L 23 B 1079/05 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 49 SO 5219/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 1079/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme von Schulden aus rückständigen Stromzahlungen.

Der Antragsteller bezieht seit 01. Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - des JobCenter Berlin-Mitte, bis einschließlich April 2005 wurden vom JobCenter Berlin Mitte bis zu 27,50 Euro monatlich an den Stromversorger B gezahlt, der den Antragsteller mit Strom versorgte. Der Antragsteller beantragte beim JobCenter Berlin Mitte die Übernahme der Stromschulden, die mit Schreiben der B vom 12. Juni 2005 für den Zeitraum vom 23. März 2005 bis 02. Juni 2005 in Höhe von 498,48 Euro geltend gemacht worden sind. Er machte geltend, dass über die Stromversorgung in seiner Wohnung auch die Warmwasserzubereitung erfolge.

Das JobCenter Berlin-Mitte lehnte mit Bescheid vom 13. Juli 2005 die Begleichung der B-Nachforderung mit der Begründung ab, dass der Träger der Sozialhilfe zuständig sei. Ein gegen das JobCenter Berlin Mitte geführtes einstweiliges Anordnungsverfahren vor dem Sozialgericht Berlin/Landessozialgericht Berlin-Brandenburg blieb erfolglos (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. August 2005, Aktenzeichen L 5 B 1062/05 AS ER). Mit Schreiben vom 27. September 2005 übersandte das JobCenter Berlin Mitte dem Antragsgegner die Anträge des Antragstellers auf Übernahme der Stromschulden. Dieser lehnte mit Bescheid vom 22. September 2005 die Übernahme der Stromschulden mit der Begründung ab, das SGB II biete im Rahmen des § 23 SGB II für die Begleichung von Stromschulden im Rahmen eines unabweisbaren Bedarfs eine ausreichende Grundlage für die Übernahme von Stromschulden.

Am 10. Oktober 2005 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, Kosten für eine Stromkostennachzahlung in Höhe von 498,00 Euro zuzüglich 40 Euro für Auslagen (Fax, Kopien, Internet etc. ), inklusive 10 Euro Anwaltsgebühren zu verpflichten und geltend gemacht, der Energieversorger habe eine Ratenzahlung abgelehnt. Eine Freischaltung des seit dem 02. Juni 2005 gesperrten Stromanschlusses erfolge nur nach Zahlungseingang bei der B. Es liege eine Härte vor. Er hat eine Einzelaufstellung zur Rechnung der B vom 30. März 2005 zur Gerichtsakte gereicht.

Der Antragsgegner hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, bereits im April 2005 sei beim JobCenter Berlin-Mitte die Übernahme einer geforderten Nachzahlung beantragt worden. Den am 14. Juni 2005 fälligen Teilbetrag von 109,00 Euro habe der Antragsteller nicht an die B gezahlt. Weitere Teilbeträge seien wegen der Sperrung ab 02. Juni 2005 nicht angefallen. Der Antragsteller habe trotz laufenden Bezuges von Arbeitslosengeld II keinerlei Zahlungen auf den Rückstand geleistet. Die Übernahme von Schulden zur Behebung einer Notlage nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII stehe im Ermessen des Sozialhilfeträgers. Der Antragsteller müsse nachweisen, dass er seine Notlage nicht selbst beseitigen könne, etwa durch den Wechsel zu einem anderen Stromanbieter. Der Antragsteller hat hierzu eine Liste mit Stromanbietern in Berlin zur Gerichtsakte gereicht.

Mit Beschluss vom 31. Oktober 2005 hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Der Anspruch könne sich nicht aus § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII ergeben, denn die geltend gemachte Übernahme der Schulden sei nicht gerechtfertigt. Der Antragsteller müsse sich entgegenhalten lassen, dass gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII zunächst von ihm zu verlangen sei, alle zur Verfügung stehenden Selbsthilfemöglichkeiten auszuschöpfen. Er habe nicht glaubhaft gemacht, dass etwaige Bemühungen um eine angemessene Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Gläubiger unter Aufrechterhaltung der Stromversorgung gescheitert seien oder dass ein anderer Stromversorger den Abschluss eines Stromlieferungsvertrages abgelehnt habe.

