S 35 SO 15/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SO 15/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 19.04.2006 gegen den Bescheid vom 28.03.2006 aufschiebende Wirkung hat. 2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin rückwirkend ab April 2006 – bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 29.04.2006 – Leistungen nach dem SGB XII in bisheriger Höhe zu bewilligen. 3. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. 4. Der Antragstellerin wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X aus N bewilligt.

Gründe:

I. Die vertretene minderjährige Antragstellerin lebt seit dem 03.06.2002 im Haushalt der Großmutter in N. Vorher lebte sie in E. Die Mutter der Antragstellerin ist obdachlos und drogenabhängig. Deswegen wurde das Kind bei der Großmutter, Frau I auf Dauer untergebracht. Die elterliche Sorge wurde der Mutter am 27.01.2003 entzogen und der Großmutter als Vormund übertragen.

Seit 2003 erbringt die Antragsgegnerin für die Antragstellerin laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und später nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Leistungen der Stadt N nach dem KJHG wurden in der Vergangenheit versagt, da kein erzieherischer Mangel vorliegen würde.

Die Antragsgegnerin bat die Stadt N Ende 2005 erneut um Prüfung, ob letztere Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII zu gewähren habe.

Dies lehnte die Stadt N mit Bescheid vom 01.02.2006 mit der Begründung ab, die Großmutter der Antragstellerin habe auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, dass sich ihr Anliegen ausschließlich auf eine finanzielle Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts ihrer Enkeltochter richte. Unter diesen Umständen komme jedoch eine Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII nicht in Betracht.

Der Bescheid wurde von der Antragstellerin – soweit ersichtlich - nicht angefochten. Die Antragsgegnerin geht jedoch weiterhin davon aus, dass die Antragstellerin dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII hat.

Mit Bescheid vom 28.03.2006 stellte die Antragsgegnerin daher die bisher gewährten Leistungen an die Antragstellerin mit der Begründung ein, die Antragstellerin könne gegenüber der Stadt N nicht auf Leistungen nach dem SGB VIII verzichten. Die Antragsgegnerin sei daher nicht zu Erbringung von Leistungen zuständig.

Hiergegen hat die Antragstellerin unter dem 19.04.2006 Widerspruch eingelegt und am gleichen Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt.

Zur Begründung trägt sie vor, ein Anordnungsgrund liege vor, weil derzeit keinerlei Leistungen mehr gewährt würden. Im Übrigen sei der Bescheid der Stadt N rechtmäßig.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Bescheides vom 28.03.2006 zu verpflichten, rückwirkend ab dem 01.04.2006 Leistungen nach dem SGB XII zu bewilligen und auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, die Antragstellerin habe es selbst in der Hand, den für sie misslichen Zustand durch eine erneute Antragstellung bei der Stadt N zu beseitigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II. Nach der hier vertretenen Rechtsauffassung hat der Widerspruch der Antragstellerin vom 19.04.2006 aufschiebende Wirkung. Da die Antragsgegnerin die Zahlungen eingestellt hat, hat das Gericht in entsprechender Anwendung des § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -, die aus dem Tenor zu 1. ersichtliche Feststellung zur Klarstellung getroffen. Der Ausspruch aus dem Tenor zu 2. dient ebenfalls der Klarstellung und soll sicherstellen, dass die Antragsgegnerin vorläufig Leistungen zu erbringen hat.

