S 9 AL 77/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AL 77/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 79/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Insolvenzgeldes streitig.

Der am 00.00.1970 geb. Kl. war von August 1996 an bis 31.10.2003 bei der am 1.11.2003 in Insolvenz gegangenen Firma L GmbH in L1 beschäftigt. Wie für alle Mitarbeiter des Unternehmen galt auch für den Kläger der Tarifvertrag der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme.

Am 13.11.2002 hatte diese Firma mit der IG Metall – Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen einen sog. Restrukturierungsvertrag geschlossen. Danach verzichteten die Arbeitnehmer auf einen Teil ihrer tariflichen Ansprüche auf Urlaubsgeld und 13. Monatsgehalt, sowie die tarifliche Lohnerhöhung für das Jahr 2003 bis zum 30.9.2003. Zweck der Vereinbarung war der Erhalt des Unternehmens und deren Arbeitsplätze.

Der Vertrag enthielt in § 6 eine Prämienregelung für den Fall, dass das Unternehmen einen Jahresüberschuss von mindestens 200.000 Euro erzielen würde. Für diesen Fall sollte entsprechend der Höhe des Überschusses Anteile der Ansprüche, auf die die Arbeitnehmer verzichtet hatten ausgezahlt werden und zwar in der Reihenfolge, Tariflohn, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld. Daneben enthielt § 6 auch noch folgenden Passus:

"Werden die vom Unternehmen vorgesehenen Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen nicht oder nur unzureichend durchgeführt oder verweigern Kreditinstitute zugesagte Kredite oder kündigen sie bestehende oder droht eine Insolvenz, hat die IG Metall das Recht, diese Vereinbarung zu kündigen. Damit entstehen die ursprünglichen Ansprüche neu und werden unmittelbar fällig."

Nachdem die Firma L GmbH einen Eigenantrag auf Insolvenz gestellt hatte, kündigte die IG Metall am 3.9.2003 den Restrukturierungsvertrag und machte für die Beschäftigten die "ursprünglichen" Ansprüche geltend.

Am 5.11.2003 beantragte der Kläger Insolvenzgeld für rückständigen Lohn. Der Insolvenzverwalter bestätigte auch für die Monate August bis Oktober rückständigen Lohn, wobei die tariflichen Lohnansprüche erst ab 3.9.2003 wieder in voller Höhe berücksichtigt wurden.

Mit Bescheid vom 20.11.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Insolvenzgeld für die Monate August bis Oktober in Höhe von 4.889,62 Euro. Hiergegen legte der Kläger rechtzeitig Widerspruch ein , der mit Widerspruchsbescheid vom 10.03.04 als unbegründet zurückgewiesen wurde:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf höheres Insolvenzgeld, da bis zur Kündigung des Restrukturierungsvertrages nur die sich daraus ergebenden Ansprüche insolvenzgeldfähig seien. Die dem Kläger tariflich zustehende Lohnerhöhung sei erst ab dem Zeitpunkt der Kündigung des Restrukturierungsvertrages im September zu berücksichtigen gewesen. Selbst wenn die Parteien des Restrukturierungsvertrages eine Rückwirkung der Kündigung gewollt hätten, so könne der Kläger hieraus gegenüber der Beklagten keine Ansprüche herleiten, da dieses eine Vereinbarung zu Lasten Dritter, nämlich der Allgemeinheit darstelle.

Der beigeladene Insolvenzverwalter vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Kündigung des Restrukturierungsvertrages keine Rückwirkung in Bezug auf die Insolvenzgeld-ansprüche des Klägers entfalte.

Mit der am 13.4.2004 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf höheres Insolvenzgeld in vollem Umfang weiter.

Er ist der Ansicht, dass aufgrund der Vereinbarung in § 6 des Vertrages ihm Insolvenzgeld aus dem vollen Tariflohnansprüchen für die Monate August bis Oktober zustehe. Durch die Kündigung seien seine Lohnansprüche rückwirkend entstanden und nicht erst ab dem Zeitpunkt der Kündigung. Auch stelle diese Vereinbarung keinen Vertrag zu Lasten Dritter dar, da auch andere Ereignisse als die Insolvenz als Kündigungsgrund aufgeführt seien und daher keinesfalls somit nur höhere Insolvenzgeldansprüche abgesichert werden sollten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.11.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2004 dahingehend abzuändern, dass die Beklagte ihm Insolvenzgeld für die Monate August bis Oktober auf der Grundlage seiner tariflichen Ansprüche nach den gesetzlichenBestimmungen bewilligt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Insg St.Nr.: 00000000 ) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 20.11.2003 in der Fassung des Widerspruchsbe-scheides vom 10.03.2004 beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtmäßig ist. Denn der Kläger hat nur einen Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe der sich aus dem Restrukturierungsvertrag vom 13.11.2002 ergebenen Lohnansprüche. Dies folgt aus § 183 Abs. 1 S. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III).

Nach dieser Vorschrift haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Dies ist hier der Fall für die Monate August bis Oktober 2003. Dabei gehören zum "Arbeitsentgelt" im Sinne dieser Vorschrift alle Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis, die im weitesten Sinne eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung oder das zur Verfügung stellen der Arbeitsleistung darstellen. Grundlage der Bezüge ist das Arbeitsverhältnis. Dass heißt, dass der Rechtsanspruch auf die Zahlung sich aus dem Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, betriebliche Übung oder aus einer Betriebsvereinbarung oder gesetzlicher Bestimmung ergeben muss (Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rdnr. 57).

