger kann ein solches Interesse für einen Zeitpunkt vor zwanzig Jahren, also in erheblicher "Rentenferne" angenommen werden.

Es verbleibt somit dabei, dass aus versicherungsrechtlichen Gründen keine Erwerbsunfähigkeitsrente zu zahlen ist.

Auch Berufsunfähigkeitsrente steht nicht zu. Insbesondere liegen bei dem ungelernten Kläger keinerlei Anhaltspunkte für einen qualifizierten Berufsschutz vor.

Der Kläger wird somit - nach Lage der Dinge - einen Rentenanspruch erst mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erlangen.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs.2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved