S 26 R 230/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 230/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1926 in T1 in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit September 1947 in Brasilien mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Sie beantragte am 16.06.2003 die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab dabei an, sie habe von April 1941 bis Oktober 1942 während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Starachowize in Polen Tätigkeiten in einem Sägewerk verrichtet; sie habe Baumstämme und Holz gesägt. Sie habe dabei 10 bis 12 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür "manchmal Lebensmittel, die nur Arbeiter bekommen". Sie habe einen Arbeitsausweis gehabt. 1943 sei sie in ein Arbeitslager gekommen, 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz. Im Januar 1945 sei sie über Zwischenstationen nach Reichenbach in Sachsen gekommen, und am 08.05.1945 befreit worden. Danach sei sie über Polen, Breslau, Lignitz (bis 1946) und Wien (1947) schließlich nach Brasilien ausgewandert. Seit September 1947 lebe sie dort. Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg bei. Dort hatte die Klägerin am 06.04.1946 angegeben "etwa im März oder April 1940 wurde ich durch die Gestapo verhaftet und in das Ghetto Starachowize eingewiesen. Dort musste ich im Sägewerk Zwangsarbeit leisten. Auch meine Bewegungsfreiheit innerhalb des Ghettos war eingeschränkt. So durfte ich nur einmal im Monat meine ebenfalls innerhalb des Ghettos wohnenden Eltern besuchen. Meine Schwester T2 arbeitete außerhalb des Ghettos im Maganzin, etwa zwei Kilometer vom Ghetto entfernt. Da ich mit meiner Schwester zusammen arbeiten wollte, wurde ich etwa im April oder Mai 1942 ebenfalls in das Arbeitslager (in dem die Schwester war) gebracht ...".

Mit Bescheid vom 09.08.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie sinngemäß aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr sei nach den eigenen Schilderungen der Klägerin – die auch zum Teil widersprüchlich seien hinsichtlich ihrer Aufenthalte – von ihren Arbeitseinsätzen dies jeweils als Zwangsarbeit anzusehen gewesen, die nach dem ZRBG nicht anerkannt werden könne. Außerdem sei keine Entgeltzahlung anzunehmen. Allein Erhalt von Lebensmitteln wie angegeben reiche nicht aus, eine Entgeltgewährung anzunehmen. Alles spreche für Zwangsarbeit, die von den Vorschriften des ZRBG nicht erfasst werde.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 23.08.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie im wesentlichen vor, allein der frühere Gebrauch des Wortes "Zwangsarbeit" sei nicht anspruchsausschließend. Angaben zu Arbeitsstellen und Entgelten seien im Entschädigungsverfahren nicht relevant gewesen, deshalb damals nur so nicht gemacht worden. Die Existenz des Ghettos Starachowize sei durch verschiedene Unterlagen belegbar, Bl. 67 ff der Verwaltungsakte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung wieder und führte noch ergänzend aus, das nach dem ZRBG erforderliche "Entgelt" hätte auch einen gewissen Mindestumfang erreichen müssen; dass dieser vorgelegen habe, sehe sie als nicht überwiegend wahrscheinlich an.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 29.04.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für Tätigkeiten von Juden im Generalgouvernement seien nach diversen Unterlagen Löhne zu zahlen gewesen und auch Sozialversicherungs-Beiträge abzuhalten gewesen (Bl. 7 f, 18 ff der Gerichtsakte). Deswegen habe die Beklagte in anderen Verfahren auch schon ZRBG-Renten anerkannt. Die geringe Entlohnung sei nur aus antisemitischen Gründen erfolgt. Im übrigen müsse berücksichtigt werden, dass selbst die zivile Bevölkerung kriegsbedingt unter Lebensmittelengpässen zu leiden gehabt habe.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihr im Ghetto Starachowize von April 1941 bis Oktober 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier von schon nicht ausreichendem "Entgelt" im Sinne des ZRBG auszugehen, bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach der eigenen Angabe der Klägerin habe sie nur manchmal Lebensmittel bekommen. Im übrigen beträfen die vom ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin (Herrn N) eingereichten Unterlagen zum Teil auch nicht den Arbeitseinsatz von Ghetto-Insassen, sondern die Tätigkeit jüdischer Arbeiter bei der Reichsautobahn. Die insoweit von Herrn N noch herangezogenen Unterlagen hätten auch nach einer Entscheidung des Landessozialgericht NRW vom 22.08.2005 (L 0 R 00/00) nicht zu einer anderen Beurteilung der Sachlage geführt.

