S 28 KR 1122/05 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 KR 1122/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Dem Antrag vom 30.09.2005, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19.01.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2005 anzuordnen, wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache, stattgegeben. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der 1940 geborene Antragsteller, der bei der Antragsgegnerin krankenversichert und pflegeversichert ist, war seinerzeit bei der Firma M. GmbH beschäftigt. Die Firma schloss im März 1991 beim I.–Pensionsverein e.V, einem Unternehmen der G.-Lebensversicherungs AG, eine Kapitallebensversicherung als Direktversicherung entsprechend der –später in Kraft getretenen- Regelungen der §§ 1,2 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) für den Antragsteller ab. Der monatliche Beitrag belief sich auf DM 250. Dieser wurde durch Gehaltsumwandlung erbracht, also vom Arbeitgeber des Antragstellers von seinem Bruttogehalt in Abzug gebracht und an den Versicherer gezahlt. Ab dem 1.4.1992 setzte der Kläger seine Erwerbstätigkeit bei der Firma K. Umweltschutz GmbH, D., fort. Die abgeschlossene Versicherung wurde von dieser Firma als Direktversicherung entsprechend fortgeführt. Zum 31.12.1994 wurde der Antragsteller arbeitslos und bezog mit Wirkung vom 7. Januar 1995 Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt M ... Da die Prämie für die beim I.-Pensionsionverein e.V. abgeschlossene Lebensversicherung infolge des Eintritts der Arbeitslosigkeit nicht mehr durch Gehaltsumwandlung aufgebracht werden konnte, stellte der Antragsteller den Versicherungsvertrag um und übernahm die Prämienzahlungen in Höhe von 250 DM mit Wirkung vom Januar 1995 an selbst (vgl. Prämienrechnung vom 9.1.1995 Blatt 19 Prozessakte-PA). Die Versicherungsbeiträge für die Lebensversicherung wurden vom 01.01.1995 bis 31.12.2004 vom Antragsteller an den I.-Pensionsverein gezahlt. Seit dem 1.5.2000 bezieht der Antragsteller vorgezogenes Altersruhegeld von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Bescheid vom 23.5.2000).

Im Dezember 2004 teilte die G. Lebensversicherungs AG dem Antragsteller mit, dass sich aus der zum 01.01.2005 ablaufenden Direktversicherung ein Gesamtguthaben in Höhe von EUR 29.539,20 ergebe. Gleichzeitig wurde die Erklärung zur Krankenkassenmitgliedschaft des Antragstellers vom 20.12.2004 an die Antragsgegnerin mit der Mitteilung über die Höhe des Auszahlungsbetrages gesandt.

Den vom Antragsteller ab 01.01.2005 aus der Kapitalleistung zu zahlenden Krankenversicherungsbeitrag setzte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19.01.2005 auf monatlich 33,72 EUR und den Pflegeversicherungsbeitrag auf monatlich 4,18 EUR, insgesamt EUR 37,90 fest. Die Antragsgegnerin teilten dem Antragsteller gleichzeitig mit, dass als Ausgangswert für die Beitragsberechnung in einem Zeitraum von zehn Jahren( 120 Monate) monatlich jeweils 1/120 des Gesamtbetrages der Kapitalleistung (1/120 von 29.539,20 EUR = 246,16 EUR) gelte. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 13.7.2005 als unbegründet zurück. Gem. § 229 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch 5.Buch (SGB V) unterliegen Renten aus der betrieblichen Altersversorgung der Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unabhängig davon, wer die Beiträge gezahlt bzw. getragen habe. Mit der Änderung des §§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V ab 1.1.2004 entstehe die Beitragspflicht auch dann, wenn die Kapitalleistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden sei.

Dagegen hat der Antragsteller am 30.9.2005 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben und zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide beantragt, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide der Antragsgegnerin bestünden. Im Hinblick auf die Tatsache, dass er die ursprünglich im Wege der Direktversicherung und vom Arbeitgeber finanzierten Lebensversicherung seit dem 1.1.1995 aus seinem privaten Vermögen finanziert habe, liege ein beitragspflichtiger Versorgungsbezug nicht vor. Mit Wirkung vom Januar 1995 habe die mit dem I. Pensions-Verein e.V. abgeschlossene Kapitallebensversicherung ihren Charakter als Bestandteil der betrieblichen Altersversorgung verloren. Durch den Eintritt des Antragstellers in das Vertragsverhältnis als Versicherter und Versicherungsnehmer sei aus der Direktversicherung mit Gehaltsumwandlung eine auf rein privater Basis geführte erhaltene Kapitallebensversicherung geworden, deren Beiträge der Antragsteller nicht als Arbeitnehmer, sondern als nicht Erwerbstätiger aus dem von ihm versteuerten und der Sozialversicherungspflicht unterworfenen Einkommen gezahlt habe und bei der es sich somit nicht mehr um eine einer Rente gleichstehenden, nicht regelmäßig wiederkehrenden, Leistung aus der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 SGB V handele. Es fehle der aufgrund des modifizierten Versicherungsvertrages dem Antragsteller gegenüber erbrachten Kapitalleistung der von der Antragsgegnerin in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid zu Recht hervorgehobene unmittelbaren oder zumindest mittelbare Bezug zu einem früheren Beschäftigungsverhältnis, das Anlass für den Zufluss der Leistung gewesen sei. Darüber hinaus halte er die Beitragspflicht des Gesetzgebers durch die mit Wirkung vom 1.1.2004 vorgenommene Modifizierung des §§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V wegen der Belastung einer echten Rückwirkung für verfassungsrechtlich bedenklich.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach mehreren Urteilen für die Bewertung als Versorgungsbezug unerheblich sei, wer und in welcher Form hierfür Beitrags- bzw. Prämienzahlung aufgebracht habe. Sie habe die Beitragserhebung entsprechend der genannten gesetzlichen Bestimmungen auch zutreffend angewandt. Die Beitragserhebung sei damit nicht offensichtlich rechtswidrig oder mit ernsthaften Zweifeln behaftet so dass eine einstweilige Anordnung mit Herstellung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht komme. Die Herstellung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen beitragsrechtliche Bestimmungen des GMG würden wegen der extremen Zahl von gleich zu behandelnde Fällen zu erheblichen Beitragsausfällen führen und die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Auswirkungen auf die Beitragssätze beseitigen. Damit liege ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung des Gesetzes vor.

