L 5 KR 78/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 347/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 78/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 45/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist eine Beitragsnachforderung in Höhe von 29.180,99 Euro.

Die Klägerin betreibt ein Einzelhandelsgeschäft mit dem Verkauf von Schuhwerk und Sportartikeln. Bei ihr führte die Beklagte am 07.12.2001 eine Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 31.05.2002 stellte sie für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.10.2001 eine Nachforderung in Höhe von 29.180,99 Euro fest. Bei den sieben beigeladenen Arbeitnehmerinnen, die als Aushilfen beschäftigt waren, seien die Geringfügigkeitsgrenzen überschritten worden, weil die allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für den bayerischen Einzelhandel hinsichtlich Gehalt und Sonderzahlungen nicht berücksichtigt worden seien. Es errechneten sich monatliche Differenzen von 9,76 bis 106,24 DM nebst Weihnachts- und anteiligem Urlaubsgeld.

Mit ihrem Widerspruch vom 07.06.2002 machte die Klägerin geltend, die bis Dezember 1995 zuständigen Einzugsstellen hätten lediglich das tatsächlich zugeflossene Entgelt berücksichtigt und auch die letzte Betriebsprüfung am 08.07.1997 habe keine Feststellungen ergeben. Die Änderung der Prüfpraxis sei überraschend und verstoße gegen den Vertrauensgrundsatz. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 04.10.2002, abgesandt am 15.10.2002, unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Entstehensprinzip und fehlendem Vertrauensschutz nach vorangegangenen Betriebsprüfungen zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.10.2002 hat die Klägerin am 13.11.2002 Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Bruttolöhne aus den allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen seien nicht vergleichbar mit den Nettolöhnen der Beschäftigten, bei denen die pauschal abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt seien. Vertrauensschutz stehe ihr angesichts der jahrzehntelangen Prüfpraxis der Einzugsstellen zu, auf die sich die Klägerin eingerichtet habe. Über die Änderung der Praxis sei sie nicht zeitnah aufgeklärt worden. Sie hat eine Bestätigung der KKH vom 07.11.2001 an sie über den positiven Verlauf der Summenabstimmung vorgelegt, ebenso einen solchen der DAK. Zudem hat sie ein Merkblatt der IHK Aachen von Januar 2002 zur Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen (S 17 KR 56/01 und S 24 KR 125/00) vorgelegt, dass Arbeitgeber für Zeiten vor 2000 keine Sozialversicherungsbeiträge für 630,00 DM-Kräfte nachzahlen müssten, in denen sie nicht den Tariflohn gezahlt haben, weil die Arbeitgeber ausdrücklich erst ab 2000 aufgeklärt gewesen seien.

Die Beklagte hat demgegenüber auf die höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen, dass frühere Betriebsprüfungsergebnisse ohne Beanstandungen eine Beitragsnachforderung nicht hinderten. Eine Beitragsabstimmung bedeute keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Arbeitsentgelts. Das Bundessozialgericht und die Beklagte hätten weit vor dem Jahr 2000 auf die Geltung des Entstehungsprinzips hingewiesen, so dass das Nachforderungsrecht nicht durch Nichtstun der Einzugsstellen verwirkt sei. Eine Nettolohnvereinbarung zwischen der Klägerin und ihren Aushilfen liege nicht vor, da sich die Klägerin nicht verpflichtet habe, Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zu tragen. Die Übernahme pauschaler Lohnsteuerbeträge stelle keine Nettolohnvereinbarung dar, sondern folge aus § 40a Abs.5 Einkommensteuergesetz.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.02.2005 unter Berufung auf die Bescheidbegründung abgewiesen.

