L 1 AL 43/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 142/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 43/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 16.04.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Insolvenzgeld (InsG).

Der Kläger war als Kraftfahrer zunächst bei der T Nahrungsmittelwerke GmbH & Co. KG und nach dem Übergang von deren Speditionsabteilung auf die nicht tarifgebundene Spedition C GmbH & Co. KG zum 01.01.2000 bei dieser beschäftigt. In der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden und danach nicht abgelösten "Betriebsvereinbarung über die Festlegung der täglichen Arbeitszeit, die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, die Lage der Pausen und das Verfahren der An- und Abstempelung für die im Betrieb beschäftigten Kraftfahrer" (im Folgenden: Betriebsvereinbarung E) war geregelt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden betrug (Ziff. III. 1). Der Betriebsrat stimmte der Ableistung von Mehr- und Überarbeit im tarifvertraglich zulässigen Umfang bis zu 53 Stunden wöchentlich einschließlich der Pausen zu. Mehrarbeitszuschläge wurden aber der 44. Wochenstunde vergütet (Ziff. III.3.). Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Erbringung einer Leistung von mehr als 40 Wochenstunden bestand ohne besondere Anweisung nicht (Ziff. III.4.). Auf dieser Grundlage erhielt der Kläger in der Zeit von Januar 2000 bis August 2001 in Monaten ohne Sonderzahlungen zwischen 2.631,41 DM und 3.831,36 DM netto. Dabei wurden seine Leistungen zuletzt mit 18,72 DM pro Stunden und zuschlagsfähige Mehrarbeit mit Zuschlägen von 25 bzw. 30 % je Stunde vergütet. Im Laufe des Monats September 2001 verschlechterte sich die Auftragslage der C GmbH & Co. KG insbesondere dadurch, dass ihr die Firma T in ihrer Eigenschaft als Hauptauftraggeberin die Speditionsaufträge entzog. Ende September 2001 musste die C GmbH & Co. KG aus diesem Grund die Betriebstätigkeit einstellen. Der Kläger beantragte daraufhin am 24.09.2001 InsG, bezog seit dem 26.09.2001 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 540,33 DM wöchentlich und arbeitete ab dem 03.12.2001 als Kraftfahrer bei der Firma G Holzverarbeitungs GmbH, wo er im Dezember 2001 einschließlich Urlaubsgeld netto 3.296,74 DM verdiente.

Am 13.12.2001 wurde über das Vermögen der C GmbH & Co KG das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter, Steuerberater Dipl.-Kfm. C1, bescheinigte für den InsG-Zeitraum vom 13.09.2001 bis zum 12.12.2001 ein entgangenes Arbeitsentgelt von brutto 11.786,40 DM bzw. nicht ausgezahlte Nettoentgelte von 9.134,42 DM (entsprechend 4.671,37 EUR). Unter Anrechnung des im Dezember 2001 anderweitig erzielten Verdienstes sowie des gezahlten Alg bewilligte die Beklagte dem Kläger InsG für die Zeit vom 13.09.2001 bis zum 12.12.2001 in Höhe von 1.345,52 EUR (Bescheid vom 24.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2002).

Mit der hiergegen zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen: Die der Berechnung des InsG zu Grunde gelegten Auskünfte des Insolvenzverwalters seien hinsichtlich der erzielten Verdienste unrichtig. Der Insolvenzverwalter habe erhebliche Probleme gehabt, korrekte Unterlagen zu erhalten bzw. beizuziehen. Aus seinen Gehaltsbescheinigungen für die Monate Januar 2000 bis August 2001 ergebe sich, dass er wesentlich höhere Monatsverdienste erzielt habe als vom Insolvenzverwalter bescheinigt.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 16.04.2004). Die vom Kläger vorgelegten Gehaltsbescheinigungen für die Zeit vor Beginn des InsG-Zeitraums seien nicht geeignet, den entgangenen Verdienst im InsG-Zeitraum zu belegen, da sie nach Höhe und geleisteter Arbeit zu stark variierten. Seiner Verpflichtung, seinen Anspruch auch der Höhe nach im Einzelnen darzulegen, sei der Kläger nicht nachgekommen.