Das Gericht hat die Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogen.

Die Beteiligten haben sich mit schriftlichen Erklärungen mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt (Bl. 47, 48 der Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Entschädigungsakte Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der Beratung der Kammer vom 11.05.2006.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dieser Verfahrensmöglichkeit schriftlich zugestimmt haben.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 09.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 09.08.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung ausgegangen werden konnte.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat die Klägerin aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG, also des "Ghetto-Gesetzes" zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente auch ins Ausland, scheitert hier schon daran, dass eine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nicht nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht ist, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.

I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen – auch regelmäßig entgeltlichen – Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste (§ 1227 der 1941/1942 geltenden Reichsversicherungsordnung). Gerade angesichts der Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren nach dem BEG und auch ihren Angaben in medizinischen Gutachten im BEG-Verfahren, die die Klägerin damals wesentlich zeitnäher machte, ist nicht anzunehmen, dass ein Beschäftigungsverhältnis begründet wurde, für das auch Entgelt im Sinne des ZRBG gezahlt wurde. Denn nach diesen früheren Angaben ist – unabhängig von etwaiger Bezeichnung als Zwangsarbeit – vielmehr von einem Überlebenskampf der Klägerin auszugehen, wonach sie im Ghetto unter denkbar schlechten Verhältnissen lebte und, wenn sie überhaupt Verpflegung bekam, diese auch nur manchmal bekam. So ist auch nach den Angaben der Klägerin im Rahmen einer medizinischen Begutachtung vom 30.10.1962 (Bl. 90 f der Entschädigungsakte) von der Klägerin damals ausgeführt worden, dass "alle Fehler bei der Arbeit mit schweren Schlägen bestraft wurden". Danach verrichtete die Klägerin auch anstrengende und lang dauernde Arbeit bei "kalorienarmer Ernährung" (Bl. 98 Entschädigungsakte). All dies lässt nur den Schluss zu, dass die Klägerin damals für ein Kind bzw. für eine Jugendliche sehr schwere Arbeiten in einem Sägewerk für 10 Stunden und mehr täglich durchführte, für die sie allenfalls manchmal (also nicht immer) Lebensmittel erhielt und nichts, was einer solchen Arbeit auch nur einigermaßen angemessen gewesen wäre. Dies entspricht auch den historischen Erkenntnissen von der Ausnutzung der Arbeitskraft der Juden durch das nationalsozialistische Regime, das sich zum Ziel gesetzt hatte, die Juden "durch Arbeit zu vernichten". Die Kammer muss auch nach den heutigen Darstellungen der Klägerin im Rentenverfahren davon ausgehen, dass ihr Arbeitseinsatz im Ghetto Starachowize sich so abgespielt hat, wie dies schon im Entschädigungsverfahren dargestellt wurde; die Annahme von "Zwangsarbeit", die nicht vom ZRBG erfasst wird, ist hier also zulässig.

II. Die vom früheren Bevollmächtigten der Klägerin (Rechtsanwalt N) herangezogenen Unterlagen zu Arbeitseinsätzen von Juden führen hier auch nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn es kommt auf die Umstände des Einzelfalls der Klägerin an, und nicht auf die Handhabungen in anderen Ghettos durch andere Arbeitgeber und evtl. Abführungen von Sozialversicherungsbeiträgen für einzelne andere Juden. Dies hat auch bereits das LSG NRW mit Urteil vom 22.08.2005 (L 3 R 30/05) entschieden, gerade auch in Bezug auf die von Herrn N eingereichten Unterlagen.