Gegen das am 07.03.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.04.2005 Berufung eingelegt und einen Verstoß gegen § 136 Abs.1 Nr.6 SGG geltend gemacht, weil die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht in Bezug genommen werden könne. Das Gericht habe sich mit der Argumentation der Klägerin, die das Entstehungsprinzip nicht in Frage stelle, nicht auseinandergesetzt. Die Bescheide verstießen ihres Erachtens gegen Art.3 GG, da ein Vergleich der gezahlten Nettolöhne mit den geschuldeten Bruttolöhnen unzulässig sei. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14.07.2004 sei nicht überzeugend, da vertrauensbildendes Verhalten nicht unbedingt bezweckt sein müsse, um einen solchen Erfolg zu erreichen, die Anforderung an vertrauensbildende Verwaltungsakte unrealistisch und weltfremd sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31.05.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Regensburg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 10.02.2005 ist im Ergebnis ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 31.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2002. Zu Recht fordert die Beklagte von der Klägerin einen Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 29.180,99 Euro für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.10.2001 nach. Die Klägerin hat in diesem Zeitraum sieben Arbeitnehmerinnen über der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt, ohne die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge abgeführt zu haben. Die Klägerin genießt keinen Vertrauensschutz.

Rechtsgrundlagen für die Beitragsnachforderung sind §§ 28e Abs.1 Satz 1, 28d Satz 1 und 2 SGB IV i.V.m. §§ 226 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB V, 162 Nr.1 SGB VI, 348 Abs.2 SGB III, 57 Abs.1 SGB XI. Bemessungsgrundlage für den vom Arbeitgeber geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist das Arbeitsentgelt, wozu nach Maßgabe des § 23a SGB IV auch einmalig gezahltes Arbeitsentgelt wie die tariflich geschuldeten Sonderzahlungen gehören. Unstreitig hatten die beigeladenen Arbeitnehmerinnen aufgrund der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge für den bayerischen Einzelhandel (Bekanntmachung vom 9. Januar 1997 - Bundesanzeiger Nr.20 vom 30.01.1997, S.932) Anspruch auf Mindestlöhne, Weihnachts- und Urlaubsgeld. Die danach zustehenden Beträge sind mit den tatsächlich geflossenen Zahlungen an die Arbeitnehmerinnen nicht erreicht worden. Zwar weist der Klägerbevollmächtigte darauf hin, die Beklagte vergleiche zu Unrecht die Bruttolöhne aus dem Tarifvertrag mit den Nettolöhnen, welche geringfügig Beschäftigte erhielten, ohne die pauschal abgeführten Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen. Ebensowenig wie die gem. § 40a Abs.1 i.V.m. § 40 Abs.3 Einkommensteuergesetz entrichtete Pauschalsteuer (BSGE 41, 16; BSGE 73, 170) sind die allein vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung Bestandteil des Arbeitsentgelts (zu Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung allgemeine Meinung, BSG SozR 3-4100 § 94 Nr.1). Pauschalbeiträge zur Krankenversicherung gem. § 249b SGB V oder zur Rentenversicherung gem. § 172 Abs.3 SGB VI begründen selbst weder eine Versicherung noch Leistungsansprüche der geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer (Peters in Kasseler Kommentar, § 249b Rz.23; Grintsch in Kreikebohm, SGB VI, 2. Auflage, § 172 Rz.2). Die Zahlungen eines Arbeitgebers kommen ausschließlich der Versichertengemeinschaft, nicht jedoch dem einzelnen Versicherten zugute, so dass es sich dabei von vornherein um kein Arbeitsentgelt im Sinn des SGB IV handeln kann. Zur Pauschalsteuer hat das Bundessozialgericht ausgeführt, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei in diesen Fällen ein Bruttolohn vereinbart worden, der in beitragsrechtlicher Hinsicht als maßgebliches Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs.1 SGB IV anzusehen sei (BSGE 73, 