L 7 AS 37/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 292/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 37/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7b AS 20/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13. September 2005 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2005 vollständig aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Der 1965 geborene Kläger übt seit 2003 eine selbständige Tätigkeit - Schuhreparatur und Schlüsseldienst - aus. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte ihm zunächst für die Zeit vom 01.09.2003 bis 31.08.2004 einen Existenzgründungszuschuss (EXGZ). Mit Bescheid vom 13.08.2004 bewilligte sie den Zuschuss für ein weiteres Jahr für die Zeit 01.09.2004 bis 31.08.2005 in Höhe von monatlich 360,00 EUR. Ab 01.09.2005 erhielt der Kläger monatlich 240,00 EUR. Er hatte bis 31.12.2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen, wobei bei der Berechnung der Bedürftigkeit den Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb und dem EXGZ die Betriebsausgaben gegenüber gestellt und abgezogen wurden.

Der Kläger beantragte für sich und seine Ehefrau sowie die 2000 geborene Tochter Leistungen nach dem SGB II. Er legte für die Monate Januar und Februar 2005 Gewinn- und Verlustrechnungen vor, die bei Gegenüberstellung der gewerblichen Einnahmen und des EXGZ einerseits und der Betriebsausgaben andererseits Fehlbeträge von 121,11 EUR bzw. 128,30 EUR ergaben.

Mit Bescheid vom 09.03.2005 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 Arbeitslosengeld (Alg II) in Höhe von 1.237,91 EUR. In dem Bescheid heißt es, aufgrund der vorgelegten Abrechnungen errechne sich kein Einkommen. Mit weiterem Bescheid vom 16.03.2005 wurde die Leistung in gleicher Höhe für die Zeit vom 01.04. bis 30.09.2005 bewilligt.

Mit Bescheid vom 20.06.2005 hob die Beklagte den Bescheid vom 16.03.2005 für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2005 in Höhe von 282,00 EUR wegen "Anrechnung des Einkommens aus Existenzgründungsdarlehen abzüglich der Beiträge in Höhe von 78,00 EUR zur freiwilligen Rentenversicherung" auf. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe mit seinem Gewerbe Verluste erwirtschaftet, die er auch mit Hilfe des EXGZ nicht habe abgedecken können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Beim EXGZ handele es sich nicht um Erwerbseinkommen im Sinne des § 11 Abs.2 Nrn.5 und 6 SGB II, weshalb nur die Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung abzusetzen seien.

Mit seiner zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger dargelegt, die Betriebsausgaben beliefen sich auf durchschnittlich 682,56 EUR, und zwar fielen Mietkosten von monatlich 498,06 EUR, Stromkosten von durchschnittlich 6,00 EUR, Telefonkosten von durchschnittlich 31,00 EUR, Materialkosten von durchschnittlich 54,50 EUR, Werbungskosten (Visitenkarten, Werbungen) von durchschnittlich 21,00 EUR, Fahrkosten von durchschnittlich 37,50 EUR und der Beitrag für die Handwerkskammer von monatlich 34,50 EUR an. Die Betriebseinnahmen bis 30.06.2005 lägen zwischen 118,50 EUR und 251,20 EUR und betrügen durchschnittlich 165,60 EUR. Die Auffassung, bei dem EXGZ handele es sich nicht um Erwerbseinkommen, sei sinnwidrig. Der EXGZ werde nur in Verbindung mit einer selbständigen Tätigkeit gewährt, er ermögliche sie und diene der sozialen Sicherung während einer bis zu dreijährigen Startphase. Er werde in derselben Weise wie die Betriebseinnahmen genutzt, in Verbindung mit dem Erwerbseinkommen stelle er die Betriebseinnahmen dar und diene der Begleichung der Betriebsausgaben.