In diesem Fall ergibt sich der insolvenzgeldfähige Lohnanspruch des Klägers bis zum 3.9.2003 aus dem zwischen seinem Arbeitgeber und der IG-Metall geschlossenen Restrukturierungsvertrag. Denn hierbei handelt es sich um eine zulässige Vereinbarung der Tarifvertragsparteien zur Änderung des Lohntarifvertrages, die aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf den Tarifvertrag, für alle Arbeitnehmer der Firma L GmbH unabhängig von ihrer Tarifzugehörigkeit wirksam ist.

Diese ist auch erst mit Wirkung zum 3.9.2003 wirksam von der IG-Metall gekündigt worden, so dass Anspruch auf Insolvenzgeld in Bezug auf Urlaubsgeld für bis zum 3.9.2003 genommenen Urlaub nur auf der Grundlage von 50 % der Maximalbezüge bestand und für die tariflichen Lohnerhöhungen erst ab 4.9.2003. Für die daraus folgende Berechnung der Höhe des Insolvenzgeldes für den Kläger wird auf die zutreffende Insolvenzgeldbescheinigung des Beigeladenen und die Berechnung der Beklagten Bezug genommen, der das Gericht nach eigener Überprüfung folgt. Denn entgegen der Ansicht des Klägers kommt der Kündigung des Restrukturierungsvertrag eine Rückwirkung vor dem 3.9.2003 jedenfalls in Bezug auf den Insolvenzgeldanspruch nicht zu, da eine Kündigung eines Vertrages grundsätzlich nur für die Zukunft wirkt. Etwas anderes ergibt sich hier weder aus dem Wortlaut, noch auch aus dem Kontext des § 6 des Restrukturierungsvertrages.

Nach dem Wortlaut dieser Regelung, entstehen für den Fall, dass wenn die vom Unternehmen vorgesehenen Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen nicht oder nur unzureichend durchgeführt würden oder Kreditinstitute zugesagte Kredite verweigern würden oder kündigten oder eine Insolvenz drohe, und die IG Metall den Vertrag kündigt die ursprünglichen Ansprüche "neu" und werden unmittelbar fällig. Das heißt aber, dass die Lohnansprüche auf die die Arbeitnehmer verzichtet haben gerade nicht rückwirkend wieder aufleben und auch nicht rückwirkend fällig werden, sondern "neu" entstehen und auch erst ab der Kündigung fällig werden. Es handelt sich daher schon nach dem Wortlaut der Vereinbarung um neue Ansprüche der Arbeitnehmer aufgrund der Kündigung und nicht um rückwirkend wieder aufgelebte alte Ansprüche.

Diese Auslegung wird auch gestützt vom Gesamtkontext des § 6. Denn dieser sieht auch für den Fall, dass das Unternehmen einen Jahresüberschuss von mindestens 200.000 Euro erzielen würde, nur eine anteilige Prämienzahlung entsprechend der Höhe des Überschusses vor, zum Ausgleich der Ansprüche, auf die die Arbeitnehmer verzichtet hatten und zwar in der Reihenfolge, Tariflohn, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld. Es war daher nicht einmal für den Fall, dass die Restrukturierungsmaßnahmen Erfolg hatten und das Unternehmen einen deutlichen Gewinn erzielen würde, ein rückwirkendes Aufleben der Ansprüche des Klägers vereinbart, sondern auch für diesen Fall nur eine neuer Anspruch auf entsprechende Prämienzahlungen vorgesehen.

Aber selbst wenn man dem Kläger darin folgt, dass die Parteien für den Fall der Kündigung einen rückwirkenden Anspruch gewollt haben, so wäre dieser jedenfalls in Bezug auf die Insolvenzgeldansprüche gegen die Beklagte unwirksam. Denn dann wäre diese Vereinbarung ein sog. "Vertrag zu Lasten Dritter" der gegenüber der Beklagten als Dritter unwirksam ist, da die Vertragsparteien zu Lasten eines nicht an dem Vertrag beteiligten Dritten eine weitergehende Regelung getroffen hätten, als sie selber für sich vereinbart haben. Dieses ergibt sich insbesondere aus der oben bereits in § 6 aufge-führten Regelung, dass im Falle des Erfolges des Restrukturierungsvertrages die Vertragsparteien selbst gegenseitig nur "neue" Prämienansprüche schulden und gerade kein Wiederaufleben der ursprünglichen Ansprüche, auf die verzichtet wurde, vereinbart haben. Dabei ist es unerheblich, dass neben der Insolvenz auch andere Kündigungsgründe aufgeführt werden, denn die Rechtsfolge des Institutes des "Vertrag zu Lasten Dritter" ist gerade die relative Unwirksamkeit nur gegenüber dem die Vereinbarung belastendenden Dritten und nicht etwa die Nichtigkeit des gesamten Vertrages, insbesondere gerade nicht von Vereinbarungen, die nur die Vertragsparteien alleine betreffen.

Insgesamt hat der Kläger daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf höheres Insolvenzgeld aufgrund der Kündigung des Restrukturierungsvertrages.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved