S 20 RJ 611/04

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 RJ 611/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 13.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2004 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit von insgesamt 15 Kalendermonaten innerhalb des Zeitraums von April 1941 bis 15.09.1942 im Ghetto Czestochowa sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, mit denen die Wartezeit erfüllt wird, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligen ist die Gewährung von Regelaltersrente unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Czestochowa, im sog. Generalgouvernement, streitig.

Die am XX.X.1912 in C. (T.) in Polen geborene Klägerin hat in K. deutsche Philologie studiert und war bis 1939 in C. als Lehrerin tätig. Als Jüdin wurde die Klägerin Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Sie musste sich im Ghetto Czestochowa im sog. damaligen Generalgouvernement und im Zwangsarbeitslager HASAG in Czestochowa aufhalten. Nach der Befreiung lebte die Klägerin bis zu ihrer Ausreise nach Israel im Jahre 1948 im DP-Lager Zeilsheim. Seit 1958 hat die Klägerin ihren Wohnsitz in den USA. Sie besitzt die dortige Staatsbürgerschaft. Die Klägerin ist als Verfolgte des Nationalsozialismus von der Wiedergutmachungsstelle des Regierungspräsidium Darmstadt - Aktenzeichen XXXXXXX - anerkannt. Sie hat Ent-schädigungsleistungen für den erlittenen Freiheitsschaden erhalten und bezieht eine Rente wegen verfolgungsbedingtem Gesundheitsschaden.

Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) hat die Klägerin in einer eidesstattlichen Versicherung im Januar 1962 erklärt, sie habe durchgehend, seit Ende 1939 bis zur Befreiung im Januar 1945 in Tschenstochau den Judenstern getragen und Zwangsarbeiten für die Deutschen geleistet. Im Antragsformular zur Geltendmachung von Wiedergutmachung wegen Schaden an Freiheit hat die Klägerin angegeben, von Januar 1940 bis September 1942 im Ghetto und von September 1942 bis Januar 1945 im Zwangsarbeitslager HASAG in Czestochowa gewesen zu sein.

Im Verfahren vor der 4. Entschädigungskammer des Landgerichts Darmstadt hat der damalige Bevollmächtigte der Klägerin zum Nachweis für Kennzeichnungspflicht und geleistete Zwangsarbeit ab September 1939 eidesstattliche Versicherungen der Zeuginnen C1 G. und M. K1 von Mai 1956 vorgelegt. Darin heißt es, die Klägerin und die Zeuginnen hätten nach dem Einmarsch der Deutschen im September 1939 die weiße Armbinde mit blauem Stern anlegen und "alle möglichen Schwarzarbeiten" zwangsweise ausführen müssen. In der Erklärung der Frau G. heißt es wörtlich: "Wir mussten uns früh morgens zum Appell auf der Strasse aufstellen und wurden dann in verschiedene Arbeitsgruppen eingeteilt. ( ...) Wir wurden von Militaer zum Arbeitsplatz geführt und wieder zurueck." Frau M. K1 hat erklärt: "Wir wurden jeden Morgen zur Arbeit eingeteilt und dann militaerisch an die verschiedenen Arbeitsstellen abgefuehrt. ( ...) Wir sind dann auch zusammen in das Ghetto Czenstochau gekommen ( ...).

Nach Vorlage dieser Zeuginnenerklärungen wurde im Juli 1956 für die Zeit von Januar 1940 bis 23.4.1941 ein Endvergleich für Freiheitsentziehung bzw. Freiheitsbeschränkung geschlossen, nachdem bereits vorher für die Zeit vom 23.4.1941 bis 13.1.1945 ein Teilvergleich geschlossen worden war.

In einem ärztlichen Gutachten zum Antrag der Klägerin auf Entschädigung wegen Körper- und Gesundheitsschaden vom 16.7.1962 heißt es: "Sie musste für die Stadthauptmannschaft Strassen- und Haeuser reinigen, die durch Judenaussiedlung frei wurden. Ein SS-Mann namens R. ging staendig mit Wachhund und Gewehr und verletzte sie am rechten Unterschenkel; von Leidensgefährten, angeblich bewusstlos, ins Ghetto gebracht ( ...) Wunde schloss sich langsam; unter Zwang nach 6 Wochen wieder zur Arbeit, von Freunden unterstützt."