Mit Urteil vom 13.09.2005 hat das SG die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, für September 2005 weitere 120,00 EUR zu bewilligen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der EXGZ sei bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit als Einkommen zu berücksichtigen. Er sei einkommensteuerfrei, so dass ein Absetzbetrag nach § 11 Abs.2 Satz 1 Nr.1 SGB II nicht in Betracht komme. Die Beiträge zur Pflichtversicherung in die Rentenversicherung nach § 2 Abs.1 Nr.10 SGB VI in Höhe von 78,00 EUR seien zutreffend in Abzug gebracht worden. Absetzbeträge nach § 11 Abs.2 Satz 1 Nr.5 SGB II - mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben - könnten sich nur auf Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit beziehen; beim EXGZ handele es sich jedoch um einen pauschalen Beitrag zum Lebensunterhalt, nicht um Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Die Betriebsausgaben könnten somit nur gegenüber den Betriebseinnahmen in Abzug gebracht werden. Der Bescheid vom 20.06.2005 sei für September 2005 insoweit zu korrigieren, als der Kläger ab September 2005 nur noch einen EXGZ von monatlich 240,00 EUR erhalte.

Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, der EXGZ sei eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs.3 Nr.1a SGB II, dieser diene nicht der Sicherung des Lebensunterhalts wie das Alg II. Vielmehr diene er der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung, die Existenzgründer könnten damit die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Die Belastungen durch den Betrieb (Anschaffungen und Erhalt der Betriebsmittel) sollten durch den EXGZ aufgefangen werden. Dieser werde nur in Verbindung mit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gewährt und in derselben Weise wie Betriebseinnahmen genutzt. Er legt Einnahmen-Überschuss-Rechnungen vor, die - unter Einbeziehung des EXGZ von 360,00 EUR bzw. für September von 240,00 EUR - ein negatives Betriebsergebnis von 227,09 EUR für Juli, von 211,18 EUR für August und von 206,31 EUR für September ergeben.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.09.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 20.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2005 vollständig aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zwischen der Gewährung des EXGZ und den Leistungen nach dem SGB II bestehe Zweckidentität. Die Grundsicherung für Arbeitssuchende umfasse nach § 1 Abs.2 SGB II Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Eingliederung in Arbeit diene auch die Gewährung des EXGZ. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes könne der von der Bundesagentur für Arbeit erbrachte Zuschuss für die Beitragszahlungen zur Sozialversicherung verwendet werden. Dabei gehe der Gesetzgeber davon aus, dass die Empfänger des EXGZ üblicherweise diese Zahlungen zu leisten hätten. Eine Festlegung auf diesen Zweck bestehe aber nicht. Bezieher von Leistungen nach SGB II benötigten den EXGZ nicht für Beitragszahlungen zur Sozialversicherung, da die Pflichtbeiträge als Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II übernommen würden. Der EXGZ habe unterhaltssicherende Funktion und sei keine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs.3 Nr.1a SGB II.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

Das Rechtsmittel erweist sich auch in der Sache als begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte den Bescheid vom 16.03.2005 teilweise in Höhe von 282,00 EUR aufgehoben. Denn auch insoweit handelt es sich nicht um einen rechtswidrigen Bescheid im Sinne des § 45 SGB X i.V.m. § 40 Abs.1 Satz 1 SGB II.

Unstreitig hat die aus dem Kläger, seiner Ehefrau und seiner Tochter bestehende Bedarfsgemeinschaft einen Gesamtbedarf von 1.391,91 EUR; dieser Bedarf setzt sich zusammen aus den Regelleistungen für den Kläger und seiner Ehefrau von je 311,00 EUR und dem Sozialgeld für die Tochter von 207,00 EUR sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung von 562,91 EUR. Von diesem Gesamtbedarf von 1.391,91 EUR ist das Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR abzuziehen.

Zu Unrecht geht die Beklagte davon aus, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum Einkommen im Sinne des § 11 Abs.1 Satz 1 SGB II erzielt hat, das in Höhe von monatlich 282,00 EUR anzurechnen wäre.

