L 4 KR 74/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 KR 775/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 74/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger als Tätowierer versicherungspflichtig nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz ist.

Der 1968 geborene Kläger hat nach seinen eigenen Angaben von 1995 bis 1997 den Beruf eines Zierpflanzengärtners erlernt und ist bereits seit 1996 als Tätowierer und Zeichner selbständig tätig. Am 30.08.1999 hat er bei der Stadt L. ein Gewerbe angemeldet (Verkauf von Südostasiatischer Holzschnitzkunst, südostasiatischen Souveniers, Tee und Kerzen, Tätowieren, Piercing). Der Betriebsbeginn sollte am 01.10.1999 sein. Mit Schreiben vom 10.09.2002 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, er möchte mit seiner Familie bei ihr krankenversichert sein. Ihm wurde daraufhin der Fragebogen zur Prüfung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz zugesandt. Darin gab er an, aus der selbständigen Tätigkeit, Verkauf von Piercingschmuck etc. erwarte er für das laufende Kalenderjahr einen Gewinn von 4.000,00 Euro. Aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit gab er an, 18.000,00 Euro zu erwarten. Als Krankenkasse wählte er die AOK, bisher war er ohne gesetzliche Versicherung. Auf Anfrage der Beklagten gab er an, 80% seiner Muster selbst zu entwerfen und nur ca. 20% vorgegebene Motive zu tätowieren. Er verwende für das Tätowieren 45 Stunden pro Woche, der Verkauf laufe nebenher. Neben Kopien aus einer nicht genannten Zeitschrift, Tattoo und Piercing Shows betreffend, legte der Kläger einen Zeitungsbericht vor, in dem er als Lehrer von Tätowierern bezeichnet wird.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 30.05.2003 festgestellt, der Kläger unterliege nicht der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz. Die vom Kläger eingereichten Unterlagen und Bestätigungen seien nicht ausreichend für den Nachweis als anerkannter Künstler in Fachkreisen. Der Kläger hat hiergegen am 26.06.2003 Widerspruch eingelegt, in dem er darauf hinwies, es gebe in der Kunst des Tätowierens keine sogenannten Kunstausstellungen, so etwas werde eben Convention genannt und dabei würden die Arbeiten verschiedener Künstler vorgeführt und bewertet. Er habe an solchen Conventions teilgenommen und sei dort ein bekannter und anerkannter Künstler, der auch Preise mit nach Hause nehme.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2003 mit der Begründung zurückgewiesen, eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des KSVG liege nicht vor, wenn es an objektiven Hinweisen auf eine Anerkennung und gleichwertige Behandlung gerade in den maßgeblichen Kreisen der bildenden Künstler fehle. Die Teilnahme an Conventions reiche nicht aus.

Mit der hiergegen zum Sozialgericht München erhobenen Klage vertraten die Bevollmächtigten des Klägers weiter die Auffassung, der Kläger sei als Künstler versicherungspflichtig. Er sei Inhaber eines eigenen Studios, das zu 100% seinen Lebensunterhalt sichere. Er schaffe durch seine Kreativität und künstlerische Hand darstellende Kunst. Im Bereich des Tätowierens gebe es keine Kunstausstellungen, es fänden Conventionen statt. Dort sei der Kläger vertreten und habe sich einen Namen gemacht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.02.2004 gab die Verlobte des Klägers an, der Kläger entwerfe in Absprache mit dem Kunden die Motive und zeichne sie zunächst auf Papier auf. Auch wenn sich der Kunde für eine standardmäßige Vorlage entscheide, werde diese vom Kläger noch geändert.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20.02.2004 abgewiesen. Unter Zugrundelegung der vom Bundessozialgericht im Urteil vom 24.06.1998 (B 3KR 13/97 R) entwickelten Kriterien gelangte das Gericht zur Überzeugung, dass es sich auch bei der speziellen Tätigkeit des Klägers als Tätowierer, der nach eigenen Entwürfen arbeitet, diese aufzeichnet und dann nach Absprache mit dem Kunden auf die Haut überträgt, nicht um die Tätigkeit eines Künstlers handele. Nach der Verkehrsanschauung in Deutschland zähle das Tätowieren grundsätzlich zum handwerklichen Bereich und nicht zum Bereich der Kunst. Dies gelte auch für den Kläger, der eine eigenschöpferische Leistung erbringe. Er werde nicht in einschlägigen fachkundigen Kreisen als Künstler anerkannt und behandelt. Die Anerkennung in Fachkreisen reiche nicht aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 22.03.2004 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung unter Wiederholung der bisherigen Auffassung und Begründung dazu. Der Aufforderung des Senats, seinen jährlichen Gewinn gesondert aus der Tätigkeit als Tätowierer und Verkäufer von Piercingschmuck etc. jeweils für die Jahre 2002 bis 2005 anzugeben und zu belegen, ist der Kläger nicht nachgekommen. Zur mündlichen Verhandlung ist für ihn niemand erschienen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.02.2004 und den Bescheid der Beklagten vom 30.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.08.2003 aufzuheben und festzustellen, dass er nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz pflichtversichert ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und wiederholt ihre Argumentation.

