S 3 KR 2884/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Reutlingen (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2884/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die zum 01.01.2004 in Kraft getretene Reduzierung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
1) Die Klage wird abgewiesen.
2) Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die vollständige Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung.

Die im Jahr ... geborene Klägerin und der im Jahr ... geborene Kläger sind bei der Beklagten krankenversichert. Beim Kläger liegt eine hochgradige Fertilitätsstörung vor. Deswegen entschlossen sich die Kläger für eine Maßnahme zur künstlichen Befruchtung in Form einer Intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). Hierzu legten sie der Beklagten Behandlungspläne vom 04.04.2005 betreffend der entstehenden Kosten bei der Klägerin in Höhe von voraussichtlich EUR 3.474,66 und beim Kläger in Höhe von voraussichtlich EUR 56,95, erstellt durch Dr ... ( ...-Zentrum ...), vor. Mit Bescheiden vom 19.04.2005 genehmigte die Beklagte die vorgelegten Behandlungspläne für drei infolge geplante Zyklen und wies darauf hin, 50 % der entstehenden Kosten (inklusive Medikamentenkosten) seien Eigenanteil der Kläger.

Gegen die ohne Rechtsmittelbelehrung ergangenen Bescheide erhoben die Kläger am ... Widerspruch mit dem Ziel einer vollständigen Kostenübernahme. Die gesetzliche Regelung, auf die die Beklagte die Entscheidung stütze und die eine Beschränkung auf drei Versuche mit einer Kostenübernahme von nur 50 % vorsehe, sei verfassungswidrig. Sie stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehepartnern und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar und verstoße gegen elementare Verfassungsgrundsätze. Im Einzelnen wurde ausgeführt, die Regelung verletze das spezielle verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie. Die zum 01.01.2004 in Kraft getretene Änderung der gesetzlichen Anspruchsgrundlage für künstliche Befruchtung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung stelle ausschließlich Ehepaare mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen schlechter. Die Ehepartner mit Kinderwunsch würden zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung besonders belastet. Vom Vorsitzenden des Bundesverbandes reproduktionsmedizinischer Zentren werde aufgrund der Neuregelung ein Anstieg der Mehrlingsgeburten mit einer daraus resultierenden Kostenerhöhung befürchtet, da potentielle Eltern unter dem Kostendruck versucht sein würden, die rechtlich mögliche maximale Anzahl befruchteter Eizellen implantieren zu lassen, um so die Chancen einer Geburt zu erhöhen. Dabei dürften auch die höheren gesundheitlichen Risiken für Mütter und Kinder nicht unbeachtet bleiben. Die Nichtanwendung der sonst geltenden Obergrenze für Selbstbeteiligungen von 2 % des Jahreseinkommens stelle eine weitere Schlechterstellung von Familien gegenüber Nicht-Familien dar.

Auch das Gleichbehandlungsgebot sei durch die Reduktion der Kostenübernahme auf 50 % verletzt. Es werde eine unsachgemäße Differenzierung zwischen zwei gleichen Sachverhalten vorgenommen. Grundsätzlich übernehme die gesetzliche Krankenkasse auch nach der Gesundheitsreform die Kosten einer notwendigen medizinischen Behandlung. Bei einer künstlichen Befruchtung jedoch nur noch 50 %, obwohl es sich auch dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesfinanzgerichtshofs (BFH) um eine Heilbehandlung handle. Die künstliche Befruchtung der Eizellen der Frau mit dem Sperma ihres Ehemannes vermöge in diesem Fall einem Ehepaar zu einem genetisch gemeinsamen Kind zu verhelfen und damit die Folgen eines anomalen körperlichen Zustandes der Frau - nämlich ihre Unfähigkeit, durch einen Zeugungsakt von ihrem Ehemann Kinder zu empfangen - zu überwinden. Es sei nicht Merkmal des Begriffs der Heilbehandlung, dass eine Krankheit dauerhaft geheilt bzw. dass ein anomaler körperlicher Zustand endgültig beseitigt und der natürliche biologische Zustand hergestellt werde. Deshalb sei ohne Belang, dass die künstliche Befruchtung nicht die Empfängnisunfähigkeit der Frau "heile", sondern lediglich unbeschadet fortbestehender Empfängnisunfähigkeit eine Schwangerschaft mittels ärztlicher Kunst herbeiführe.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei auch verletzt, da besser und schlechter Verdienende ungleich behandelt werden würden. Die Gesundheitsreform wolle weiterhin dauerhaft die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung garantieren, unabhängig vom Einkommen des Patienten. Durch die Einschränkung des Anspruchs auf eine 50 %ige Kostenübernahme sei die notwendige medizinische Versorgung im Bereich der künstlichen Befruchtung jedoch denjenigen Einkommensgruppen verwehrt, die die übrigen 50 % nicht aufbringen könnten. Im Durchschnitt koste eine Behandlung EUR 2500.