III. Es war auch nicht dem im Schriftsatz vom 28.04.2005 gestellten Antrag auf Durchführung eines Sachverständigengutachtens zu entsprechen zur Klärung der Frage, ob und inwieweit unabhängig von der Art der Entlohnung für Ghettoarbeiter Sozialbeiträge eingehalten wurden. Denn das nach dem ZRBG erforderliche Vorliegen einer auch entgeltlichen Beschäftigung der Klägerin aus freiem Willensentschluss in Starachowize ist schon nach ihren eigenen Angaben nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daran kann auch ein allgemein-historisches Gutachten bzw. die allgemeine Hörung eines bestimmten Gutachters nichts ändern, da es immer auf die individuellen Umstände eines Verfolgten ankommt. Der Hörung eines historischen Gutachters bedurfte es also nicht.

IV. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin wie von den Bevollmächtigten vorgetragen einen Anspruch auf Lohn gehabt habe. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt wurde, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder ob Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist lex spezialis gegenüber älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines evtl. zivilrechtlich geschuldeten Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte. Die von der Klägerin herangezogene Anspruchstheorie greift i. Ü. auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG nicht (vgl. LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 – L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 – L 3 R 43/05 u. 168/05).

V. Wenn die Klägerin bzw. ihre Bevollmächtigten gleichwohl meinen, aufgrund der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten in Starachowize habe sie einen Anspruch aufgrund des ZRBG, verkennen sie nach Auffassung der Kammer auch folgendes: Das "ZRBG" oder auch "Ghetto-Gesetz" ist in der vorliegenden, so von der Bundesregierung 2002 initiierten und vom Bundestag verabschiedeten Form, von vornherein nicht geeignet, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit im Ghetto – sei sie mehr oder weniger freiwillig erfolgt und sei sie auch keine Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne gewesen – aus, um Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen; denn das Gesetz verlangt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG kumulativ die Erfüllung von zwei wesentlichen Voraussetzungen, die unter den damaligen historischen Umständen nur wenige gleichzeitig erfüllen konnten, nämlich den zwangsweisen Aufenthalt bei gleichzeitiger Ausübung einer Beschäftigung "aus eigenem Willensentschluss" und dies auch noch "gegen Entgelt". So hat auch das Bundessozialgericht (BSG Urteil vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R) bei einem Beschäftigungsverhältnis in einem Ghetto neben der freiwilligen Eingehung als weitere Voraussetzung auch verlangt das Vorliegen einer Entgeltzahlung als unverzichtbares Voraussetzung für die notwendige Qualifizierung eines Beschäftigungsverhältnisses als "versicherungspflichtig". Wie dazu von der Rechtsprechung noch näher ausgeführt wurde (BSG in der entsprechenden Pressemitteilung Nr. 55/04 – und LSG NRW Urteil vom 03.06.2005 – L 4 R 3/05), kann dieses Merkmal weder wegen der damaligen Lebensumstände in den Ghettos (LSG NRW Urteil vom 18.07.2005 – L 3 RJ 101/04: die Lebensmittelrationen im Ghetto lagen regelmäßig unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze) vernachlässigt werden noch nach den Voraussetzungen des Fremdrentenrechts unberücksichtigt bleiben; es wird jedenfalls nicht allein dadurch erfüllt, dass der Betreffende (unabhängig von jeder Angemessenheit) überhaupt eine Gegenleistung – z. B. Verpflegung – erhalten hat. Denn nach dem zum Zeitpunkt der Ghetto-Tätigkeiten gültigen § 1227 der Reichsversicherungsordnung galt: "Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wird, ist versicherungsfrei". So wurde 1938 sogar eine monatliche Barvergütung bis zu 15 Reichsmark, die neben freier Wohnung und Verpflegung zum Beispiel Krankenschwestern gezahlt wurde, nur als nicht versicherungspflichtiges Taschengeld angesehen (vgl.: Das Angestelltenversicherungsgesetz, Kommentar von Koch/Hartmann, 2. Auflage 1973, Band I, Seite 154 b). Es reichen also nicht einmal geringe Entlohnungen oder im Einzelfall sogar "gute Verpflegung", die nur zu minimaler Überlebenssicherung geeignet waren. Wie das Bundessozialgericht im erwähnten Urteil ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit dem Wortlaut des Gesetzes davon abgesehen, jegliche durch in Ghettos verrichtete Arbeit erlittenen Schäden auch in der Rentenversicherung zu kompensieren; den Entgeltbegriff im Sinne des § 1 Abs. 1 ZRBG könne man nicht völlig von der Angemessenheit des für geleistete Arbeit Erlangten lösen. Auch das LSG NRW hat in der bereits erwähnten Entscheidung vom 03.06.2005 (L 4 R 3/05) bekräftigt, dass zum Beispiel selbst Arbeit von 8-9 Stunden für Essen und Lebensmittel in Form von Brot, Margarine, Zucker und Kartoffeln nicht für die Annahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses spreche; das Vorliegen eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 1 Abs. 1 ZRBG erfordere vielmehr, dass auch unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in Ghettos ein "wirtschaftliches Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt" vorliege. Hier ist, wie bereits oben dargelegt, von einer freiwilligen entgeltlichen Beschäftigung im Sinne eines solchen Austauschverhältnisses zwischen Arbeit und Entgelt nicht glaubhaft auszugehen. Der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG nun einmal – wie das Bundessozialgericht und das Landessozialgericht NRW in den o. a. Entscheidungen klar gestellt haben – strengere Voraussetzungen – bewusst oder unbewusst – aufgestellt als die meisten Ghetto-Insassen und Ghetto-Arbeiter nach Verkündung des ZRBG angenommen haben. Denn auf den ganz überwiegenden Teil aller Ghetto-Tätigkeiten traf unter den damaligen historischen Gegebenheiten die Annahme wirklich freier und auch regelmäßig entgeltlicher Arbeitsverhältnisse – statt Sklaven- bzw. Zwangsarbeit – ganz überwiegend nicht zu, was Alex A. Faitelson in seinem Buch "Im jüdischen Widerstand" auf den Punkt brachte mit dem Satz: "Immer wieder kam uns der Bibelvers aus der Exodusgeschichte in den Sinn: Wir waren Pharaos Sklaven in Ägypten" (Alex Faitelson, Im jüdischen Widerstand, Elster Verlag 1998 – ISBN 3-891517-269-4, Seite 52). Begünstigt durch das ZRBG wird somit nicht die Masse der Ghetto-Arbeiter, sondern praktisch nur wenige, zum Beispiel die – besser als die Masse gestellten – ehemaligen Angehörigen des Judenrates (vgl. Alex Faitelson, Im Jüdischen Widerstand, Seite 99-101 zu den Lebensverhältnissen des Judenrates in Kaunas). Daraus folgt, dass an den Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung des Erhalts eines potentiell versicherungspflichtigen Entgeltes nicht nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Das ZRBG gibt demzufolge gerade denjenigen, denen es im Ghetto besonders schlecht ging, keine Ansprüche gegenüber denjenigen, die unter den damaligen Lebensumständen zumindest noch etwas Entgelt nennenswerter Art verdienten.