Gegen den am 02. November 2005 zugegangenen Beschluss hat der Antragsteller am selben Tag Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 07. November 2005). Er macht geltend, dass der einstweilige Rechtsschutz vor irreparabler Rechtsverletzung vor einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung schützen solle. Der Gesetzgeber habe entschieden, dass eine Versorgung mit Strom in Deutschland zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard gehöre. Er begehre die Leistung des Antragsgegners als nicht rückzahlbare Beihilfe. Eine weitere Zahlung der Abschläge hätte keine Bedeutung für eine Freischaltung gehabt und eine Ratenzahlung sei abgelehnt worden. Das JobCenter habe die Abschlagzahlung ohne Ankündigung eingestellt. Der monatlich von den laufenden Leistungen abgezogene Betrag in Höhe von 13,75 Euro sei als Barverfügung aufgrund der Geringfügigkeit unbemerkt geblieben. Er habe sich nachweislich an die mit der B vereinbarten Abschlagszahlungen gehalten. Für die Sperrung des Anschlusses seien ihm zusätzlich Kosten in Höhe von 42,95 Euro in Rechnung gestellt worden. Eine unterstellte unwirtschaftliche Lebensweise liege nicht vor. Die einzige Warmwasserquelle in seiner Wohnung sei ein Elektrodurchlauferhitzer. Er als Verbraucher habe keinen Einfluss auf den Stromverbrauch. Auch seine Bewerbungskosten seien gestiegen, da er außer Haus das Internet benutzen, drucken und faxen müsse. Der Ermessensspielraum des Antragsgegners sei bezogen auf die Abhilfe auf Null reduziert. Eine ausdrückliche Kündigung des Stromanbieters Bliege ihm nicht.

Der Antragsteller hat einen Auszug aus seinem e-Mail-Postkonto, ein Schreiben der MR. Kvom 07. November 2005 ein Schreiben der IA vom 15. November 2005 und einen Bescheid des JobCenter Berlin Mitte vom 21. November 2005 ohne Berechnungsbogen zur Gerichtsakte gereicht.

Er beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den vom Stromversorger B mit Schreiben vom 12. Juni 2005 geltend gemachten Betrag von 498,48 Euro zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Der Antragsteller habe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass er sich bei allen in Frage kommenden Stromlieferanten in Berlin um einen Neuabschluss eines Stromversorgungsvertrages bemüht habe. Es sei unerheblich, ob die Nachforderung der B aus einer zu niedrigen Einstufung resultiere. Jedenfalls habe der Antragsteller die am 14. Juli 2005 fällig gewordene Abschlagszahlung bewusst nicht gezahlt. Die weiteren Ausführungen des Antragstellers zu seinem künftigen Stromverbrauch ließen erkennen, dass er nicht bereit sei, den Energieverbrauch laufend selbst zu kontrollieren und seinen finanziellen Verhältnissen durch sparsames Wirtschaften anzupassen. Im Übrigen ergebe sich aus dem Schreiben der FrauK, dass sie in dem der BForderung zugrunde liegenden Abrechnungszeitraum im Haushalt des Antragstellers gelebt habe und sich daher angemessen an der Nachzahlungsforderung zu beteiligen habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung.

Danach hat das Sozialgericht zu Recht den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen. Er hat keinen Anspruch auf Erlass der begehrten Anordnung. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - können Schulden eine Hilfebedürftigen nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist, § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht, § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB XII. Die Entscheidung über die Bewilligung der Leistung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der Sozialhilfe. Das Ermessen ist im Rahmen der Sonderregelung des Abs. 1 Satz 2 für den Fall eingeschränkt, dass Wohnungslosigkeit droht. In diesem Fall sieht das Gesetz im Regelfall einen Anspruch auf Übernahme der Schulden vor (vgl. Streichsbier in: Grube/Warendorf, SGB XII, § 34 Anm. 9). Dass bei Nichtübernahme der Stromschulden Wohnungslosigkeit droht, hat der Antragsgegner nicht geltend gemacht, so dass das Ermessen des Antragsgegners nicht eingeschränkt ist. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII können zwar Schulden aus Stromrechnungen dann übernommen werden, wenn die Belieferung eines Haushalts mit Energie in Frage gestellt ist, weil es sich dabei um eine vergleichbare Notlage im Hinblick auf die Sicherung der Unterkunft handelt (OVG Münster, Urteil vom 28. April 1999, Az.: 24 A 4785/97, FEVS 51, 89, 91; OVG Berlin, Beschluss vom 18. März 2003, Az.: 6 S 21.03, zitiert nach juris). Dies setzt aber voraus, dass die Übernahme der Schulden im Einzelfall gerechtfertigt ist.

