L 9 AL 786/03

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 757/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 786/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Einsicht in die Unvereinbarkeit der Aufnahme einer versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigung mit einer Fortdauer von Arbeitslosigkeit als Arbeitslosengeldanspruchsvoraussetzung genügt eine durchschnittliche Einsichts- und Kritikfähigkeit des Betroffenen.

2. Die Lebenserfahrung spricht für das Erkennen-Können von augenfällig rechtsfehlerhaften Doppelleistungen – hier: Zusammentreffen von nachträglichen Entgelt- und Arbeitslosengeldzahlungen für denselben Zeitraum - seitens eines durchschnittlich einsichtsfähigen Betroffenen, und die Rechtsordnung setzt das Erkennen-Müssen derselben bei Erzielen von Einkommen nach Erlass des Verwaltungsaktes in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X regelhaft voraus.

3. Vor den Gutschriften rechtsfehlerhafter Arbeitslosengeldzahlungen auf seinem Konto darf der Betroffene im Zeitpunkt der Kenntnisnahme (Anschluss an BSG vom 15. Februar 1979 – 7 RAr 63/77) auch dann nicht die Augen verschließen, wenn er zuvor seiner Mitteilungsobliegenheit gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bezüglich seiner Beschäftigungsaufnahme ordnungsgemäß nachgekommen ist.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Aufhebung einer Arbeitslosengeld-Bewilligung für den Zeitraum 29. April 2000 - 29. Juli 2000 und die Verpflichtung zur Leistungserstattung in Höhe von 3.427,26 DM.

Die 1968 geborene Klägerin erwarb 1994 den Realschulabschluss und war zuletzt als Stationshilfe in einem Seniorenheim beschäftigt. Die Beklagte bewilligte ihr Arbeitslosengeld: durch Bescheid vom 2. März 2000 ab 1. Februar 2000 in Höhe von 254,38 DM wöchentlich sowie durch Bescheid vom 26. Juli 2000 ab 22. Juni 2000 in Höhe von 269,85 DM wöchentlich. Die Klägerin ging im Zeitraum 29. April 2000 - 31. Dezember 2000 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Aushilfe bei Bedarf mit wechselnder wöchentlicher Arbeitszeit bei den Seniorenwohnanlagen SWA K. nach. Die Klägerin teilte der Beklagten die Beschäftigungsaufnahme nach eigenen Angaben Anfang Mai 2000, jedenfalls mit schriftlicher Veränderungsmitteilung vom 25. Mai 2000 mit.

Die Beklagte hob durch Bescheid vom 9. März 2001 die Arbeitslosengeldbewilligung gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) mit Wirkung vom 29. April 2000 auf, weil die Leistungsempfängerin seit diesem Zeitpunkt in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und ihrer diesbezüglichen Mitteilungspflicht nach § 60 SGB I nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Die eingetretene Arbeitslosengeldüberzahlung bis 29. Juli 2000 in Höhe von 3.427,26 DM habe sie nach § 50 SGB X zu erstatten. - Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein.

Die Beklagte gab der Klägerin Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme (Anhörung). Die Klägerin gab an, der zuständigen Mitarbeiterin beim Arbeitsamt K. die Aufnahme der Beschäftigung sowie den Zeitpunkt der Auszahlung des ersten Gehalts am 15. Juli 2000 im Beisein eines Bekannten termingerecht im Mai 2000 mitgeteilt zu haben. Deshalb sei sie sich bei Eingang der weiteren Arbeitslosengeldzahlungen keiner Schuld bewusst gewesen.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 18. April 2001 als unbegründet zurück und bestätigte ihre auf §§ 45, 48, 50 SGB X und 330 SGB III gestützte Entscheidung: Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung sei zutreffend ergangen, weil der Arbeitslosengeldanspruch der Widerspruchsführerin gemäß §§ 117, 118 SGB III infolge ihres versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ab 29. April 2000 in einem Umfang von 15 Wochenstunden und mehr entfallen sei. Der Zeitpunkt des Zuflusses der ersten Entgeltzahlung (am 15. Juli 2000) sei unerheblich.

