S 25 KR 283/06 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 283/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtsfolge des Unterbleibens eines Hinweises nach § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist nicht, dass die Mitgliedschaft als Pflichtmitgliedschaft fortgesetzt wird, sondern dass eine freiwillige Mitgliedschaft begründet wird, aus der der Versicherte jederzeit rückwirkend austreten kann.
I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Nachzahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen aus dem Jahr 2004 in Höhe von 3.431,31 EUR. Der Antragsteller war seit 01.02.2003 pflichtversichertes Mitglied der Antragsgegnerin. Er ist Angestellter des Freistaates Sachsen in der Vergütungsgruppe 1B (BAT Lehrer). Im Jahr 2003 bezog er ein Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze, ebenso im Jahr 2004. Auf die sich daraus ergebende Möglichkeit des Austrittes aus der Antragsgeg-nerin zum 01.01.2004 hat diese den Antragsteller nicht hingewiesen. Seit 01.01.2005 ist der Antragsteller freiwilliges Mitglied bei einer anderen Krankenkasse. Der Antragsteller trägt vor, er habe am 22.12.2003 seine Krankenversicherung schriftlich zum 31.12.2003 gekündigt, weil er von seinem Arbeitgeber darüber informiert worden sei, dass er sich ab 01.01.2004 wieder freiwillig versichern müsse. Die Antragstellerin behaup-tet dagegen, ein Kündigungsschreiben vom 22.12.2003 sei bei ihr nicht eingegangen. Mit Datum vom 27.05.2004 beantragte der Antragsteller eine Kündigungsbestätigung zum 31.12.2003. Mit Datum vom 01.06.2004 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller darüber, dass für ihn seit dem 01.01.2004 keine Neuanmeldung des Arbeitgebers, die we-gen des Beitragsgruppenwechsels nötig sei, vorliege. Mit diesem Schreiben wurde der Antragsteller weiterhin darüber informiert, dass er erst nach Ablauf der 18-Monats-Frist zu einer anderen gesetzlichen Krankenversicherung wechseln könne und dass diese Frist nicht für einen Wechsel zu einer privaten Krankenversicherung gelten würde. Mit Schreiben vom 05.07.2004 verlangte der Antragsteller von der Antragsgegnerin eine Kündigungsbes-tätigung zum 31.07.2004. Daraufhin bestätigte diese die Kündigung zum 31.12.2004. Für das Jahr 2003 hat der Arbeitgeber des Antragstellers keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung an die Antragsgegnerin abgeführt, jedoch Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 2.981,77 EUR an den Antragsteller überwiesen. Mit Datum vom 26.09.2005 erließ die Antragsgegnerin einen Beitragsbescheid, mit dem sie vom Antragsteller monatliche Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversiche-rung für Januar bis März 2004 in Höhe von 505,68 EUR und für April bis Dezember 2004 in Höhe von 540,56 EUR forderte. Sie wies außerdem darauf hin, dass sich aus dem Jahr 2004 ein Rückstand von 6.382,08 EUR ergeben würde und bot gegebenenfalls eine Raten-zahlungsvereinbarung an. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Datum vom 22.10.2005 Widerspruch ein. Er akzeptiere lediglich einen Teilbetrag in Höhe von 2.981,77 EUR, weil er in dieser Höhe von sei-nem Arbeitgeber einen Zuschuss erhalten habe. Die weiteren Beiträge seien verwirkt. Er habe die Beiträge verbraucht und über den ganzen Zeitraum habe die Antragsgegnerin nichts zur Durchsetzung ihres Rechts getan. Auf Grund verschiedener telefonischer Aus-künfte von Mitarbeitern der Antragsgegnerin habe der Antragsteller davon ausgehen kön-nen, dass er weiter pflichtversichert sei. Hilfsweise werde mit Schadensersatzansprüchen aufgerechnet, die dem Antragsteller zustehen würden, weil er nicht über die Austrittsmög-lichkeit informiert worden sei. Mit Datum vom 23.02.2006 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass zusätzlich zum ge-forderten Beitrag Säumniszuschläge in Höhe von 34,00 EUR fällig wären. Mit Datum vom 25.11.2005 beantragte der Antragsteller, wiederum vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, bei der Antragsgegnerin die sofortige Vollziehbarkeit des Bei-tragsbescheides auszusetzen. Nach dem dieser Antrag mit Datum vom 20.12.2005 abge-lehnt worden war, beantragte der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Dresden mit Schreiben vom 17.05.2005. Der Antragsteller ist der Ansicht, er sei 2004 weiterhin pflichtversichert gewesen, weil dies die Rechtsfolge sei, die sich aus § 190 Abs. 3 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetz-buches (SGB V) ergebe, wenn die Krankenkasse keinen Hinweis über die Austrittsmög-lichkeit erteile. Schuldner der Beiträge für die Pflichtmitgliedschaft sei aber der Arbeitge-ber des Antragstellers. Fraglich sei schon, ob überhaupt die aufschiebende Wirkung des Widerspruches nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entfalle, weil nicht laufende Beiträge, sondern solche aus dem Vorjahr gefordert würden. Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des Teil-Widerspruches vom 22.10.2005 gegen den Betragsbescheid der Antragsgegnerin vom 26.09.2005 anzuordnen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie vertritt die Ansicht, dass der Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg habe und die Voll-ziehung des angegriffenen Bescheides keine unbillige Härte zur Folge hätte. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig, weil der Hinweis auf die Austrittsmöglichkeit entbehrlich gewesen sei. Dem Antragsteller sei durch seinen Arbeitgeber bereits mitgeteilt worden, dass keine Versicherungspflicht mehr bestehen würde. Wenn der Antragsteller nicht in der Lage sei, den geschuldeten Betrag in einer Summe aufzutreiben, dann könne er einen An-trag auf Ratenzahlung stellen. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Antragsteller mitgeteilt, dass er über ein Nettoeinkommen von monatlich 2.425,48 EUR und über keine Vermögenswerte verfüge. Aus der eingereichten Bezügemitteilung geht jedoch hervor, dass der Antragsteller bei der GZ-Bank ein Konto unterhält, auf das sein Arbeitgeber vermögenswirksame Leistungen ab-führt. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Akte und der gerichtlichen Verfahrensakte mit den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26.09.2005 war als unbegründet abzuweisen, denn die notwendige Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil keine ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen und weil die Vollziehung für den Antragsteller keine unbillige Härte zur Folge hat. a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungs-klage sind jeweils gegen Verwaltungsakte zulässig. In der Hauptsache wendet sich der Antragsteller gegen einen Verwaltungsakt, wobei das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung, § 86a Abs. 1 SGG. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 Alternative 2 SGG entfällt jedoch bei einer Entscheidung über Beitragspflichten, wie sie im vorliegenden Bescheid vom 26.09.2005 getroffen wurde, die aufschiebende Wirkung. Eine Einschränkung dahingehend, dass die aufschiebende Wirkung nur bei Beitragspflich-ten für einen aktuellen Zeitraum entfalle, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Sie kann auch nicht durch Auslegung in die Regelung hineininterpretiert werden, weil Ziel der Re-gelung ist, die Funktionsfähigkeit der Leistungsträger zu sichern. Dabei kommt es darauf an, dass viele – an sich nicht unbedingt für die Funktionsfähigkeit notwendige – Beiträge nicht durch Rechtsmittel verzögert werden können. Für die Funktionsfähigkeit der Leis-tungsträger kommt es aber nicht darauf an, aus welchem Zeitraum sich eine Beitragspflicht ergibt. b) Bei dem Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung und unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage in der Hauptsache. Aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage in den in § 86a Abs. 2 SGG genannten Fällen ist für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur Raum, wenn das Privatinteresse Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an einem Sofortvollzug hat. Deswegen kommt die Anord-nung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides in Betracht oder wenn die Vollziehung für den Pflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Inte-ressen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. dazu auch die Regelung in § 86a Abs. § Satz 2 SGG). (1) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 26.09.2005. (a) Die Beitragspflicht des Antragstellers ist nicht – wie er meint – deshalb ausgeschlossen, weil er 2004 nicht freiwillig, sondern pflichtversichert gewesen sei. § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt zwar, dass die Mitgliedschaft nur ende, wenn der Austritt erklärt wird. Mit Mitgliedschaft ist jedoch nicht die Pflichtmitgliedschaft gemeint. Das SGB V benutzt diesen Begriff für Pflichtmitglieder und freiwillige Mitglieder gleichermaßen, vgl. beispielsweise die Überschrift des Ersten Titels des Dritten Abschnittes des SGB V und die Regelungen in den Paragrafen dieses Titels. § 190 Abs. 3 SGB V führt also dazu, dass nach dem Erlöschen der Pflichtmitgliedschaft