Ein weiteres ärztliches Gutachten vom 18.7.1962 enthält folgende Angaben: "Die Ast. gibt an, dass sie im Ghetto Czestochowa im Winter Reinigungsarbeiten verrichten musste, sie sammelte auch Kleider und andere Gegenstaende von juedischen Häusern und musste selbe zu einem Sammelplatz bringen. Sie wurde während der Arbeit von einem S.S. Mann ohne Ursache angeschossen und erlitt eine Verletzung am rechten Unterschenkel ( ...). Sie war nach der Verletzung 3 Monate in einem Bunker versteckt ( ...) Das Bein wurde nach 3 Monaten operiert ( ...) die Wunde heilte allmaehlich und sie wurde dann nach Hassag geschickt, wo sie in einer Munitionsfabrik arbeitete."

Die Schussverletzung wird auch in einem ärztlichen Gutachten vom 9.6.1962 erwähnt. Dort heißt es: "Sie lebte waehrend dieser 6 Monate staendig in Gefahr vor Entdeckung und Vernichtung, weil sie wegen der Schusswunde nicht leistungsfaehig war."

Die Klägerin selbst hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom Januar 1962 zu der Schussverletzung ausgeführt: "Im Jahre 1942 wurde ich in der Winterzeit waehrend der Arbeit durch den SS-Posten R. am rechten Bein angeschossen ( ...) Ich lag deswegen 3 Monate, weil die Wunde nicht heilte."

Mit Schreiben vom 18.12.2002 - bei der Beklagten am 31.12.2002 eingegangen - beantragte die Klägerin Regelaltersrente. Im Antragsformular gab sie an, von 1940 bis 1943 im Ghetto Czestochowa, in Vollzeit Häuser gereinigt und Haushaltsgüter zu Märkten transportiert und dafür "extra food" erhalten zu haben.

Nach Einsichtnahme in die Entschädigungsakte des Regierungspräsidiums Darmstadt lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13.8.2003 mit der Begründung ab, die Zeit vom 1.1.1940 bis 15.9.1942 könne nicht als Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, weil weder Entgelt noch Sachbezüge im wesentlichen Umfang gewährt worden sei. Bei Tätigkeiten wie Reinigungsarbeiten oder Transport von Haushaltsgütern könne nicht von einer entgeltlichen Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausgegangen werden.

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 9.10.2003 Widerspruch, den sie wie folgt begründete: Sie habe sich im Alter von Ende zwanzig bis September 1943 im Ghetto Czestochowa aufgehalten und ihr sei sehr wohl klar gewesen, dass sie habe arbeiten müssen, oder ihr wäre ein viel schlimmeres Schicksal zugestoßen, wie Deportation oder Tod. Aus diesem Grunde habe sie freiwillig gearbeitet und dafür Sachleistungen in Form von zusätzlichem Essen erhalten, was sie bereits im Antragsformular angegeben habe. Sie habe Straßen gereinigt und Häuser geputzt und die mühsame Aufgabe gehabt, Haushaltsgegenstände für den Transport nach Deutschland vorzubereiten. Diese Beschäftigung habe sie ausgeübt, weil sie angeboten worden und ihr nacktes Überleben von der Arbeit abhängig gewesen sei. Das ZRBG besage nicht, dass bestimmte Arbeiten, wie das Putzen von Häusern und das Vorbereiten von Haushaltsgegenständen für den Transport, nicht als Beschäftigung anzusehen seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.2.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie auf den im Generalgouvernement durch Verordnung vom 26.10.1939 eingeführten Arbeitszwang für Juden. Von einer Empfehlung zur freiwilligen Arbeitsleistung könne daher nicht ausgegangen werden. Auch aus den Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren ergebe sich, dass sie die Beschäftigung nicht aus freiem Willensentschluss habe wählen können.

Gegen den Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin mit der am 6.5.2004 erhobenen Klage. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und führt ergänzend aus, bei den Extra-Lebensmitteln, die sie erhalten habe, habe es sich nicht um eine bloß symbolische Bezahlung gehandelt. Sie sei überzeugt, dass sie überlebt habe, weil sie diese extra Lebensmittel erhalten habe. Als sie in das Ghetto gezwungen worden sei, sei sie körperlich fit gewesen und habe sich daher entschlossen, zu arbeiten, denn ihr sei klar geworden, dass sie, wenn sie sich bei den Deutschen nützlich machte, ein gewisses Maß an Sicherheit erhalten würde. Sie habe geglaubt, die besten Überlebenschancen zu haben, wenn sie arbeitete. Obwohl sie unter schrecklichen Bedingungen gearbeitet habe, habe sie sich glücklich geschätzt, eine Stelle zu haben. Die Behauptung der Beklagten, dass es sich bei der geleisteten Arbeit um eine Arbeit nach Wahl des Überlebenden gehandelt haben müsse, sei nicht richtig. Das Gesetz verlange nur, dass man freiwillig gearbeitet habe, nicht dass die letztendlich gewählte Arbeit frei gewählt sein müsse. Ihre Erinnerungen seien auch 60 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen sehr genau in Bezug darauf, was und warum sie im Ghetto gearbeitet habe.

Der im Verlauf des Klageverfahrens beauftragte Prozessbevollmächtigte der Klägerin trägt ergänzend vor, dass sich die Arbeitsstätten der Klägerin innerhalb und außerhalb des Ghettos befunden hätten. Die Straßenreinigungsarbeiten habe die Klägerin hauptsächlich in der A.-Straße geleistet. Zeitweise habe sie auch das Haus eines Hauptmanns gereinigt, der eine Führungsaufgabe für die deutschen Behörden im Ghetto gehabt habe. Die Klägerin könne sich auch daran erinnern, dass sie innerhalb des von ihr als "klein" beschriebenen Ghettos in jüdischen Häusern Haushaltswaren gesammelt habe, die weitertransportiert bzw. später an Polen verkauft werden sollten. Bei den genannten Arbeiten habe es sich um begehrte Tätigkeiten gehandelt. Bei Arbeiten außerhalb des Ghettos sei die Klägerin nach Ende der täglichen Arbeitszeit wieder in das Ghetto zurückgekehrt. Die Essensrationen, die die Klägerin erhalten habe, seien über den täglichen Bedarf an Lebensmitteln und die Verköstigung am Arbeitsplatz hinausgegangen. Die Klägerin könne sich speziell daran erinnern, Extrarationen an Brot und Gemüse, u. a. Kohlrabi, erhalten zu haben. Mit den Nahrungsmittelrationen habe die Klägerin insbesondere ihre ebenfalls im Ghetto lebende Mutter versorgen können. Soweit im Entschädigungsverfahren Angaben zu Zwangsarbeiten gemacht worden seien, sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin im Zeitraum 1943 bis 1945 zur Zwangsarbeit in der Munitionsfabrik HASAG herangezogen worden sei. Zu den Umständen ihrer Verletzung habe die Klägerin gegenüber dem Prozessbevollmächtigten erklärt, dass an einem besonders regnerischen Tag nur wenige der gesammelten Erlöse an Polen hätten veräußert werden können. Der zuständige SS-Mann, der das Geld einkassiert habe, habe daraufhin zwei junge Frauen erschossen. Die Klägerin sei von ihm ins Bein geschossen worden. Ihr sei klar gewesen, dass sie, wenn das Ausmaß ihrer Verletzung bekannt geworden wäre, getötet werden würde. Sie sei nach wenigen Wochen zur Arbeit zurück gekehrt. Die pauschale Bezugnahme der Beklagten auf die Verordnung über den Arbeitszwang sei im übrigen nicht geeignet, die Freiwilligkeit der Arbeitsleistung der Klägerin in Frage zu stellen. Es komme vielmehr auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis an. Die Beklagte unterlaufe mit ihren Ausführungen zur Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der Arbeitsleistungen das Anliegen des ZRBG. Auf die Diskrepanz zwischen dem Anliegen des Gesetzgebers und der konkreten Anwendung des Gesetzes in der Praxis sei bereits im Rahmen einer Kleinen Anfrage vom 24.6.2003 (Bundestagsdrucksache 15/1290) hingewiesen worden. In ihrer Antwort vom 8.8.2003 (Bundestagsdrucksache 15/1475) habe die Bundesregierung deutlich gemacht, dass bei der Verabschiedung des Gesetzes von einer viel zu geringen Anzahl von Berechtigten ausgegangen worden sei. Rein fiskalische Erwägungen seien sachfremd und dürften der Verwaltungspraxis nicht zu Grunde gelegt werden. Anliegen des Gesetzgebers sei es gewesen, bestehende Lücken im Rentenversicherungsrecht, die zu Lasten von Ghetto-Arbeitern gingen, zu beseitigen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.8.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.2.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Ghettobeitragszeit von insgesamt 15 Kalendermonaten innerhalb des Zeitraums April 1941 bis 15. September 1942 im Ghetto Czestochowa sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, mit denen die Wartezeit erfüllt wird, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

der Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Angaben der Klägerin im zeitnäheren Entschädigungsverfahren. Diese belegten eindeutig den Zwangsarbeitscharakter der Tätigkeiten. Insbesondere die geschilderte strenge Bewachung bei der Arbeit spreche gegen ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG. Aus den Angaben in der Entschädigungsakte gehe hervor, dass die Klägerin sich mit anderen frühmorgens zum Appell auf der Straße habe aufstellen müssen und in verschiedene Arbeitsgruppen eingeteilt worden sei. Während der Arbeit sei sie von SS-Personal bewacht worden. Nach sechswöchigem Krankenhausaufenthalt im Ghetto habe sie unter Zwang wieder zur Arbeit gemusst. Auch dies belege den Zwangsarbeitscharakter der Tätigkeit. Dafür dass die Klägerin Arbeiten im Arbeitsbataillon im Rahmen einer Vertretung ausgeübt haben könnte, seien keine Hinweise ersichtlich. Es sei daher davon auszugehen, dass es sich um obrigkeitlich zugewiesene Arbeiten gehandelt habe.

Mit Beweisanordnung vom 9.6.2005 hat das Gericht den Historiker Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines Gutachtens über die Verhältnisse in den im Generalgouvernement befindlichen Ghettos beauftragt.

Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung hat das Gericht des weiteren die beim Regierungspräsidium Darmstadt geführte, die Klägerin betreffende Akte zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes beigezogen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 2.5.2006 hat der Vertreter der Beklagten für den Fall, dass die Beklagte eine Regelaltersrente zu gewähren hätte, erklärt, dass die Wartezeit unter Berücksichtigung der anzuerkennenden Ersatzzeiten erfüllt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Rentenakte der Beklagten sowie der beigezogenen Akte des Regierungspräsidiums Darmstadt verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidung der Kammer gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten, denn sie hat das 65. Lebensjahr vollendet, die allgemeine Wartezeit erfüllt und glaubhaft gemacht, dass sie im Ghetto Czestochowa eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausgeübt hat.

Gem. §§ 35, 50 Abs. 1 S. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat Anspruch auf Regelaltersrente, wer das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten Versicherungszeit erfüllt hat. Auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren werden Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und 4 SGB VI).

