Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 RJ 896/03
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 28.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2003 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Regelaltersrente nach dem ZRBG unter Berücksichtigung einer Ghetto- Beitragszeit von Dezember 1940 bis Oktober 1942 im Ghetto Piotrkow sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, mit denen die Wartezeit erfüllt wird, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Rente des Klägers aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto(ZRBG). Im Streit steht insbesondere die Zeit von Dezember 1940 bis Oktober 1942 im Ghetto Piotrkow in Polen.
Der Kläger ist 84 Jahre alt, am XX.XX.1921 geboren in Piotrkow T. (Petrikau) in Polen im so genannten Generalgouvernement. Nach 7- jährigem Schulbesuch erlernte er den Beruf des Schneiders im Geschäft seines Vaters. Er erhält als Verfolgter des Nationalsozialismus Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) unter dem Aktenzeichen XXXXX vom Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung – Wiedergutmachung, nämlich eine Rente wegen des Schadens an Körper und Gesundheit und ist auch wegen des Schadens an Freiheit für Zeiten vom 1.4.1940 bis 15.4.1945 entschädigt worden. Er ist im September/ Oktober 1949 nach USA ausgewandert und ist heute amerikanischer Staatsangehöriger.
Der Kläger hatte einen ersten Rentenantrag bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, heute Deutsche Rentenversicherung Bund (BfA) bereits am 27. 1. 1989 gestellt, in dem er sowohl rentenrechtliche Zeiten wegen Verfolgung als auch Beitragszeiten nach der Befreiung, aus einer Tätigkeit im Büro des "Jewish Committee" in Bergen-Belsen, für die Beiträge im Sammelverfahren nach Listen entrichtet worden seien, geltend gemacht hatte. Die BfA hatte zur Kontenklärung ermittelt, wobei sie auch andere frühere Schreibweisen des Nachnamens (G3, G4 und G.) und des Vornamens (J2, J., J3) des Klägers in die Ermittlungen einbezogen hatte. Dennoch hatte sie keine Unterlagen für den Kläger ermitteln können. Ebenfalls hatte die BfA die Entschädigungsakte des Klägers von der Wiedergutmachungsbehörde Niedersachsen beigezogen. Mit Bescheid vom 27. 11. 1989 lehnte die BfA den Rentenantrag des Klägers wegen mangelnder Mitwirkung ab, da er trotz mehrfacher Aufforderungen nicht die zur Rentenantragsbearbeitung erforderlichen Unterlagen eingesandt habe.
Den jetzt maßgeblichen Rentenantrag bei der Beklagten stellte der Kläger, nunmehr vertreten durch seinen jetzigen Bevollmächtigten, unter dem 1.7.2002, wobei der Schriftverkehr teilweise auch mit der BfA geführt wurde. Am 9.12.2002 gab die BfA das Rentenantragsverfahren an die Beklagte wegen Zuständigkeit für die Arbeiterrentenversicherung ab, wo es mit dort bereits eingegangenen Unterlagen zusammengeführt wurde. Der Kläger gab an, er habe zunächst bis 1939 die Volks- und Realschule besucht und eine Berufsausbildung nicht durchlaufen. Von Dezember 1940 bis November 1944 habe er als Bauarbeiter und Tischler im Ghetto Piotrkow Tätigkeiten in Vollzeit verrichtet. Im Antragsformular ist angegeben, dass hierfür weder Kost noch Logis gewährt wurde. Die Spalte über die Höhe der wöchentlichen/ monatlichen Entlohnung ist nicht ausgefüllt. Von 1948 bis 1997 seien Beiträge zur amerikanischen Sozialversicherung gezahlt worden. In einem Fragebogen zu verfolgungsbedingten Ersatzzeiten verwies der Kläger auf seine Angaben im Entschädigungsverfahren. Die Beklagte zog die Entschädigungsakte des Klägers bei. Darin finden sich eidesstattliche Erklärungen des Klägers vom 15.11.1954 (Bl. 9/10), Zeugenaussagen des E. S. B. vom 23.11.1954 (Bl. 11/12), des B1 G1 vom 4.10.1954 und vom 27.8.1963 (BL. 13/14 und Bl. 54), des J. S. vom 07.01.1955 und vom 19.8.1963 (Bl. E 30 und 56), des T. M. vom 26.8.1963 (Bl.55), Bescheinigungen des Internationalen Suchdienstes in Bad A. (ITS) vom 1.6.1954 und vom 9.12.1954, diverse ärztliche Bescheinigungen, Befundberichte sowie ein ärztliches Gutachten des Internisten Dr. D. vom 14.04.1964 einschließlich nochmaliger Angaben des Klägers (Bl. 64 – 72) ein Gutachten des Psychiaters Dr. B2 vom 28.03.1964, ein zahnärztliches Gutachten von Dr. L. vom 27.03.1964 und eine abschließenden Stellungnahme hierzu von Dr. D1 in M1 vom 27.05.1964 sowie weitere ärztliche Unterlagen, die ab Juni 1994 im Zusammenhang mit einem Verschlimmerungsantrag entstanden sind. Auf die genannten Dokumente im Einzelnen wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 28.4.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die behauptete Zeit von Dezember 1940 bis November 1944 könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden. Aus der Entschädigungsakte ergebe sich, dass der Kläger nur von Dezember 1941 bis November 1942 überhaupt im Ghetto Piotrkow gewesen sei. Er habe im damaligen Verfahren angegeben, in dieser Zeit ausschließlich Zwangsarbeiten für das deutsche Militär verrichtet zu haben. Es gebe deswegen keine Hinweise auf ein freies entgeltliches Arbeitsverhältnis in einem Ghetto.
Im Widerspruch vom 10.6.2003 wies der Kläger darauf hin, dass seine Tätigkeit für das deutsche Militär im Ghetto Piotrkow ebenso als freiwillig anzusehen sei wie die mehrerer namentlich benannter "Kollegen", deren Versicherungsnummern der Kläger angab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8.9.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück unter nochmaligem Hinweis auf die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren. Er habe damals angegeben, er sei im Dezember 1940 in das Ghetto Piotrkow in Polen gekommen und habe von dort täglich zu Fuß zur Zwangsarbeit in Militärbunkern in Bugaj marschieren müssen. Als das Ghetto im November 1942 liquidiert worden sei, sei er zur Zwangsarbeit in Bugaj einquartiert worden. In der eidesstattlichen Erklärung vom 15.11.1954 habe er u. a. behauptet, er sei ab Ende 1940 im Ghetto Piotrkow gewesen und sei jeden Tag unter Bewachung zum "zentralen Aufnahmelager" Bugaj gebracht worden. Dort habe er Zwangsarbeit leisten müssen, hauptsächlich Bauarbeiten. Er habe an Militärbunkern am Wachturm gearbeitet und auch verschiedene Tischlerarbeiten für das deutsche Militär ausgeführt. Auch im Bescheid der Entschädigungsbehörde Hannover vom 23.2.1955 sei er u. a. wegen der erlittenen Freiheitsentziehung- bzw. Beschränkung von Ende 1940 bis Ende 1942 im Ghetto Piotrkow entschädigt worden. Im Rentenverfahren habe er demgegenüber behauptet, er sei von Dezember 1940 bis November 1944 als Bauarbeiter bzw. Tischler in einer Bautischlerei bei Vollzeitbeschäftigung und Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen erwerbstätig gewesen. Die Voraussetzungen des § 1 ZRBG seien nicht erfüllt, denn es sei weder eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss noch eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden. Vielmehr habe er nach seinen eigenen Angaben im Entschädigungsverfahren Zwangsarbeit leisten müssen und zwar gerade außerhalb des Gettos, für die deutsche Wehrmacht. Die detaillierteren und zeitnäheren Angaben seien glaubhafter als die jetzigen Angaben.
Mit der Klage vom 2.10.2003 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. In einer notariell beglaubigten " eigenen Erklärung " vom 29. März 2004 macht er folgende Angaben zu seinem Leben im Ghetto Piotrkow: Gleich nach Ausbruch des Krieges sei in seiner Stadt ein Ghetto eingerichtet worden und alle Juden seien gezwungen worden, unter sehr schwierigen Bedingungen dort zu leben. Zuerst sei er mit einer Gruppe junger Männer in das " Lohnarbeitslager " Belzec gebracht worden. Nach einigen Monaten habe er mit einigen seiner Freunde aus dem Lager entkommen und "durch ein Wunder" zurück ins Lager gelangen können, wo er seine Eltern wieder gefunden habe und bei ihnen gelebt habe bis zur Liquidation des Ghettos. Der größte Schrecken sei die Deportation ins Todeslager gewesen. Der einzige Weg, dem zu entkommen sei gewesen, Arbeit zu finden. Er habe sich beim Judenrat gemeldet und habe, da er fast zwanzig Jahre alt gewesen sei und eine gute Kondition für die Arbeit gehabt habe, sofort eine Arbeit im "Holzwerkebetrieb B3" erhalten. Die Fabrik sei gleich außerhalb der Stadt gewesen und habe zu Fuß erreicht werden können. Er habe unter Aufsicht des " Werkschutzes" gearbeitet. Es habe eine Nacht- und eine Tagschicht gegeben, aber er habe meistens in der Tagschicht gearbeitet, ungefähr zehn Stunden täglich. Man habe Möbel für die deutsche Wehrmacht hergestellt. Es sei ihnen gesagt worden, dass seine Mutter zusätzliche Lebensmittelkarten für seine Rationen erhalte. Sein Vater und zwei seiner Brüder hätten ebenfalls arbeiten können und ihre zusätzlichen Lebensmittelkarten dem Rest der Familie geben können, da zu Hause mehrere Kinder gewesen seien, die nicht hätten arbeiten können. Manchmal habe seine Mutter sogar genügend Karten gehabt, um sie auf dem Markt gegen andere notwendige Dinge einzutauschen. Er sei dankbar, dass er in dieser dunklen Zeit habe arbeiten können und so Gelegenheit gehabt habe, zum Unterhalt und zum Wohlergehen seiner ganzen Familie beizutragen. Als das Ghetto liquidiert worden sei, habe er das Glück gehabt, in einer andern Fabrik weiter arbeiten zu können, die Glas hergestellt habe. Zu dieser Zeit habe er aber nicht mehr nach Hause gehen können, sondern in den Baracken in der Nähe der Fabrik schlafen müssen, bis er ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden sei.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß nach Lage der Akten,
den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente nach dem ZRBG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 sowie verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, mit denen die Wartezeit erfüllt wird, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf den Akteninhalt und die Angaben in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts die Entschädigungsakten des Klägers vom Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung - Wiedergutmachung – nochmals beigezogen. Ferner hat es beim Internationalen Suchdienst in Bad A. (ITS) angefragt, ob dort Unterlagen über den Kläger vorhanden seien. Der Suchdienst hat neben Angaben für zwei andere Menschen mit dem Nachnamen G. auch Daten bestätigt, die mit den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren im Wesentlichen übereinstimmen, nämlich für den Namen J1 G., geboren X.X.1921 in Piotrkow als Sohn von C. G. und B4 G2 mit dem Beruf "Kürschner", der am 2.10.1945, im Juli 1947 und am 7. Juni 1948 im DP- Lager H./ Bergen-Belsen gewesen sei, am 22.9.1949 vom IRO- Auswanderungslager W. für eine Auswanderung nach den USA registriert worden sei und am 26.09.1949 von B5 aus an Bord des Schiffes "General B6" nach den USA ausgewandert sei. Weiterhin hat das Gericht eine Anfrage an das Staatsarchiv der Heimatstadt des Klägers gerichtet zu den allgemeinen Verhältnissen im Ghetto Piotrkow sowie zur Frage, ob die Angaben des Klägers bestätigt werden könnten und ob dort Unterlagen über ihn vorlägen, wie z. B. Listen des Judenrates. In der Antwort vom 29. 12. 2004 gibt das Staatsarchiv in Piotrkow T. an, dass in den vorhandenen Personallisten der Firma P. Holzwerke aus den Jahren 1941 bis 1942, ansässig an der S1-Straße, die Kriegssteuer entrichtet hätten, der Name des Klägers nicht vorhanden sei. Die Akten des Judenrats aus dem Ghetto seien nicht erhalten. Die im Staatsarchiv aufbewahrten Verwaltungsakten aus den Jahren 1939 bis 1944 seien von der Stadtbehörde erstellt worden. Das Archiv hat eine " bestätigte Fotokopie eines Dokuments aus dem Jahr 1970 " übersandt, in dem das Bestehen eines Arbeitslagers auf dem Gebiet der Möbelfabrik in Piotrkow im Zeitraum der Hitlerokkupation bestätigt wird (Bl. 39/40 bzw. übersetzt Bl. 49/50 der Prozessakte). Hinsichtlich detaillierter Auskünfte über das Leben im Ghetto war der Antwort des Archivs eine Monografie von Krzysztof Urzedowski (Bl. 41- 47, bzw. übersetzt Bl. 51 – 69 der Prozessakte) beigefügt, der auf der Grundlage von im Staatsarchiv befindlichen Akten geschrieben worden sei. Auf den Inhalt dieser Monografie, die ausführliche Angaben über das Leben im Ghetto Piotrkow enthält, wird verwiesen. Weiter hat das Gericht im Internet zugängliche Quellen über das Ghetto Piotrkow, z.B. http://www.shtetlinks.jewishgen.org/piotrkowtryb/shtetl.htm, Karl- Ernst- Osthaus- Museum http://www.keom.de/denkmal/suche, (www.edwardvictor.com/Ghettos/piotrkow main.html beigezogen und ausgewertet.
Zu den vom Gericht eingeholten Unterlagen hat die Beklagte dahin gehend Stellung genommen, dass sich daraus keine Anhaltspunkte ergäben, die das Vorliegen eines vom Kläger frei gewählten Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des ZRBG glaubhaft erschienen ließen. Alle Angaben in dieser Abhandlung belegten im Gegenteil den Ausbeutungscharakter des Gettos. Auch die zitierten Anordnungen und Erlasse ließen das Vorliegen von frei gewählten Beschäftigungsverhältnissen im Ghetto nahezu ausgeschlossen erscheinen. Nachdem der Kläger auch in den dort erwähnten Dokumenten nicht aufgeführt sei, gehe die Beklagte weiterhin davon aus, dass die Glaubhaftmachung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des ZRBG nicht gelungen sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 hat der Vertreter der Beklagten ausgeführt, dass die Wartezeit mit Ersatzzeiten ab Dezember 1939 bis Dezember 1945 erfüllt wäre, wenn hier Ghettobeitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen wären. Das Gericht hat ferner auf das in anderen Verfahren den Beteiligten bekannt gegebene gemäß Beweisanordnungen vom 24.05.2005 Datums aller mit Verfahren nach dem ZRBG befassten Kammern des Sozialgerichts Hamburg erstellte Gutachten von Professor Dr. G5 vom 12.08.2005 betreffend die Verhältnisse in den Ghettos des Generalgouvernements (im folgenden: Gutachten) hingewiesen und es zum Gegenstand auch dieses Verfahrens gemacht. Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Das Gericht konnte auch ohne Anwesenheit des Klägers oder seines Bevollmächtigten über die Sache entscheiden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit Ladung vom 04.01.2006 rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden, dass im Falle seiner Abwesenheit auch ohne ihn verhandelt werden könne. Er hat den Erhalt der Ladung am 06.01.2006 durch Rücksendung des Empfangsbekenntnisses per Telefax vom 31.01.2006 bestätigt.
Die Klage ist auch in dem Umfang begründet, den das Gericht dem Vorbringen des Bevollmächtigten im Wege sachdienlicher Auslegung als Antrag entnommen hat. Die Kammer ist nach dem Vortrag davon ausgegangen, dass das Begehren des Klägers dahin geht, ihm eine Regelaltersrente nach dem ZRBG unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 sowie unter Berücksichtigung dieser vorangehender und an sie anschließender verfolgungsbedingter Ersatzzeiten zu gewähren. Zwar ist im Rentenantragsformular ein Zeitraum von Dezember 1940 bis November 1944 als Zeitraum des Aufenthalts des Klägers im Ghetto Piotrkow angegeben. Ghettobeitragszeiten nach Oktober 1942 kommen jedoch nicht in Betracht, denn das Ghetto Piotrkow wurde am 21.10.1942 liquidiert (Gudrun Schwarz, Die nationalsozialistischen Lager, Frankfurt am Main 1997, Seite 143). Auch nach den Angaben des Klägers im Entschädigungs- und im Rentenverfahren hat er nach der Liquidierung des Ghettos Piotrkow dort nicht mehr leben können, sondern in Bugaj in der Nähe des früheren Ghettos Piotrkow.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Zahlung einer Regelaltersrente nach den Vorschriften des ZRBG, denn er hat das 65. Lebensjahr vollendet und er erfüllt die Wartezeit nach § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI). Auf die Wartezeit sind eine Ghettobeitragszeit nach Artikel 1 § 2 ZRBG im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 (I) sowie daran vorher und nachher angrenzende verfolgungsbedingte Ersatzzeiten (II) anzurechnen.
I. Auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren sind nach §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Der Kläger hat weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht gezahlt, mit denen die Wartezeit erfüllt werden könnte. Für ihn sind jedoch Ghetto- Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt, wobei im einzelnen festgelegt ist, dass die Beiträge für die Berechnung der Rente aus diesen Zeiten als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets gelten, (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG) dass jedoch für die Erbringung von Leistungen ins Ausland die Beiträge als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet gelten (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG).
1. Die Zeit von Dezember 1940 bis Oktober 1942 ist eine Ghetto- Beitragszeit nach §§ 1 und 2 ZRBG, denn der Kläger hat sich als Verfolgter zwangsweise in einem Ghetto in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet aufgehalten und dort eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die aus freiem Willenentschluss zustande gekommen ist.
Für die Feststellung der für einen Anspruch nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt es, wenn diese glaubhaft gemacht sind (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 WGSVG). Dies ist der Fall, wenn die Tatsache nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller oder die Antragstellerin es geltend macht (BSG, B 9 V 33/97 R vom 3.2.1999).
2 a) Der Kläger ist als Verfolgter im Sinne des § 1 BEG anerkannt. Er erhält Leistungen nach dem (BEG), nämlich eine Rente wegen des Schadens an Körper und Gesundheit und ist auch wegen des Freiheitsschadens entschädigt worden.
2 b) Er hat sich unstreitig von Dezember 1940 bis Oktober 1942 zwangsweise in einem Ghetto in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet aufgehalten, nämlich im Ghetto Piotrkow im so genannten Generalgouvernement, einem Teil Polens, der dem Deutschen Reich nicht eingegliedert wurde, in dem die Deutschen jedoch das Recht setzten. Piotrkow war das erste von den Nationalsozialisten in Polen errichtete Ghetto und bestand seit 28.10.1939 bis zu seiner Liquidierung am 21.10.1942.
In der fraglichen Zeit hat der Kläger eine Beschäftigung "im Ghetto" ausgeübt, obwohl die von ihm verrichtete Tätigkeit außerhalb des Ghettos zu erledigen war. Er hat seit Dezember 1940, nachdem er aus dem Lager Belzec zurückkehren konnte, bis zur Auflösung des Ghettos im Oktober 1942 von dort aus Arbeiten im "Holzwerkebetrieb B3", der etwa 1 Stunde zu Fuß außerhalb des Ghettos Piotrkow lag, verrichtet und ist abends jeweils ins Ghetto zurückgekehrt. Zu Beschäftigungen im Ghetto im Sinne des ZRBG zählen nach Auffassung der Kammer auch solche, bei denen die Betroffenen im Ghetto leben, außerhalb des Ghettos arbeiten und täglich ins Ghetto zurückkehren, (so auch "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2, Seite 2"). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt für den Zeitraum bis zur Auflösung des Ghettos, nachdem das Werk in Bugaj als Zwangsarbeitslager weiter geführt wurde, in dem die Arbeiter lebten.
2 c) In der Tätigkeit des Klägers liegt eine Beschäftigung im Sinne des ZRBG. Die Kammer hat keine Zweifel, dass der Kläger die im Renten – und Klageverfahren, jedoch auch bereits im Entschädigungsverfahren ähnlich beschriebenen Tätigkeiten, insbesondere Bau- und Möbeltischlertätigkeiten, verrichtet hat. Diese Tätigkeiten hat der Kläger über den in Piotrkow gebildeten Judenrat erhalten, wie er ausführlich in seiner im Klageverfahren eingereichten notariell beglaubigten eigenen Erklärung vom 29.3.2004 ausgeführt hat. Danach hat er unter Aufsicht des " Werkschutzes" (siehe dazu unten) in Bugaj gearbeitet, meistens in der Tagschicht gearbeitet, ungefähr zehn Stunden täglich und dort neben Bauarbeiten an Bunkern Möbel für die deutsche Wehrmacht hergestellt. Seine Erklärungen widersprechen - mit Ausnahme der im Entschädigungsverfahren vorgenommenen Qualifizierung der Tätigkeit als Zwangsarbeit- im Wesentlichen nicht seinen Angaben im Entschädigungsverfahren. Auch stimmen seine Angaben sowohl hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Ereignisse als auch wegen anderer Einzelheiten im Wesentlichen überein mit im Internet zugänglichen Quellen über Lebensumstände im Ghetto Piotrkow, so insbesondere den Informationen bei "shtetlinks" aber auch den vom Gericht eingeholten Angaben des Staatsarchivs in Piotrkow.
2 d) Der Kläger hat die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Der Begriff ist im ZRBG selbst nicht definiert. Hinweise finden sich allerdings in der früheren Rechtsprechung des BSG: Im "Lodz- Urteil" BSG 5 RJ 66/95 ist ausgeführt: "Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zustande kommt das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte i.S. einer Gegenseitigkeitsbeziehung." Dabei ist die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben musste, zu beantworten, sondern daraufhin zu untersuchen, ob es "frei" im oben bezeichneten Sinne eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war ... (BSG B 5 RJ 48/98 R m.w.N.) Die Annahme eines grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses kann dabei nach der Rechtsprechung des BSG "nicht deshalb unterbleiben, weil die Wirtschaftsverfassung, die auf dem freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn basiert, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus für einen bestimmten Personenkreis "praktisch nicht mehr existent" war" ... BSG B 5 RJ 48/98 R).
In Entscheidungen des 13. Senats des BSG nach Erlass des ZRBG ist knapp ausgeführt, dass dem ZRBG nicht zu entnehmen sei, dass es für andere Arten von Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beanspruche als solchen, die nach der so genannten Ghetto- Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen waren. (B 13 RJ 59/03 sowie B 13 RJ 37/04 R und B 13 RJ 34/04 R)
Ob eine vollständige Gleichsetzung des Begriffs des "eigenen Willensentschlusses" im ZRBG mit der Begrifflichkeit der "Freiwilligkeit" nach der früheren Rechtsprechung des BSG gemeint war, kann hier letztlich dahin gestellt bleiben. Denn die vom Kläger verrichtete Arbeit erfüllt die Voraussetzungen eines freien Beschäftigungsverhältnisses im Gegensatz zur Zwangsarbeit auch nach den vor Inkrafttreten des ZRBG aufgestellten Kriterien.
Zwangsarbeit ergibt sich nicht bereits aus der Tatsache, dass der Kläger dem Arbeitszwang unterlag. Formal bestand allerdings für die jüdische Bevölkerung - anders als für die polnische, die der sog. Arbeitspflicht unterlag - Arbeitszwang auf Grund der Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements. (vgl. Verordnung des Generalgouverneurs F1 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements vom 26.10.1939 und Verordnung des Generalgouverneurs F1 ebenfalls vom 26.10.1939 über die Einführung der Arbeitspflicht für die polnische Bevölkerung des Generalgouvernements, beide abgedruckt in: Verordnungsblatt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete Nr. 1 vom 26.10.1939, Seite 6). Faktisch ergab sich jedoch kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Formen, wie Professor Dr. G5 in seinem Gutachten betreffend die Verhältnisse in den Ghettos des Generalgouvernements ausgeführt hat, da die Unterscheidung selbst hinsichtlich der unterschiedlichen Entlohnung in Wirklichkeit kaum eingehalten wurde (Seite 4 des Gutachtens). In der Anordnung des Generalgouverneurs F1 für die besetzten polnischen Gebiete an die Leiter der Abteilung Arbeit bei den Chefs der Distrikte und Leiter der Arbeitsämter im Bereich des Generalgouvernement vom 5.7.1940 zum Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung heißt es ausdrücklich unter II. Arbeitseinsatz: " Zweck des Arbeitseinsatzes der Juden ist, wie schon erwähnt, zur Behebung des Mangels an Arbeitskräften im Generalgouvernement beizutragen. Die Beschäftigung der Juden soll grundsätzlich auf der Grundlage der Verordnung vom 26.10.1939 und der Durchführungsvorschrift vom 12.12.1939 erfolgen. Dabei ist jedoch in allen geeigneten Fällen zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen. Die Beschäftigung der Juden hat zweierlei zum Ziel: 1. die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeininteresse und 2. die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: 3. a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im Einzelnen noch festzulegen ... b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht. Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei größeren Projekten, bei denen eine große Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann."
Nach der Rechtsprechung des BSG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die damalige Regulierung des Arbeitsmarktes sowie das Bestehen allgemeiner Arbeitspflichten die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse derart obrigkeitlich/ hoheitlich überlagert haben, dass diese den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätte (BSG B 13 RJ 75/98 R m.w.N.).
Die Abgrenzung von sogenannten "freien" Beschäftigungsverhältnissen gegenüber Zwangsarbeit ist vielmehr jeweils im Einzelfall vorzunehmen und nicht an starren Einzelkriterien festzumachen, sondern anhand des Gesamtbildes zu ermitteln. "Bei dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis handelt es sich nicht um einen tatbestandlich scharf konturierten Begriff, der eine einfache Subsumtion ermöglicht, sondern um einen rechtlichen Tatbestand, der die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschreibt. Die den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) können in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; selbst das Fehlen einzelner Merkmale muss nicht unbedingt zur Verneinung einer Beschäftigung in diesem Sinne führen", BVerfG in SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).
Andererseits ist dem Typusbegriff auch zu entnehmen, dass bestimmte Umstände der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses dann nicht entgegenstehen, wenn sie auf die einzelnen Merkmale keinen entscheidenden Einfluss haben. So ist vom BSG - gerade bei der Beurteilung von Arbeitsleistung in einem Ghetto - betont worden, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, außer Betracht bleiben. Demgemäss ist für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind. Gemessen an diesen Kriterien ist unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (z.B. als Strafgefangener oder KZ-Häftling) - wie das BSG wiederholt entschieden hat - grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen. (vgl. BSG B 13 RJ 75/98 R mit weiteren Nachweisen auf die gefestigte Rechtsprechung des BSG).
Als Zwangsarbeit hat das BSG dabei insbesondere die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (so z.B. BSGE 80, 250, 253) bezeichnet. Typisch, so das BSG - ist dabei z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an den Arbeiter ausgezahlt wird (so BSGE 38, 245). Entsprechendes gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (vgl. BSGE 12, 71). Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. (BSG B 13 RJ 71/98 R).
Der Kläger ist zur Überzeugung der Kammer zur Arbeitsaufnahme beim Bunkerbau und bei der Holzfirma D2 & F. in Bugaj nicht gezwungen worden.
Für die erste Zeit der deutschen Besetzung ist allerdings bekannt, dass Juden vollkommen willkürlich zu Zwangsarbeiten herangezogen wurden, für die sie auf der Straße einfach aufgegriffen wurden, ohne jegliche Regulierung durch Arbeitsvermittlung oder ähnliches (vgl. u.a. Gutachten Seite 4).
In der Stadt Piotrkow, in der das erste Ghetto des Generalgouvernements bereits im Herbst 1939 gebildet worden war, dürften solche Übergriffe durchaus noch in der ersten Zeit der Existenz des Ghettos vorgekommen sein. Dies änderte sich mit der Einrichtung der Judenräte, die die Anforderung von Arbeitskräften durch die deutsche Besatzungsmacht dadurch kanalisierten, regulierten und verwalteten, dass sie Meldungen für bestimmte Arbeiten entgegen nahmen und die Arbeiter an die anfordernden Stellen vermittelten. Von dieser Zeit an ist nach dem Gutachten davon auszugehen, dass das "Abgreifen" von Arbeitskräften auf offener Straße im Sinne reiner Übergriffe allenfalls noch in Einzelfällen geschah (Gutachten, S.4). Zur Annahme solcher Umstände müssten konkrete Hinweise vorliegen, die im Fall des Klägers aber nicht gegeben sind. Streitig ist hier lediglich die Zeit ab Dezember 1940, als bereits weit verbreitet im Generalgouvernement (auch in Piotrkow) Judenräte gebildet worden waren, denen die Vermittlung und Verteilung der Arbeit oblag.
Die Kammer hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger die von ihm verrichteten Bau- und Möbeltischlertätigkeiten auf Grund eines eigenen Willensentschlusses verrichtet hat. Dies ergibt die Zusammenschau der Angaben des Klägers mit den historischen Erkenntnissen, die sich vor allem im Gutachten von Professor Dr. G5 und im hier vorliegenden Fall in den vom Staatsarchiv Piotrkow übersandten Unterlagen sowie in allgemein zugänglichen Quellen finden.
Die Tätigkeit des Klägers in den Holzwerken "D2 & F." erfüllt die Voraussetzungen, die an eine aus " eigenem Willensentschluss" aufgenommene Tätigkeit zu stellen sind. Dabei folgt die Kammer nicht der globalen Auffassung in der Klagebegründung, dass freiwillige Arbeitsverhältnisse immer dann anzunehmen seien, wenn dem Betroffenen sonst der Tod im Konzentrationslager gedroht hätte. Diese Auffassung erfüllt die oben dargelegten Anforderungen, die die Rechtsprechung im Zusammenhang mit rentenversicherungsrechtlichen Arbeitsverhältnissen im Ghetto Lodz entwickelt hat, nicht.
Der Kläger hat eine Aufnahme der Arbeit aus eigenem Willensentschluss im Klageverfahren angegeben. Er hat formuliert, Arbeit zu finden, sei der einzige Weg gewesen, der gefürchteten Deportation zu entgehen, was ihm nach Meldung beim Judenrat auch gelungen sei. Ferner hat der Kläger angegeben, er habe auf diese Weise auch Lebensmittelrationen erhalten können, die ihm und seiner Familie zum Lebensunterhalt und zum Tausch gedient hätten. Die Angaben des Klägers, wie er zu der Tätigkeit in Bugaj gekommen sei, sind glaubhaft in dem Sinne, dass eine gute Möglichkeit dafür besteht, dass er sich diese Tätigkeit zumindest unter mehreren verschiedenen Tätigkeiten aussuchen konnte. Er hat angegeben, er sei wegen seines Alters und seiner Kondition für diese Arbeit auf Grund seiner Meldung ausgewählt worden.
In den beschriebenen Angaben liegen Gründe für die Aufnahme der Arbeit, die dem Merkmal der Freiwilligkeit zugehören, anders als z.B. bei der Zuweisung von willkürlich aus einer Gruppe ausgewählten Kontingenten von Arbeitskräften an einen Betrieb oder an das deutsche Militär, die durch den Judenrat benannt werden, ohne dass die Ausgewählten hierauf Einfluss gehabt hätten.
Im Ghetto Piotrkow war der Judenrat am 11.11.1939 gebildet worden und war ab Anfang 1940 mit einem Ratspräsidium von 29 Mitgliedern zuzüglich ihren Stellvertretern besetzt und in verschiedene Abteilungen aufgegliedert, unter anderem die Abteilungen für Sozialhilfe und für die "Lieferung" von Männern in Arbeit. Die Kammer geht deswegen davon aus, dass es zwar wahrscheinlich ist, dass die Firma D2 & F. beim Ältestenrat der Juden der Stadt Piotrkow ein bestimmtes Kontingent an Arbeitern jeweils abgefordert hat. Ohne dass die Firma ausdrücklich genannt wird, sprechen hierfür auch die Angaben in der Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow, Seite 13 der Übersetzung. Dies ist jedoch nicht gleich zu setzen mit solchen Arbeitseinsätzen in "Arbeitsbataillonen" auf Großbaustellen o.ä. außerhalb der Ghettos und ohne tägliche Rückkehrmöglichkeit, wie sie in der "Gemeinsamen Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.3, Seite 8" als Hinweise auf Zwangsarbeit beschrieben sind Es gibt hier keine Anzeichen dafür, dass der Kläger als Einzelperson, in der Zeit, in der das Ghetto Piotrkow bestand (und nicht lediglich das reine Zwangsarbeitslager Bugaj) durch obrigkeitlichen Zwang dazu gebracht worden ist, gerade diese Arbeit aufzunehmen und zu tun.
Vom Zeitpunkt der Vermittlung, Verteilung, Beschaffung und Organisation der Arbeit im Ghetto Piotrkow an ist nach den historischen Quellen davon auszugehen, dass die Arbeitsaufnahme der jüdischen Bevölkerung in den Ghettos grundsätzlich und regelmäßig auf Grund eines eigenen Willensentschlusses geschah, wenn nicht Gründe sich aus den konkreten Angaben im Entschädigungs- Renten- oder Klageverfahren ergeben, die das Gegenteil belegen würden.
Im Gutachten von Professor G5 heißt es auf Seite 10 unter Ziffer 6 zur Frage der Freiwilligkeit ausdrücklich: "Bereits in den ersten Monaten der Okkupation gab es ein sich entwickelndes System der Freistellungen, das es dem Einzelnen überließ, ob er sich dem Arbeitszwang beugte oder stattdessen einen Vertreter fand und finanzierte ..."
und auf Seite 11 ebenfalls zu Ziffer 6: "Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance –materiell und geistig. Wie im zivilen bereich vermittelte die Arbeit ein Selbstwertgefühl und war damit ungeachtet der materiellen Erträge etwas Erwünschtes. Damit sind auch die Umschulungskurse zu erklären und die Tatsache, dass es meistens mehr Interessenten als Arbeitsplätze gab "
Auf Seite 11/12 heißt es unter Ziffer 8: " Da das Arbeiten im Ghetto ein Privileg war, mussten sich die Bewohnerinnen und Bewohner selber bemühen, wenn sie eine der privilegierten Arbeitsstellen erhalten wollten. Sie wollten dies, weil zum einen die Versorgung besser war, zum anderen der Schutz vor Deportationen oder Ermordung vor Ort durch eine Arbeitsstelle vermutet wurde. Dementsprechend gab es meistens mehr Arbeitswillige als - stellen, so dass die Ghettobewohner nicht umhin konnten, sich selber um eine Arbeit zu bemühen ...".
Gegen ein aus eigenem Willensentschluss eingegangenes Arbeitsverhältnis des Klägers in den Holzwerken D2 und F. greift auch nicht das Argument durch, dass Bugaj mit den dortigen Betrieben DIFI (D2 & F.) Holzwerk, den Glasfabriken K., H1 & P1 (E1 H2 oder H3) als Zwangsarbeitslager benannt wird, vgl. insoweit z.B. die Angaben bei http://www.keom.de/denkmal/suche, m.w. Nachweisen auf den Internationalen Suchdienst in Bad A ... Gerade nach den Angaben bei "keom" zeigt sich jedoch, dass Piotrkow/ Bugaj mit den genannten Werken als Zwangsarbeitslager erst im Mai/ Juni 1942 eröffnet wurde, zu einem Zeitpunkt kurz vor der Liquidierung des Ghettos Piotrkow. Dies entspricht den Angaben des Klägers und der Zeugen, die alle darauf hingewiesen haben, dass sie Arbeiten in den Holzwerken in Bugaj zunächst vom Ghetto aus und erst später, nach Schließung des Ghettos, im Zwangsarbeitslager geleistet hätten. Von dieser Zeit an mussten sie dort auch in Baracken schlafen, so dass eine ständige Bewachungssituation bestand, die den Charakter des eigenen Willensentschlusses nicht mehr hatte.
Allerdings hat der Kläger sowohl im Entschädigungsverfahren (eidesstattliche Versicherung von 1954) als auch später angegeben, er habe im Wesentlichen nach Beendigung des Ghettos in Bugaj dieselben Arbeiten tun müssen wie zuvor, als er vom Ghetto aus immer dorthin geführt wurde. Auch der Zeuge G1 hat in seinen eidesstattlichen Erklärungen (Bl. 13 und 54 der Entschädigungsakte) diese Angabe bestätigt. Letztlich hat die Kammer dies jedoch nicht für entscheidend erachtet, denn das ZRBG verlangt ein Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses aus eigenem Willensentschluss, nicht jedoch, dass nur Tätigkeiten von einer Art verrichtet werden, die nicht auch als Zwangsarbeit vorkommen können. Vielmehr ist im Wege der freien Beweiswürdigung zu prüfen, ob glaubhaft ist, dass eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Dabei ist zu untersuchen, ob dem "Arbeitnehmer" ein gewisser, wenn auch geringer Einfluss auf die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bleibt, wie dies für die Arbeit im Ghetto Lodz vielfach angenommen wurde. Dies gilt hier nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers zunächst für die Suche nach Arbeit und für die Frage, ob der Kläger diese oder eine andere Tätigkeit oder womöglich auch gar keine Tätigkeit ausübte.
Nach den historischen Erkenntnissen steht für die Kammer fest, dass der Kläger auch andere, ggf. mit schlechteren Lebensmittelzuteilungen entlohnte Arbeiten hätte finden und annehmen können.
Im Gutachten heißt es dazu auf Seite 11/12 unter Ziffer 8:
" Die Vermittlung des Judenrats versuchte, die geeigneten Personen für die einzelnen Stellen herauszufinden - der breite Bereich der " freien Wirtschaft " ermöglichte es jedoch zumindest in den größeren Ghettos bis zu den Deportationen, sich auch eine "freie" Stelle in einem Dienstleistungsbetrieb o.ä. zu suchen. Selbst wenn eine solche Stelle vielleicht nicht die Vorzüge der " Arbeitskarte " mit sich brachte, gab es die Aussicht, in der freien Wirtschaft mehr als die Hungerlöhne der großen Werkstätten (Shops) oder der Verwaltung zu erhalten. "
Historische Gutachten und andere Quellen ersetzen zwar keineswegs den konkreten Vortrag in der einzelnen Sache. Sie sind aber durchaus geeignet, Behauptungen, deren Wahrscheinlichkeit sonst nicht feststeht, auf Plausibilität zu überprüfen und so dazu beizutragen, dass eine fundierte Entscheidung des Gerichts über streitige Fragen möglich wird. Dies gilt umso mehr, als es um die Beurteilung von Ereignissen geht, die mehr als sechzig Jahre zurückliegen und die sich in Gebieten abgespielt haben, von denen das Gericht kaum eigene Kenntnisse im Einzelnen haben kann und auf fachkundige historische Aussagen angewiesen ist, um nicht Spekulationen auf der einen oder anderen Seite zu erliegen.
Arbeiten außerhalb des Ghettos waren keineswegs sämtlich unbeliebt, da sie die wenn auch gefährliche Möglichkeit boten, zusätzlich zu den im Ghetto knappen Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs etwas hineinzuschmuggeln. Die Versorgung des Ghettos in Warschau soll z.B. nach einer im Gutachten (Seite 15 zu Ziffer 13) zitierten Quelle zeitweise zu 80 % über Schmuggel gelaufen sein. Außerdem wurden für Tätigkeiten z.B. in Rüstungsbetrieben neben der Entlohnung in Geld (s.u.) weit höhere Lebensmittelzuteilungen als sonst im Ghetto geleistet (4 kg Brot zusätzlich zu den regulären 2,5 kg monatlich).
Der Sachverständige Professor Dr. G5 hat darüber hinaus auf Seite 11 seines Gutachtens zu Ziffer 6 mit Verweis auf Äußerungen in einem anonymen Tagebuch aus dem Ghetto, zitiert nach Engelking/ Leociak sogar folgendes ausgeführt: " Die Beschäftigten, die formal Arbeitenden, das war eine privilegierte Kaste ( ...) Jeder, der offen und legal arbeitete, mit einem entsprechenden Ausweis und auf eine Weise, wie sie durch die neue Ordnung verfügt wurde, war einer der Auserwählen, der Gesicherten, der Gedeckten, der Menschen, die einen Ort gefunden hatten. Er hatte seinen Platz in der Welt, trieb sich nicht ziellos herum ohne Rechte und Pflichten ". Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance - materiell und geistig. Wie im zivilen Bereich vermittelte die Arbeit ein Selbstwertgefühl und war damit ungeachtet der materiellen Erträge etwas Erwünschtes ..."
Aus anderen historischen Quellen (www.edwardvictor.com/Ghettos/piotrkow main.html ergibt sich ebenfalls, dass es Personen gab, wie z. B. Behinderte, die mit einer entsprechenden Bescheinigung des Ältestenrats nicht arbeiteten. Dass auch im Übrigen die Möglichkeit bestanden hätte, gar nicht zu arbeiten, indem sich der Kläger – bei entsprechenden finanziellen Mitteln – hätte vom Arbeitszwang freikaufen können, ergibt sich für die Kammer insbesondere aus den Ausführungen im Gutachten betreffend die Möglichkeit der Vertretergestellung sogar für Arbeitsbataillone (Seite 5 des Gutachtens ).
Die Aussagen im Gutachten treffen nach heutigen historischen Erkenntnissen in ähnlicher Weise auf die im Gutachten erwähnten anderen größeren und soweit Forschung insoweit existiert, auch in den mittleren Ghettos zu (Seite 8 des Gutachtens), zu denen auch Petrikau gehörte (Seite 8).
Die Kammer teilt insoweit nicht das – insbesondere in den Arbeits- und Dienstanweisungen der Rentenversicherungsträger ("Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg, EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.3. Seite 8) ausgeführte Argument, wonach die Tätigkeit in Arbeitskommandos (Großeinsatz, Masseneinsatz) außerhalb der Ghettos, z.B. auf Großbaustellen regelmäßig die charakteristischen Züge der Zwangsarbeit trägt. Eine solche Differenzierung wird den tatsächlichen Verhältnissen der Beschäftigung auch innerhalb der Ghettos nicht gerecht. Masseneinsätze gab es auch dort. Die Shops und Betriebe im Warschauer Ghetto hatten teilweise 2000 Beschäftigte (Gutachten, Seite 7). Außerdem wird z.B. die nur von Einzelpersonen zu verrichtende Küchen- oder Putzarbeit in Privathaushalten der Besatzer häufig der Zwangsarbeit zugeordnet. Ebenfalls greift nach Auffassung der Kammer das Argument nicht durch, dass körperliche Arbeit wegen ihrer besseren Kontrollierbarkeit generell im Gegensatz zu z.B. Büroarbeit für den Judenrat bereits dem äußeren Bild nach der Zwangsarbeit eher zuzuordnen ist. Dies vernachlässigt die Einzelfallbetrachtung und widerspricht der Tatsache, dass z.B. nach den Angaben des Staatsarchivs in Piotrkow (Seite 14 der Übersetzung) auch "Einzelarbeiten" von den Deutschen z.T. ohne Gegenleistung verlangt wurden, was dem Zwang nahe kommen kann.
An der Einschätzung der Tätigkeit des Klägers als Beschäftigung auf Grund eines eigenen Willensentschlusses ändert sich auch nichts dadurch, dass er stets angegeben hat, er sei auf den Wegen von und zur Arbeit bewacht worden und habe die Arbeit unter Bewachung durch "Werkschutz" verrichtet. Dies führt nicht zwangsläufig dazu, die gesamte Tätigkeit als solche als Zwangsarbeit zu werten. Das BSG hat gerade zum Kriterium der "Bewachung der Arbeiter während der Arbeit" ausgeführt und entwickelt, dass Zwangsarbeit vorliegen kann, wenn die Bewachung aus dem Grunde erfolgt, dass sich die Arbeiter nicht aus dem "obrigkeitlichen Gewahrsam" entfernen sollen. Als Beispiel für solchen tatsächlich vorliegenden "obrigkeitlichen Gewahrsam" hat das BSG – wie oben bereits ausgeführt - die Tätigkeiten von Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (vgl. BSGE 80, 250, 253) bezeichnet. Solche Tätigkeiten sind vergleichbar mit Zwangsarbeiten, die jüdische Verfolgte bzw. Häftlinge in einem Konzentrationslager (KZ) oder in einem Zwangsarbeitslager (ZAL) verrichtet haben. Bei solchen Arbeitseinsätzen fallen obrigkeitlicher Gewahrsam und zwangsweiser Aufenthalt zusammen.
Hier ist die Situation aber nach Auffassung der Kammer anders zu werten. Durch die Bewachung auf dem Weg zur und von der Arbeit und am Arbeitsplatz sollte nicht in erster Linie der obrigkeitliche Gewahrsam gesichert werden, sondern der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto sowie, dass keine Aufstände von Seiten der Unterdrückten begonnen würden. Es ist historisch gesichert, dass zwar der Aufenthalt im Ghetto damals - gesetzlich - angeordnet war und das unbefugte Verlassen des Ghettos zumeist unter Todesstrafe gestellt wurde. Auch gab es zahlreiche Verordnungen, die auf einen "breiten Einschreitungsumfang der Okkupationsbehörden" (Staatsarchiv Piotrkow, Seite 4) hindeuten. Ein das gesamte Leben und insbesondere auch die Arbeitssituation der einzelnen Menschen umfassender "obrigkeitlicher Gewahrsam" der Besatzungsmacht, der dann auch jede Tätigkeit zur Zwangsarbeit machen würde, kann für das Ghetto Piotrkow in der hier maßgeblichen Zeit nicht festgestellt werden.
Die Verpflichtung der Juden, das Ghetto bei Androhung der Todesstrafe nicht verlassen zu dürfen, kann nicht automatisch dazu führen, die reine Bewachung außerhalb des Ghettos als einziges und unumstößliches Kriterium für den Typus Zwangsarbeit heranzuziehen. Denn die Bewachung eines Ghettos ist als Element der allgemeinen Lebensumstände zu werten und nicht der Arbeitssituation zuzurechnen. Insoweit wird nochmals auf die oben bereits zitierten Entscheidungen des BSG zu den Verhältnissen im Ghetto Lodz verwiesen, das als ganzes hermetisch abgeschlossen war (BSG B 5 RJ 66/95; genau so auch BSG B 13 RJ 75/98 R). Dort heißt es m.w.N. ausdrücklich: "Entsprechend hat die Rechtsprechung des BSG stets die Frage, in welchem Rahmen selbst "unfreie" Personen Leistungen aus der Sozialversicherung erhalten können, nicht vornehmlich nach ihrer allgemeinen Lebenssituation beantwortet ... Vielmehr sind die Sphären "Lebensbereich" (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Dem gemäß ist nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (BSG Urteil vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr. 1). Auch der erkennende Senat geht davon aus, dass die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder ein unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben musste, zu beantworten ist. Vielmehr ist das Beschäftigungsverhältnis selbst daraufhin zu untersuchen, ob es "frei" im oben bezeichneten Sinn eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war."
Die tägliche Rückkehr ins Ghetto von Arbeitsstellen außerhalb wäre angesichts der im Ghetto herrschenden Lebensumstände ganz sicher nicht ohne Bewachung zu gewährleisten gewesen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass ohne Bewachung täglich eine große Zahl von Arbeitenden geflohen wäre. Der Kläger musste täglich mit einer großen Zahl von Männern zur Holzfabrik D2 & F. vom Ghetto nach Bugaj gelangen und wieder ins Ghetto zurückkehren. Eine derart große Menschengruppe musste koordiniert und organisiert werden, damit der Weg planmäßig zurückgelegt werden konnte und alle rechtzeitig am Arbeitsplatz waren. Das war nur durch Kontrolle möglich. Hinzu kommt, dass es sich nach Auffassung der nationalsozialistischen Besatzung bei den Arbeitskräften um Juden, also um "Staatsfeinde" des NS-Regimes handelte. Ohne Bewachung stellten diese unterdrückten und gequälten Menschen ein enorm großes Gefahrenpotential für die Nazis dar. Bewachung war allein deshalb aus den allgemein herrschenden Lebensumständen notwendig. Wenn demnach die Bewachung einer "Kolonne von Arbeitern" aus einem Ghetto zur Arbeitstelle erfolgte, so ist nicht allein aus der Tatsache dieser "Bewachung" zu schließen, dass es sich um Zwangsarbeit handelte.
Im Übrigen weichen die Verhältnisse in den Holzwerken D2 & F. nicht wesentlich ab von denen in der ebenfalls in Bugaj befindlichen Glasfabrik K., für die die Beklagte – insbesondere nach dem Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17.06.2005, S 19 RJ 1061/03 – Beitragszeiten dem Grunde nach für anerkennungsfähig hält, mit Ausnahme der Zeiten, in denen das Ghetto Petrikau bereits aufgelöst war und nur noch das Zwangsarbeitslager Bugaj bestand.
Nach Auffassung der Kammer sind keine großen Unterschiede zwischen den mittlerweile anerkannten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen im Ghetto Lodz und den hier in Rede stehenden Tätigkeiten des Klägers erkennbar, jedenfalls soweit es die Aufnahme der Tätigkeit, also das Eingehen des Arbeitsverhältnisses angeht.
2 e) Der Kläger hat die Tätigkeit auch gegen Entgelt ausgeübt. Dies ergibt sich formal zunächst aus dem damals geltenden Recht, wonach für die jüdischen Arbeitskräfte ein gesetzlicher Lohnanspruch bestand (vgl. Neunte Durchführungsverordnung zur Verordnung vom 31.10.1939 über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz im Generalgouvernement vom 15.12.1941 – VOBIGG 1942 S. 2). In der bereits erwähnten Anordnung des Generalgouverneurs F1 für die besetzten polnischen Gebiete an die Leiter der Abteilung Arbeit bei den Chefs der Distrikte und Leiter der Arbeitsämter im Bereich des Generalgouvernement vom 5.7.1940 zum Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung heißt es ausdrücklich unter IV. Entlohnung: " Bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Man überließ dies vielmehr den Judenräten. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitsfähigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsgemäße Entlohnung gefordert werden. Bei der lagermäßigen Unterbringung der zu Zwangsarbeiten einberufenen Juden, findet, wie schon erwähnt, keine Entlohnung, sondern nur eine Gewährung von Leistungsprämien als Anreiz zur Leistungssteigerung, die der Träger der Arbeit im Einvernehmen mit dem Arbeitsamt zu bestimmen hat, statt ..."
und weiter unten: " Bei den nicht zur Zwangsarbeit einberufenen, sondern vermittelten Arbeitskräften hat eine ordnungsgemäße Entlohnung auf Grund der noch zu erlassenden Tarifordnung zu erfolgen ... In diesen Fällen ist außerdem zu prüfen, ob der Lohn unmittelbar an den empfangsberechtigten Juden oder an den Judenrat, dem die soziale Betreuung der Juden und ihrer Familien aus Mitteln der Judengemeinde in erster Linie obliegt, zu zahlen ist. Die vermittelten jüdischen Arbeitskräfte sind von den Betriebsführern selbstverständlich zur Sozialversicherung anzumelden."
Die Form der Entgeltzahlung ist unerheblich. Zum Entgelt zählen sowohl Barlohn in der im Generalgouvernement weiter geltenden Währung des Zloty (vgl. Gutachten Seite 13 zu Ziffer 12) wie auch das in einigen Ghettos ausgegebene nur dort gültige "Ghetto- Geld" sowie Lebensmittelkarten und auch Sachbezüge in wesentlichem Umfang. Das Entgelt muss keine arbeitsangemessene Gegenleistung darstellen. Allein die Versorgung mit Mahlzeiten am Arbeitsplatz stellt jedoch kein Entgelt dar. Im Urteil des BSG betreffend die Verhältnisse im Ghetto Lodz (BSG 5 RJ 66/95) heißt es dazu: "Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt - der Lohn - andererseits. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen ("Sachen", § 90 BGB) bestehen, d.h. Bar- oder Sachlohn sein, § 160 Abs. 1 RVO a.F. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit ("Äquivalenz") der Leistungen braucht nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muss allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht ...".
Den Erhalt einer Gegenleistung für die geleistete Arbeit in einem Sinne, die über die bloße Versorgung mit Mahlzeiten am Arbeitsplatz hinausgeht, hat der Kläger behauptet. Der Kläger hat angegeben, er habe als Gegenleistung für seine Arbeit bei D2 & F. zusätzliche Lebensmittelkarten zum Unterhalt seiner Familie erhalten, die seine Mutter – zusammen mit den Lebensmittelkarten seiner Brüder und seines Vaters – für den Unterhalt der gesamten Familie verwenden konnte. Teilweise hätten die Lebensmittelkarten ausgereicht, um sie gegen andere notwendige Dinge auf dem Markt zu tauschen.
Die Behauptung ist auch glaubhaft. Es besteht zur Überzeugung der Kammer nach den zur Verfügung stehenden historischen Quellen, insbesondere nach der Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow und dem Gutachten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger ein solches Entgelt, wie von ihm behauptet, auch tatsächlich erhalten hat. Dabei ist zunächst hinzuweisen auf die Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow, wonach zwar die Versorgungslage allgemein im Ghetto Piotrkow zeitweise verheerend war und vielfach fürchterlicher Hunger herrschte. Andererseits jedoch wird ausdrücklich ausgeführt, dass Juden maximal 500 Zloty verdienen durften und sogar zu einer zusätzlichen Besteuerung ihres Einkommens im März 1940 veranlagt wurden (Übersetzung Auskunft des Staatsarchivs, Seite 14). Dies ist ein eindeutiger und klarer Hinweis auf den Erhalt von Einkommen der jüdischen Bevölkerung im Ghetto. Im Übrigen steht fest, dass lediglich Teile der Lohnansprüche an die Arbeiter direkt ausgezahlt wurden, während der größere Teil des Anspruchs von den Judenräten dazu verwendet wurde, eine Infrastruktur im Ghetto zu errichten und aufrecht zu erhalten, die ein Überleben aller sichern sollte. Dies ähnelt in gewisser Weise den Verhältnissen in Kolchosen, für die trotzdem kein Zweifel am Lohn des jeweils Einzelnen nach gefestigter Rechtsprechung besteht (vgl. hierzu BSG 13 RJ 17/92 vom 31.03.1993 und BSG 13 RJ 19/97). Auch nach dem Gutachten (insbesondere Seite 13 ff) trifft es regelmäßig für die Ghettos im Generalgouvernement nicht zu, dass nur Lebensmittelrationen als Gegenleistung für die Arbeit ausgeteilt wurden. In einzelnen Betrieben im Ghetto Warschau wurde offenbar sogar für höhere Löhne gestreikt. Die gewährten Nahrungsmittel wurden vom festgelegten Lohn abgezogen, der – betrachtet man die Abhängigkeitsverhältnisse - sicherlich nicht in allen Fällen korrekt in voller Höhe ausgezahlt wurde, ebenso Zahlungen an den Judenrat. Aus dem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass es neben der kontingentierten Versorgung über Lebensmittelkarten einen freien Markt unter Verwendung von Geld gegeben hat, wenn auch vielleicht nicht in allen Ghettos so ausgeprägt wie in Warschau, (vgl. Gutachten Seite 15). Dass Geld auch im Ghetto Piotrkow im Umlauf war, zeigt neben der Steuererhebung ein Hinweis bei "shtetlinks", wonach im Ghetto Piotrkow im September 1940 eine Lösegeldsammlung durchgeführt wurde, um Männer, die aus Piotrkow stammten, aus Arbeitslagern in Lublin freizubekommen. Hierbei kann es sich allenfalls teilweise um mitgebrachtes Geld gehandelt haben, denn dieses war nach der Auskunft des Staatsarchivs bereits zu Beginn der Bildung des Ghettos eingezogen und das behalten mit strengen Strafen belegt worden.
Hinsichtlich der Tatsache, dass der Kläger wie viele andere Verfolgte nur angegeben hat, er habe für seine Arbeit zusätzliche Lebensmittelkarten erhalten, ist auf die oben unter b 2) ausgeführten möglichen Gründe für ein Verneinen des Erhalts von (geringen) Geldmengen zu verweisen. Hinzu kommt, dass nach allen der Kammer bekannten Schilderungen die Gegenleistung der Arbeit zwar wichtig war, weil sie über erhöhte Rationen den Lebensunterhalt der ganzen Familie sichern musste. Daneben war jedoch der durch Arbeit bestehende (vermeintliche) Schutz vor Deportation, den die Arbeit, die Arbeitskarten usw. darstellten, zu berücksichtigen, der subjektiv wichtiger war als die materielle Gegenleistung.
Selbst wenn man mit den Angaben des Klägers davon ausginge, dass die Verhältnisse - anders als von dem historischen Sachverständigen Professor Dr. G5 für das Generalgouvernement beschrieben und durch Auskunft des Staatsarchivs nahe gelegt ist – in Piotrkow anders gewesen wären als im übrigen Generalgouvernement und der Kläger nur Sachbezüge für seine Arbeit erhalten hat, wäre dies nicht grundsätzlich ein Hindernis für die Anerkennung von Entgeltlichkeit. Für die Entgeltlichkeit kommt es nicht darauf an, in welcher Form die Gegenleistung für die verrichtete Arbeit erbracht wird. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen ("Sachen", § 90 BGB) bestehen, d.h. Bar- oder Sachlohn sein (BSG 5 RJ 66/95).
Es kann dahin stehen, ob es zur Erfüllung der Voraussetzungen des ZRBG ausreicht, wenn Entgelt nur in Form freien Unterhalts "gezahlt" wurde (so wohl "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2. 2, Seite 7, anders BSG B 13 RJ 59/03 R). Denn an den Voraussetzungen der Entgeltlichkeit auch unter dem Maßstab der neueren Rechtsprechung des BSG besteht für die Kammer kein Zweifel. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben zumindest mehr erhalten als freien Unterhalt. Über bloßen freien Unterhalt für sich selbst hinaus stand ihm ein Teil zur freien Verfügung, mit dem er seine Familie teilweise mit ernähren konnte und seine Mutter noch Lebensmittelkarten tauschen konnte.
2. Die vom Kläger im Ghetto Piotrkow zurückgelegte Zeit, für die Beiträge nach § 2 Abs. 1 ZRBG als gezahlt gelten, ist auf die Wartezeit anrechenbar als Beitragszeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.
Voraussetzung für eine Anrechnung dieser Zeit zur Erfüllung der Wartezeit ist nicht, dass die Zeit bereits nach den Vorschriften des SGB VI, des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG, §§ 1, 20) oder des Fremdrentengesetzes (FRG), §§ 1, 16, 17 a) anrechenbar ist. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass eine Beziehung des Verfolgten zur deutschen Rentenversicherung während der Verfolgungszeit bestand, z.B. in dem Sinne, dass der Verfolgte (im Sinne des BEG) Vertriebener i.S. des Bundesvertriebenengesetzes oder Angehöriger des deutschen Sprach- und Kulturkreises (dSK) wäre (so aber Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen, LSG NRW vom 13.01.2006, L 4 RJ 113/04).
Dies ergibt zunächst die Auslegung des ZRBG anhand des Wortlauts. In § 2 Abs. 1 ZRBG wird festgelegt, dass Zeiten, die Verfolgte in Ghettos zurückgelegt haben und die den Anforderungen nach § 1 ZRBG entsprechen, als Beitragszeiten gelten. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. Ebenfalls spricht für diese Auslegung der Wortlaut des § 2 Abs. 1 ZRBG, in dem im Wege einer Legaldefinition eine Ghetto- Beitragszeit definiert wird, für die Beiträge als gezahlt gelten. Wenn jedoch das ZRBG in § 2 Abs. 1 Ziffer 1 festlegt, dass für solche Zeiten Beiträge direkt als "Beiträge nach der Reichsversicherungsordnung" als gezahlt gelten, kommt es auf die Anwendbarkeit des FRG nicht an und damit auch nicht auf die Zugehörigkeit des Betroffenen zum Personenkreis nach § 17 a FRG oder § 20 WGSVG, um reichsgesetzliche Zeiten begründen zu können. Ähnlich ist die Regelung im ZRBG für die Frage der Zahlbarmachung. Die Voraussetzungen des § 21 WGSVG müssen nicht erfüllt sein. Ghetto- Beitragszeiten gelten direkt und ohne Nachentrichtungsnotwendigkeit als Bundesgebietszeiten (§ 1 Abs. 1 Ziffer 2 ZRBG).
Das anhand der Auslegung nach dem Wortlaut gewonnene Ergebnis wird gestützt durch das Ergebnis der systematischen Auslegung. In § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ist geregelt, dass auch solche Zeiten als auf die Wartezeit anrechenbar sind, für die Beiträge als gezahlt gelten. Ferner sprechen für eine durch das ZRBG geschaffene eigenständige Beitragszeit, die zu den bis zum Erlass des ZRBG nach SGB VI bzw. RVO, WGSVG und FRG vorhandenen Möglichkeiten von Beitragszeiten für Verfolgte hinzu tritt, die Anforderungen an eine solche Zeit nach § 1 ZRBG, insbesondere das Erfordernis einer entgeltlichen Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss. Die Benennung dieser, den früheren Regelungen zwar ähnlichen, mit ihnen aber nicht identischen Voraussetzungen im ZRBG wäre nicht erforderlich gewesen, wenn lediglich, wie die Überschrift des Gesetzes unvollständig ausdrückt, mit dem ZRBG bereits bestehende Rentenansprüche ins Ausland zahlbar gemacht werden sollten. Denn dann hätte die Qualifikation einer Beschäftigung in einem Ghetto nach den bis zum Erlass des ZRBG geltenden Regeln, nämlich einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne der Vorschriften der RVO, des SGB VI mit den Besonderheiten des FRG und des WGSVG ausgereicht, und es hätte lediglich der Regelungen in § 2 Abs. 1 ZRBG für die Zahlbarmachung ins Ausland bedurft. Dasselbe Ergebnis zeigt sich, wenn man § 1 Abs.1 Satz 1 Ziffer 2 des ZRBG betrachtet, wonach Beschäftigungszeiten in Ghettos in vom Deutschen Reich besetzten Gebieten ebenso behandelt werden wie Zeiten in eingegliederten Gebieten, was nach dem vor Inkrafttreten des ZRBG geltenden Rentenrecht gerade nicht der Fall war. In den eingegliederten Gebieten wie z.B. Oberschlesien, in denen grundsätzlich Versicherungspflicht nach der RVO (mit bestimmten als nationalsozialistisches Unrecht zu vernachlässigenden Ausnahmen für die jüdische Bevölkerung) bestand, bedurfte es für die Anrechenbarkeit der Zeit in der deutschen Rentenversicherung regelmäßig keiner Zugehörigkeit zum dSK (auch BSG B 13 RJ 37/04 R spricht davon, dass in dieser Norm die Anspruchsberechtigung "örtlich ausgeweitet" wird). In den besetzten Gebieten wie dem Generalgouvernement, zu dem auch Piotrkow gehörte, wo solche Zeiten nur im Rahmen des FRG anrechenbar sein konnten, bedurfte es dagegen zusätzlich zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen einer dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung einer Zugehörigkeit zum dSK.
Ebenfalls für die hier vertretene Rechtsauffassung spricht die teleologische Auslegung des ZRBG. Zu nennen ist hier zunächst die im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung (Bundestags- Drucksache 14/8583) befindliche in folgenden zitierte Ausführung des Gesetzgebers: "Mit diesem Gesetz wird daher zugunsten von Verfolgten, die alle bereits das für die Regelaltersrente geltende Alter von 65 Jahren – teils erheblich- überschritten haben, im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen sowohl im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten als auch der Erbringung von Leistungen ins Ausland abgewichen wird."
Hieraus ergibt sich eindeutig, dass der Gesetzgeber nicht nur, wie die Gesetzesüberschrift nahe legen könnte, die Regelungen des allgemeinen Auslandsrentenrechts zur Zahlbarmachung von Ansprüchen ins Ausland ergänzen, sondern auch im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten "Neuland betreten" wollte. Nur bei der hier vertretenen Auslegung liegt auch insoweit "Neuland" vor. Auch das LSG NRW erwägt die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber mit dem ZRBG einen neuen Beitragzeittatbestand schaffen wollte, hält sie jedoch nicht für durchschlagend wegen des Verweises in § 1 Abs. 2 ZRBG auf eine Ergänzung der Vorschriften des WGSVG, das auf Schadensausgleich in der Sozialversicherung ausgerichtet sei. Die Formulierung in der Gesetzesbegründung zum ZRBG, dass bei der Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten von bestimmten Grundsätzen des Rentenrechts abgewichen werde, ist jedoch so eindeutig, dass ein anderer Wille des Gesetzgebers als die Schaffung eines neuen Beitragszeittatbestands nicht erkennbar ist. Hierfür spricht ebenfalls der im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung zum ZRBG enthaltene Hinweis, dass auch eine Lösung dafür für nötig gehalten worden sei, dass Ansprüche aus Beschäftigungszeiten im Sinne von § 16 FRG nie ins Ausland gezahlt werden konnten. Auch insoweit ergibt sich die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Änderung durch das ZRBG nur, wenn wie hier angenommen wird, dass auch für Zeiten, die nach früherem Recht keine Versicherungspflicht begründen würden (auch nicht mit Hilfe des dSK) durch das ZRBG neue Beitragszeittatbestände geschaffen wurden. Das Ergebnis wird gestützt durch die Ausführungen des Gesetzgebers im Besonderen Teil der Begründung zu Artikel 1 Abs. 2 des ZRBG, nämlich zu den Folgen der Anwendbarkeit des WGSVG. Dort heißt es: " Bedeutung hat dies insbesondere für die dort zum Leistungsrecht getroffenen Regelungen über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Berücksichtigung von Anrechnungszeiten, die besondere Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten und die Bewertung von Verfolgungsersatzzeiten für pflichtversicherte Verfolgte. Weiterer ergänzender Regelungen bedarf es nicht, zumal die allgemein geltenden Vorschriften des Rentenrechts im SGB VI, insbesondere auch diejenigen über die Ermittlung von Entgeltpunkten (z. B. § 256 b SGB VI) Anwendung finden. Die übrigen Regelungen des rentenrechtlichen Teils des WGSVG über die Nachzahlung von Beiträgen und deren Berücksichtigung im Rahmen des Leistungsrechts brauchen wegen der in § 2 Abs. 1 für die Erbringung von Leistungen ins Ausland fiktiv angenommenen Gleichstellung von Ghetto- Beitragszeiten mit Bundesgebiets- Beitragszeiten nicht angewendet zu werden."
Es ist für die Kammer unvorstellbar, dass der Gesetzgeber einerseits in der Gesetzesbegründung zum ZRBG sehr detaillierte Ausführungen über einzelne Folgen der Regelung zur Geltung des WGSVG z. B. für Kindererziehungszeiten macht, jedoch eine so gravierende und für einen Großteil der Verfolgten anspruchsausschließende Folge nicht benennt, wie dies die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zum dSK wäre.
Zum selben Ergebnis führt die Betrachtung des "Bericht zur Umsetzung des ZRBG" vom 15.02.2005 des für den damaligen Gesetzesentwurf zuständigen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Dort ist auf Seite 7 ausdrücklich ausgeführt: "Aufgabe des ZRBG ist die Schließung einer letzten, im Zusammenhang mit dem Urteil des BSG aus dem Jahre 1997 entstandenen Lücke im Regelungskomplex der Ausgleichs- und Rentenleistungen an Verfolgte des Nationalsozialismus. Nachdem mit dem WGSVG und dem FRG für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Regelungen getroffen worden sind, die bei den Betroffenen die verfolgungsbedingt entstandenen Lücken in ihrer Versicherungsbiografie geschlossen haben, und nachdem mit dem Stiftungsgesetz Zwangsarbeitern Entschädigungen für erlittene Zwangsarbeit gewährt wurden, verfolgt das ZRBG zwei Ziele: 1. Die Anerkennung von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto im sozialversicherungsrechtlichen Sinne unabhängig davon, ob der Verfolgte zum Personenkreis des FRG oder des Deutschen Sprach- und Kulturkreises(DSK) gehört (§ 1 und 17 a FRG, 20 WGSVG) und 2. die Zahlung daraus resultierender Renten auch ins Ausland.
Ebenso eindeutig wird dies von den Rentenversicherungsträgern so gesehen (vgl. "Dienstanweisung zum ZRBG der Deutsche Rentenversicherung Bund vom 4.11.2005, Punkt 2" und "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2, Seite 6", wo es heißt: " Im Unterschied zur bisherigen Feststellung von Beitragszeiten von Verfolgten in den eingegliederten und besetzten Gebieten nach der BSG-Rechtsprechung ist nach dem ZRBG einer Anerkennung von Ghettobeitragszeiten unabhängig davon möglich, - welches Sozialversicherungsrecht (deutsches Recht oder weiter geltendes Recht des Aufenthaltsstaates) in dem betroffenen Gebiet seinerzeit galt, - ob die Beschäftigung nach dem in dem jeweiligen Gebiet geltenden Recht zur Versicherungspflicht geführt hätte und - ob gegebenenfalls die Voraussetzungen für die Anwendung des FRG (z. B. Personenkreis §§ 1,17a FRG oder Beitragsübergang nach § 17 Abs. 1 Buchst. b FRG a.F.) erfüllt sind. Das ZRBG reduziert die Anerkennungsvoraussetzungen auf das Grundelement der " frei gewählten " Beschäftigung gegen Entgelt."
3. Der Kläger bezieht für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem anderen System der sozialen Sicherung. Dies sind nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 14/8583) zu § 1 Abs.1 Satz 2 ZRBG ausländische soziale Sicherungssysteme, insbesondere Rentenversicherungen im Herkunfts- bzw. Wohnlandes des Verfolgten. Hier sind keinerlei Gesichtspunkte erkennbar, dass der Kläger aus Polen oder den USA entsprechende Leistungen für dieselben Verfolgungszeiten erhält.
II. Neben der Ghettobeitragszeit sind auf die Wartezeit beim Kläger verfolgungsbedingte Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI anzurechnen. Gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sind Ersatzzeiten u.a. Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und in denen Versicherte, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetzes sind, "in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz)". Ghetto- Beitragszeiten gelten als Beitragszeiten für eine Beschäftigung und haben die gleiche Wirkung wie Pflichtbeitragszeiten. Der Kläger ist Versicherter in diesem Sinne durch Anrechnung der Ghetto- Beitragszeit.
Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 2 BEG hat der Verfolgte Anspruch auf Entschädigung, wenn ihm in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 08. Mai 1945 die Freiheit entzogen worden ist, wobei gemäß § 43 Abs. 2 BEG Freiheitsentziehung im Sinne dieser Vorschrift insbesondere polizeiliche oder militärische Haft, Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Strafhaft, Konzentrationslagerhaft und Zwangsaufenthalt in einem Ghetto sind. Nach § 43 Abs. 3 BEG ist der Freiheitsentziehung das Leben unter haftähnlichen Bedingungen, Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen und Zugehörigkeit zu einer Straf- oder Bewährungseinheit der Wehrmacht gleichgestellt.
Gem. § 47 Abs. 1 BEG hat der Verfolgte Anspruch auf Entschädigung, wenn er in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 08. Mai 1945 den Judenstern getragen oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Illegalität gelebt hat.
Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Ziffer 4 SGB VI sind im Fall des Klägers die von den Entschädigungsbehörden anerkannte Zeit vom Beginn des Zwangs zum Tragen des Judensterns ab Dezember 1939 sowie die Zeit nach dem Aufenthalt im Ghetto, nämlich im Zwangsarbeitslager Bugaj, in verschiedenen Konzentrationslagern bis zur Befreiung im Konzentrationslager Bergen- Belsen am 15.04.1945. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 anerkannt, dass diese Ersatzzeittatbestände erfüllt sind. Außerdem bestehen Zeiten des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts ab September 1949 bis 31.12.1949, die ebenfalls als Ersatzzeiten in Frage kommen. Mit diesen Zeiten erfüllt der Kläger auch ohne die bisher nicht geklärten amerikanischen Zeiten, die nach dem deutsch- amerikanischen Sozialversicherungsabkommen ebenfalls auf die Wartezeit für eine Altersrente nach §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI anrechenbar sind, die Wartezeit für eine solche Rente.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Rente des Klägers aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto(ZRBG). Im Streit steht insbesondere die Zeit von Dezember 1940 bis Oktober 1942 im Ghetto Piotrkow in Polen.
Der Kläger ist 84 Jahre alt, am XX.XX.1921 geboren in Piotrkow T. (Petrikau) in Polen im so genannten Generalgouvernement. Nach 7- jährigem Schulbesuch erlernte er den Beruf des Schneiders im Geschäft seines Vaters. Er erhält als Verfolgter des Nationalsozialismus Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) unter dem Aktenzeichen XXXXX vom Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung – Wiedergutmachung, nämlich eine Rente wegen des Schadens an Körper und Gesundheit und ist auch wegen des Schadens an Freiheit für Zeiten vom 1.4.1940 bis 15.4.1945 entschädigt worden. Er ist im September/ Oktober 1949 nach USA ausgewandert und ist heute amerikanischer Staatsangehöriger.
Der Kläger hatte einen ersten Rentenantrag bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, heute Deutsche Rentenversicherung Bund (BfA) bereits am 27. 1. 1989 gestellt, in dem er sowohl rentenrechtliche Zeiten wegen Verfolgung als auch Beitragszeiten nach der Befreiung, aus einer Tätigkeit im Büro des "Jewish Committee" in Bergen-Belsen, für die Beiträge im Sammelverfahren nach Listen entrichtet worden seien, geltend gemacht hatte. Die BfA hatte zur Kontenklärung ermittelt, wobei sie auch andere frühere Schreibweisen des Nachnamens (G3, G4 und G.) und des Vornamens (J2, J., J3) des Klägers in die Ermittlungen einbezogen hatte. Dennoch hatte sie keine Unterlagen für den Kläger ermitteln können. Ebenfalls hatte die BfA die Entschädigungsakte des Klägers von der Wiedergutmachungsbehörde Niedersachsen beigezogen. Mit Bescheid vom 27. 11. 1989 lehnte die BfA den Rentenantrag des Klägers wegen mangelnder Mitwirkung ab, da er trotz mehrfacher Aufforderungen nicht die zur Rentenantragsbearbeitung erforderlichen Unterlagen eingesandt habe.
Den jetzt maßgeblichen Rentenantrag bei der Beklagten stellte der Kläger, nunmehr vertreten durch seinen jetzigen Bevollmächtigten, unter dem 1.7.2002, wobei der Schriftverkehr teilweise auch mit der BfA geführt wurde. Am 9.12.2002 gab die BfA das Rentenantragsverfahren an die Beklagte wegen Zuständigkeit für die Arbeiterrentenversicherung ab, wo es mit dort bereits eingegangenen Unterlagen zusammengeführt wurde. Der Kläger gab an, er habe zunächst bis 1939 die Volks- und Realschule besucht und eine Berufsausbildung nicht durchlaufen. Von Dezember 1940 bis November 1944 habe er als Bauarbeiter und Tischler im Ghetto Piotrkow Tätigkeiten in Vollzeit verrichtet. Im Antragsformular ist angegeben, dass hierfür weder Kost noch Logis gewährt wurde. Die Spalte über die Höhe der wöchentlichen/ monatlichen Entlohnung ist nicht ausgefüllt. Von 1948 bis 1997 seien Beiträge zur amerikanischen Sozialversicherung gezahlt worden. In einem Fragebogen zu verfolgungsbedingten Ersatzzeiten verwies der Kläger auf seine Angaben im Entschädigungsverfahren. Die Beklagte zog die Entschädigungsakte des Klägers bei. Darin finden sich eidesstattliche Erklärungen des Klägers vom 15.11.1954 (Bl. 9/10), Zeugenaussagen des E. S. B. vom 23.11.1954 (Bl. 11/12), des B1 G1 vom 4.10.1954 und vom 27.8.1963 (BL. 13/14 und Bl. 54), des J. S. vom 07.01.1955 und vom 19.8.1963 (Bl. E 30 und 56), des T. M. vom 26.8.1963 (Bl.55), Bescheinigungen des Internationalen Suchdienstes in Bad A. (ITS) vom 1.6.1954 und vom 9.12.1954, diverse ärztliche Bescheinigungen, Befundberichte sowie ein ärztliches Gutachten des Internisten Dr. D. vom 14.04.1964 einschließlich nochmaliger Angaben des Klägers (Bl. 64 – 72) ein Gutachten des Psychiaters Dr. B2 vom 28.03.1964, ein zahnärztliches Gutachten von Dr. L. vom 27.03.1964 und eine abschließenden Stellungnahme hierzu von Dr. D1 in M1 vom 27.05.1964 sowie weitere ärztliche Unterlagen, die ab Juni 1994 im Zusammenhang mit einem Verschlimmerungsantrag entstanden sind. Auf die genannten Dokumente im Einzelnen wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 28.4.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die behauptete Zeit von Dezember 1940 bis November 1944 könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden. Aus der Entschädigungsakte ergebe sich, dass der Kläger nur von Dezember 1941 bis November 1942 überhaupt im Ghetto Piotrkow gewesen sei. Er habe im damaligen Verfahren angegeben, in dieser Zeit ausschließlich Zwangsarbeiten für das deutsche Militär verrichtet zu haben. Es gebe deswegen keine Hinweise auf ein freies entgeltliches Arbeitsverhältnis in einem Ghetto.
Im Widerspruch vom 10.6.2003 wies der Kläger darauf hin, dass seine Tätigkeit für das deutsche Militär im Ghetto Piotrkow ebenso als freiwillig anzusehen sei wie die mehrerer namentlich benannter "Kollegen", deren Versicherungsnummern der Kläger angab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8.9.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück unter nochmaligem Hinweis auf die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren. Er habe damals angegeben, er sei im Dezember 1940 in das Ghetto Piotrkow in Polen gekommen und habe von dort täglich zu Fuß zur Zwangsarbeit in Militärbunkern in Bugaj marschieren müssen. Als das Ghetto im November 1942 liquidiert worden sei, sei er zur Zwangsarbeit in Bugaj einquartiert worden. In der eidesstattlichen Erklärung vom 15.11.1954 habe er u. a. behauptet, er sei ab Ende 1940 im Ghetto Piotrkow gewesen und sei jeden Tag unter Bewachung zum "zentralen Aufnahmelager" Bugaj gebracht worden. Dort habe er Zwangsarbeit leisten müssen, hauptsächlich Bauarbeiten. Er habe an Militärbunkern am Wachturm gearbeitet und auch verschiedene Tischlerarbeiten für das deutsche Militär ausgeführt. Auch im Bescheid der Entschädigungsbehörde Hannover vom 23.2.1955 sei er u. a. wegen der erlittenen Freiheitsentziehung- bzw. Beschränkung von Ende 1940 bis Ende 1942 im Ghetto Piotrkow entschädigt worden. Im Rentenverfahren habe er demgegenüber behauptet, er sei von Dezember 1940 bis November 1944 als Bauarbeiter bzw. Tischler in einer Bautischlerei bei Vollzeitbeschäftigung und Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen erwerbstätig gewesen. Die Voraussetzungen des § 1 ZRBG seien nicht erfüllt, denn es sei weder eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss noch eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt worden. Vielmehr habe er nach seinen eigenen Angaben im Entschädigungsverfahren Zwangsarbeit leisten müssen und zwar gerade außerhalb des Gettos, für die deutsche Wehrmacht. Die detaillierteren und zeitnäheren Angaben seien glaubhafter als die jetzigen Angaben.
Mit der Klage vom 2.10.2003 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. In einer notariell beglaubigten " eigenen Erklärung " vom 29. März 2004 macht er folgende Angaben zu seinem Leben im Ghetto Piotrkow: Gleich nach Ausbruch des Krieges sei in seiner Stadt ein Ghetto eingerichtet worden und alle Juden seien gezwungen worden, unter sehr schwierigen Bedingungen dort zu leben. Zuerst sei er mit einer Gruppe junger Männer in das " Lohnarbeitslager " Belzec gebracht worden. Nach einigen Monaten habe er mit einigen seiner Freunde aus dem Lager entkommen und "durch ein Wunder" zurück ins Lager gelangen können, wo er seine Eltern wieder gefunden habe und bei ihnen gelebt habe bis zur Liquidation des Ghettos. Der größte Schrecken sei die Deportation ins Todeslager gewesen. Der einzige Weg, dem zu entkommen sei gewesen, Arbeit zu finden. Er habe sich beim Judenrat gemeldet und habe, da er fast zwanzig Jahre alt gewesen sei und eine gute Kondition für die Arbeit gehabt habe, sofort eine Arbeit im "Holzwerkebetrieb B3" erhalten. Die Fabrik sei gleich außerhalb der Stadt gewesen und habe zu Fuß erreicht werden können. Er habe unter Aufsicht des " Werkschutzes" gearbeitet. Es habe eine Nacht- und eine Tagschicht gegeben, aber er habe meistens in der Tagschicht gearbeitet, ungefähr zehn Stunden täglich. Man habe Möbel für die deutsche Wehrmacht hergestellt. Es sei ihnen gesagt worden, dass seine Mutter zusätzliche Lebensmittelkarten für seine Rationen erhalte. Sein Vater und zwei seiner Brüder hätten ebenfalls arbeiten können und ihre zusätzlichen Lebensmittelkarten dem Rest der Familie geben können, da zu Hause mehrere Kinder gewesen seien, die nicht hätten arbeiten können. Manchmal habe seine Mutter sogar genügend Karten gehabt, um sie auf dem Markt gegen andere notwendige Dinge einzutauschen. Er sei dankbar, dass er in dieser dunklen Zeit habe arbeiten können und so Gelegenheit gehabt habe, zum Unterhalt und zum Wohlergehen seiner ganzen Familie beizutragen. Als das Ghetto liquidiert worden sei, habe er das Glück gehabt, in einer andern Fabrik weiter arbeiten zu können, die Glas hergestellt habe. Zu dieser Zeit habe er aber nicht mehr nach Hause gehen können, sondern in den Baracken in der Nähe der Fabrik schlafen müssen, bis er ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden sei.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß nach Lage der Akten,
den Bescheid der Beklagten vom 28.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Regelaltersrente nach dem ZRBG unter Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 sowie verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, mit denen die Wartezeit erfüllt wird, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich zur Begründung ihres Antrags auf den Akteninhalt und die Angaben in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts die Entschädigungsakten des Klägers vom Niedersächsischen Landesamt für Bezüge und Versorgung - Wiedergutmachung – nochmals beigezogen. Ferner hat es beim Internationalen Suchdienst in Bad A. (ITS) angefragt, ob dort Unterlagen über den Kläger vorhanden seien. Der Suchdienst hat neben Angaben für zwei andere Menschen mit dem Nachnamen G. auch Daten bestätigt, die mit den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren im Wesentlichen übereinstimmen, nämlich für den Namen J1 G., geboren X.X.1921 in Piotrkow als Sohn von C. G. und B4 G2 mit dem Beruf "Kürschner", der am 2.10.1945, im Juli 1947 und am 7. Juni 1948 im DP- Lager H./ Bergen-Belsen gewesen sei, am 22.9.1949 vom IRO- Auswanderungslager W. für eine Auswanderung nach den USA registriert worden sei und am 26.09.1949 von B5 aus an Bord des Schiffes "General B6" nach den USA ausgewandert sei. Weiterhin hat das Gericht eine Anfrage an das Staatsarchiv der Heimatstadt des Klägers gerichtet zu den allgemeinen Verhältnissen im Ghetto Piotrkow sowie zur Frage, ob die Angaben des Klägers bestätigt werden könnten und ob dort Unterlagen über ihn vorlägen, wie z. B. Listen des Judenrates. In der Antwort vom 29. 12. 2004 gibt das Staatsarchiv in Piotrkow T. an, dass in den vorhandenen Personallisten der Firma P. Holzwerke aus den Jahren 1941 bis 1942, ansässig an der S1-Straße, die Kriegssteuer entrichtet hätten, der Name des Klägers nicht vorhanden sei. Die Akten des Judenrats aus dem Ghetto seien nicht erhalten. Die im Staatsarchiv aufbewahrten Verwaltungsakten aus den Jahren 1939 bis 1944 seien von der Stadtbehörde erstellt worden. Das Archiv hat eine " bestätigte Fotokopie eines Dokuments aus dem Jahr 1970 " übersandt, in dem das Bestehen eines Arbeitslagers auf dem Gebiet der Möbelfabrik in Piotrkow im Zeitraum der Hitlerokkupation bestätigt wird (Bl. 39/40 bzw. übersetzt Bl. 49/50 der Prozessakte). Hinsichtlich detaillierter Auskünfte über das Leben im Ghetto war der Antwort des Archivs eine Monografie von Krzysztof Urzedowski (Bl. 41- 47, bzw. übersetzt Bl. 51 – 69 der Prozessakte) beigefügt, der auf der Grundlage von im Staatsarchiv befindlichen Akten geschrieben worden sei. Auf den Inhalt dieser Monografie, die ausführliche Angaben über das Leben im Ghetto Piotrkow enthält, wird verwiesen. Weiter hat das Gericht im Internet zugängliche Quellen über das Ghetto Piotrkow, z.B. http://www.shtetlinks.jewishgen.org/piotrkowtryb/shtetl.htm, Karl- Ernst- Osthaus- Museum http://www.keom.de/denkmal/suche, (www.edwardvictor.com/Ghettos/piotrkow main.html beigezogen und ausgewertet.
Zu den vom Gericht eingeholten Unterlagen hat die Beklagte dahin gehend Stellung genommen, dass sich daraus keine Anhaltspunkte ergäben, die das Vorliegen eines vom Kläger frei gewählten Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des ZRBG glaubhaft erschienen ließen. Alle Angaben in dieser Abhandlung belegten im Gegenteil den Ausbeutungscharakter des Gettos. Auch die zitierten Anordnungen und Erlasse ließen das Vorliegen von frei gewählten Beschäftigungsverhältnissen im Ghetto nahezu ausgeschlossen erscheinen. Nachdem der Kläger auch in den dort erwähnten Dokumenten nicht aufgeführt sei, gehe die Beklagte weiterhin davon aus, dass die Glaubhaftmachung eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des ZRBG nicht gelungen sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 hat der Vertreter der Beklagten ausgeführt, dass die Wartezeit mit Ersatzzeiten ab Dezember 1939 bis Dezember 1945 erfüllt wäre, wenn hier Ghettobeitragszeiten nach dem ZRBG anzuerkennen wären. Das Gericht hat ferner auf das in anderen Verfahren den Beteiligten bekannt gegebene gemäß Beweisanordnungen vom 24.05.2005 Datums aller mit Verfahren nach dem ZRBG befassten Kammern des Sozialgerichts Hamburg erstellte Gutachten von Professor Dr. G5 vom 12.08.2005 betreffend die Verhältnisse in den Ghettos des Generalgouvernements (im folgenden: Gutachten) hingewiesen und es zum Gegenstand auch dieses Verfahrens gemacht. Hinsichtlich des Inhalts der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Das Gericht konnte auch ohne Anwesenheit des Klägers oder seines Bevollmächtigten über die Sache entscheiden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist mit Ladung vom 04.01.2006 rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden, dass im Falle seiner Abwesenheit auch ohne ihn verhandelt werden könne. Er hat den Erhalt der Ladung am 06.01.2006 durch Rücksendung des Empfangsbekenntnisses per Telefax vom 31.01.2006 bestätigt.
Die Klage ist auch in dem Umfang begründet, den das Gericht dem Vorbringen des Bevollmächtigten im Wege sachdienlicher Auslegung als Antrag entnommen hat. Die Kammer ist nach dem Vortrag davon ausgegangen, dass das Begehren des Klägers dahin geht, ihm eine Regelaltersrente nach dem ZRBG unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 sowie unter Berücksichtigung dieser vorangehender und an sie anschließender verfolgungsbedingter Ersatzzeiten zu gewähren. Zwar ist im Rentenantragsformular ein Zeitraum von Dezember 1940 bis November 1944 als Zeitraum des Aufenthalts des Klägers im Ghetto Piotrkow angegeben. Ghettobeitragszeiten nach Oktober 1942 kommen jedoch nicht in Betracht, denn das Ghetto Piotrkow wurde am 21.10.1942 liquidiert (Gudrun Schwarz, Die nationalsozialistischen Lager, Frankfurt am Main 1997, Seite 143). Auch nach den Angaben des Klägers im Entschädigungs- und im Rentenverfahren hat er nach der Liquidierung des Ghettos Piotrkow dort nicht mehr leben können, sondern in Bugaj in der Nähe des früheren Ghettos Piotrkow.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Zahlung einer Regelaltersrente nach den Vorschriften des ZRBG, denn er hat das 65. Lebensjahr vollendet und er erfüllt die Wartezeit nach § 35 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI). Auf die Wartezeit sind eine Ghettobeitragszeit nach Artikel 1 § 2 ZRBG im Ghetto Piotrkow von Dezember 1940 bis Oktober 1942 (I) sowie daran vorher und nachher angrenzende verfolgungsbedingte Ersatzzeiten (II) anzurechnen.
I. Auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren sind nach §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen. Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Der Kläger hat weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht gezahlt, mit denen die Wartezeit erfüllt werden könnte. Für ihn sind jedoch Ghetto- Beitragszeiten nach § 2 Abs. 1 ZRBG anzurechnen. Nach dieser Vorschrift gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt, wobei im einzelnen festgelegt ist, dass die Beiträge für die Berechnung der Rente aus diesen Zeiten als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets gelten, (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG) dass jedoch für die Erbringung von Leistungen ins Ausland die Beiträge als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet gelten (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ZRBG).
1. Die Zeit von Dezember 1940 bis Oktober 1942 ist eine Ghetto- Beitragszeit nach §§ 1 und 2 ZRBG, denn der Kläger hat sich als Verfolgter zwangsweise in einem Ghetto in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet aufgehalten und dort eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die aus freiem Willenentschluss zustande gekommen ist.
Für die Feststellung der für einen Anspruch nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt es, wenn diese glaubhaft gemacht sind (§ 1 Abs. 2 ZRBG i.V.m. § 3 Abs. 1 WGSVG). Dies ist der Fall, wenn die Tatsache nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, wenn die gute Möglichkeit besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller oder die Antragstellerin es geltend macht (BSG, B 9 V 33/97 R vom 3.2.1999).
2 a) Der Kläger ist als Verfolgter im Sinne des § 1 BEG anerkannt. Er erhält Leistungen nach dem (BEG), nämlich eine Rente wegen des Schadens an Körper und Gesundheit und ist auch wegen des Freiheitsschadens entschädigt worden.
2 b) Er hat sich unstreitig von Dezember 1940 bis Oktober 1942 zwangsweise in einem Ghetto in einem vom deutschen Reich besetzten Gebiet aufgehalten, nämlich im Ghetto Piotrkow im so genannten Generalgouvernement, einem Teil Polens, der dem Deutschen Reich nicht eingegliedert wurde, in dem die Deutschen jedoch das Recht setzten. Piotrkow war das erste von den Nationalsozialisten in Polen errichtete Ghetto und bestand seit 28.10.1939 bis zu seiner Liquidierung am 21.10.1942.
In der fraglichen Zeit hat der Kläger eine Beschäftigung "im Ghetto" ausgeübt, obwohl die von ihm verrichtete Tätigkeit außerhalb des Ghettos zu erledigen war. Er hat seit Dezember 1940, nachdem er aus dem Lager Belzec zurückkehren konnte, bis zur Auflösung des Ghettos im Oktober 1942 von dort aus Arbeiten im "Holzwerkebetrieb B3", der etwa 1 Stunde zu Fuß außerhalb des Ghettos Piotrkow lag, verrichtet und ist abends jeweils ins Ghetto zurückgekehrt. Zu Beschäftigungen im Ghetto im Sinne des ZRBG zählen nach Auffassung der Kammer auch solche, bei denen die Betroffenen im Ghetto leben, außerhalb des Ghettos arbeiten und täglich ins Ghetto zurückkehren, (so auch "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2, Seite 2"). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt für den Zeitraum bis zur Auflösung des Ghettos, nachdem das Werk in Bugaj als Zwangsarbeitslager weiter geführt wurde, in dem die Arbeiter lebten.
2 c) In der Tätigkeit des Klägers liegt eine Beschäftigung im Sinne des ZRBG. Die Kammer hat keine Zweifel, dass der Kläger die im Renten – und Klageverfahren, jedoch auch bereits im Entschädigungsverfahren ähnlich beschriebenen Tätigkeiten, insbesondere Bau- und Möbeltischlertätigkeiten, verrichtet hat. Diese Tätigkeiten hat der Kläger über den in Piotrkow gebildeten Judenrat erhalten, wie er ausführlich in seiner im Klageverfahren eingereichten notariell beglaubigten eigenen Erklärung vom 29.3.2004 ausgeführt hat. Danach hat er unter Aufsicht des " Werkschutzes" (siehe dazu unten) in Bugaj gearbeitet, meistens in der Tagschicht gearbeitet, ungefähr zehn Stunden täglich und dort neben Bauarbeiten an Bunkern Möbel für die deutsche Wehrmacht hergestellt. Seine Erklärungen widersprechen - mit Ausnahme der im Entschädigungsverfahren vorgenommenen Qualifizierung der Tätigkeit als Zwangsarbeit- im Wesentlichen nicht seinen Angaben im Entschädigungsverfahren. Auch stimmen seine Angaben sowohl hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Ereignisse als auch wegen anderer Einzelheiten im Wesentlichen überein mit im Internet zugänglichen Quellen über Lebensumstände im Ghetto Piotrkow, so insbesondere den Informationen bei "shtetlinks" aber auch den vom Gericht eingeholten Angaben des Staatsarchivs in Piotrkow.
2 d) Der Kläger hat die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt. Der Begriff ist im ZRBG selbst nicht definiert. Hinweise finden sich allerdings in der früheren Rechtsprechung des BSG: Im "Lodz- Urteil" BSG 5 RJ 66/95 ist ausgeführt: "Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zustande kommt das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, dass auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluss geäußert werden. Nach seinem unmittelbaren Zweck und dem daran ausgerichteten Inhalt ist das Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis ein Austausch wirtschaftlicher Werte i.S. einer Gegenseitigkeitsbeziehung." Dabei ist die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben musste, zu beantworten, sondern daraufhin zu untersuchen, ob es "frei" im oben bezeichneten Sinne eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war ... (BSG B 5 RJ 48/98 R m.w.N.) Die Annahme eines grundsätzlich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses kann dabei nach der Rechtsprechung des BSG "nicht deshalb unterbleiben, weil die Wirtschaftsverfassung, die auf dem freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn basiert, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus für einen bestimmten Personenkreis "praktisch nicht mehr existent" war" ... BSG B 5 RJ 48/98 R).
In Entscheidungen des 13. Senats des BSG nach Erlass des ZRBG ist knapp ausgeführt, dass dem ZRBG nicht zu entnehmen sei, dass es für andere Arten von Beschäftigungen in einem Ghetto Geltung beanspruche als solchen, die nach der so genannten Ghetto- Rechtsprechung des BSG als versicherungspflichtige Beschäftigungen anzusehen waren. (B 13 RJ 59/03 sowie B 13 RJ 37/04 R und B 13 RJ 34/04 R)
Ob eine vollständige Gleichsetzung des Begriffs des "eigenen Willensentschlusses" im ZRBG mit der Begrifflichkeit der "Freiwilligkeit" nach der früheren Rechtsprechung des BSG gemeint war, kann hier letztlich dahin gestellt bleiben. Denn die vom Kläger verrichtete Arbeit erfüllt die Voraussetzungen eines freien Beschäftigungsverhältnisses im Gegensatz zur Zwangsarbeit auch nach den vor Inkrafttreten des ZRBG aufgestellten Kriterien.
Zwangsarbeit ergibt sich nicht bereits aus der Tatsache, dass der Kläger dem Arbeitszwang unterlag. Formal bestand allerdings für die jüdische Bevölkerung - anders als für die polnische, die der sog. Arbeitspflicht unterlag - Arbeitszwang auf Grund der Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements. (vgl. Verordnung des Generalgouverneurs F1 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements vom 26.10.1939 und Verordnung des Generalgouverneurs F1 ebenfalls vom 26.10.1939 über die Einführung der Arbeitspflicht für die polnische Bevölkerung des Generalgouvernements, beide abgedruckt in: Verordnungsblatt des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete Nr. 1 vom 26.10.1939, Seite 6). Faktisch ergab sich jedoch kein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Formen, wie Professor Dr. G5 in seinem Gutachten betreffend die Verhältnisse in den Ghettos des Generalgouvernements ausgeführt hat, da die Unterscheidung selbst hinsichtlich der unterschiedlichen Entlohnung in Wirklichkeit kaum eingehalten wurde (Seite 4 des Gutachtens). In der Anordnung des Generalgouverneurs F1 für die besetzten polnischen Gebiete an die Leiter der Abteilung Arbeit bei den Chefs der Distrikte und Leiter der Arbeitsämter im Bereich des Generalgouvernement vom 5.7.1940 zum Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung heißt es ausdrücklich unter II. Arbeitseinsatz: " Zweck des Arbeitseinsatzes der Juden ist, wie schon erwähnt, zur Behebung des Mangels an Arbeitskräften im Generalgouvernement beizutragen. Die Beschäftigung der Juden soll grundsätzlich auf der Grundlage der Verordnung vom 26.10.1939 und der Durchführungsvorschrift vom 12.12.1939 erfolgen. Dabei ist jedoch in allen geeigneten Fällen zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen. Die Beschäftigung der Juden hat zweierlei zum Ziel: 1. die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeininteresse und 2. die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: 3. a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im Einzelnen noch festzulegen ... b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht. Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei größeren Projekten, bei denen eine große Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann."
Nach der Rechtsprechung des BSG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die damalige Regulierung des Arbeitsmarktes sowie das Bestehen allgemeiner Arbeitspflichten die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse derart obrigkeitlich/ hoheitlich überlagert haben, dass diese den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätte (BSG B 13 RJ 75/98 R m.w.N.).
Die Abgrenzung von sogenannten "freien" Beschäftigungsverhältnissen gegenüber Zwangsarbeit ist vielmehr jeweils im Einzelfall vorzunehmen und nicht an starren Einzelkriterien festzumachen, sondern anhand des Gesamtbildes zu ermitteln. "Bei dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis handelt es sich nicht um einen tatbestandlich scharf konturierten Begriff, der eine einfache Subsumtion ermöglicht, sondern um einen rechtlichen Tatbestand, der die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschreibt. Die den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) können in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; selbst das Fehlen einzelner Merkmale muss nicht unbedingt zur Verneinung einer Beschäftigung in diesem Sinne führen", BVerfG in SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).
Andererseits ist dem Typusbegriff auch zu entnehmen, dass bestimmte Umstände der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses dann nicht entgegenstehen, wenn sie auf die einzelnen Merkmale keinen entscheidenden Einfluss haben. So ist vom BSG - gerade bei der Beurteilung von Arbeitsleistung in einem Ghetto - betont worden, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, außer Betracht bleiben. Demgemäss ist für die Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auch nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind. Gemessen an diesen Kriterien ist unter Zwang zustande gekommene und verrichtete Arbeit (z.B. als Strafgefangener oder KZ-Häftling) - wie das BSG wiederholt entschieden hat - grundsätzlich nicht als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen. (vgl. BSG B 13 RJ 75/98 R mit weiteren Nachweisen auf die gefestigte Rechtsprechung des BSG).
Als Zwangsarbeit hat das BSG dabei insbesondere die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (so z.B. BSGE 80, 250, 253) bezeichnet. Typisch, so das BSG - ist dabei z.B. die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an den Arbeiter ausgezahlt wird (so BSGE 38, 245). Entsprechendes gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (vgl. BSGE 12, 71). Diese beispielhaft aufgeführten Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann. (BSG B 13 RJ 71/98 R).
Der Kläger ist zur Überzeugung der Kammer zur Arbeitsaufnahme beim Bunkerbau und bei der Holzfirma D2 & F. in Bugaj nicht gezwungen worden.
Für die erste Zeit der deutschen Besetzung ist allerdings bekannt, dass Juden vollkommen willkürlich zu Zwangsarbeiten herangezogen wurden, für die sie auf der Straße einfach aufgegriffen wurden, ohne jegliche Regulierung durch Arbeitsvermittlung oder ähnliches (vgl. u.a. Gutachten Seite 4).
In der Stadt Piotrkow, in der das erste Ghetto des Generalgouvernements bereits im Herbst 1939 gebildet worden war, dürften solche Übergriffe durchaus noch in der ersten Zeit der Existenz des Ghettos vorgekommen sein. Dies änderte sich mit der Einrichtung der Judenräte, die die Anforderung von Arbeitskräften durch die deutsche Besatzungsmacht dadurch kanalisierten, regulierten und verwalteten, dass sie Meldungen für bestimmte Arbeiten entgegen nahmen und die Arbeiter an die anfordernden Stellen vermittelten. Von dieser Zeit an ist nach dem Gutachten davon auszugehen, dass das "Abgreifen" von Arbeitskräften auf offener Straße im Sinne reiner Übergriffe allenfalls noch in Einzelfällen geschah (Gutachten, S.4). Zur Annahme solcher Umstände müssten konkrete Hinweise vorliegen, die im Fall des Klägers aber nicht gegeben sind. Streitig ist hier lediglich die Zeit ab Dezember 1940, als bereits weit verbreitet im Generalgouvernement (auch in Piotrkow) Judenräte gebildet worden waren, denen die Vermittlung und Verteilung der Arbeit oblag.
Die Kammer hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger die von ihm verrichteten Bau- und Möbeltischlertätigkeiten auf Grund eines eigenen Willensentschlusses verrichtet hat. Dies ergibt die Zusammenschau der Angaben des Klägers mit den historischen Erkenntnissen, die sich vor allem im Gutachten von Professor Dr. G5 und im hier vorliegenden Fall in den vom Staatsarchiv Piotrkow übersandten Unterlagen sowie in allgemein zugänglichen Quellen finden.
Die Tätigkeit des Klägers in den Holzwerken "D2 & F." erfüllt die Voraussetzungen, die an eine aus " eigenem Willensentschluss" aufgenommene Tätigkeit zu stellen sind. Dabei folgt die Kammer nicht der globalen Auffassung in der Klagebegründung, dass freiwillige Arbeitsverhältnisse immer dann anzunehmen seien, wenn dem Betroffenen sonst der Tod im Konzentrationslager gedroht hätte. Diese Auffassung erfüllt die oben dargelegten Anforderungen, die die Rechtsprechung im Zusammenhang mit rentenversicherungsrechtlichen Arbeitsverhältnissen im Ghetto Lodz entwickelt hat, nicht.
Der Kläger hat eine Aufnahme der Arbeit aus eigenem Willensentschluss im Klageverfahren angegeben. Er hat formuliert, Arbeit zu finden, sei der einzige Weg gewesen, der gefürchteten Deportation zu entgehen, was ihm nach Meldung beim Judenrat auch gelungen sei. Ferner hat der Kläger angegeben, er habe auf diese Weise auch Lebensmittelrationen erhalten können, die ihm und seiner Familie zum Lebensunterhalt und zum Tausch gedient hätten. Die Angaben des Klägers, wie er zu der Tätigkeit in Bugaj gekommen sei, sind glaubhaft in dem Sinne, dass eine gute Möglichkeit dafür besteht, dass er sich diese Tätigkeit zumindest unter mehreren verschiedenen Tätigkeiten aussuchen konnte. Er hat angegeben, er sei wegen seines Alters und seiner Kondition für diese Arbeit auf Grund seiner Meldung ausgewählt worden.
In den beschriebenen Angaben liegen Gründe für die Aufnahme der Arbeit, die dem Merkmal der Freiwilligkeit zugehören, anders als z.B. bei der Zuweisung von willkürlich aus einer Gruppe ausgewählten Kontingenten von Arbeitskräften an einen Betrieb oder an das deutsche Militär, die durch den Judenrat benannt werden, ohne dass die Ausgewählten hierauf Einfluss gehabt hätten.
Im Ghetto Piotrkow war der Judenrat am 11.11.1939 gebildet worden und war ab Anfang 1940 mit einem Ratspräsidium von 29 Mitgliedern zuzüglich ihren Stellvertretern besetzt und in verschiedene Abteilungen aufgegliedert, unter anderem die Abteilungen für Sozialhilfe und für die "Lieferung" von Männern in Arbeit. Die Kammer geht deswegen davon aus, dass es zwar wahrscheinlich ist, dass die Firma D2 & F. beim Ältestenrat der Juden der Stadt Piotrkow ein bestimmtes Kontingent an Arbeitern jeweils abgefordert hat. Ohne dass die Firma ausdrücklich genannt wird, sprechen hierfür auch die Angaben in der Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow, Seite 13 der Übersetzung. Dies ist jedoch nicht gleich zu setzen mit solchen Arbeitseinsätzen in "Arbeitsbataillonen" auf Großbaustellen o.ä. außerhalb der Ghettos und ohne tägliche Rückkehrmöglichkeit, wie sie in der "Gemeinsamen Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.3, Seite 8" als Hinweise auf Zwangsarbeit beschrieben sind Es gibt hier keine Anzeichen dafür, dass der Kläger als Einzelperson, in der Zeit, in der das Ghetto Piotrkow bestand (und nicht lediglich das reine Zwangsarbeitslager Bugaj) durch obrigkeitlichen Zwang dazu gebracht worden ist, gerade diese Arbeit aufzunehmen und zu tun.
Vom Zeitpunkt der Vermittlung, Verteilung, Beschaffung und Organisation der Arbeit im Ghetto Piotrkow an ist nach den historischen Quellen davon auszugehen, dass die Arbeitsaufnahme der jüdischen Bevölkerung in den Ghettos grundsätzlich und regelmäßig auf Grund eines eigenen Willensentschlusses geschah, wenn nicht Gründe sich aus den konkreten Angaben im Entschädigungs- Renten- oder Klageverfahren ergeben, die das Gegenteil belegen würden.
Im Gutachten von Professor G5 heißt es auf Seite 10 unter Ziffer 6 zur Frage der Freiwilligkeit ausdrücklich: "Bereits in den ersten Monaten der Okkupation gab es ein sich entwickelndes System der Freistellungen, das es dem Einzelnen überließ, ob er sich dem Arbeitszwang beugte oder stattdessen einen Vertreter fand und finanzierte ..."
und auf Seite 11 ebenfalls zu Ziffer 6: "Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance –materiell und geistig. Wie im zivilen bereich vermittelte die Arbeit ein Selbstwertgefühl und war damit ungeachtet der materiellen Erträge etwas Erwünschtes. Damit sind auch die Umschulungskurse zu erklären und die Tatsache, dass es meistens mehr Interessenten als Arbeitsplätze gab "
Auf Seite 11/12 heißt es unter Ziffer 8: " Da das Arbeiten im Ghetto ein Privileg war, mussten sich die Bewohnerinnen und Bewohner selber bemühen, wenn sie eine der privilegierten Arbeitsstellen erhalten wollten. Sie wollten dies, weil zum einen die Versorgung besser war, zum anderen der Schutz vor Deportationen oder Ermordung vor Ort durch eine Arbeitsstelle vermutet wurde. Dementsprechend gab es meistens mehr Arbeitswillige als - stellen, so dass die Ghettobewohner nicht umhin konnten, sich selber um eine Arbeit zu bemühen ...".
Gegen ein aus eigenem Willensentschluss eingegangenes Arbeitsverhältnis des Klägers in den Holzwerken D2 und F. greift auch nicht das Argument durch, dass Bugaj mit den dortigen Betrieben DIFI (D2 & F.) Holzwerk, den Glasfabriken K., H1 & P1 (E1 H2 oder H3) als Zwangsarbeitslager benannt wird, vgl. insoweit z.B. die Angaben bei http://www.keom.de/denkmal/suche, m.w. Nachweisen auf den Internationalen Suchdienst in Bad A ... Gerade nach den Angaben bei "keom" zeigt sich jedoch, dass Piotrkow/ Bugaj mit den genannten Werken als Zwangsarbeitslager erst im Mai/ Juni 1942 eröffnet wurde, zu einem Zeitpunkt kurz vor der Liquidierung des Ghettos Piotrkow. Dies entspricht den Angaben des Klägers und der Zeugen, die alle darauf hingewiesen haben, dass sie Arbeiten in den Holzwerken in Bugaj zunächst vom Ghetto aus und erst später, nach Schließung des Ghettos, im Zwangsarbeitslager geleistet hätten. Von dieser Zeit an mussten sie dort auch in Baracken schlafen, so dass eine ständige Bewachungssituation bestand, die den Charakter des eigenen Willensentschlusses nicht mehr hatte.
Allerdings hat der Kläger sowohl im Entschädigungsverfahren (eidesstattliche Versicherung von 1954) als auch später angegeben, er habe im Wesentlichen nach Beendigung des Ghettos in Bugaj dieselben Arbeiten tun müssen wie zuvor, als er vom Ghetto aus immer dorthin geführt wurde. Auch der Zeuge G1 hat in seinen eidesstattlichen Erklärungen (Bl. 13 und 54 der Entschädigungsakte) diese Angabe bestätigt. Letztlich hat die Kammer dies jedoch nicht für entscheidend erachtet, denn das ZRBG verlangt ein Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses aus eigenem Willensentschluss, nicht jedoch, dass nur Tätigkeiten von einer Art verrichtet werden, die nicht auch als Zwangsarbeit vorkommen können. Vielmehr ist im Wege der freien Beweiswürdigung zu prüfen, ob glaubhaft ist, dass eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist. Dabei ist zu untersuchen, ob dem "Arbeitnehmer" ein gewisser, wenn auch geringer Einfluss auf die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses bleibt, wie dies für die Arbeit im Ghetto Lodz vielfach angenommen wurde. Dies gilt hier nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers zunächst für die Suche nach Arbeit und für die Frage, ob der Kläger diese oder eine andere Tätigkeit oder womöglich auch gar keine Tätigkeit ausübte.
Nach den historischen Erkenntnissen steht für die Kammer fest, dass der Kläger auch andere, ggf. mit schlechteren Lebensmittelzuteilungen entlohnte Arbeiten hätte finden und annehmen können.
Im Gutachten heißt es dazu auf Seite 11/12 unter Ziffer 8:
" Die Vermittlung des Judenrats versuchte, die geeigneten Personen für die einzelnen Stellen herauszufinden - der breite Bereich der " freien Wirtschaft " ermöglichte es jedoch zumindest in den größeren Ghettos bis zu den Deportationen, sich auch eine "freie" Stelle in einem Dienstleistungsbetrieb o.ä. zu suchen. Selbst wenn eine solche Stelle vielleicht nicht die Vorzüge der " Arbeitskarte " mit sich brachte, gab es die Aussicht, in der freien Wirtschaft mehr als die Hungerlöhne der großen Werkstätten (Shops) oder der Verwaltung zu erhalten. "
Historische Gutachten und andere Quellen ersetzen zwar keineswegs den konkreten Vortrag in der einzelnen Sache. Sie sind aber durchaus geeignet, Behauptungen, deren Wahrscheinlichkeit sonst nicht feststeht, auf Plausibilität zu überprüfen und so dazu beizutragen, dass eine fundierte Entscheidung des Gerichts über streitige Fragen möglich wird. Dies gilt umso mehr, als es um die Beurteilung von Ereignissen geht, die mehr als sechzig Jahre zurückliegen und die sich in Gebieten abgespielt haben, von denen das Gericht kaum eigene Kenntnisse im Einzelnen haben kann und auf fachkundige historische Aussagen angewiesen ist, um nicht Spekulationen auf der einen oder anderen Seite zu erliegen.
Arbeiten außerhalb des Ghettos waren keineswegs sämtlich unbeliebt, da sie die wenn auch gefährliche Möglichkeit boten, zusätzlich zu den im Ghetto knappen Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Bedarfs etwas hineinzuschmuggeln. Die Versorgung des Ghettos in Warschau soll z.B. nach einer im Gutachten (Seite 15 zu Ziffer 13) zitierten Quelle zeitweise zu 80 % über Schmuggel gelaufen sein. Außerdem wurden für Tätigkeiten z.B. in Rüstungsbetrieben neben der Entlohnung in Geld (s.u.) weit höhere Lebensmittelzuteilungen als sonst im Ghetto geleistet (4 kg Brot zusätzlich zu den regulären 2,5 kg monatlich).
Der Sachverständige Professor Dr. G5 hat darüber hinaus auf Seite 11 seines Gutachtens zu Ziffer 6 mit Verweis auf Äußerungen in einem anonymen Tagebuch aus dem Ghetto, zitiert nach Engelking/ Leociak sogar folgendes ausgeführt: " Die Beschäftigten, die formal Arbeitenden, das war eine privilegierte Kaste ( ...) Jeder, der offen und legal arbeitete, mit einem entsprechenden Ausweis und auf eine Weise, wie sie durch die neue Ordnung verfügt wurde, war einer der Auserwählen, der Gesicherten, der Gedeckten, der Menschen, die einen Ort gefunden hatten. Er hatte seinen Platz in der Welt, trieb sich nicht ziellos herum ohne Rechte und Pflichten ". Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance - materiell und geistig. Wie im zivilen Bereich vermittelte die Arbeit ein Selbstwertgefühl und war damit ungeachtet der materiellen Erträge etwas Erwünschtes ..."
Aus anderen historischen Quellen (www.edwardvictor.com/Ghettos/piotrkow main.html ergibt sich ebenfalls, dass es Personen gab, wie z. B. Behinderte, die mit einer entsprechenden Bescheinigung des Ältestenrats nicht arbeiteten. Dass auch im Übrigen die Möglichkeit bestanden hätte, gar nicht zu arbeiten, indem sich der Kläger – bei entsprechenden finanziellen Mitteln – hätte vom Arbeitszwang freikaufen können, ergibt sich für die Kammer insbesondere aus den Ausführungen im Gutachten betreffend die Möglichkeit der Vertretergestellung sogar für Arbeitsbataillone (Seite 5 des Gutachtens ).
Die Aussagen im Gutachten treffen nach heutigen historischen Erkenntnissen in ähnlicher Weise auf die im Gutachten erwähnten anderen größeren und soweit Forschung insoweit existiert, auch in den mittleren Ghettos zu (Seite 8 des Gutachtens), zu denen auch Petrikau gehörte (Seite 8).
Die Kammer teilt insoweit nicht das – insbesondere in den Arbeits- und Dienstanweisungen der Rentenversicherungsträger ("Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg, EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.3. Seite 8) ausgeführte Argument, wonach die Tätigkeit in Arbeitskommandos (Großeinsatz, Masseneinsatz) außerhalb der Ghettos, z.B. auf Großbaustellen regelmäßig die charakteristischen Züge der Zwangsarbeit trägt. Eine solche Differenzierung wird den tatsächlichen Verhältnissen der Beschäftigung auch innerhalb der Ghettos nicht gerecht. Masseneinsätze gab es auch dort. Die Shops und Betriebe im Warschauer Ghetto hatten teilweise 2000 Beschäftigte (Gutachten, Seite 7). Außerdem wird z.B. die nur von Einzelpersonen zu verrichtende Küchen- oder Putzarbeit in Privathaushalten der Besatzer häufig der Zwangsarbeit zugeordnet. Ebenfalls greift nach Auffassung der Kammer das Argument nicht durch, dass körperliche Arbeit wegen ihrer besseren Kontrollierbarkeit generell im Gegensatz zu z.B. Büroarbeit für den Judenrat bereits dem äußeren Bild nach der Zwangsarbeit eher zuzuordnen ist. Dies vernachlässigt die Einzelfallbetrachtung und widerspricht der Tatsache, dass z.B. nach den Angaben des Staatsarchivs in Piotrkow (Seite 14 der Übersetzung) auch "Einzelarbeiten" von den Deutschen z.T. ohne Gegenleistung verlangt wurden, was dem Zwang nahe kommen kann.
An der Einschätzung der Tätigkeit des Klägers als Beschäftigung auf Grund eines eigenen Willensentschlusses ändert sich auch nichts dadurch, dass er stets angegeben hat, er sei auf den Wegen von und zur Arbeit bewacht worden und habe die Arbeit unter Bewachung durch "Werkschutz" verrichtet. Dies führt nicht zwangsläufig dazu, die gesamte Tätigkeit als solche als Zwangsarbeit zu werten. Das BSG hat gerade zum Kriterium der "Bewachung der Arbeiter während der Arbeit" ausgeführt und entwickelt, dass Zwangsarbeit vorliegen kann, wenn die Bewachung aus dem Grunde erfolgt, dass sich die Arbeiter nicht aus dem "obrigkeitlichen Gewahrsam" entfernen sollen. Als Beispiel für solchen tatsächlich vorliegenden "obrigkeitlichen Gewahrsam" hat das BSG – wie oben bereits ausgeführt - die Tätigkeiten von Strafgefangenen und Kriegsgefangenen (vgl. BSGE 80, 250, 253) bezeichnet. Solche Tätigkeiten sind vergleichbar mit Zwangsarbeiten, die jüdische Verfolgte bzw. Häftlinge in einem Konzentrationslager (KZ) oder in einem Zwangsarbeitslager (ZAL) verrichtet haben. Bei solchen Arbeitseinsätzen fallen obrigkeitlicher Gewahrsam und zwangsweiser Aufenthalt zusammen.
Hier ist die Situation aber nach Auffassung der Kammer anders zu werten. Durch die Bewachung auf dem Weg zur und von der Arbeit und am Arbeitsplatz sollte nicht in erster Linie der obrigkeitliche Gewahrsam gesichert werden, sondern der zwangsweise Aufenthalt im Ghetto sowie, dass keine Aufstände von Seiten der Unterdrückten begonnen würden. Es ist historisch gesichert, dass zwar der Aufenthalt im Ghetto damals - gesetzlich - angeordnet war und das unbefugte Verlassen des Ghettos zumeist unter Todesstrafe gestellt wurde. Auch gab es zahlreiche Verordnungen, die auf einen "breiten Einschreitungsumfang der Okkupationsbehörden" (Staatsarchiv Piotrkow, Seite 4) hindeuten. Ein das gesamte Leben und insbesondere auch die Arbeitssituation der einzelnen Menschen umfassender "obrigkeitlicher Gewahrsam" der Besatzungsmacht, der dann auch jede Tätigkeit zur Zwangsarbeit machen würde, kann für das Ghetto Piotrkow in der hier maßgeblichen Zeit nicht festgestellt werden.
Die Verpflichtung der Juden, das Ghetto bei Androhung der Todesstrafe nicht verlassen zu dürfen, kann nicht automatisch dazu führen, die reine Bewachung außerhalb des Ghettos als einziges und unumstößliches Kriterium für den Typus Zwangsarbeit heranzuziehen. Denn die Bewachung eines Ghettos ist als Element der allgemeinen Lebensumstände zu werten und nicht der Arbeitssituation zuzurechnen. Insoweit wird nochmals auf die oben bereits zitierten Entscheidungen des BSG zu den Verhältnissen im Ghetto Lodz verwiesen, das als ganzes hermetisch abgeschlossen war (BSG B 5 RJ 66/95; genau so auch BSG B 13 RJ 75/98 R). Dort heißt es m.w.N. ausdrücklich: "Entsprechend hat die Rechtsprechung des BSG stets die Frage, in welchem Rahmen selbst "unfreie" Personen Leistungen aus der Sozialversicherung erhalten können, nicht vornehmlich nach ihrer allgemeinen Lebenssituation beantwortet ... Vielmehr sind die Sphären "Lebensbereich" (mit Freiheitsentziehung oder -beschränkung) und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen und die Umstände und Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Dem gemäß ist nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind (BSG Urteil vom 17. März 1993 - 8 RKnU 1/91 - SozR 3-5050 § 5 Nr. 1). Auch der erkennende Senat geht davon aus, dass die Frage, ob im Einzelfall ein freies oder ein unfreies Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, nicht nach den sonstigen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben musste, zu beantworten ist. Vielmehr ist das Beschäftigungsverhältnis selbst daraufhin zu untersuchen, ob es "frei" im oben bezeichneten Sinn eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses war."
Die tägliche Rückkehr ins Ghetto von Arbeitsstellen außerhalb wäre angesichts der im Ghetto herrschenden Lebensumstände ganz sicher nicht ohne Bewachung zu gewährleisten gewesen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass ohne Bewachung täglich eine große Zahl von Arbeitenden geflohen wäre. Der Kläger musste täglich mit einer großen Zahl von Männern zur Holzfabrik D2 & F. vom Ghetto nach Bugaj gelangen und wieder ins Ghetto zurückkehren. Eine derart große Menschengruppe musste koordiniert und organisiert werden, damit der Weg planmäßig zurückgelegt werden konnte und alle rechtzeitig am Arbeitsplatz waren. Das war nur durch Kontrolle möglich. Hinzu kommt, dass es sich nach Auffassung der nationalsozialistischen Besatzung bei den Arbeitskräften um Juden, also um "Staatsfeinde" des NS-Regimes handelte. Ohne Bewachung stellten diese unterdrückten und gequälten Menschen ein enorm großes Gefahrenpotential für die Nazis dar. Bewachung war allein deshalb aus den allgemein herrschenden Lebensumständen notwendig. Wenn demnach die Bewachung einer "Kolonne von Arbeitern" aus einem Ghetto zur Arbeitstelle erfolgte, so ist nicht allein aus der Tatsache dieser "Bewachung" zu schließen, dass es sich um Zwangsarbeit handelte.
Im Übrigen weichen die Verhältnisse in den Holzwerken D2 & F. nicht wesentlich ab von denen in der ebenfalls in Bugaj befindlichen Glasfabrik K., für die die Beklagte – insbesondere nach dem Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 17.06.2005, S 19 RJ 1061/03 – Beitragszeiten dem Grunde nach für anerkennungsfähig hält, mit Ausnahme der Zeiten, in denen das Ghetto Petrikau bereits aufgelöst war und nur noch das Zwangsarbeitslager Bugaj bestand.
Nach Auffassung der Kammer sind keine großen Unterschiede zwischen den mittlerweile anerkannten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungen im Ghetto Lodz und den hier in Rede stehenden Tätigkeiten des Klägers erkennbar, jedenfalls soweit es die Aufnahme der Tätigkeit, also das Eingehen des Arbeitsverhältnisses angeht.
2 e) Der Kläger hat die Tätigkeit auch gegen Entgelt ausgeübt. Dies ergibt sich formal zunächst aus dem damals geltenden Recht, wonach für die jüdischen Arbeitskräfte ein gesetzlicher Lohnanspruch bestand (vgl. Neunte Durchführungsverordnung zur Verordnung vom 31.10.1939 über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz im Generalgouvernement vom 15.12.1941 – VOBIGG 1942 S. 2). In der bereits erwähnten Anordnung des Generalgouverneurs F1 für die besetzten polnischen Gebiete an die Leiter der Abteilung Arbeit bei den Chefs der Distrikte und Leiter der Arbeitsämter im Bereich des Generalgouvernement vom 5.7.1940 zum Arbeitseinsatz der jüdischen Bevölkerung heißt es ausdrücklich unter IV. Entlohnung: " Bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Man überließ dies vielmehr den Judenräten. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitsfähigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsgemäße Entlohnung gefordert werden. Bei der lagermäßigen Unterbringung der zu Zwangsarbeiten einberufenen Juden, findet, wie schon erwähnt, keine Entlohnung, sondern nur eine Gewährung von Leistungsprämien als Anreiz zur Leistungssteigerung, die der Träger der Arbeit im Einvernehmen mit dem Arbeitsamt zu bestimmen hat, statt ..."
und weiter unten: " Bei den nicht zur Zwangsarbeit einberufenen, sondern vermittelten Arbeitskräften hat eine ordnungsgemäße Entlohnung auf Grund der noch zu erlassenden Tarifordnung zu erfolgen ... In diesen Fällen ist außerdem zu prüfen, ob der Lohn unmittelbar an den empfangsberechtigten Juden oder an den Judenrat, dem die soziale Betreuung der Juden und ihrer Familien aus Mitteln der Judengemeinde in erster Linie obliegt, zu zahlen ist. Die vermittelten jüdischen Arbeitskräfte sind von den Betriebsführern selbstverständlich zur Sozialversicherung anzumelden."
Die Form der Entgeltzahlung ist unerheblich. Zum Entgelt zählen sowohl Barlohn in der im Generalgouvernement weiter geltenden Währung des Zloty (vgl. Gutachten Seite 13 zu Ziffer 12) wie auch das in einigen Ghettos ausgegebene nur dort gültige "Ghetto- Geld" sowie Lebensmittelkarten und auch Sachbezüge in wesentlichem Umfang. Das Entgelt muss keine arbeitsangemessene Gegenleistung darstellen. Allein die Versorgung mit Mahlzeiten am Arbeitsplatz stellt jedoch kein Entgelt dar. Im Urteil des BSG betreffend die Verhältnisse im Ghetto Lodz (BSG 5 RJ 66/95) heißt es dazu: "Auszutauschende Werte sind die Arbeit einerseits sowie das dafür zu zahlende Arbeitsentgelt - der Lohn - andererseits. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen ("Sachen", § 90 BGB) bestehen, d.h. Bar- oder Sachlohn sein, § 160 Abs. 1 RVO a.F. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit ("Äquivalenz") der Leistungen braucht nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muss allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht ...".
Den Erhalt einer Gegenleistung für die geleistete Arbeit in einem Sinne, die über die bloße Versorgung mit Mahlzeiten am Arbeitsplatz hinausgeht, hat der Kläger behauptet. Der Kläger hat angegeben, er habe als Gegenleistung für seine Arbeit bei D2 & F. zusätzliche Lebensmittelkarten zum Unterhalt seiner Familie erhalten, die seine Mutter – zusammen mit den Lebensmittelkarten seiner Brüder und seines Vaters – für den Unterhalt der gesamten Familie verwenden konnte. Teilweise hätten die Lebensmittelkarten ausgereicht, um sie gegen andere notwendige Dinge auf dem Markt zu tauschen.
Die Behauptung ist auch glaubhaft. Es besteht zur Überzeugung der Kammer nach den zur Verfügung stehenden historischen Quellen, insbesondere nach der Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow und dem Gutachten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger ein solches Entgelt, wie von ihm behauptet, auch tatsächlich erhalten hat. Dabei ist zunächst hinzuweisen auf die Auskunft des Staatsarchivs Piotrkow, wonach zwar die Versorgungslage allgemein im Ghetto Piotrkow zeitweise verheerend war und vielfach fürchterlicher Hunger herrschte. Andererseits jedoch wird ausdrücklich ausgeführt, dass Juden maximal 500 Zloty verdienen durften und sogar zu einer zusätzlichen Besteuerung ihres Einkommens im März 1940 veranlagt wurden (Übersetzung Auskunft des Staatsarchivs, Seite 14). Dies ist ein eindeutiger und klarer Hinweis auf den Erhalt von Einkommen der jüdischen Bevölkerung im Ghetto. Im Übrigen steht fest, dass lediglich Teile der Lohnansprüche an die Arbeiter direkt ausgezahlt wurden, während der größere Teil des Anspruchs von den Judenräten dazu verwendet wurde, eine Infrastruktur im Ghetto zu errichten und aufrecht zu erhalten, die ein Überleben aller sichern sollte. Dies ähnelt in gewisser Weise den Verhältnissen in Kolchosen, für die trotzdem kein Zweifel am Lohn des jeweils Einzelnen nach gefestigter Rechtsprechung besteht (vgl. hierzu BSG 13 RJ 17/92 vom 31.03.1993 und BSG 13 RJ 19/97). Auch nach dem Gutachten (insbesondere Seite 13 ff) trifft es regelmäßig für die Ghettos im Generalgouvernement nicht zu, dass nur Lebensmittelrationen als Gegenleistung für die Arbeit ausgeteilt wurden. In einzelnen Betrieben im Ghetto Warschau wurde offenbar sogar für höhere Löhne gestreikt. Die gewährten Nahrungsmittel wurden vom festgelegten Lohn abgezogen, der – betrachtet man die Abhängigkeitsverhältnisse - sicherlich nicht in allen Fällen korrekt in voller Höhe ausgezahlt wurde, ebenso Zahlungen an den Judenrat. Aus dem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass es neben der kontingentierten Versorgung über Lebensmittelkarten einen freien Markt unter Verwendung von Geld gegeben hat, wenn auch vielleicht nicht in allen Ghettos so ausgeprägt wie in Warschau, (vgl. Gutachten Seite 15). Dass Geld auch im Ghetto Piotrkow im Umlauf war, zeigt neben der Steuererhebung ein Hinweis bei "shtetlinks", wonach im Ghetto Piotrkow im September 1940 eine Lösegeldsammlung durchgeführt wurde, um Männer, die aus Piotrkow stammten, aus Arbeitslagern in Lublin freizubekommen. Hierbei kann es sich allenfalls teilweise um mitgebrachtes Geld gehandelt haben, denn dieses war nach der Auskunft des Staatsarchivs bereits zu Beginn der Bildung des Ghettos eingezogen und das behalten mit strengen Strafen belegt worden.
Hinsichtlich der Tatsache, dass der Kläger wie viele andere Verfolgte nur angegeben hat, er habe für seine Arbeit zusätzliche Lebensmittelkarten erhalten, ist auf die oben unter b 2) ausgeführten möglichen Gründe für ein Verneinen des Erhalts von (geringen) Geldmengen zu verweisen. Hinzu kommt, dass nach allen der Kammer bekannten Schilderungen die Gegenleistung der Arbeit zwar wichtig war, weil sie über erhöhte Rationen den Lebensunterhalt der ganzen Familie sichern musste. Daneben war jedoch der durch Arbeit bestehende (vermeintliche) Schutz vor Deportation, den die Arbeit, die Arbeitskarten usw. darstellten, zu berücksichtigen, der subjektiv wichtiger war als die materielle Gegenleistung.
Selbst wenn man mit den Angaben des Klägers davon ausginge, dass die Verhältnisse - anders als von dem historischen Sachverständigen Professor Dr. G5 für das Generalgouvernement beschrieben und durch Auskunft des Staatsarchivs nahe gelegt ist – in Piotrkow anders gewesen wären als im übrigen Generalgouvernement und der Kläger nur Sachbezüge für seine Arbeit erhalten hat, wäre dies nicht grundsätzlich ein Hindernis für die Anerkennung von Entgeltlichkeit. Für die Entgeltlichkeit kommt es nicht darauf an, in welcher Form die Gegenleistung für die verrichtete Arbeit erbracht wird. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen ("Sachen", § 90 BGB) bestehen, d.h. Bar- oder Sachlohn sein (BSG 5 RJ 66/95).
Es kann dahin stehen, ob es zur Erfüllung der Voraussetzungen des ZRBG ausreicht, wenn Entgelt nur in Form freien Unterhalts "gezahlt" wurde (so wohl "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2. 2, Seite 7, anders BSG B 13 RJ 59/03 R). Denn an den Voraussetzungen der Entgeltlichkeit auch unter dem Maßstab der neueren Rechtsprechung des BSG besteht für die Kammer kein Zweifel. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben zumindest mehr erhalten als freien Unterhalt. Über bloßen freien Unterhalt für sich selbst hinaus stand ihm ein Teil zur freien Verfügung, mit dem er seine Familie teilweise mit ernähren konnte und seine Mutter noch Lebensmittelkarten tauschen konnte.
2. Die vom Kläger im Ghetto Piotrkow zurückgelegte Zeit, für die Beiträge nach § 2 Abs. 1 ZRBG als gezahlt gelten, ist auf die Wartezeit anrechenbar als Beitragszeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.
Voraussetzung für eine Anrechnung dieser Zeit zur Erfüllung der Wartezeit ist nicht, dass die Zeit bereits nach den Vorschriften des SGB VI, des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG, §§ 1, 20) oder des Fremdrentengesetzes (FRG), §§ 1, 16, 17 a) anrechenbar ist. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass eine Beziehung des Verfolgten zur deutschen Rentenversicherung während der Verfolgungszeit bestand, z.B. in dem Sinne, dass der Verfolgte (im Sinne des BEG) Vertriebener i.S. des Bundesvertriebenengesetzes oder Angehöriger des deutschen Sprach- und Kulturkreises (dSK) wäre (so aber Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen, LSG NRW vom 13.01.2006, L 4 RJ 113/04).
Dies ergibt zunächst die Auslegung des ZRBG anhand des Wortlauts. In § 2 Abs. 1 ZRBG wird festgelegt, dass Zeiten, die Verfolgte in Ghettos zurückgelegt haben und die den Anforderungen nach § 1 ZRBG entsprechen, als Beitragszeiten gelten. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. Ebenfalls spricht für diese Auslegung der Wortlaut des § 2 Abs. 1 ZRBG, in dem im Wege einer Legaldefinition eine Ghetto- Beitragszeit definiert wird, für die Beiträge als gezahlt gelten. Wenn jedoch das ZRBG in § 2 Abs. 1 Ziffer 1 festlegt, dass für solche Zeiten Beiträge direkt als "Beiträge nach der Reichsversicherungsordnung" als gezahlt gelten, kommt es auf die Anwendbarkeit des FRG nicht an und damit auch nicht auf die Zugehörigkeit des Betroffenen zum Personenkreis nach § 17 a FRG oder § 20 WGSVG, um reichsgesetzliche Zeiten begründen zu können. Ähnlich ist die Regelung im ZRBG für die Frage der Zahlbarmachung. Die Voraussetzungen des § 21 WGSVG müssen nicht erfüllt sein. Ghetto- Beitragszeiten gelten direkt und ohne Nachentrichtungsnotwendigkeit als Bundesgebietszeiten (§ 1 Abs. 1 Ziffer 2 ZRBG).
Das anhand der Auslegung nach dem Wortlaut gewonnene Ergebnis wird gestützt durch das Ergebnis der systematischen Auslegung. In § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ist geregelt, dass auch solche Zeiten als auf die Wartezeit anrechenbar sind, für die Beiträge als gezahlt gelten. Ferner sprechen für eine durch das ZRBG geschaffene eigenständige Beitragszeit, die zu den bis zum Erlass des ZRBG nach SGB VI bzw. RVO, WGSVG und FRG vorhandenen Möglichkeiten von Beitragszeiten für Verfolgte hinzu tritt, die Anforderungen an eine solche Zeit nach § 1 ZRBG, insbesondere das Erfordernis einer entgeltlichen Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss. Die Benennung dieser, den früheren Regelungen zwar ähnlichen, mit ihnen aber nicht identischen Voraussetzungen im ZRBG wäre nicht erforderlich gewesen, wenn lediglich, wie die Überschrift des Gesetzes unvollständig ausdrückt, mit dem ZRBG bereits bestehende Rentenansprüche ins Ausland zahlbar gemacht werden sollten. Denn dann hätte die Qualifikation einer Beschäftigung in einem Ghetto nach den bis zum Erlass des ZRBG geltenden Regeln, nämlich einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne der Vorschriften der RVO, des SGB VI mit den Besonderheiten des FRG und des WGSVG ausgereicht, und es hätte lediglich der Regelungen in § 2 Abs. 1 ZRBG für die Zahlbarmachung ins Ausland bedurft. Dasselbe Ergebnis zeigt sich, wenn man § 1 Abs.1 Satz 1 Ziffer 2 des ZRBG betrachtet, wonach Beschäftigungszeiten in Ghettos in vom Deutschen Reich besetzten Gebieten ebenso behandelt werden wie Zeiten in eingegliederten Gebieten, was nach dem vor Inkrafttreten des ZRBG geltenden Rentenrecht gerade nicht der Fall war. In den eingegliederten Gebieten wie z.B. Oberschlesien, in denen grundsätzlich Versicherungspflicht nach der RVO (mit bestimmten als nationalsozialistisches Unrecht zu vernachlässigenden Ausnahmen für die jüdische Bevölkerung) bestand, bedurfte es für die Anrechenbarkeit der Zeit in der deutschen Rentenversicherung regelmäßig keiner Zugehörigkeit zum dSK (auch BSG B 13 RJ 37/04 R spricht davon, dass in dieser Norm die Anspruchsberechtigung "örtlich ausgeweitet" wird). In den besetzten Gebieten wie dem Generalgouvernement, zu dem auch Piotrkow gehörte, wo solche Zeiten nur im Rahmen des FRG anrechenbar sein konnten, bedurfte es dagegen zusätzlich zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen einer dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung einer Zugehörigkeit zum dSK.
Ebenfalls für die hier vertretene Rechtsauffassung spricht die teleologische Auslegung des ZRBG. Zu nennen ist hier zunächst die im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung (Bundestags- Drucksache 14/8583) befindliche in folgenden zitierte Ausführung des Gesetzgebers: "Mit diesem Gesetz wird daher zugunsten von Verfolgten, die alle bereits das für die Regelaltersrente geltende Alter von 65 Jahren – teils erheblich- überschritten haben, im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Neuland betreten, wobei von bestimmten Grundsätzen sowohl im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten als auch der Erbringung von Leistungen ins Ausland abgewichen wird."
Hieraus ergibt sich eindeutig, dass der Gesetzgeber nicht nur, wie die Gesetzesüberschrift nahe legen könnte, die Regelungen des allgemeinen Auslandsrentenrechts zur Zahlbarmachung von Ansprüchen ins Ausland ergänzen, sondern auch im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten "Neuland betreten" wollte. Nur bei der hier vertretenen Auslegung liegt auch insoweit "Neuland" vor. Auch das LSG NRW erwägt die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber mit dem ZRBG einen neuen Beitragzeittatbestand schaffen wollte, hält sie jedoch nicht für durchschlagend wegen des Verweises in § 1 Abs. 2 ZRBG auf eine Ergänzung der Vorschriften des WGSVG, das auf Schadensausgleich in der Sozialversicherung ausgerichtet sei. Die Formulierung in der Gesetzesbegründung zum ZRBG, dass bei der Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten von bestimmten Grundsätzen des Rentenrechts abgewichen werde, ist jedoch so eindeutig, dass ein anderer Wille des Gesetzgebers als die Schaffung eines neuen Beitragszeittatbestands nicht erkennbar ist. Hierfür spricht ebenfalls der im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung zum ZRBG enthaltene Hinweis, dass auch eine Lösung dafür für nötig gehalten worden sei, dass Ansprüche aus Beschäftigungszeiten im Sinne von § 16 FRG nie ins Ausland gezahlt werden konnten. Auch insoweit ergibt sich die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Änderung durch das ZRBG nur, wenn wie hier angenommen wird, dass auch für Zeiten, die nach früherem Recht keine Versicherungspflicht begründen würden (auch nicht mit Hilfe des dSK) durch das ZRBG neue Beitragszeittatbestände geschaffen wurden. Das Ergebnis wird gestützt durch die Ausführungen des Gesetzgebers im Besonderen Teil der Begründung zu Artikel 1 Abs. 2 des ZRBG, nämlich zu den Folgen der Anwendbarkeit des WGSVG. Dort heißt es: " Bedeutung hat dies insbesondere für die dort zum Leistungsrecht getroffenen Regelungen über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Berücksichtigung von Anrechnungszeiten, die besondere Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten und die Bewertung von Verfolgungsersatzzeiten für pflichtversicherte Verfolgte. Weiterer ergänzender Regelungen bedarf es nicht, zumal die allgemein geltenden Vorschriften des Rentenrechts im SGB VI, insbesondere auch diejenigen über die Ermittlung von Entgeltpunkten (z. B. § 256 b SGB VI) Anwendung finden. Die übrigen Regelungen des rentenrechtlichen Teils des WGSVG über die Nachzahlung von Beiträgen und deren Berücksichtigung im Rahmen des Leistungsrechts brauchen wegen der in § 2 Abs. 1 für die Erbringung von Leistungen ins Ausland fiktiv angenommenen Gleichstellung von Ghetto- Beitragszeiten mit Bundesgebiets- Beitragszeiten nicht angewendet zu werden."
Es ist für die Kammer unvorstellbar, dass der Gesetzgeber einerseits in der Gesetzesbegründung zum ZRBG sehr detaillierte Ausführungen über einzelne Folgen der Regelung zur Geltung des WGSVG z. B. für Kindererziehungszeiten macht, jedoch eine so gravierende und für einen Großteil der Verfolgten anspruchsausschließende Folge nicht benennt, wie dies die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zum dSK wäre.
Zum selben Ergebnis führt die Betrachtung des "Bericht zur Umsetzung des ZRBG" vom 15.02.2005 des für den damaligen Gesetzesentwurf zuständigen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Dort ist auf Seite 7 ausdrücklich ausgeführt: "Aufgabe des ZRBG ist die Schließung einer letzten, im Zusammenhang mit dem Urteil des BSG aus dem Jahre 1997 entstandenen Lücke im Regelungskomplex der Ausgleichs- und Rentenleistungen an Verfolgte des Nationalsozialismus. Nachdem mit dem WGSVG und dem FRG für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Regelungen getroffen worden sind, die bei den Betroffenen die verfolgungsbedingt entstandenen Lücken in ihrer Versicherungsbiografie geschlossen haben, und nachdem mit dem Stiftungsgesetz Zwangsarbeitern Entschädigungen für erlittene Zwangsarbeit gewährt wurden, verfolgt das ZRBG zwei Ziele: 1. Die Anerkennung von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto im sozialversicherungsrechtlichen Sinne unabhängig davon, ob der Verfolgte zum Personenkreis des FRG oder des Deutschen Sprach- und Kulturkreises(DSK) gehört (§ 1 und 17 a FRG, 20 WGSVG) und 2. die Zahlung daraus resultierender Renten auch ins Ausland.
Ebenso eindeutig wird dies von den Rentenversicherungsträgern so gesehen (vgl. "Dienstanweisung zum ZRBG der Deutsche Rentenversicherung Bund vom 4.11.2005, Punkt 2" und "Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL N 22 – August 2004 zum ZRBG, R 3.2, Seite 6", wo es heißt: " Im Unterschied zur bisherigen Feststellung von Beitragszeiten von Verfolgten in den eingegliederten und besetzten Gebieten nach der BSG-Rechtsprechung ist nach dem ZRBG einer Anerkennung von Ghettobeitragszeiten unabhängig davon möglich, - welches Sozialversicherungsrecht (deutsches Recht oder weiter geltendes Recht des Aufenthaltsstaates) in dem betroffenen Gebiet seinerzeit galt, - ob die Beschäftigung nach dem in dem jeweiligen Gebiet geltenden Recht zur Versicherungspflicht geführt hätte und - ob gegebenenfalls die Voraussetzungen für die Anwendung des FRG (z. B. Personenkreis §§ 1,17a FRG oder Beitragsübergang nach § 17 Abs. 1 Buchst. b FRG a.F.) erfüllt sind. Das ZRBG reduziert die Anerkennungsvoraussetzungen auf das Grundelement der " frei gewählten " Beschäftigung gegen Entgelt."
3. Der Kläger bezieht für diese Zeit nicht bereits eine Leistung aus einem anderen System der sozialen Sicherung. Dies sind nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 14/8583) zu § 1 Abs.1 Satz 2 ZRBG ausländische soziale Sicherungssysteme, insbesondere Rentenversicherungen im Herkunfts- bzw. Wohnlandes des Verfolgten. Hier sind keinerlei Gesichtspunkte erkennbar, dass der Kläger aus Polen oder den USA entsprechende Leistungen für dieselben Verfolgungszeiten erhält.
II. Neben der Ghettobeitragszeit sind auf die Wartezeit beim Kläger verfolgungsbedingte Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI anzurechnen. Gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sind Ersatzzeiten u.a. Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und in denen Versicherte, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetzes sind, "in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz)". Ghetto- Beitragszeiten gelten als Beitragszeiten für eine Beschäftigung und haben die gleiche Wirkung wie Pflichtbeitragszeiten. Der Kläger ist Versicherter in diesem Sinne durch Anrechnung der Ghetto- Beitragszeit.
Gem. § 43 Abs. 1 Satz 1 2 BEG hat der Verfolgte Anspruch auf Entschädigung, wenn ihm in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 08. Mai 1945 die Freiheit entzogen worden ist, wobei gemäß § 43 Abs. 2 BEG Freiheitsentziehung im Sinne dieser Vorschrift insbesondere polizeiliche oder militärische Haft, Inhaftnahme durch die NSDAP, Untersuchungshaft, Strafhaft, Konzentrationslagerhaft und Zwangsaufenthalt in einem Ghetto sind. Nach § 43 Abs. 3 BEG ist der Freiheitsentziehung das Leben unter haftähnlichen Bedingungen, Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen und Zugehörigkeit zu einer Straf- oder Bewährungseinheit der Wehrmacht gleichgestellt.
Gem. § 47 Abs. 1 BEG hat der Verfolgte Anspruch auf Entschädigung, wenn er in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 08. Mai 1945 den Judenstern getragen oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Illegalität gelebt hat.
Ersatzzeiten nach § 250 Abs. 1 Ziffer 4 SGB VI sind im Fall des Klägers die von den Entschädigungsbehörden anerkannte Zeit vom Beginn des Zwangs zum Tragen des Judensterns ab Dezember 1939 sowie die Zeit nach dem Aufenthalt im Ghetto, nämlich im Zwangsarbeitslager Bugaj, in verschiedenen Konzentrationslagern bis zur Befreiung im Konzentrationslager Bergen- Belsen am 15.04.1945. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung am 09.02.2006 anerkannt, dass diese Ersatzzeittatbestände erfüllt sind. Außerdem bestehen Zeiten des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts ab September 1949 bis 31.12.1949, die ebenfalls als Ersatzzeiten in Frage kommen. Mit diesen Zeiten erfüllt der Kläger auch ohne die bisher nicht geklärten amerikanischen Zeiten, die nach dem deutsch- amerikanischen Sozialversicherungsabkommen ebenfalls auf die Wartezeit für eine Altersrente nach §§ 50 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI anrechenbar sind, die Wartezeit für eine solche Rente.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten Rechnung.
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