Die Klägerin hat am 30. April 2001 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben, sich gegen die Verwaltungsentscheidung der Beklagten gewandt und den gegen sie erhobenen Vorwurf einer schweren Sorgfaltspflichtverletzung zurückgewiesen. Sie habe sich Anfang Mai im Beisein ihres Bekannten V. W. bei dem Arbeitsamt persönlich aus der Arbeitslosigkeit abgemeldet und frage sich, warum dieses trotzdem Zahlungen ohne Rechtsgrundlage geleistet habe. Auch hat die Klägerin die Höhe der Erstattungsforderung nicht nachvollziehen können. Sodann hat sie durch ihren anwaltlichen Bevollmächtigten ergänzen lassen: Sie habe die eingehenden Arbeitslosengeldzahlungen für rechtmäßig erachtet, daran keine Zweifel gehabt und auch nicht haben müssen und die erhaltenen Zahlungen als die ihr zustehenden verbraucht. Danach berufe sie sich auf Vertrauensschutz und Entreicherung.

Die Beklagte hat dagegen darauf verwiesen, dass die Bewilligungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben sei, wenn der Betroffene gewusst habe oder grob fahrlässig nicht gewusst habe, dass der Leistungsanspruch weggefallen sei. Die Klägerin hätte wissen müssen oder zumindest leicht erkennen können, dass ihr Leistungsanspruch mit ihrer Arbeitsaufnahme weggefallen sei. Das Merkblatt für Arbeitslose, von dessen Inhalt sie aufgrund unterschriftlicher Bestätigung Kenntnis genommen habe, erteile ausführliche Hinweise zu Fragen der Arbeitslosigkeit, auch den Hinweis, dass die Aufnahme einer Beschäftigung dem Arbeitsamt sofort zu melden sei. Danach habe die Klägerin wissen müssen, dass ihr keine Arbeitslosengeldleistungen zustünden, wenn sie eine Tätigkeit mit einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden ausübe. Ihre Auffassung, es handele sich um rechtmäßige Zahlungen, könne nicht nachvollzogen werden. Es werde nicht bestritten, dass die Überzahlung des Arbeitslosengeldes durch fehlerhaftes Handeln des Arbeitsamtes teilweise mit verursacht worden sei.