Beitragszeiten sind nach §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch so genannte fiktive Beitragszeiten, d.h. Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Die Klägerin hat weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht gezahlt. Als polnische Staatsangehörige in Czestochowa im sog. `Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete´ galt für sie auch nach der Besetzung Polens durch das deutsche Reich das polnische Sozialversicherungsrecht, so dass eine Beitragsentrichtung nach den Reichsversicherungsgesetzen nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2005, B 13 RJ 59/03 R; zur Rechtslage im sog. Generalgouvernement ausführlich: BSG, Urteil vom 23.8.2001, B 13 RJ 59/00 R).

Für die Klägerin gelten aber Beiträge als gezahlt, denn auf die Beschäftigungszeit im Ghetto Czestochowa ist das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (BGBl I 2074) – ZRBG - anwendbar (dazu unter 1.) mit der Folge, dass Beiträge für die Zeit als gezahlt gelten (2.).

1. Die Anwendung des zum 1.7.1997 in Kraft getretenen ZRBG setzt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 voraus, dass der oder die Verfolgte - sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, das sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, - eine Beschäftigung ausgeübt hat, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und - gegen Entgelt ausgeübt wurde soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.

Für die Feststellung der nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt deren Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG -). Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn die ´gute Möglichkeit` besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller es geltend macht (BSG, Urteil vom 3. 2.1999, B 9 V 33/97 R).

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG, denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass sie während ihres zwangsweisen Aufenthaltes im Ghetto (dazu unter a) eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (b) und gegen Entgelt (c) ausgeübt hat.

a) Die Klägerin hat sich ab April 1941 bis zu ihrer Verbringung in das Zwangsarbeitslager HASAG Pelzery am 15.9.1942 zwangsweise im Ghetto Czestochowa aufgehalten. Über den Beginn ihres Aufenthaltes im Ghetto hat sie zwar im Entschädigungsverfahren und auch im Rentenverfahren angegeben, bereits im Jahre 1940 im Ghetto gelebt zu haben. Ausweislich der Verzeichnisse über Ghettos und Haftstätten unter www. keom. de, www. yad-vashem. org, www. deathcamps. org sowie der Enzyklopädie des Holocaust (Hrsg. Israel Gutman, Band 3, S. 1433) wurde das Ghetto in Czestochowa aber erst Anfang April 1941 – die Angaben differieren zwischen 7. und 9. April 1941 - eingerichtet. Ab diesem Zeitpunkt musste sich die jüdische Bevölkerung von Czestochowa zwangsweise im Ghetto aufhalten.

Dass die Klägerin ursprünglich angegeben hat, bereits 1940 im Ghetto gelebt zu haben, ist nachvollziehbar und beeinträchtigt ihre Glaubwürdigkeit nicht, denn die Konzentrierung, Separierung und Einschränkung der Freizügigkeit der Juden im Generalgouvernement begann bereits lange vor der Ghettoisierung mit der Verordnung über die Kennzeichnung (Verordnung über die Kennzeichnung von Juden und Jüdinnen im Generalgouvernement vom 23.11.1939, VOBlGG Nr. 8/30.11.1939, S. 6 f.) und der Wohnsitzbindung (Durchführungsverordnung zur Verordnung vom 26.10.1939 über die Einführung des Arbeitszwangs vom 11.12.1939, VOBlGG Nr. 13/21.12.1939, S. 231 f.) Bereits diese Einschränkungen dürften geeignet sein, von den Betroffenen als Ghettoisierung erinnert zu werden.

Die Klägerin hat angegeben, sich bis 15.9.1942 im Ghetto befunden zu haben und danach in das ZAL Hasag Pelzery verbracht worden zu sein. Dies ist vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnisse plausibel. Das Ghetto Czestochowa hat bis Oktober 1942 existiert (www. keom. de, www. deathcamps. org.). Das ZAL HASAG Pelzery wurde am 22.9.1942 eröffnet.

b) Die Klägerin hat im Ghetto Czestochowa eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt.

