L 2 SKn 16/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 21 Kn 70/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 SKn 16/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08. Oktober 1997 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die der Antragstellerin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr einen Bettlifter als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen.

Die 1929 geborene und bei der Antragsgegnerin krankenversicherte Antragstellerin ist an Multipler Sklerose erkrankt und lebt seit dem 03.07.1981 im Seniorenzentrum G. der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bezirk Westliches Westfalen. Ihr Krankheitszustand hat sich inzwischen so verschlechtert, daß sie nicht mehr stehen und gehen kann. Zeitweise treten Lähmungserscheinungen und eine Störung der Feinmotorik auf. Die Antragstellerin erhält von der Antragsgegnerin Leistungen für Schwerpflegebedürftige (Pflegestufe 2) nach dem Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI). Auf der Grundlage einer von der Antragsgegnerin veranlaßten Untersuchung der Antragstellerin zur Feststellung der Pflegestufe durch die Pflegefachkraft E. am 04.03.1997 stellte diese fest, die Antragstellerin sei im Bereich der Mobilität - außer daß sie den Elektro-Rollstuhl selbständig handhaben könne - völlig auf fremde Hilfe angewiesen. Für den Transfer in den Rollstuhl und zurück seien zwei Personen erforderlich. Wegen Harninkontinenz müsse tagsüber dreimal und nachts zweimal die Windelhose gewechselt werden. Die Antragstellerin bezieht eine Witwenrente von der Bundesknappschaft in Höhe von 836,44 DM mtl. sowie eine eigene Rente i.H.v. 1.238,10 DM mtl. Das nach dem Heimvertrag vom 03.07.1981 für Unterkunft, Verpflegung, Betreuung, Hilfe bei erhöhter/schwerer Pflegebedürftigkeit, Überlassung, Instandhaltung und Reinigung von Bettwäsche, Reinigung des überlassenen Wohnraumes, Reinigung der Leibwäsche zu entrichtende Entgelt liegt z.Zt. bei ca. 6000,- DM monatlich. Ein Teil der Kosten für die Heimunterbringung wird vom Landschaftsverband Westfalen Lippe getragen (Sozialhilfeträger).

Unter Vorlage einer Verordnung von den Fachärzten für Innere Medizin S./Dr. W. in G. vom 08.04.1997 beantragte die Antragstellerin die Versorgung mit einem Bettlifter.

Mit Bescheid vom 29.04.1997 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab und führte aus, soweit durch ein Hilfsmittel eine selbständige aktive Teilnahme am gesellschaftlichem Leben erreicht werden solle, setze dies voraus, daß das Hilfsmittel konkret für den einzelnen Versicherten verordnet werde, seiner persönlichen Ausstattung diene und hierdurch eine gewisse Eigenständigkeit und somit eine unabhängige Teilnahme am gesellschaftlichem Leben ermöglicht werde. Mit dieser Zielsetzung seien jedoch Leistungsanträge nicht zu vereinbaren, deren eigentlicher Zweck die Entlastung des Pflegepersonals eines Alten- oder Pflegeheimes sei und die damit eine Reduzierung des personalintensiven Betreuungsaufwandes der Einrichtung zur Folge hätten.

Mit ihrem am 13.05.1997 eingelegten Widerspruch führte die Antragstellerin aus, sie benötige den Bettlifter, um den Wechsel vom Bett in den Rollstuhl für sie leichter und schonender durchführen zu können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.1997 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Mit der Gewährung des Bettlifters werde eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichem Leben nicht erzielt, sondern es werde vielmehr eine Entlastung des Pflegepersonals im Vordergrund stehen.

Die Antragsstellerin hat hiergegen am 19.09.1997 Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben (Az.: S 21 Kn 78/97). Der Transport vom Bett in den Rollstuhl durch mehrere Pflegepersonen verursache ihr Schmerzen und sie habe Angst hinzufallen. Der Transfer mit dem Bettlifter sei schonender. Gleichzeitig beantragte die Antragstellerin, ihr den Bettlifter im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Verfügung zu stellen.

Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, die Antragsstellerin habe keine unzumutbaren und nachträglich nicht mehr zu beseitigenden Nachteile glaubhaft gemacht. Die Entlastung des Pflegepersonals stehe im Vordergrund.