Mit der Berufung gegen den Gerichtsbescheid trägt der Kläger vor, er habe keine andere Möglichkeit gehabt, seine Arbeitsleistung nachzuweisen, als durch Vorlage der Entgeltbescheinigungen aus den Vormonaten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 16.04.2004 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 04.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2002 zu verurteilen, ihm unter Anrechnung des bereits gewährten Insolvenzgeldes weiteres Insolvenzgeld in Höhe des monatlichen Durchschnittsverdienstes in der Zeit vom 01.01.2000 bis 12.09.2001 ausschließlich Weihnachts- und Urlaubsgeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat eine Auskunft des Insolvenzverwalters C1 eingeholt (Bl. 94 bis 105 Gerichtsakten [GA]) und einen Erörterungstermin durchgeführt, wegen dessen Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen wird. Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höheres InsG als von der Beklagten zuerkannt.

Die Höhe des InsG richtet sich nach § 185 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach wird InsG in Höhe des Nettoarbeitsentgeltes geleistet, das sich ergibt, wenn das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze begrenzte Bruttoarbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird.

Mit der InsG-Versicherung werden nur die im InsG-Zeitraum erarbeiteten Arbeitsentgelte geschützt (BSG, Urteil v. 25.07.2002, B 11 AL 90/01 R, SozR 3-4100 § 141b Nr. 24). Der von der Insolvenz betroffene Arbeitnehmer kann daher nur die Zahlung derjenigen Nettoarbeitsentgelte verlangen, die der Arbeitgeber für die Arbeitsleistung im InsG-Zeitraum zahlen müsste, aufgrund der Insolvenz jedoch nicht zahlen kann.

Der Insolvenzverwalter hat die Arbeitsentgelte für die vom Kläger im InsG-Zeitraum erbrachte Arbeitsleistung zutreffend, jedenfalls nicht zu dessen Ungunsten unzutreffend berechnet. Welche Arbeitsleistung dabei zu Grunde gelegt worden ist, ergibt sich unmittelbar aus den auf Anfrage des Senates überreichten Unterlagen, insbesondere der Zeitnachweisliste der C GmbH & Co. KG vom 01.10.2001 für den Monat September 2001. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit dieser Liste bzw. der auf ihrer Grundlage erstellten Abrechnung ergeben sich für den Senat nicht. Sie sind insbesondere auch seitens des Klägers nicht dargelegt worden, obwohl er hierzu gegebenenfalls ohne Weiteres in der Lage wäre, nachdem er dem Insolvenzverwlater auf dessen Bitte hin nicht nur eine Aufstellung seiner ausstehenden Ansprüche im Wege der eidesstattlichen Versicherung, sondern auch seine Spesenzettel für den Monat September 2001 übersandt und damit dokumentiert hat, dass er über eine lückenlose Auflistung seiner Arbeitszeiten in diesem Monat verfügt.

Für den Zeitraum ab Betriebseinstellung ergibt sich der insolvenzgeldfähige Lohnanspruch des Klägers für diejenigen Arbeitsstunden, die er infolge des Annahmeverzugs der C GmbH & Co. KG nicht leisten konnte, aus § 615 Satz 1 i.V.m. § 293 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber für die in Folge des Verzuges nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung zu zahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste im Verzug ist. Das wiederum ist der Fall, wenn er die ihm angebotene Leistung, d.h. die Arbeitsleistung, nicht oder in geringerem Umfang als geschuldet annimmt, den Umfang der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer also rechtswidrig einschränkt (BAG, Urteil v. 16.03.1999, 9 AZR 314/98, AP Nr. 84 zu § 615 BGB; BAG, Urteil v. 07.11.2002, 2 AZR 742/00, AP Nr. 100 zu § 615 BGB). Insoweit sind der Insolvenzverwalter und die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die C GmbH & Co. KG dem Kläger lediglich Arbeitsleistung im Umfang von maximal 42 Wochenstunden zuweisen musste und also nicht verpflichtet war, Mehrarbeit gemäß dem Durchschnitt der geleisteten Mehrarbeit in den Abrechnungszeiträumen 01.01.2000 bis 12.09.2001 abzunehmen und zu vergüten.

Ein Anspruch auf Zuweisung und Mehrarbeit folgt zunächst weder aus dem Arbeitsvertrag noch aus einer kollektivrechtlichen Regelung. Der für die T Nahrungsmittelwerke GmbH & Co. KG maßgebende "Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie" in der zum maßgeblichen Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung vom 31.01.1997, der nach dem Betriebsübergang auf die C GmbH & Co. KG als Bestandteil der Arbeitsverträge fortgegolten hat (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB), hat keine eigenständigen Regelungen zur Mehrarbeit des fahrenden Personals getroffen, sondern in § 3 Ziff. III. 3 lediglich bestimmt, dass die Arbeitszeit für das Fahrpersonal auf bis zu 53 Stunden in der Woche ausgedehnt werden kann. Auf dieser Grundlage haben die Betriebspartner in der Betriebsvereinbarung E eine differenzierte Regelung getroffen, die eine regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche, eine Mehrarbeitsvergütung ab der 44. Wochenstunde und zudem ausdrücklich vorsieht, dass ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Erbringung einer Leistung von mehr als 40 Wochenstunden, also von Mehrarbeit, ohne besondere Anweisungen nicht besteht.

Ein derartiger Anspruch folgt dabei auch nicht aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung. Nach ständiger arbeitsgerichtlicher Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist betriebliche Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Maßgeblich ist, ob sie aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie aller Begleitumstände auf einen entsprechenden Bindungswillen schließen dürfen und das entsprechende Vertragsangebot stillschweigend annehmen konnten (statt aller: BAG, Urteil v. 19.05.2005, 3 AZR 660/03, AP Nr. 71 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargelegt worden. Der Kläger hat vielmehr lediglich vorgetragen, er habe regelmäßig auf Anordnung seines Arbeitgebers Überstunden geleistet. Die regelmäßige Ableistung von Überstunden allein rechtfertigt indessen noch nicht den Schluss auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers zur Zuweisung von Mehrarbeit auch dann, wenn das verfügbare Auftragsvolumen des Unternehmens diese nicht erfordert. Im Gegenteil hat Ziff III.4 Betriebsvereinbarung E, wie dargestellt, einen solchen Anspruch ohne besondere Anweisung des Arbeitgebers ausdrücklich ausgeschlossen. Eine derartige Anweisung hat jedoch für den streitbefangenen Zeitraum keineswegs bestanden. Vielmehr hat die C GmbH & Co. KG durch die Freistellung der Arbeitnehmer gerade zum Ausdruck gebracht, dass überhaupt keine Arbeitsleistung, erst recht keine Mehrarbeit gewollt war.

Der Kläger kann den Anspruch auf Vergütung von Mehrarbeit auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder das Maßregelungsverbot des § 612a BGB stützen. Im einen wie im anderen Fall wäre es erforderlich, dass andere Arbeitnehmer als der Kläger im fraglichen Zeitraum noch Arbeit in Form von Mehrarbeit geleistet haben. Dies ist im Hinblick auf die Einstellung des Betriebs jedoch gerade nicht geschehen.

Die Beklagte hat das InsG des Klägers auch im Übrigen richtig berechnet.

Das im Wege der sog. Gleichwohlgewährung (§ 143 Abs. 3 SGB III) gezahlte Alg war in Abzug zu bringen, weil der Anspruch des Klägers auf InsG insoweit auf die Beklagte übergegangen war (§ 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch).

Ebenfalls zu Recht hat die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 615 Satz 2 BGB das vom Kläger bei der G Holzverarbeitungs GmbH erzielte Nettoarbeitsentgelt abgezogen (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 17.03.1993, 10 RAr 7/91, SozR 3-4100 § 141b Nr. 6). Die gewährte Vergütung ist einschließlich des Urlaubsgeldes als Gegenleistung für geleistete bzw. noch zu leistende Arbeit gewährt worden. Auf das von der G Holzverarbeitungs GmbH gewährte Urlaubsgeld hätte der Kläger bei Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses mit der C GmbH & Co. KG keinen Anspruch gehabt. Vielmehr ist sein dortiger Anspruch auf Urlaubsgeld in Höhe von 535 DM (§ 9 Ziff. 5 Buchst. a) MTV) bereits mit der Zahlung des Junigehalts erfüllt worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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