Ferner sei auch der Wunsch der Familiengründung grundrechtlich geschützt. Die Neuregelung zur künstlichen Befruchtung stelle einen Eingriff in diesen Schutzbereich dar, der nicht gerechtfertigt sei. Der als Abwehrrecht im Grundgesetz geregelte Schutz der Familie bedeute, dass der Staat die Freiheit der Familiengründung im Prinzip ermöglichen müsse, beschränkt nur durch andere Grundrechte. Zwangssterilisation und andere Beschränkungen der Fortpflanzungsmöglichkeiten bedürften einer besonderen Legitimation. In die vorbehaltlosen Schutzbereiche von Ehe und Familie dürfe der Staat nicht eingreifen, er dürfe sie durch definierende Regelungen von Ehe und Familie nur gestalten. Die Neuregelung definiere nicht die Institute Ehe und Familie, sondern greife in diese ein, ohne das kollidierendes Verfassungsrecht ersichtlich sei. Jedenfalls sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG), das die Neuregelung enthalte, verfolge den legitimen Nahzweck, die entstehende Finanzierungslücke zwischen sinkenden Beitragszahlungen und steigenden Ausgaben durch eine Umschichtung und Kürzung der staatlichen Bezuschussung bei der medizinischen Versorgung zu schließen und durch die Konsolidierung der Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung das legitime übergeordnete Ziel zu erreichen, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung dauerhaft unabhängig vom Einkommen der Betroffenen zu sichern. Das GMG sei jedoch bezüglich der Regelung der künstlichen Befruchtung nicht geeignet, diesen Zweck zu erfüllen. Die Neuregelung sei dafür untauglich. Durch die Neuregelung würde die Finanzierungslücke nicht geschlossen, sondern erweitert, indem der Zeugung neuer Beitragszahler im Rahmen der künstlichen Befruchtung so hohe finanzielle Hürden gesetzt würden, dass sich die wenigsten Paare eine Behandlung noch leisten könnten. Die demographische Entwicklung sei durch eine zunehmende Lebenserwartung bei gleichzeitigem Geburtenrückgang gekennzeichnet. Jede sechste Partnerschaft sei ungewollt kinderlos. Im Jahr 2001 seien 12.000 Geburten nach einer künstlichen Befruchtung erfolgt. Diese Kinder würden nach Schätzungen im Laufe ihres Lebens ca. 7 Milliarden Euro an die Sozialversicherungen zahlen, davon 1,3 Milliarden Euro an die Krankenversicherung. Reproduktionsmediziner würden von einem Geburtenrückgang um 10.000 aufgrund der neuen Rechtslage ausgehen. Der Gesetzgeber sei sich der Auswirkungen der Neuregelung zu künstlichen Befruchtungen nicht bewusst gewesen. Er hätte zumindest die verfassungsrechtliche Pflicht gehabt, eine wie eben dargestellte Prognose vorzunehmen. Selbst wenn die Geeignetheit des Gesetzes bejaht werden würde, sei das Gesetz jedenfalls im engeren Sinn nicht verhältnismäßig - also unzumutbar. Es mangle bereits an der Erforderlichkeit der Neuregelung. Der Gesetzgeber hätte als milderes Mittel - bei gleich bleibender Kostenbelastung - anstatt drei Zyklen zu 50 % zu finanzieren, zum Beispiel den ersten Zyklus voll finanzieren und den zweiten zur Hälfte oder den zweiten und dritten jeweils zu 25 %.

Verletzt sei auch ein verfassungsrechtlich gegebenes Recht auf Nachkommenschaft. Ein solches Recht sei in Deutschland dogmatisch zwar noch in der Entwicklung, habe aber in der Rechtsprechung schon Anerkennung und Anwendung gefunden. Dies sei im Hinblick auf andere Rechtsordnungen und vor allem auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nötig. Der Kläger verwies auf die Portugiesische Verfassung, Rechtsprechung in verschiedenen Staaten der Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz. Auch in der deutschen Literatur werde ein solches Recht gefordert. Der Bundesfinanzgerichtshof habe in jüngster Zeit festgestellt, dass das Recht, Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Ein Eingriff in dieses Recht sei nicht gerechtfertigt. Das Recht auf Nachkommenschaft berühre einen Lebensbereich, der zum innersten Kern der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Das Glück, Leben zu geben, die Hingabe seiner selbst an sein Kind stelle für den Einzelnen nicht nur eine besondere Herausforderung, sondern eine neue Dimension der Persönlichkeitsentfaltung dar, die nämlich, einen Teil seiner selbst, seine Welt - und Wertvorstellungen über den eigenen Tod hinaus in der Welt zu erhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom ... wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie unterliege als Körperschaft des öffentlichen Rechts der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorschriften bestehe keine Handhabe für eine über 50 % hinaus gehende Leistungsgewährung. Die vorgebrachten Verfassungsverstöße würden nicht greifen. Unabhängig davon, dass diese schon nicht ersichtlich seien, stehe der Beklagten unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsprinzips eine entsprechende Verwerfungskompetenz nicht zu.

Deswegen erhoben die Kläger am ... Klage. Die Kläger wiederholen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom ... i.d.G. des Widerspruchsbescheides vom ... zur Übernahme der gesamten Kosten zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt zur Erwiderung auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug.

Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (Schreiben der Beklagten vom 04.10.2005, der Kläger von 19.10.2005).

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht ist im Einverständnis mit den Beteiligten berechtigt, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

Die form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Reutlingen erhobene Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-/Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Den Klägern steht kein Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten einer künstlichen Befruchtung zu. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig. Die Kläger werden dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.

Unstreitig liegen die Anspruchsvoraussetzungen für eine künstliche Befruchtung gemäß § 27a Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Danach umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung nach näherer Maßgabe auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Streitig ist hier die Beschränkung der Kostenübernahme auf 50 %. Diese ergibt sich zwingend auf § 27a Abs. 3 Satz 3 SGB V in der seit 01.01.2004 geltenden Fassung. Bis zum 31.12.2003 übernahmen die Kassen 100 % der entstehenden Kosten. § 27 Abs. 3 Satz 3 SGB V sieht für die Zeit ab dem 01.01.2004 nunmehr vor, dass die Krankenkassen nur noch 50 % der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden, übernehmen. Die Entscheidung der Beklagten war durch diese Norm eindeutig vorgegeben.

Entgegen der Behauptung der Kläger ist diese Norm nicht verfassungswidrig.

Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weitem gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Alleiniger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG), Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt; da der Gleichheitssatz in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern will, unterliegt der Gesetzgeber aber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Dennoch kann er grundsätzlich frei entscheiden, auf welche Elemente der zu ordnenden Lebenssachverhalte er seine Unterscheidung stützen will. Eine Grenze ist dann erreicht, wenn sich für seine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (BSG 19.06.2001 B1 KR 23/00 R).

Im Übrigen folgt aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stützen. Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich jedoch nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereit zu halten. Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art. 2 Abs. 2 SGG regelmäßig nicht ableiten lassen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherungen Leistungen aus dem Leistungskatalog heraus nimmt, die in erster Linie eine Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen (BSG 10.05.2005 B 1 KR 25/03 R).

Unter Beachtung dieser Vorgaben bestehen gegen die zum 01.01.2004 in Kraft getretene Verringerung des Versicherungsschutzes im Bereich der künstlichen Befruchtung keine Bedenken. Die Neuregelung ist Teil der Bemühungen des Gesetzgebers, die Ausgaben im Bereich der Krankenversicherung zu begrenzen und nach Möglichkeit abzusenken, um die Finanzierung des Krankenversicherungssystems sicher zu stellen, insbesondere eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten, die allgemeingesellschaftlich unerwünscht ist, zu verhindern. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liegt nicht vor. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegen den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und den Maßnahmen zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde, so dass diese Gruppen unterschiedlich behandelt werden können. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bildet für die künstliche Befruchtung nicht eine Krankheit, sondern die Unfähigkeit eines Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung den Versicherungsfall (BSG 03.04.2001 B 1 KR 22/00 R). Diese Auffassung wird in der Kommentarliteratur mit dem Einwand kritisiert, dass auch bei einer Unfähigkeit, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen, eine körperliche oder psychische Regelwidrigkeit nach § 27 SGB V tatsächlich vorliege und es keine Rolle spiele, wenn die Ursache einer Krankheit nicht geklärt werden könne (Höfler in Kassler Kommentar § 27a SGB V Randnr. 5). In derselben Kommentarliteratur wird jedoch zum Normzweck des § 27a SGB V - zutreffend - ausgeführt, es gehe darum, den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung auch die Leistungen der modernen Befruchtungsmedizin zur Verfügung zu stellen, allerdings beschränkt auf Ehepaare in so genannten homologen Systemen (Höfler aaO Randnr. 3).

Der eben dargestellten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Versicherungsfall bei künstlicher Befruchtung ist zu folgen. Die ungewollte Kinderlosigkeit von Ehepaaren weist zwar eine große Nähe zum Krankheitsbegriff, dem § 27 SGB V zugrunde liegt, auf. Es liegen jedoch Besonderheiten vor, die eine besondere Ausgestaltung und nunmehr auch Einschränkung rechtfertigen.

Krankheit wird nach ständiger Rechtsprechung als regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der Behandlungsbedürftigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, definiert. Auf den ersten Blick könnte die Unfähigkeit, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen, als von dieser Definition umfasst angesehen werden. Nach Überzeugung der Kammer liegt jedoch ein wesentlicher Unterschied vor. Bei dem eben dargestellten Krankheitsbegriff geht es um die Frage des körperlichen und geistigen Daseins des Versicherten. Bei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung geht es hingegen um die Weitergabe von Leben. Die Möglichkeit hierzu ist nach Überzeugung der Kammer nicht zwingend Gegenstand der Krankenversicherung. Freilich lag es nahe, die künstliche Befruchtung mit in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Dies jedoch als besonderen Versicherungsfall unter Erweiterung des klassischen Krankenversicherungsschutzes. In diese Richtung ist nach Überzeugung der Kammer auch die in der Kommentarliteratur verwandte und oben angegebene Darstellung des Normzwecks des § 27a SGB V zu deuten. Grundsätzlich möchte der Gesetzgeber Leistungen der modernen Befruchtungsmedizin auch den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stellen. Diese Leistungen werden aber über den "klassischen" Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus gewährt.