Grundsätzlich war das Alg II neben dem EXGZ zu bewilligen, da dieser Zuschuss nicht zu den in § 22 Abs.4 Satz 1 SGB III, in Kraft seit 01.01.2005, aufgezählten Leistungen gehört, die nicht an erwerbsfähige Hilfsbedürftige im Sinne des SGB II erbracht werden. Es kann letztlich dahinstehen, ob dieser Zuschuss schon deshalb nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, weil es sich um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs.3 Nr.1a SGB II handelt, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dient und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären (so LSG Niedersachsen-Bremen, Bschluss vom 23.06.2005, L 8 AS 97/05 ER; a.A. Hessisches LSG, Beschluss vom 29.06.2005, L 7 AS 22/05 ER). Hierfür spricht der Hinweis in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/26, S.22), wonach die Inhaber der Ich-AG den Zuschuss für ihre Beitragszahlungen zur Sozialversicherung verwenden können. Im vorliegenden Fall liegen jedenfalls keine nach § 11 Abs.1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigenden Einnahmen trotz des Bezuges des EXGZ vor.

Bereits der Begriff "Existenzgründungszuschuss" spricht dafür, dass der Zuschuss dazu dienen soll, die Existenzgründung zu erleichtern, indem er die in (der Gründungsphase) häufig unzureichenden Einnahmen aufstockt und es dem Betriebsinhaber ermöglicht, die Betriebsausgaben und den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dieser Sinn erschließt sich aus der Regelung des § 421l Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB III, wonach der Zuschuss nur geleistet wird, wenn das Arbeitseinkommen voraussichtlich 25.000,00 EUR im Jahr nicht überschreiten wird.

Dieser vom Gesetzgeber verfolgte Zweck, nämlich mit dem Zuschuss ein Defizit an Betriebseinnahmen auszugleichen, erfordert es aber, im Rahmen der Einkommensanrechnung von den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einnahmen und dem EXGZ die Betriebsausgaben als "die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben" im Sinne des § 11 Abs.2 Nr.5 SGB II abzuziehen. Würde man nur darauf abstellen, dass es sich bei dem EXGZ um eine Sozialleistung handelt, und unmittelbar zur Erzielung dieser Einnahmen keine Ausgaben erforderlich sind, so würde nicht berücksichtigt, dass der EXGZ nur im Zusammenhang mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit erbracht wird, diese also notwendigerweise voraussetzt und damit zumindest mittelbar mit den im Zuge der Ausübung der Erwerbstätigkeit anfallenden Betriebsausgaben verbunden ist. Dieser mittelbare Zusammenhang reicht aus, da andernfalls der vom Gesetzgeber mit den Leistungen des Alg II einerseits und dem EXGZ andererseits verfolgte Zweck nicht erreicht würde.

Das Alg II soll als nachrangige Sozialleistung nur bewilligt werden, wenn andere Einnahmen für die Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht zur Verfügung stehen. Der EXGZ steht im vorliegenden Fall für die Bestreitung des Lebensunterhaltes nicht zur Verfügung, da er für die Bestreitung der Betriebsausgaben verwendet werden muss, da hierfür die durch die Erwerbstätigkeit erzielten Betriebseinnahmen nicht ausreichen. Denn dieser Zweck ist vorrangig, da der Gesetzgeber den Zuschuss gewährt, um die Gründung einer Existenz zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Würde man vom Kläger fordern, den Zuschuss für die Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu verwenden, so wäre er letztlich gezwungen, die Erwerbstätigkeit aufzugeben, und damit der vom Gesetzgeber mit dem EXGZ verfolgte Zweck konterkariert. Lediglich für den Fall, dass die Betriebseinnahmen die Betriebsausgaben übersteigen, könnte die Annahme gerechtfertigt sein, dass es sich bei dem EXGZ um anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 11 SGB II handelt.

Unstreitig hat der Kläger in dem hier streitbefangenen Zeitraum auch bei Hinzurechnung des EXGZ zu den Betriebseinnahmen Verluste in Höhe von 227,09 EUR (Juli), 211,18 EUR (August) und 206,31 EUR (September) erwirtschaftet. Damit ergibt sich kein anzurechnendes Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.

Somit waren das Urteil des SG vom 13.09.2005 abzuändern und der Bescheid der Beklagten vom 20.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2005 ganz aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs.1 Nr.1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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