Die Auslegung des Begriffs Beschäftigung im Sinne des ZRBG hat sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung versicherungspflichtiger `freier´ Beschäftigung von Zwangsarbeit zu orientieren. Mit den Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs. 1 ZRBG hat der Gesetzgeber nämlich erkennbar an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angeknüpft. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde das ZRBG durch den Deutschen Bundestag in Reaktion auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichtes aus dem Jahr 1997 zu Beschäftigungszeiten im Ghetto Lodz - Urteile vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95 und 5 RJ 68/95 - beschlossen. Die in § 1 Abs. 1 ZRBG genannten Kriterien folgen ausdrücklich dieser Rechtsprechung (Deutscher Bundestag – BT - Drs. vom 19.3.2002, 14/8583, S. 5 f.). Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses soll im Rahmen des ZRBG sicherstellen, dass ein gewisser Bezug zur Versichertengemeinschaft gegeben ist, denn der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG zwar eine bisher bestehende Lücke bei der Wiedergutmachung schließen wollen (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.4.2002, 14/233, S. 2379, Reden von Claudia Nolte, Ekin Deligöz, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Ilja Seifert) aber kein reines Entschädigungsgesetz geschaffen (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Bericht zur Umsetzung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) vom 15.2.2005, S.6; zur Auslegung des ZRBG siehe auch: BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R und Urteil vom 20.7.2005, B 13 RJ 37/04 R).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Rentenversicherungsrechts sein Zustandekommen durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sein Zweck, nämlich der Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt, kennzeichnend (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R; Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R). Dabei handelt es sich bei dem Terminus Beschäftigungsverhältnis um keinen scharf konturierten Begriff, sondern um einen Typus, dessen kennzeichnende Merkmale in unterschiedlichem Maße gegeben sein können. Selbst das Fehlen einzelner Merkmale muss nicht zur Verneinung einer Beschäftigung führen (BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98, mit Verweis auf BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgeblich ist stets das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.

Keine versicherungspflichtige Beschäftigung liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG vor bei Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen (vgl. nur BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R). Charakteristisch für das Vorliegen von Zwangsarbeit ist danach die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Je mehr das Arbeitsverhältnis durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der einzelne nicht entziehen kann, desto mehr entfernt es sich vom Typus der Beschäftigung und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an (BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 m.w.N.).

Für die Charakterisierung der in einem Ghetto geleisteten Arbeit ist von Bedeutung, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt betreffen, bei der Beurteilung von Arbeitsleistungen außer Betracht bleiben (BSG, Urteile vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98 und 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R). In seiner Entscheidung zur Beschäftigung im Ghetto Lodz vom 18.6.1997 hat der 5. Senat des BSG ausgeführt, dass die allgemeinen sonstigen Lebensumstände des Arbeitenden - sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld - bei der Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses außer Betracht bleiben. Die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" sind danach grundsätzlich zu trennen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Beschäftigungsverhältnis aus eigenem Antrieb begründet wurde (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95).

Dass die Klägerin während ihres Zwangsaufenthaltes im Ghetto gearbeitet hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Sie selbst hat im Entschädigungsverfahren angegeben, seit Ende 1939 bis Januar 1945 für die Deutschen Zwangsarbeiten geleistet zu habe. Auch in ihrem formlosen Rentenantrag vom 18.12. hat sie angegeben als "forced laborer" gearbeitet zu haben.

Trotz der Verwendung dieser Begrifflichkeiten ist die Kammer der Ansicht, dass die Klägerin im Ghetto im Rahmen ´freier` Beschäftigungsverhältnisse tätig war. Die Verwendung des Begriffs Zwangsarbeit lässt nämlich regelmäßig keinen Aufschluss über die konkreten Bedingungen der im Ghetto geleisteten Arbeit zu. Vielmehr dürften in der Erinnerung der Betroffenen die Zwangsbedingungen im Ghetto und die mit dem Nicht-Innehaben eines Arbeitsplatzes verbundene Angst vor Deportation und Vernichtung auch die Beurteilung der Arbeitsumstände wesentlich geprägt haben. Der Terminus Zwangsarbeit bzw. "forced labor" ist daher bei den Überlebenden des Holocaust für Arbeitstätigkeiten während der gesamten nationalsozialistischen Verfolgung durchaus gebräuchlich. Aus der Verwendung der Begriffe kann aber wegen ihrer subjektiven Prägung (vgl. BSG Urteil vom 30.8.2001, B 13 RJ 59/00 R) eine Klassifizierung in die Kategorien des Rentenrechts nicht abgeleitet werden. Maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Zustandekommens und der Aufnahme der Beschäftigung im Einzelfall.

Ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Art der Tätigkeit der Klägerin im Ghetto Czenstochau erlauben die Aussagen der Zeuginnen C1 G1 und M. K1 im Entschädigungsverfahren. Deren Schilderungen morgendlicher Appelle und die Aussagen über Arbeiten unter militärischer Bewachung beziehen sich - wie sich aus der Entschädigungsakte ohne Zweifel ergibt - auf die Zeit vor dem Aufenthalt im Ghetto.

Auch der im Oktober 1939 verordnete Arbeitszwang der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement lässt - entgegen der Annahme der Beklagten im Widerspruchsbescheid - nicht den Schluss zu, bei der Arbeit der Klägerin habe es sich um Zwangsarbeit gehandelt.

In seinem Urteil vom 14.7.1999 (5 B 13 RJ 71/98) hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, d.h. trotz Regulierung des Arbeitsmarktes und Bestehens von Arbeitspflichten, nicht davon ausgegangen werden kann, die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse sei derart obrigkeitlich / hoheitlich überlagert gewesen, dass sie den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätten.

Auch der Gesetzgeber des ZRBG hielt es offensichtlich für möglich, dass Beschäftigungsverhältnisse aus eigenem Willensentschluss in den von Arbeitszwang und anderen Einschränkungen der jüdischen Bevölkerung gekennzeichneten besetzten Gebieten möglich waren, denn anderenfalls liefe der Anwendungsbereich des Gesetzes leer.

Bestätigt wird diese Auffassung durch historische Quellen und Erkenntnisse, aus denen hervorgeht, dass trotz des gegen die jüdische Bevölkerung verhängten Arbeitszwanges im Generalgouvernement auch ´freie` Beschäftigungsverhältnisse existiert haben.

Dies ergibt sich zum einen aus der Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinsatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568 ff., Original: Jüdisches Historisches Institut Warschau) in der es heißt: ( )" in allen geeigneten Fällen ist) zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen. Die Beschäftigung der Juden hat zweierlei zum Ziel: 1) die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeinen, 2) die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im einzelnen noch festzulegen ( ) b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht. Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei grösseren Projekten, bei denen eine grosse Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann. ( ) Die Gestellung einer jüdischen Arbeitskraft ist nur noch beim zuständigen Arbeitsamt zu beantragen ( ) Die Judenräte sind zu veranlassen, Anträge auf Gestellung von Zwangsarbeitern in Zukunft in jedem Falle an das zuständige Arbeitsamt zu verweisen."