Auch die Argumentation der Kläger stützt die Auffassung, dass es sich bei der künstlichen Befruchtung nicht um eine Krankenbehandlung im klassischen Sinne des § 27 SGB V handelt. Die Kläger beschreiben diesen Lebensbereich mit dem Glück, Leben zu geben, die Hingabe seiner selbst an sein Kind als besondere Herausforderung und neue Dimension der Persönlichkeitsentfaltung. Die Persönlichkeitsentfaltung sei darin zu sehen, einen Teil seiner selbst, seine Welt- und Wertvorstellung - über den eigenen Tod hinaus in der Welt zu erhalten. Nach Überzeugung der Kammer umfasst der in § 27 SGB V gewährte Krankenversicherungsschutz diese "Dimension der Persönlichkeitsentfaltung" nicht. Er beschränkt sich vielmehr auf die Erkennung, Heilung und Verhütung von Verschlimmerungen von Krankheiten, die die unmittelbare Existenz des Versicherten beeinträchtigen oder bedrohen.

Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, dass Schwangerschaft und Mutterschaft seit jeher, sofern sie regelmäßig verlaufen, nicht als Krankheiten angesehen werden und dementsprechend auch für diese Bereiche besondere Anspruchsnormen (§§ 195 ff Reichsversicherungsordnung - RVO) bestehen.

Zu beachten ist ferner, dass bereits vor dem 01.01.2004 eine Beschränkung des Versicherungsschutzes bestand. Die Krankenkasse hatte nach der früheren Regelung maximal die Kosten für vier Versuche zu übernehmen. Dies wurde im Gesetz (jetzt § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V beschränkt auf drei Versuche) pauschalierend damit begründet, dass danach keine hinreichenden Erfolgsaussichten mehr bestünden. Eine derartig strenge und gesetzgeberisch eindeutig vorgegebene Beurteilung der Erfolgsaussichten wird bei Krankenbehandlungen nach § 27 SGB V nicht vorgenommen. Sie würde auch kaum mit der ärztlichen Verpflichtung, umfassende Heilversuche, gerade bei schwerwiegenden Erkrankungen vorzunehmen, in Einklang zu bringen sein.

Eine verfassungsrechtlich beanstandenswerte Ungleichbehandlung von Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liegt mithin nicht vor. Diese beiden Gruppen sind angesichts der eben dargestellten Besonderheiten nicht zwingend gleich zu behandeln. Die Beschränkung auf eine Kostenübernahme von 50 % liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung von Leistungen der Krankenkassen. Die Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung unterscheiden sich - wie eben dargestellt - vom Ansatzpunkt her von den Leistungen zur Krankenbehandlung nach § 27 SGB V, für die keine 50 %ige Kostenübernahme durch die Versicherten vorgesehen ist. Anzumerken ist noch, dass im Bereich des Zahnersatzes (§ 55 SGB V) die Kostenübernahme ebenfalls auf 50 bzw. 70 % beschränkt ist. Freilich besteht hier gemäß § 55 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit, dass bei beschränkten finanziellen Verhältnissen des Versicherten eine volle Kostenübernahme erfolgt. Angesichts der dargestellten Unterscheidung ist es jedoch unbedenklich, dass der Gesetzgeber für den Bereich der künstlichen Befruchtung keine solche Ausnahmeregelung vorgesehen hat. Da es hier nicht um die Beseitigung eines lebensbedrohlichen Zustands geht, muss hingenommen werden, dass unter Umständen Versicherte in beschränkten wirtschaftlichen Verhältnissen sich dementsprechende Maßnahmen nicht leisten können. Im Übrigen liegt auf der Hand, dass das Krankenversicherungsrecht unterschiedliche wirtschaftliche Lebenssituationen nicht in vollem Umfang ausgleichen kann und auch nicht die Aufgabe hat, einen solchen Ausgleich herbeizuführen.