Mit Beschluss vom 08.10.1997 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, die Antragstellerin einstweilen bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem verordneten Bettlifter zu versorgen. Es sei im Rahmen der anzustellenden summarischen Prüfung schlüssig dargetan, daß ein Anspruch auf die Versorgung mit dem verordneten Bettlifter bestehe. Die von der Antragstellerin angegebenen und angesichts ihrer Grunderkrankung nachvollziehbaren Schmerzen beim Transfer vom Bett in den Rollstuhl sowie ihre Angst hinzufallen, seien Grund genug, die Angelegenheit als eilbedürftig anzusehen. Wegen der bekannten Belastung der Sozialgerichte könne frühestens im April 1998 eine Entscheidung in der Hauptsache ergehen.

Gegen den ihr am 10.10.1997 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 05.11.1997 Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 30.10.1997 hat sie vorgetragen, es sei nicht geprüft worden, inwieweit das Pflegeheim oder die Antragstellerin vorläufig durch den Einsatz eigener Mittel Abhilfe hätten schaffen können. Nach § 72 Abs. 3 Satz 1 SGB XI müßten die Pflegeheime die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten. Diese Voraussetzungen seien nur erfüllt, wenn die bauliche und technische Infrastruktur der stationären Pflegeeinrichtung die Durchführung der Pflege entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse ermögliche. Zu den unerläßlichen Bedingungen der erforderlichen Pflegequalität gehöre auch der Einsatz und die Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln. In Ergänzung dieses Vorbringens hat die Antragsgegnerin unter dem 02.12.1997 darauf hingewiesen, daß der Lifter nicht als Pflegemittel anzusehen sei. Mit Verpflichtungsbescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung sowie des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26.02.1996 seien die Spitzenverbände der Pflegekassen verpflichtet worden, diejenigen Hilfsmittelarten aus dem am 10.07.1995 beschlossenen Pflegemittelverzeichnis (abgedruckt in: Die Leistungen 12/1995, S. 556 ff) herauszunehmen, die bereits im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen nach § 128 SGB V enthalten seien. Dies betreffe auch die Lifter. Demnach handele es sich bei diesen um klassische Mittel der Erleichterung der Pflege, die von den Heimen vorzuhalten seien.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Auf Anfrage des Senats hat das AWO- Seniorenzentrum G. ausgeführt, in der Zeit vor Beantragung des Hilfsmittels sei die Antragstellerin noch in der Lage gewesen, teilweise mit unterstützender Hilfe zu stehen, so daß ein Transfer vom Rollstuhl in das Bett noch einfacher möglich gewesen sei. Da sich der Allgemeinzustand der Antragstellerin verschlechtert habe, könne sie nicht mehr stehen. Auf jeder Etage des Heimes sei ein Badelifter vorhanden, der jedoch zum Transfer in den Rollstuhl ungeeignet sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss vom 08.10.1997 aufzuheben und den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Dem Vorbringen der Antragstellerin ist zu entnehmen, daß sie beantragt,

die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

In dem Erörterungstermin vom 11.12.1997 hat der Senat die Antragstellerin befragt sowie den Heimleiter des Seniorenzentrums K. und den Pflegedienstleiter B. durch die Berichterstatterin als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.12.1997 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das SG hat die Antragsgegnerin zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache den verordneten Bettlifter zur Verfügung zu stellen.

Nach Art. 19 Abs.4 des Grundgesetzes (GG) ist in den im SGG nicht geregelten Fällen vorläufiger Rechtsschutz in Vornahmesachen jedenfalls dann zu gewähren, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 167, 179). In entsprechender Anwendung des § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) muß die Antragstellerin einen Anordnungsgrund, d.h. die Unzumutbarkeit des Zuwartens auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren geltend und glaubhaft machen. Hier ist insbesondere von Bedeutung, ob es der Antragstellerin möglich und zumutbar ist, vorläufig durch den Einsatz eigener Mittel Abhilfe zu schaffen. Ob es tatsächlich unzumutbare Nachteile mit sich bringt, auf das Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden, kann im übrigen ohne eine zumindest summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache nicht festgestellt werden (Anordnungsanspruch). Die Erforlichkeit einer Verknüpfung von wirtschaftlich-persönlichen Aspekten und materiell-rechtlichen Gesichtspunkten ergibt sich daraus, daß im Verfahren über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig nicht nur ein Anordnungsgrund, sondern auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen ist (§ 123 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. § 920 Abs. 2, § 936 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). In welchem Umfang die Erfolgsaussichten einer Klage im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen sind, kann nicht generell und einheitlich beantwortet werden; entscheidend sind vielmehr die Verhältnisse des Einzelfalles, wobei insbesondere das streitbefangene Rechtsverhältnis und die Intensität der jeweils drohenden Nachteile zu beachten sind (LSG NRW, Beschluss vom 30.08.1990 - L 9 S 42/90). Bei der nach freiem Ermessen zu treffenden Entscheidung sind neben den Erfolgsaussichten in einem anhängigen Haupsacheverfahren alle betroffenen öffentlichen und privaten Interessen der Antragstellerin, der Antragsgegnerin und Dritter sowie die Interessen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Dies sind insbesondere die für die Antragsstellerin drohenden Nachteile und Schäden bei Nichtergehen der einstweiligen Anordnung, die Bedeutung und Dringlichkeit des in Frage stehenden Anspruchs der Antragstellerin, die Zumutbarkeit, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, und die Reparabilität (Kopp, VwGO, 10. Auflage 1994, § 123 Rdnr 30 ff. m.w.N.).

Nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Hauptsacheklage der Antragstellerin (kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 4 SGG) offensichtlich begründet. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf leihweise Überlassung des hier streitigen Hilfsmittels durch die Antragsgegnerin.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) umfaßt die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Es besteht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körpersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen. Der Bettlifter ist erforderlich im Sinne der 2. Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da sein Einsatz im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse, zu denen ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum mit der Möglichkeit zur Teilnahme am gesellschaftlichem Leben zu zählen ist (BSG SozR 3-2500 § 33 Nrn. 1,5,16), benötigt wird.

Der Bettlifter ist in der Lage, das der Antragsstellerin selbständig nicht mehr mögliche Aufstehen und Stehen bei dem Transfer vom Bett in den Rollstuhl und umgekehrt unmittelbar zu ersetzen. Die Antragstellerin hat glaubhaft dargelegt, daß durch den Transfer mit einem Bettlifter (nach den im Termin vom 11.12.1997 vorgelegten Unterlagen ist ein fahrbarer, zur Fremdbedienung bestimmter Bettlifter gemeint) der Wechsel vom Bett in den Rollstuhl und zurück schonender erfolgen könne und Schmerzen vermieden werden könnten. Wie im Erörterungstermin vom 11.12.1997 auch durch den Zeugen B. dargelegt wurde, hat die Antragstellerin die Geeignetheit dieses Hilfsmittels bereits praktisch erprobt, indem sie einen kurzzeitig von einem anderen Heimbewohner zur Verfügung gestellten Lifter nutzte. Damit dient der Lifter dazu, elementare Grundbedürfnisse zu erfüllen (BSG SozR 2200 § 182 b Nr. 20: Mecalifter für MS- Kranken). Gleichzeitig wird es der Antragstellerin unter Zuhilfenahme des Bettlifters ermöglicht, mit geringem Aufwand in ihren Rollstuhl zu gelangen. In seiner mittelbaren Funktion dient der Bettlifter daher im Zusammenwirken mit dem Rollstuhl (s.a. BSG SozR 3- 2500 § 33 Nr. 3: schwenkbarer Autositz) dazu, der Antragstellerin bei der ihr möglichen selbständigen Benutzung des Elektrorollstuhles den Besuch des Aufenthaltsraumes sowie anderer Räumlichkeiten des Seniorenzentrums und die regelmäßige Teilnahme an den im Gutachten von Frau E. beschriebenen diversen Aktivitäten (Altennachmittage im Behindertenzentrum und beim DRK, MS - Verband) zu ermöglichen. Unter Berücksichtigung der subjektiven Verhältnisse der Antragsstellerin und ihres individuellen Bedarfs - auf diese Gesichtspunkte kommt es für die Beurteilung der Hilfsmitteleigenschaft wesentlich an (BSGE 51, 268, 270; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16) - ist der Bettlifter erforderlich i.S. des § 33 SGB V zur möglichst umfangreichen Aufrechterhaltung ihrer Lebensbetätigung.

Der Erforderlichkeit der beantragten Versorgung mit dem Hilfsmittel steht auch nicht entgegen, daß der Heimträger im Rahmen des Heimvertrages Pflegekräfte zur Unterstützung der Antragstellerin zur Verfügung zu stellen hat. Der Wortlaut des § 33 SGB V stellt ausschließlich auf medizinische Kriterien ab und enthält keinen Hinweis auf Selbsthilfeerfordernisse (KassKomm-Höfler § 33 SGB V Rdnr. 18a). Die Antragstellerin kann nicht darauf verwiesen werden, sich die durch den Bettlifter mögliche Hilfe durch die vermehrte Inanspruchnahme von Pflegekräften der Einrichtung zu verschaffen. Abgesehen von den ausdrücklich im Gesetz normierten Fällen (z.B. bei der häuslichen Krankenpflege und Haushaltshilfe, §§ 37, 38 SGB V) läßt sich innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung kein genereller Vorrang der Selbsthilfe gegenüber Versicherungsansprüchen begründen. Es gehört zum Wesen der Sozialversicherung als einem gehobenen System sozialer Sicherung, daß sich die Bemessung der Leistungen i.d.R. (Ausnahmen sind Zuzahlungsregelungen) am versicherten Risiko orientiert. Diesen Risikoschutz hat die Versicherte durch die Zahlung von Beiträgen erworben (Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 1, Krankenversicherungsrecht, 1994, § 6 SGB V Rdnr. 61 f.; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16). Da die vermehrte Inanspruchnahme von Pflegekräften Auswirkungen auf die Höhe des für Pflegeleistungen zu zahlenden Entgeltes haben dürfte, führt die flächendeckende Ablehnung einer Hilfsmittelversorgung für die in Heimen lebenden Versicherten (vgl. Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankassen/Pflegekassen zur Ausstattung von Pflegeheimen mit Hilfsmitteln vom 26.05.1997) zu einer versteckten Selbstbeteiligung dieser Versicherten an den von ihnen benötigten Hilfsmitteln.

Entsprechend den Angaben in dem Gutachten von Frau E. vom 10.03.1997 und der Aussage des Zeugen B. im Erörterungstermin vom 11.12.1997 ist davon auszugehen, daß zumindest achtmal täglich ein Wechsel der Antragsstellerin vom Bett in den Rollstuhl oder umgekehrt erforderlich wird. Wegen der Schwere der Erkrankung der Antragstellerin und ihres Körpergewichtes muß der dreimal täglich anfallende Wechsel der Windelhose im Bett durchgeführt werden. Zusätzlich sind das Aufstehen und Zu-Bett-Gehen zu berücksichtigen. Bei dieser täglich mehrfachen Nutzung eines Bettlifters durch die Antragstellerin ist ein solcher auch wirtschaftlich im Sinne einer begründbaren Relation zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels (§ 12 SGB V).

Unschädlich ist, daß die Antragstellerin den Bettlifter nur mit fremder Hilfe einer weiteren Person betätigen kann. Die Fähigkeit, das Gerät selbständig und ohne Hilfe anderer Personen benutzen zu können, ist kein Abgrenzungskriterium für die positive oder negative Entscheidung über ein Hilfsmittel (BSG SozR 2200 § 182b Nr. 20; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 7).

Dieser individuelle krankenversicherungsrechtliche Anspruch der Antragstellerin auf Ausstattung mit dem begehrten Hilfsmittel wird unter keinem Gesichtspunkt dadurch ausgeschlossen, daß sie in einem Pflege- bwz. Altenheim lebt. Das Gesundheitsrefomgesetz hat die Vorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 4 RVO a.F., nach der der Anspruch eines Rentners auf Krankenhilfe ruhte, wenn er in einer Anstalt dauerhaft zur Pflege untergebracht war, in der er im Rahmen der gesamten Betreuung Krankenpflege erhielt, nicht übernommen. Dies wurde u.a. damit begründet, daß diese Regelung zunehmend als Diskriminierung von Pflegebedürftigen angesehen werde (BT-Drucks 11/2237, S. 165). Unter Beachtung des verfassungsrechtlich relevanten Gesichtspunktes, daß in Einrichtungen lebende Rentner durch diese Vorschrift ihren auf Beiträgen beruhenden und laufend aufrechterhaltenen umfassenden Krankenversicherungsschutz verlieren könnten, hatte das BSG diese Vorschrift bereits einschränkend dahin interpretiert, daß nur diejenigen Krankenbehandlungsleistungen von der Ruhensvorschrift erfaßt seien, die tatsächlich im Pflegesatz enthalten waren (BSGE 21, 244 ff; BSG, Urteil vom 12.10.1988 - 3 RK 29/87 -).