Das Sozialgericht Kassel hat durch Urteil vom 10. Juli 2003 die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen auf die folgenden Gründe gestützt: Die Voraussetzungen der Aufhebung der Leistungsbewilligung gemäß § 330 SGB III i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ab 29. April 2000 sowie die Voraussetzungen der Rücknahme der Leistungsbewilligung gemäß § 330 SGB III i. V. m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ab 22. Juni 2000 seien erfüllt. Maßgeblich sei, ob ein Betroffener gewusst habe oder nicht gewusst habe, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei bzw. ob ein rechtswidrig Begünstigter die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe; grobe Fahrlässigkeit setze eine besonders grobe und auch subjektiv nicht entschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteige. Pflichtwidrigkeit und Schuldhaftigkeit bezüglich der Kenntnis der Rechtswidrigkeit einer bewilligenden Entscheidung habe das Bundessozialgericht dann bejaht, wenn der Betroffenen die erforderliche Einsicht in die Erheblichkeit der betreffenden Tatsachen hatte oder haben konnte (Bezugnahme auf BSGE 47, 28, 33). Subjektiv unentschuldbar sei ein Verhalten immer dann, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt würden, wenn also nicht beachtet werde, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsse. Bei der Beurteilung des Grades des Verschuldens sei die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen, das Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände zu berücksichtigen, dem Betroffenen sei deshalb auch eine eigene rechtliche Wertung eingeräumt. Vorliegend hätte die Klägerin die Rechtswidrigkeit der nach Arbeitsaufnahme am 29. April 2000 erfolgten drei Arbeitslosengeldzahlungen Ende Mai, Ende Juni und Ende Juli 2000 leicht erkennen können. Die Gesamtumstände des Falles ließen den Schluss zu, dass die Klägerin mit ihrer Leistungsangelegenheit zu sorglos umgegangen sei, wenn sie die Unrechtmäßigkeit der im Zeitraum 29. April 2000 bis 29. Mai 2000 erfolgten Zahlungen nicht erkannt habe. Auch sei der seitens der Beklagten errechnete Erstattungsbetrag von 3.427,26 DM ausweislich der in der Leistungsakte der Beklagten befindlichen Zahlungsnachweise zutreffend.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 2003 am 25. August 2003 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Sie wendet sich mit der Berufung gegen die vorinstanzliche Entscheidung sowie die belastende Verwaltungsentscheidung der Beklagten. Zur Begründung der Berufung lässt sie durch ihren anwaltlichen Bevollmächtigten vortragen: Im Hinblick auf ihre Abmeldung aus der Arbeitslosigkeit bei dem Arbeitsamt im Mai 2000 habe sie überhaupt keinen Gedanken daran gehabt, dass sie weiterhin Leistungen von der Beklagten erhalten könne, auf die sie kein Anrecht habe. Sie berufe sich ausdrücklich auf ihre subjektive Wahrnehmung, wonach sie die Zahlung schlichtweg nicht wahrgenommen habe, was im Gegensatz zu den Feststellungen im Urteil entschuldbar sei. Die ihr unterstellte grobe Fahrlässigkeit werde als eine rein theoretische zurückgewiesen. Danach berufe sie sich auf Vertrauensschutz. Da ihr außerdem die von der Beklagten geleisteten Zahlungen nicht mehr zur Verfügung stünden, berufe sie sich auch auf Entreicherung.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und hält daran fest, dass die Klägerin hätte wissen müssen, dass ihr das für den Zeitraum vom 29. April 2000 bis 29. Juli 2000 gezahlte Arbeitslosengeld wegen ihrer Arbeitsaufnahme am 29. April 2000 nicht mehr zugestanden habe. Ob sie entreichert sei, sei rechtlich nicht erheblich. Die Beklagte hat nach Bekanntgabe der Kontoauszüge zum Girokonto der Klägerin die Auffassung vertreten, dass die Klägerin die Arbeitslosengeldzahlungen an sie über den 29. April 2000 hinaus aufgrund ihrer Verfügungen am Geldautomaten, der dabei jeweils automatisch angezeigten Kontostände wie auch aufgrund der während des streitbefangenen Zeitraums ausgedruckten Kontoauszüge habe erkennen können. Der Arbeitslosengeldbezug hätte ihr "geradezu ins Auge springen" müssen. Die Beklagte verweist darauf, dass die Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin nach den zwingenden und verschuldensunabhängigen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X bereits durch den Prozesskostenhilfe-Beschluss vom 22. September 2004 bejaht worden seien.

Das Gericht hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch Beiziehung der Kontoauszüge zu dem Girokonto der Klägerin bei der K. Sparkasse ermittelt. - Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann nach § 155 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis mit den Beteiligten durch den bestellten Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden; vorliegend haben beide Beteiligte das entsprechende Einverständnis erklärt (Kläger: mit Schreiben vom 9. Februar 2006; Beklagte: mit Schreiben vom 2. Februar 2006).

Die an sich statthafte Berufung (§ 143 SGG) ist unter Beachtung des Wertes des Beschwerdegegenstandes von über 500,00 Euro (hier: 1.752,33 Euro) nicht beschränkt (§ 144 Abs. 1 SGG) und auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG), eingelegt.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Juli 2003 ist nicht aufzuheben; das Sozialgericht hat die Klage rechtsfehlerfrei abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2001 ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 2. März 2000 sowie vom 26. Juli 2000 für den Zeitraum 29. April 2000 - 29. Juli 2000 gemäß § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sind erfüllt. Die Regelungen des § 48 SGB X sind vorliegend anwendbar, weil hier ein Leistungsanspruch nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung infolge einer wesentlichen Änderung der bei Erlass des Verwaltungsakts vorgelegenen Verhältnisse zum Ruhen kam oder wegfiel, was die Leistungsbewilligung nachträglich rechtswidrig machte: Nach Erlass des Bescheides vom 2. März 2000 fiel die der Bewilligung zugrunde liegende Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit im Zeitraum 29. April 2000 - 29. Juli 2000 infolge der Beschäftigungsaufnahme weg. Die Regelungen des § 48 SGB X sind weitergehend auch in Bezug auf den Bescheid vom 26. Juli 2000, durch den für den Folgezeitraum 22. Juni 2000 - 29. Juli 2000 erhöhte Leistung nach erhöhtem Bemessungsentgelt weitergewährt wurde, einschlägig, weil dieser Bescheid als ein Folgebescheid anzusehen ist, der auf dem rechtswidrigen Ausgangsbescheid aufbaute (BSG vom 27. Juli 2000 – B 7 AL 88/99 R).

Die Klägerin hatte im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Anspruch auf Arbeitslosengeld haben gemäß § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III Arbeitnehmer, die – bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen – arbeitslos sind. Arbeitslos sind gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB III Arbeitnehmer, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen (Beschäftigungslosigkeit); die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringerer Dauer bleiben unberücksichtigt. - Vorliegend befand sich die Klägerin im Zeitraum 29. April 2000 - 29. Juli 2000 in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu den Seniorenwohnanlagen SWA K., wie sich aus der aktenkundigen Arbeitsbescheinigung vom 20. Februar 2001 ergibt und von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen wird.

Die Klägerin war in Bezug auf die empfangenen streitbefangenen Arbeitslosengeldleistungen bösgläubig. Die Aufhebung eines rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes ist nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X davon abhängig, dass der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Die Regelung über vorwerfbares Nicht-Wissen ("Bösgläubigkeit") enthält eine inhaltliche Definition des Begriffs der groben Fahrlässigkeit (BSG vom 14. Februar 1985 – 7 RAr 27/84), welcher in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X spiegelgleich definiert ist. Die dazu in Schrifttum und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze einer subjektiven Sorgfaltspflicht sind entsprechend heranzuziehen. Das Maß der erforderlichen Sorgfalt richtet sich nach der persönlichen Einsichts- und Kritikfähigkeit des Begünstigten (subjektiver Sorgfaltsmaßstab) unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles (Hauck/Haines, SGB X, Kommentar, Loseblatt, 32. Lieferung, § 45 Rdnr. 42 m. w. N.). Danach ist grobe Fahrlässigkeit zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (ständige Rechtsprechung; zuletzt etwa BSG vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R). Die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel des rechtswidrigen Verwaltungsakts müssen für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar (augenfällig) sein, geradezu ins Auge springen (BSG vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 R). Ob einem Betroffenen eine eigene zutreffende rechtliche Wertung abverlangt werden kann, hängt davon ab, ob dieser die erforderliche Einsicht in die Erheblichkeit der maßgeblichen Tatsache hatte oder haben konnte (BSG vom 1. August 1978 - 7 RAr 37/77, in: SozR 4100 § 152 Nr. 6). Wenn Hinweise in Formularen, Schreiben und Verwaltungsakten überhaupt nicht gelesen werden, kann dies vorwerfbar sein (BSG vom 17. März 1981 – 7 RAr 30/80; vom 21. Mai 1974 – 7 RKg 8/73). Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand wird im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit begründen, wenn dieses so abgefasst ist, dass der Begünstigte seinen Inhalt erkannt hat oder ohne weiteres hat erkennen können und wenn die Aushändigung noch nicht zu lange zurück lag (von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Auflage, § 45 Rdnr. 24). Auch Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung, die nicht Bezugspunkt des grob fahrlässigen Nichtwissens sind, können Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu erkennen (LSG Sachsen vom 11. März 2004 – L 3 AL 236/01). Das Wissen oder Wissen-müssen, dass die Leistung nicht zusteht, muss in dem Zeitpunkt bestehen, in dem der Empfänger Kenntnis vom Empfang der Leistung erhält, wenn er seinen Kontostand einschließlich der Gutschrift der fraglichen Leistung erfahren hat (BSG vom 15. Februar 1979 – 7 RAr 63/77). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist vom Tatrichter im Einzelfall zu entscheiden und kann nicht abschließend durch feststehende Formeln bestimmt werden (BSG vom 1. August 1978 – 7 RAr 37/77).