Die Kammer hat dabei auch geprüft, ob die Vorschriften des ZRBG – soweit sie hohe Anforderungen an die Entgeltlichkeit und die Freiwilligkeit der Arbeit stellen – gegen Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßen. Dies ist jedoch nicht der Fall, da der Gesetzgeber im Bereich des Rentenversicherungsrechts speziell im Bereich Wiedergutmachung einen sehr weiten Gestaltungsspielraum hat (BVerfGE 53, 164/177; 71, 66/76 f; 102, 254/209; 106, 201/206). Dieser Gestaltungsspielraum ist hier noch nicht überschritten.

Eine Abgeltung bzw. Entschädigung in Form einer Rente für die von der Klägerin von 1941 bis 1942 in Starachowize verrichteten Arbeiten wäre also nur durch eine Abänderung bzw. Korrektur der gesetzlichen Vorschriften des ZRBG möglich, nicht aber im Klagewege mit dem derzeitigen Wortlaut des ZRBG. Denn nach den vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW oben genannten Entscheidungen und dem dort abgesteckten Rahmen können Ansprüche nach dem ZRBG gar nicht erst entstehen, wenn – wie hier – allenfalls Tätigkeiten angenommen werden können ohne nennenswertes tatsächlich angemessenes Entgelt für geleistete Arbeit, das nicht über die Lebenssicherung auch hinausging.

Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der zuletzt vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für sie nicht her.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs.1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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