In der mündlichen Verhandlung am 06.04.2006 erklärt sie sich bereit, nach Erlass einer Entscheidung des Bundessozialgerichts im Verfahren B 3 KR 8/06 R, die Künstlereigenschaft von Tätowierern betreffend, über die Versicherungspflicht des Klägers auf Antrag zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet.

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger nicht gemäß § 1 Abs.1 KSVG in der Rentenversicherung, der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung versichert ist.

Zum versicherten Personenkreis gemäß § 1 KSVG gehören selbständige Künstler und Publizisten, die die künstlerische und publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolge zu Berufsausbildung oder sei geringfügig im Sinne des § 8 SGB VI.

Gemäß § 2 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Für die Tätigkeit des Klägers als Tätowierer kommt vom Wortlaut des Gesetzes her nur die Ausübung darstellender Kunst in Betracht. Es ist nicht bestritten, dass der Kläger die Tätigkeit als Tätowierer nicht nur vorübergehend ausführt, nach seinen eigenen Angaben ist er seit zehn Jahren als Tätowierer tätig. Das Sozialgericht hat die Versicherungsmöglichkeit des Klägers bereits mit der Begründung abgelehnt, die Tätigkeit des Klägers sei dem Bereich des Kunsthandwerks zuzuordnen. Der Kläger sei unstreitig nicht in einem Künstlerlexikon aufgeführt, seine Tätigkeit als Tätowierer mag zwar in Fachkreisen anerkannt sein, nicht jedoch als Künstler. Bei den von ihm besuchten Conventions handele es sich nicht um Kunstausstellungen. Die Entscheidung des Sozialgerichts wird bestätigt durch das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18.01.2006 (Az.: L 4 KR 214/02), das die Beklagte vorgelegt hat. Selbst wenn das Bundessozialgericht, bei dem Revision gegen dieses Urteil anhängig ist (B 3 KR 3/06 R) zu dem Ergebnis kommen sollte, dass Tätowierer wie der Kläger, die nach individuellen Entwürfen arbeiten, Künstler im Sinne des KSVG sind, kann der Senat eine Versicherungspflicht des Klägers zumindest derzeit nicht feststellen. Es ist nämlich nicht nachgewiesen, dass die Voraussetzungen für Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes gemäß §§ 3, 4, 5 KSVG nicht vorliegen. Nach § 3 Abs.1 Satz 1 KSVG ist versicherungsfrei nach diesem Gesetz, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3.900,00 Euro nicht übersteigt. Es fehlen jegliche Nachweise über die klägerischen Einkommensverhältnisse. Außer seinen eigenen, unbelegt gebliebenen Angaben aus dem Jahre 2002 ist darüber nichts bekannt. Die Anwendung dieser Vorschrift auf den Kläger ist nicht durch § 3 Abs.2 KSVG ausgeschlossen. Danach gilt Abs.1 nicht bis zum Ablauf von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit. Der Kläger hat die Tätigkeit als Tätowierer bereits 1996 aufgenommen, Antrag auf Pflichtversicherung hat er 2002, also weit nach Ablauf von drei Jahren nach erstmaliger Aufnahme gestellt.

In der gesetzlichen Rentenversicherung ist gemäß § 4 KSVG u.a. versicherungsfrei, wer aus einer Beschäftigung ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt oder aus einer nicht unter § 2 fallenden selbständigen Tätigkeit ein Arbeitseinkommen bezieht, wenn das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen während des Kalenderjahres voraussichtlich mindestens die Hälfte der für dieses Jahr geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung beträgt (§ 4 Nr.2). Der Kläger ist unstreitig neben seiner Tätigkeit als Tätowierer auch nichtkünstlerisch selbständig tätig, nämlich als Händler mit Piercingschmuck und ähnlichem. Hierfür hat er auch ein Gewerbe angemeldet. Von der Höhe der Einnahmen aus diesem Gewerbe hängt gemäß § 5 Abs.1 Nr.5 auch die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ab, sie entfällt nämlich, wenn die selbständige Tätigkeit nicht geringfügig ist.

Ob Versicherungsfreiheit gemäß §§ 3 bis 5 KSVG besteht, hängt damit von den Angaben ab, die der Kläger zur Höhe seines Einkommens trotz Aufforderung des Senats nicht gemacht hat. Er trägt hierfür die Beweislast.

Damit ist im Ergebnis die Entscheidung des Sozialgerichts zu bestätigen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, sich bezüglich der Künstlereigenschaft von Tätowierern der Entscheidung des Bundessozialgerichts im dort bereits anhängigen Verfahren anzuschließen.
Rechtskraft
Aus
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