Die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung von § 27a Abs. 2 Satz 3 SGB V kann auch nicht über Art. 6 Abs. 1 GG hergeleitet werden. Von den Klägern wird selbst dargestellt, der Schutz der Familie sei als Abwehrrecht im Grundgesetz geregelt. Freilich bedürfen daher Zwangssterilisationen und andere Beschränkungen der Fortpflanzungsmöglichkeiten einer besonderen Legitimation. Hier geht es jedoch nicht um einen Eingriff in den Schutzbereich der Ehe und Familie, sondern um die Frage, ob der verfassungsrechtlich vorgegebene Schutzauftrag dem Gesetzgeber vorschreibt, die Zeugung von Nachkommen zu ermöglichen. Ein solches, wie von den Klägern beschriebenes, Recht auf Nachkommenschaft als Leistungsrecht, besteht nach Überzeugung der Kammer nicht. Von den Klägern wird selbst nur behauptet, dass ein solches Recht erst "in der Entwicklung" sei. Die Verfassung gibt dem Gesetzgeber aber nicht auf, dafür aktiv Sorge zu tragen, dass ein Ehepartner gefunden werden kann und Kinder gezeugt werden können.

Es bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Neuregelung. Die Neuregelung führt ohne Zweifel zu einer geringeren Kostenbelastung der Krankenkassen. Die Ausführungen der Kläger zu einem angeblich zu erwartenden Geburtenrückgang und einem damit verbundenen Ausfall von Krankenversicherungsbeiträgen in der Zukunft, sind rein spekulativ. Spekulativ ist auch, inwieweit sich der Gesetzgeber Gedanken über die Auswirkungen der Neuregelung zu künstlichen Befruchtungen gemacht hat. Zuzugeben ist, dass die Neuregelung in einem starken Spannungsverhältnis zu den allgemeinen politischen Äußerungen der an der Gesetzgebung beteiligten Parteien steht. Nach Kenntnisstand des Gerichts befürworten alle im Bundestag vertretenen Parteien die Förderung der Kindererziehung, vor allem im Hinblick auf die zukünftige Finanzierung des Rentenversicherungssystems. Es wird in der Tat bemängelt, dass die Geburtenquote in der Bundesrepublik Deutschland zu gering sei. Inwieweit eine Steigerung der Geburtenquote in Zeiten einer seit Jahren bestehenden hohen Arbeitslosigkeit tatsächlich Lösungen für die jetzigen und zukünftigen Finanzierungsschwierigkeiten im bestehenden Sozialversicherungssystem bietet, erscheint fraglich, kann hier jedoch dahingestellt bleiben, da die Mittel, mit denen die Politik, hier der Gesetzgeber, dieses Ziel erreichen möchte mit einem weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum verbunden sind. Insofern erscheint in der Tat überraschend, wenn nicht gar widersprüchlich, dass nunmehr bei den Leistungen zur künstlichen Befruchtung eine Einschränkung vorgenommen wurde. Die ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich. Ein Widerspruch zu allgemeinen politischen Meinungsbekundungen führt nicht zur Verfassungswidrigkeit einer Norm. Offensichtlich war dem Gesetzgeber vorliegend die Sicherung der Finanzierung des bestehenden Krankenversicherungssystems wichtiger als die Verfolgung seiner allgemeinen politischen Zielvorstellungen im Hinblick auf die Steigerung der Geburtenquote.

Die Ausführungen der Kläger, es hätte ein milderes Mittel bei gleicher Kostenbelastung in Form der vollen Finanzierung des ersten Zyklusses und einer Kostenübernahme von nur 25 % für den zweiten und den dritten Zyklus bestanden, überzeugen nicht. Ein wesentlicher Unterschied zu der gesetzlichen Neuregelung kann hier nicht gesehen werden.

Soweit die Kläger auf eine Erhöhung von gesundheitlichen Risiken, die mit der Neuregelung verbunden seien, hinweisen, ist dem entgegen zu halten, dass Ärzte bei Durchführung einer künstlichen Befruchtung stets gehalten sind, nur Maßnahmen vorzuschlagen und vorzunehmen, die mit vertretbaren gesundheitlichen Risiken verbunden sind.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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