1. Nach § 86 a Absatz 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die Anwendung dieser Vorschrift ist für die Antragstellerin nur vorteilhaft, wenn die Gewährung von Leistungen durch die Antragsgegnerin an die Antragstellerin vorliegend als Dauerverwaltungsakt erfolgt ist. Ob es sich bei den hier gewährten Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII um Dauerverwaltungsakte handelt ist streitig. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die für Streitigkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz zuständig war, ist regelmäßig davon ausgegangen, dass in der Auszahlung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gleichzeitig die Bekanntgabe des zugrunde liegenden Verwaltungsaktes liegt und daher keine Dauerverwaltungsakte der Leistungsgewährung nach den BSHG zu Grunde lagen (vergl. z. B: Armbortst in LPK- Kommentar zum BSHG 6. Aufl. Anhang III, mit weiteren Nachweisen). Diese Konstruktion wurde während der Geltung des BSHG kritisiert. Es erscheint fraglich, ob die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf das 3. Kapitel des SGB XII übertragen werden kann (vergl. hierzu z. B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.01.2006 – Aktenzeichen L 15 B 1105/05 SO ER). Zwar bestimmt § 44 SGB XII, dass Leistungen in der Regel als Dauerverwaltungsakt zu ergehen haben, diese Vorschrift steht jedoch im 4. Kapitel des SGB XII und bezieht sich offenbar unmittelbar nur auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, während die Antragstellerin hier Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII erhalten hat. Gleichwohl ist das Gericht vorliegend der Auffassung, dass auch Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII als Dauerverwaltungsakte anzusehen sind. Mit der Qualifizierung als Dauerverwaltungsakt, die vorliegend den tatsächlichen Verhältnissen, nämlich der gleichmäßigen Gewährung von Leistungen über Jahre gerecht wird, werden Empfänger von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII hinsichtlich ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten mit Leistungsempfängern nach dem 4. Kapitel des SGB XII gleichgesetzt. Es ist nämlich kein gesetzgeberischer Wille zu erkennen, den Rechtsschutz von Leistungsempfängern nach dem 3. Kapitel des SGB XII gegenüber Leistungsempfängern nach dem 4. Kapitel des SGB XII erheblich einzuschränken. Dies wäre aber der Fall, wenn man Bescheide nach dem 3. Kapitel des SGB XII nicht als Dauerverwaltungsakt betrachten würde. Die Leistungsempfänger nach diesem Kapitel hätten dann keinen Vertrauensschutz auf die Weiterzahlung von möglicherweise jahrelang regelmäßig erbrachten Leistungen, wie der vorliegende Fall eindrücklich zeigt. Aus den Vorschriften der §§ 45 und 48 SGB X geht jedoch hervor, dass der Gesetzgeber grundsätzlich bei der wiederkehrenden Gewährung von Sozialleistungen davon ausgeht, dass nur unter die den dort genannten Voraussetzungen Leistungen eingestellt werden können. Da es sich also bei den der Antragstellerin bewilligten Leistungen – nach hiesiger Auffassung – um einen Dauerverwaltungsakt handelt, hat der gegen die Einstellung der Leistung erhobene Widerspruch aufschiebende Wirkung, mit der Folge, dass die Antragsgegnerin einstweilen die bisher bewilligten Leistungen weiter zu bewilligen hat.

2. Unabhängig davon ergibt sich der Weiterbewilligungsanspruch jedoch auch aus einem anderen Gesichtspunkt. Vorliegend dürfte unstreitig sein, dass die Antragstellerin dem Grunde nach entweder Anspruch auf Leistung nach dem SGB XII oder dem SGB VIII hat. Der zwischen der Stadt N und der Antragsgegnerin ausgebrochene Streit über die Frage, wer von Beiden Leistungen zu erbringen hat, darf nicht auf dem Rücken der Antragstellerin ausgetragen werden. Insbesondere darf dies nicht zum vollständigen Entzug von Leistungen führen. Dies ergibt sich aus § 43 SGB I. Diese Vorschrift bestimmt, dass bei unstreitig bestehenden Leistungsansprüchen grundsätzlich ein Leistungsträger, im Zweifel der zuerst angegangene, Leistungen zu erbringen hat. Ergänzend bestimmt § 105 SGB X, dass die Leistungsträger untereinander zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten haben. Der Gesetzgeber will mit diesen Regelungen erreichen, dass Leistungsberechtigte jedenfalls Leistungen erhalten, und der Rechtsstreit über örtliche und sachliche Zuständigkeiten auf die Ebene der Leistungsträger untereinander verlagert werden sollen.

3. Ergänzend weist das Gericht aber auch darauf hin, dass die Argumentation der Antragsgegnerin, die Antragstellerin habe Anspruch auf Leistungen nach dem SGB VIII – nach summarischer Prüfung – nicht schlüssig erscheint. Leistungen nach dem § 27 ff SGB VIII sind nämlich damit verbunden, dass die Behörde zunächst einmal erzieherischen Hilfebedarf mit dem Ziel leistet, finanzielle Leistungen in Zukunft zu vermeiden. Zu Recht weist die Großmutter der Antragstellerin allerdings darauf hin, dass ein solcher erzieherischer Hilfebedarf vorliegend nicht notwendig ist und lediglich ein Interesse an finanzieller Hilfe besteht. Ob dies – wie die Stadt N meint – auch als Verzicht auf die Leistung auszulegen ist, was eher nicht der Fall sein dürfte, kann hier dahin stehen. Jedenfalls aber wird man der Antragstellerin keine Leistungen – hier nach dem VIII. Buch SGB – aufdrängen können, die diese gar nicht benötigt und die ihrer aktuellen Situation nicht gerecht werden.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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