nicht die Mitgliedschaft endet, sondern dass unter den Voraussetzungen des § 190 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V die Mitgliedschaft als freiwillige Mitgliedschaft fortgesetzt wird, vgl. Hauck in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch Gesamtkommentar/SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung, Stand Juli 2005, K § 190 Rdnr. 6. Dies gilt unabhängig davon, ob die Krankenkasse auf die Austrittsmöglichkeit hingewiesen hat oder nicht. Auch die vom Antragsteller erwähnten telefonischen Auskünfte von Mitarbeitern der An-tragsgegnerin führen nicht dazu, dass eine Pflichtmitgliedschaft bestehen würde, weil al-lein mit einer mündlichen Auskunft eine solche Rechtsfolge gar nicht ausgelöst werden kann. (b) Die Beitragspflicht ist auch nicht ausgeschlossen, weil der Antragsteller sein Austrittsrecht wirksam ausgeübt hat. Als Rechtsfolge des unterbliebenen Hinweises über das Aus-trittsrecht besteht zwar die Möglichkeit des Versicherten, jederzeit rückwirkend den Aus-tritt aus der freiwilligen Versicherung erklären zu können, so auch Thüringer Landessozi-algericht, Urteil vom 30.08.2005, Az. L 6 KR 39/04; Klose in: Jahn/Klose, Sozialgesetz-buch für die Praxis/Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung, Stand Mai 2005, § 190 Rdnr. 26; Hauck a.a.O.; Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung – Pflege-versicherung, Stand April 2005, § 190 Rdnr. 20 sowie Becker in: Wannagat, Sozialgesetz-buch/Gesetzliche Krankenversicherung, Stand Februar 2005, § 190 SGB V Rdnr. 17 m.w.N. auch zur Gegenauffassung). Der von Köster (in von Maydell, Gemeinschaftskom-mentar zum Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung, Stand Oktober 2002, § 190 Rdnr. 11) vertretenen Gegenauffassung ist nicht zu folgen, da die zur Begründung angeführte Anreizwirkung wegen der im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsan-spruchs drohenden rückwirkenden Austrittsmöglichkeit zu vernachlässigen sein dürfte, vgl. Thüringer Landessozialgericht, a.a.O. Eine rückwirkender Austritt ist jedoch nicht mehr möglich, wenn in Kenntnis der Sach- und Rechtslage die Mitgliedschaft bestätigt wird, vgl. Baier a.a.O.; Becker a.a.O. Vorliegend hat der Antragsteller jetzt deutlich zu erkennen ge-geben, dass er im Jahr 2004 bei der Antragsgegnerin Mitglied bleiben möchte. Er vertritt lediglich die Ansicht, nicht freiwillig versichertes Mitglied, sondern pflichtversichertes Mitglied zu sein. (c) Die Beiträge sind auch nicht verwirkt. Neben dem Zeitelement muss für eine Verwir-kung immer auch ein Umstandselement dazu kommen. Ein solches liegt vor, wenn der Verpflichtete auf Grund des Verhaltens des Berechtigten sich darauf einrichten konnte, dass dieser sein vermeintliches Recht nicht mehr geltend machen werde. Keinesfalls konn-te der Antragsteller darauf vertrauen, dass er bei der Antragstellerin versichert sei, ohne dass dafür Beiträge abgeführt werden müssten. Er hat – nach eigenem Vortrag – schon im Jahr 2004 bemerkt, dass die Krankenversicherungsbeiträge nicht von seinem Brutto-Gehalt abgezogen wurden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin sich in einer Weise verhalten hat, aus der der Antragsteller schließen konnte, er müsse keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mehr abführen. (d) Die Beitragspflicht ist auch nicht durch Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch erloschen. Für den Antragsteller ist kein Schadensersatzanspruch gegenüber der Antragsgegnerin ersichtlich, denn der fehlende Hinweis zur Austrittsmöglichkeit ist schon nicht kausal für den unterbliebenen Austritt geworden, weil der Antragsteller – wie er sel-ber angegeben hat – wusste, dass er sich hätte privat versichern können. (2) Bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides fällt die Interessenab-wägung im Rahmen der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus. Vorliegend ist darüber hinaus auch keine unbillige Härte für die Antragstellerin zu erkennen. Der Antragsteller hat keine Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich diese unbillige Härte ergibt. Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf hinge-wiesen, dass die Möglichkeit besteht, die Beiträge in Raten abzubezahlen. Bei dem ver-hältnismäßig hohen Einkommen des Antragstellers hat dieser keine Umstände dargetan, aus denen sich ergibt, dass eine solche Ratenzahlung nicht möglich ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
Rechtskraft
Aus
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