Von den eingeführten Rechtsprechungsgrundsätzen ausgehend, hat die Klägerin als grobe Sorgfaltspflichtverletzung zu vertreten, dass sie die von der Beklagten auf ihr Girokonto bei der K. Sparkasse für den Leistungszeitraum 29. April 2000 - 29. Juli 2000 überwiesenen Arbeitslosengeldbeträge nicht mit dem ihr gegebenen Verständnis zur Kenntnis nahm.

Soweit die Klägerin im Verfahren geltend macht, sie habe nach ihrer subjektiven Wahrnehmung "die Zahlung schlichtweg nicht wahrgenommen" (Schriftsatz vom 17. September 2003), ist dies durch die Auskunft der K. Sparkasse vom 17. Januar 2006 in Verbindung mit den übersandten Kontoauszügen widerlegt und unwahr: Die Klägerin hatte im streitrelevanten Zeitraum am Geldautomaten ihres Bankinstituts mit ihrer SparkassenCard mehrfach Abhebungen getätigt, dabei ihren jeweiligen Kontostand erfahren und darüber hinaus mehrfach dem Kontoauszugsdrucker ihres Bankinstituts Kontoauszüge entnommen, wie auf den beigezogenen Kontoauszügen jeweils mit laufender Nummer, Datum und Uhrzeit vermerkt ist: Auszug Nr. 7 am 12. Mai 2000, Nr. 8 am 26. Mai 2000, Nr. 9 am 10. Juni 2000, Nr. 10 am 4. Juli 2000, Nr. 11 am 12. Juli 2000, Nr. 12 am 14. Juli 2000, Nr. 13 am 26. Juli 2000, Nr. 14 am 21. Juli 2000.

Soweit die Klägerin – zuletzt in der mündlichen Verhandlung – ihr Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der im streitbefangenen Zeitraum an sie erfolgten Arbeitslosengeldzahlungen behauptet, lässt dieser Argumentation jedenfalls ihre grobe Sorgfaltspflichtverletzung außer Acht. Bei durchschnittlicher Einsichts- und Kritikfähigkeit, über die die Klägerin nach ihrem Auftreten in der mündlichen Verhandlung verfügt, ist der Wertung in der Laiensphäre ohne weiteres zugänglich, dass Arbeitslosenleistungen Arbeitslosigkeit voraussetzen und dass letzteres mit der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung unvereinbar ist. Die Lebenserfahrung spricht sodann insbesondere für das Erkennen-Können von rechtsfehlerhaften Doppelleistungen – hier: Zusammentreffen von nachträglichen Entgelt- und Arbeitslosengeldzahlungen für denselben Zeitraum – seitens durchschnittlich einsichtsfähiger Betroffener – wie die Klägerin -, und die Rechtsordnung setzt das Erkennen-Müssen derselben in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X bei Erzielen von Einkommen nach Erlass des Verwaltungsaktes regelhaft voraus. Danach durfte die Klägerin vor den augenfällig rechtsfehlerhaften Überzahlungen nicht die Augen verschließen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 14. Mai 1990 – 6 S 1132/88), als sie die Arbeitslosengeldgutschriften auf ihrem Girokonto (am 28. April 2000 1.090,20 DM; am 31. Mai 2000 1.126,54 DM; am 30. Juni 2000 1.090,20 DM; am 31. Juli 2000 1.117,95 DM + 19,89 DM), die mit "Zahlungseingang ARBAMT K. [Monat] 2000" verständlich gekennzeichnet sind, aus Anlass von Barabhebungen am Geldautomat und nach der Entnahme von Kontoauszügen am Kontoauszugsdrucker zur Kenntnis nahm. Das Handeln der Klägerin ist im Übrigen ein Indiz dafür, dass ihre Beschäftigungsaufnahme am 29. April 2000 auch für sie einsehbar eine für den Arbeitslosengeldanspruch leistungsrechtlich erhebliche Tatsache war; denn sie hatte die Beklagte darüber im Mai 2000 informiert. Auch genügten die intellektuellen Fähigkeiten der Klägerin für das Verständnis des ihr zuletzt am 6. Februar 2000 mit der Obliegenheit zur Kenntnisnahme ausgehändigten Merkblatts für Arbeitslose, von dem sie später argumentativen Gebrauch zu ihren Gunsten machte (siehe Klagebegründung vom 2. Juli 2001/Eingangsdatum). Die von Anbeginn im Vordergrund ihres Vorbringens stehende Überzeugung der Klägerin, die Arbeitslosengeldüberzahlung selbst nicht verschuldet zu haben, sowie der von ihr zuletzt in der mündlichen Verhandlung problematisierte Zeitpunkt der Entgeltzahlung im Arbeitsverhältnis berührten den Status ihrer Arbeitslosigkeit – auch für die Klägerin erkennbar – nicht. Dass die Klägerin auch die rechnerische Richtigkeit der Erstattungsforderung durchgängig bestritt, ohne dieselbe jemals rechnerisch – etwa anhand ihrer Kontoauszüge – überprüft zu haben, macht ihre Behauptung von Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der unrechtmäßig erlangten Geldzahlungen nicht glaubhafter.