170-175). Das gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber im Innenverhältnis die Pauschalsteuer endgültig getragen habe, sie also aufgrund arbeitsvertraglicher Absprache nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen könne. Auch in diesen Fällen handele es sich nicht um eine Nettolohnvereinbarung im Sinne des § 14 Abs.2 SGB IV. Die Pauschalsteuer gem. § 40a Einkommensteuergesetz ist auch dann nicht Arbeitsentgelt, wenn sie aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung (zur Möglichkeit der Überwälzung aufgrund vertraglicher Regelung vgl. BAG vom 01.02.2006 - 5 AZR 628/04) vom Tariflohn des Arbeitnehmers abgezogen, der Arbeitnehmer im Ergebnis damit tatsächlich belastet wird (ebenso Köster, Sozialversicherungsrechtliche Einordnung des Pauschalsteuerbetrages bei geringfügigen Beschäftigungen, NZS 1998, S.324 ff.). Andernfalls würden die mit der Pauschalbesteuerung bezweckten Vereinfachungen leerlaufen (Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 14 SGB IV Rz.65). Eine Nettolohnabrede liegt schon deshalb nicht vor, weil von der Klägerin weder individuelle Lohnsteuern noch die Kirchensteuer bzw. der Solidaritätszuschlag getragen worden sind.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf Vertrauensschutz. Zwar hat das Sozialgericht Gelsenkirchen (S 17 Kr 56/01 und S 24 Kr 125/00) Beitragsnachforderungen aufgrund allgemeinverbindlicher Tarifverträge erst ab dem Zeitpunkt für zulässig erachtet, ab dem die Rentenversicherungsträger deutlich auf die angeblich geänderte Betriebsprüfungspraxis hingewiesen haben, nämlich am 06.01.2000. Es hat deshalb unter Berücksichtigung einer Übergangsfrist zur Kenntnisnahme durch die Arbeitgeber Beitragsnachforderungen erst ab dem 01.04.2000 für zulässig erachtet. Das Bundessozialgericht hat hingegen in mehreren Entscheidungen vom 14.07.2004 (Az: B 12 KR 1/04 R und B 12 KR 7/04 R) ausgeführt, für die Annahme von Vertrauensschutz fehle es bereits an einem Vertrauenstatbestand. In den entschiedenen Lebenssachverhalten habe weder ein einzelner Versicherungsträger noch die Gesamtheit der Versicherungsträger gegenüber den Klägerinnen eine Auffassung vertreten, welche einen solchen begründen könne. Der Senat schloss sich insoweit den Feststellungen an, welche verschiedene Landessozialgerichte (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.01.2003, S 17 KR 197/01; LSG für das Land Brandenburg, Urteil vom 24.09.2002, S 5 RJ 305/01) für die Betriebsprüfungspraxis der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger in der Vergangenheit getroffen haben. Im Übrigen stellte das Bundessozialgericht auf den Stichprobencharakter von Betriebsprüfungen ab und führte, gestützt auf seine Rechtsprechung zur Verwirkung von Beitragsansprüchen aus, dass Betriebsprüfungen unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck hätten, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Es mag sein, dass Vertrauenstatbestände auch dann geschaffen werden können, wenn sie nicht bezweckt sind. Entscheidend erscheint dem Senat in Übereinstimmung mit dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20.01.2003 (a.a.O.), dass Vertrauensschutz jedenfalls dann entfallen muss, wenn das Verhalten des Vertrauensschutz beanspruchenden Schuldners sich als Verstoß gegen die Rechtsordnung darstellt. Die Klägerin hat aber mit ihrer untertariflichen Bezahlung eindeutig gegen das Recht verstoßen. Zutreffend weist das Sozialgericht Regensburg in seinem Beschluss vom 22. Oktober 2002 (S 10 KR 159/02 ER) darauf hin, ein Arbeitgeber, der durch entsprechende Publikationen seiner Verbände sehr wohl von den Regelungen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags Kenntnis erlange, könne sich seinen Verpflichtungen nicht mit Verweis auf die Unkenntnis eines Betriebsprüfers entziehen.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs.1 VwGO.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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