L 11 B 585/05 SO ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 70/05 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 B 585/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 20.09.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der Antragsteller (Ast) ist aufgrund eines am 13.07.1996 erlittenen Verkehrsunfalles querschnittsgelähmt und schwerstpflegebedürftig iS von §§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Ihm wurde die Pflegestufe III und die Voraussetzungen des § 36 Abs 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für die Annahme eines außergewöhnlich hohen Hilfebedarfes durch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasssen (MDK) in Bayern am 13.11.2002 zuerkannt. Hieraus ergibt sich auch der durchschnittliche Tagespflegebedarf.

Mit Bescheid vom 30.01.2003 bewilligte der Antragsgegner (Ag) dem Ast ab 01.08.2002 bis auf Weiteres Sozialhilfe zur häuslichen Pflege in Form eines ergänzenden häuslichen Pflegegeldes in Höhe von 221,67 EUR monatlich sowie in Form der Übernahme von Kosten besonderer Pflegekräfte in Höhe von 5.832,10 EUR monatlich. Darüber hinausgehende Sachleistungen wurden abgelehnt. Der Bescheid ist - unstreitig - bestandskräftig geworden.

Diese Leistungen der Sozialhilfe reichten nicht aus, um die Kosten aus der Pflege zu decken. Mit Schreiben vom 19.05.2005 wurde dem Ag mitgeteilt, dass das bislang aufgelaufene Defizit 43.069,44 EUR betrage.

Ab dem 01.01.2005 bewilligte der Ag dem Ast wiederum bis auf Weiteres Hilfe in Form der Übernahme der Kosten besonderer Pflegekräfte in Höhe von 6.172,38 EUR, wobei das ergänzende häusliche Pflegegeld in Höhe von 221,67 EUR nicht angerechnet wurde. Der Eigenanteil des Ast wurde auf monatlich 115,- EUR festgesetzt. Zur Bemessung der angemessenen Hilfe wurde nunmehr gemäß § 89 SGB IX ein Bedarf in Höhe von 266,95 EUR pro Tag für 24 Mann/Std pro Tag angesetzt. Dieser Bedarf setzt sich zusammen aus 2,5 Stunden Fachpersonal zu 27,66 EUR/Std, 5 Stunden Zivildienstleistenden u.ä. Personen zu 9,20 EUR/Std und 16,5 Stunden hauswirtschaftliche Betreuung und Versorgung zu 9,20 EUR/Std ...

Hiergegen erhob der Ast am 15.06.2000 Widerspruch, über den - soweit aus den Akten ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

Am 26.07.2005 beantragte er zudem beim Sozialgericht Augsburg (SG), den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihm 30.000,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen. Der Er- bringer der Pflegeleistungen habe mit Kündigung des Vertrages gedroht, falls der ausstehende Betrag nicht alsbald beglichen werde. Die bewilligten Leistungen reichten zur Deckung der Unkosten nicht aus.

Das SG lehnte mit Beschluss vom 20.09.2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen deshalb ab, weil die Sache nicht eilbedürftig sei und die Hauptsache nicht vorweggenommen werden dürfe.

Hiergegen hat der Ast am 13.10.2005 Beschwerde beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.

Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Ast sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hat der Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41). Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236).

Dem Ast ist es während der gesamten Dauer des anhängigen Beschwerdeverfahrens nicht ansatzweise gelungen, der Entscheidung des SG, seine Rechtssache sei nicht eilbedürftig, entgegenzutreten. Nach Auffassung des Senats müssen mehr als sechs Monate Rechtshängigkeit ausreichend sein, um zumindest die Frage der Eilbedürftigkeit, die das SG zur Grundlage seiner ablehnenden Entscheidung gemacht hat, substanziert in Zweifel zu ziehen. Der Ast macht nach wie vor die Übernahme von Schulden geltend, die bis in das Jahr 2002 zurückreichen und die er eingegangen ist, um Pflegeleistungen aufrecht zu erhalten, die in seinem Sinn erforderlich sind.

Zur Eilbedürftigkeit der Entscheidung gab er unter dem 18.08.2005 lediglich an, die K.-Stiftung habe die gerichtliche Geltendmachung der rückständigen Beträge angekündigt und die Kündigung des abgeschlossenen Vertrages angedroht. Mittel zur Glaubhaftmachung waren diesem Schreiben nicht beigefügt. Dem Schreiben vom 20.07.2005, mit dem die Vertragsbeendigung und die Einstellung der Dienste angekündigt wird, wenn der Ast nicht innerhalb von 7 Tagen ("bis zum 27.07.2005") den Rechnungsbetrag in Höhe von 42.716,06 EUR überweist, misst der Senat keine Beweiskraft zu, da seinerzeit bereits offenkundig war, dass der Ast den Betrag innerhalb von sieben Tagen nicht aufbringen kann. Zudem besteht das Vertragsverhältnis trotz Nichtleistung bis heute fort, so dass es sich bei diesem Schreiben offensichtlich um ein bloßes Gefälligkeitsschreiben des Leistungserbringers handelt. Die Stellungnahme vom 28.04.2006 stützt diese Auffassung, wenn der Ast hier im Eilverfahren lediglich noch eine feststellende Entscheidung zu den laufenden Leistungen erlangen will und wegen angeblicher Vertragsbeendigung nur die bisherigen Ankündigungen wiederholt, ohne aktuelle Erklärungen des Leistungserbringers nachzureichen. Der Ast ist nach alledem zumutbarerweise und insbesondere zur etwaigen weiteren ggf. umfangreichen Sachverhaltsaufklärung auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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