Gegen den wie vorstehend konkretisierten Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung kann sich die Klägerin ersichtlich nicht mit einer Einhaltung ihrer Mitteilungsobliegenheit gegenüber der Beklagten entschuldigen. Es kann deshalb für die Entscheidungsbegründung dahinstehen, ob die Klägerin Anfang Mai 2000 bei der Beklagten persönlich vorgesprochen hat, was sie unter Beweis stellt. Allerdings wäre der behauptete Zeitpunkt (Anfang Mai 2000) im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme (29. April 2000) sowieso nicht unverzüglich.

Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit dem Mitverschulden der Beklagten, welches diese eingeräumt hat (Schriftsatz vom 25. September 2001), entschuldigen, weil es darauf nach den Entscheidungsgrundlagen (§ 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X) nicht ankommen kann. Die gebundene Entscheidung gemäß § 330 Abs. 3 SGB III lässt auch die Berücksichtigung einer von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin für möglich erachtete Verhinderung eines Sozialhilfebezugs im streitbefangenen Zeitraum durch die Arbeitslosengeldüberzahlungen als Ermessensgesichtspunkt bei atypischer Fallgestaltung nicht zu.

Schließlich stützt der Prozessbevollmächtigte seine Klagebegründung ohne Erfolg auf zivilrechtliche Grundlagen, welche im Sozialrechtsverhältnis, das ein öffentlich-rechtliches und kein zivilrechtliches ist, nicht umstandslos zur Anwendung gelangen: Der Heranziehung von § 242 Bürgerliches Gesetzbuch zur Begründung von Vertrauensschutz im Sozialrechtsverhältnis stehen die oben angeführten sozialrechtlichen Bestimmungen (§ 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X) generell entgegen. Für die Einwendung des Wegfalls der Bereicherung nach nicht gerechtfertigter Vermögensverschiebung entsprechend § 818 Abs. 3 BGB – allerdings auch nur bei Ausschluss des Bösgläubigkeitstatbestands nach § 819 Abs. 1 BGB - existiert im Sozialrecht keine Rechtsgrundlage (BSG vom 15. Februar 1979 – 7 RAr 63/77).

Der Erstattungsbetrag von 3.427,26 DM entsprechend 1.752,33 Euro ist von der Beklagten zutreffend durch Addition der Zahlbeträge im streitbefangenen Leistungszeitraum errechnet:

• 72,38 DM für 29.04.2000 – 30.04.2000
• 1126,54 DM für Mai 2000
• 1110,09 DM für Juni 2000
• 1117,95 DM für 01.07.2000 – 29.07.2000
3.427,26 DM

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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