Ein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung des Antragsgegners besteht nur dann, wenn auch das Tatbestandsmerkmal "gerechtfertigt" erfüllt ist (Streichsbier, a. a. O., Anm. 7). Die Übernahme von Schulden ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine mit drohender Obdachlosigkeit vergleichbare Notlage vom Leistungsberechtigten nicht selbst beseitigt werden kann (OVG Münster, a. a. O.). Dabei sind Selbsthilfemöglichkeiten des Leistungsberechtigten, seine wirtschaftliche Situation und seine Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen. Die Übernahme der Stromschulden erscheint danach hier nicht gerechtfertigt, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hat, dass er außerstande ist, durch Selbsthilfemöglichkeiten die vorgetragene Notlage im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB XII zu beseitigen.

Er hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage ist, einen Teil der Forderung zu begleiche und der Stromversorger nicht bereit ist, eine Ratenzahlung über eine Restsumme zu vereinbaren. Der Antragsteller steht seit 01. Januar 2005 im Leistungsbezug des JobCenter Berlin Mitte. In dem ihm gewährten Regelsätzen ist ein Energiekostenanteil enthalten, den der Antragsteller seit dem 01. Juli 2005, da ihm keine Kosten für Stromlieferungen entstanden sind, nicht für Energielieferungen verwendet hat. Aus diesen "Überzahlungen" standen ihm Mittel zur teilweisen Begleichung der Stromschulden zur Verfügung, zumal er gehalten ist, sich wirtschaftlich zu verhalten und Rücklagen zu bilden (OVG Berlin, a. a. O.; OVG Lüneburg, Urteil vom 25. September 1996, Az.: 4 L 4040/95). Da der Antragsteller trotz Aufforderung nicht alle Leistungsbescheide des JobCenter Berlin Mitte zur Gerichtsakte gereicht hat, konnte der Senat bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren angemessenen Ermittlung des Sachverhalts nicht überprüfen, wie sich die dem Kläger vom JobCenter ab 01. Dezember 2005 monatlich gewährten Leistungen in Höhe von 665,00 Euro (Bescheid vom 21. November 2005) zusammensetzen (Regelleistung, Unterkunftskosten). Sollte in den Leistungen ein Zuschlag nach § 24 SGB II enthalten sein, stünden damit über dem Regelsatz liegende Mittel zur Begleichung der Schulden zur Verfügung, die auch in der Vergangenheit angespart werden konnten.

Weiterhin hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er sich bei allen in Berlin zur Verfügung stehenden Stromanbietern um einen Abschluss eines Stromversorgungsvertrages bemüht hat, um die vorgebrachte Notlage zu beenden. Mit dem von ihm eingereichten Ausdruck seines mail-Kontos, aus dem nicht hervorgeht, mit welchen potentiellen Stromanbietern Nachrichten mit welchem Inhalt ausgetauscht worden sind, sind solche Bemühungen nicht glaubhaft gemacht.

Letztlich kann der Antragsteller die von ihm vorgetragene Notlage dadurch beenden, dass er sich auf dem Wohnungsmarkt in Berlin um eine neue Wohnung mit einem neuen Stromlieferungsvertrag bemüht. Diesbezügliche Aktivitäten hat der Antragsteller ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Durch die Leistungen des JobCenter Berlin sind nämlich die laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung, soweit die Unterkunft angemessen ist, sichergestellt und über den gewährten Regelsatz nach dem SGB II stehen Mittel zur Begleichung laufender Verpflichtungen für die Belieferung mit Strom zur Verfügung.

Der Antragsteller hat auch keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass einem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen es nicht zumutbar ist, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten (Keller in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 86 b Anm. 28). Die ehemalige Mitbewohnerin FrauKhat selbst gegenüber dem Antragsteller ausgeführt, dass sie in dem Zeitraum, für den Nachzahlungen des Stromversorgers geltend gemacht werden, in der Wohnung des Antragstellers gewohnt hat, so dass sie zumindest anteilig zur Schuldentilgung heranzuziehen ist, so dass sich die von dem Antragsteller zu begleichende Forderung erheblich verringert. Dass die ehemalige Mitbewohnerin nicht gewillt oder in der Lage ist, die geltend gemachte Forderung gänzlich zu begleichen, ist nicht dargelegt worden.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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