Auch soweit die Antragsgegnerin eine Leistungspflicht unter Bezugnahme auf die Vorschriften des SGB XI ablehnt, kann ihr nicht gefolgt werden. Dies gilt zunächst für ihre Argumentation, bei dem Bettlifter stehe die Entlastung des Pflegepersonals im Vordergrund. § 40 Abs. 1 SGB XI (Pflegehilfsmittel und technische Hilfsmittel im Bereich der häuslichen Pflege) und § 78 Abs. 1 SGB XI (Verträge über Pflegehilfsmittel zwischen den Spitzenverbänden der Pflegekassen und den Leistungserbringern) stellen klar, daß keine Leistungspflicht nach dem SGB XI besteht, soweit gleichzeitig die Voraussetzungen des § 33 SGB V erfüllt sind. Dieser Grundsatz der Subsidiarität kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Pflegeversicherungsgesetz zum Ausdruck, nach deren Inhalt die Hilfsmittelversorgung nur dann von den Pflegekassen übernommen werden soll, soweit diese nicht bereits als Leistungen bei Krankheit oder Behinderung von den Krankenkassen oder anderen Leistungserbringern zu gewähren sind (BT-Drs. 12/5262 zu § 36 SGB XI, S. 113). Für die Frage, ob es sich um ein von dem gesetzlichen Krankenbehandlungsanspruch umfaßtes Hilfsmittel oder um ein reines Pflegehilfsmittel handelt, das von der zuständigen Pflegeversicherung nur bei häuslicher Pflege übernommen wird und z.T. mit Zuzahlungspflichten verbunden ist, muß daher weiterhin die dem Gesetzgeber des Pflegeversicherungsgesetzes bekannte, bisherige Rechtsprechung des BSG zugrunde gelegt werden. Nach deren Inhalt ist eine Versorgung auf Kosten der Krankenkasse nicht ausgeschlossen, wenn das Hilfsmittel gleichzeitig dem Behinderungsausgleich und der Pflege dient und insbesondere die Pflege erleichtert (BSG SozR 3 - 2500 § 33 Nrn. 7, 13; BSG SozR 2200 § 182b Nrn. 9, 20). Auch das Pflegehilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Pflegekassen (in: Bundesanzeiger 1996 Nr. 155a) enthält entgegen der ursprünglichen Fassung vom 10.07.1995 (a.a.O.; hier waren Bettlifter als Pflegelifter erfaßt) keine Produkte mehr, die auch nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten wären.

Auch soweit die Beklagte ausführt, bei einem Bettlifter handele es sich um ein Hilfsmittel, das ein Pflegeheim üblicherweise vorzuhalten habe, damit der Pflegeauftrag ordnungsgemäß erfüllt werden könne, und auf die Voraussetzungen für die Zulassung von Einrichtungen zur Pflege in § 72 Abs. 3 SGB XI verweist, berührt dies weder den Anspruch der Antragstellerin auf Versorgung mit dem beantragten krankenversicherungsrechtlichen Hilfsmittel noch die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bereitstellung eines solchen Hilfsmittels nach § 17 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I). Regelungen über die Voraussetzungen der Zulassung von Leistungserbringern sind nicht geeignet, individuelle Rechtsansprüche der Versicherten im Sinne des § 38 SGB I zu beschränken. Gleiches gilt für die Regelungen in § 3 des Heimgesetzes (HeimG) i.V.m. der Heimmindestbauverordnung. Die dort normierten Mindestanforderungen für Räume mit verschiedenen Funktionen beinhalten Voraussetzungen für eine Heimbetriebserlaubnis und begründen keine Sozialleistungsverpflichtung des Heimträgers.

Neben dem vorstehend begründeten Anordnungsanspruch ist auch ein Anordnungsgrund vorhanden. Die Antragstellerin hat durch Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nachgewiesen, daß sie die Kosten für einen Bettlifter nicht vorstrecken und die Antragsgegnerin im Wege der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V in Anspruch nehmen kann. Ohne die Versorgung mit einem Bettlifter wäre die Antragstellerin bis zum Eintritt der Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung auf den für sie beschwerlichen und mit Ängsten verbundenen Transfer durch jeweils zwei bis drei Pflegekräften (so der Zeuge B.) verwiesen. Diese durch ihre schwere Erkrankung und ihr Körpergewicht nötige vermehrte Inanspruchnahme von Pflegekräften begründet ihre im Termin vom 11.12.1997 geäußerte realistische Befürchtung, daß sie - bei (auch nur vorübergehender) Verminderung des Pflegepersonals - in ihrer Mobilität einschränkt wird. Angesichts des nach summarischer Prüfung bestehenden Anspruchs auf Bereitstellung des konkreten Hilfsmittels sind der Antragstellerin die erheblichen Einschränkungen ihrer Lebensqualität nicht zuzumuten. Vielmehr begründen sie einen schweren und unzumutbaren Nachteil im Falle des Zuwartenmüssens.

Im Rahmen der Interessenabwägung hat der Senat auch berücksichtigt, daß eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht erfolgt. Bei dem Bettlifter handelt es sich um ein Hilfsmittel, daß nach dem Hilfsmittelkatalog der Spitzenverbände der Krankenkassen für einen leihweisen Einsatz geeignet ist.

Diese einstweilige Anordnung verliert ihre Wirkung mit Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsache (vgl. Kopp, VwGO, § 123 Rdnr. 32). Sie ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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