Die Verwaltungsakte hat dem Gericht vorgelegen.

II.

Der Antrag vom 30.05.2005 ist nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet.

Danach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Gem. § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherung-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erforderlichen Abwägungsentscheidung ist nach den Kriterien des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG vorzugehen. Nach dieser Vorschrift soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 86 b Abs. 3 Satz 2 SGG bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfes wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Dafür spricht, dass der Gesetzgeber durch § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabebescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert hat, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese gesetzliche Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bei völlig offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde, auch wenn keine unbillige Härte im Sinne des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG vorliegt. Nach der hier vorzunehmenden summarischen Überprüfung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass nicht ohne weiteres davon auszugehen ist, dass die von der Antragsgegnerin – zugleich für ihre Pflegekasse handelnd- festgestellte Beitragspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung rechtmäßig ist.

Das Gericht teilt insoweit die Bedenken des Antragstellers im Hinblick auf die Heranziehung der ihm zum 01.01.2005 ausgezahlten Kapitallebensversicherung zur Beitragspflicht, weil nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass es sich hierbei um eine Rente der betrieblichen Altersversorgung i.S. von § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V handelt.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zählen zu den beitragspflichtigen Renten der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch Renten aus einer vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer abgeschlossenen Direktversicherung, da sie einen Bezug zum bisherigen Arbeitsleben (Betriebsbezug) haben (vgl. BSG, Urteil v. 26.3.1996 -12RK 21/95-, m.w.N. = SozR 3 – 2500 § 229 Nr. 13). Ob der Betriebsbezug einer Direktversicherungsrente und damit die Qualifizierung als Versorgungsbezug im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V entfällt, wenn der Versicherte - wie im vorliegenden Fall der Antragsteller- noch vor Eintritt des Versicherungsfalles selbst Versicherungsnehmer geworden ist und weitere Beiträge entrichtet hat, wurde vom BSG in seinem Urteil vom 8.12.1988 (Az: 12 RK 46/86) zwar noch offen gelassen. Diese so genannte institutionelle Betrachtungsweise, die das Bundessozialgericht in mehreren weiteren Entscheidungen jedoch weiter bestätigt und ausführlich begründet hat, unabhängig davon, wer die Beiträge dafür letztendlich getragen hat, (vgl. z.B. Urteil vom 11. 10.2001 Az. B 12 KR 4/00R mit weiteren Nachweisen), führt nach der Auffassung des Gerichts dazu, dass die dem Antragsteller zum 01.01.2005 ausgezahlte Lebensversicherung den institutionellen Bezug zu seiner früheren Berufstätigkeit verloren hat, weil der Antragsteller diese, auch im Hinblick auf die Unverfallbarkeit i. S. v. § 1b BetrAVG mit Wirkung vom 01.01.1995 aus eigenen Mitteln bestritten hat. Das Gericht hat demnach ernstliche Zweifel, dass damit ein Rentenbezug i.S. von § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nicht gegeben ist, weil die Gründe, die gegen eine Qualifizierung der am 01.01.2005 an den Antragsteller ausgezahlte Kapitalleistung als Versorgungsbezug im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V sprechen, überwiegen. Versicherungsmathematisch beitragsmäßig ließe sich eine Beitragspflicht allenfalls noch für die im Wege der Gehaltsumwandlung gezahlten Beiträge bis zum 31.12.1994 festmachen. Im Verhältnis zum Gesamtbeitrag stellt dieser jedoch nur einen geringen Teil dar, so dass das Gericht die Erhebung des Gesamtbeitrags für den Antragsteller im Hinblick auf die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide insgesamt als unbillig ansieht.

Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide war daher bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.

Auf Antrag kann das Gericht nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.
Rechtskraft
Aus
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