Zur Frage der Arbeitsverhältnisse von Juden in den Ghettos im Generalgouvernement legt der Historiker Professor Dr. G. in seinem gerichtlich veranlassten Gutachten zum Generalgouvernement vom 9.9.2005 (künftig: Gutachten Prof. G.) am Beispiel des Warschauer Ghettos im einzelnen dar, wie die von den Deutschen eingesetzten Judenräte der Arbeitsverpflichtung entgegenzuwirken versuchten, indem sie sich verpflichteten, jeden Tag eine bestimmte Anzahl von Juden zur Arbeitsleistung abzustellen. Der Judenrat registrierte alle dem Arbeitszwang unterliegenden Juden, stellte namentliche Arbeitsaufforderungen und Arbeitskarten aus und versuchte so, den Arbeitszwang gleichmäßig zu verteilen. Für die Inhaber der Arbeitskarten bestand die Verpflichtung, an bestimmten Tagen des Monats zu arbeiten. An den anderen Tagen waren sie frei (Gutachten Prof. G., S. 4, 5). Es wurden "Arbeitsbataillone" gebildet, die unter deutscher Eskorte an ihre Einsatzstellen marschierten. Die Qualität der Arbeitsstellen, so der Gutachter, sei nicht generalisierbar. Die Arbeiter, die auf diese Weise eingesetzt wurden, seien vom Judenrat - manchmal mit großem Verzug – bezahlt worden. Bereits im Dezember 1939 habe der Warschauer Judenrat allen jüdischen Bewohnern der Stadt eine Kontribution zu Gunsten der Arbeitsbataillone auferlegt. Professor Dr. G. spricht hinsichtlich des Arbeitszwang von einer eingeschränkten faktischen Freiwilligkeit, denn den Aufgerufenen war es freigestellt, Vertreter zu benennen, die an ihrer statt die Arbeiten ausführten. Er zitiert eine Veröffentlichung von Ruta Sakowska, der zufolge die Arbeitspflicht für zwei Tage in der Woche galt, praktisch jedoch nie Freiwillige fehlten, die sich selber zur Arbeit meldeten" (Gutachten Prof. G., S. 5, Fußnote 10). Freiwillige seien vor allem solche Juden gewesen, die ohne Geldmittel waren und auf diese Weise zu geringen Geldsummen kamen, auf deren Basis sie überleben zu können meinten. Die "Vertretung" sei im allgemeinen durch den Judenrat organisiert worden. Er habe als eine Art Arbeitsverleiher fungiert, dem sich die Vertreter freiwillig zur Verfügung gestellt haben (Gutachten Prof. G., S. 5, 10 f.). Die Entscheidung zur Arbeit sei trotz des eigentlich bestehenden Arbeitszwanges, der nur sporadisch gegriffen habe, von den persönlichen Verhältnissen abhängig gewesen. Für Lemberg, wo die Arbeitspflicht einen Tag in der Woche betrug, beschreibt Professor G., dass im Laufe der Zeit sowohl militärische als auch zivile deutscher Objekte und Unternehmen jüdische Facharbeiter anforderten. Die Arbeit für die Deutschen sei auch für die Juden angenehm gewesen, weil die deutschen Arbeitgeber mit Geld gezahlt hätten (Gutachten Prof. G., Seite 5 f.). Wiederum am Beispiel des Warschauer Ghettos stellt der Gutachter das System der Arbeitstätigkeit innerhalb des Ghettos in verschiedenen Betrieben und Werkstätten dar. Hinsichtlich der Übertragbarkeit auf andere Ghettos weist er ausdrücklich darauf hin, dass das System der Arbeitsleistung und Beschäftigung in den anderen größeren Ghettos des Generalgouvernement - wozu mit 48.000 Personen ausdrücklich auch Czestochowa gehörte - ähnlich war (Gutachten Prof. G., S. 8).

Aus einem anonymen Tagebuch zitiert Prof. Dr. G.: "Die Beschäftigten, die formal Arbeitenden, das war eine privilegierte Kaste ( ...) Jeder, der offen und legal arbeitete, mit einem entsprechenden Ausweis und auf eine Weise, wie sie durch die neue Ordnung verfügt wurde, war einer der Auserwählten, der Gesicherten, der Gedeckten, der Menschen, die einen Ort gefunden hatten." (Gutachten Prof. G., S. 11, Fußnote 27). Der Gutachter führt aus: "Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen, war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance - materiell und geistig. ( ...) Damit sind auch die Umschulungskurse zu erklären und die Tatsache, dass es meistens mehr Interessenten als Arbeitsplätze gab. Wer keine Arbeit fand, stand nicht nur materiell schlechter da, er sah sich auch in der `neuen Ordnung´ unmittelbar gefährdet (Gutachten Prof. G., S. 11).

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Klägerin im Ghetto Czestochowa aus eigenem Willensentschluss beschäftigt war.

In Anbetracht der Angaben der Klägerin, der Anordnungslage zur Beschäftigung der Juden im Generalgouvernement und vor dem Hintergrund des im Gutachten Prof. G. beschriebenen Systems der Arbeitsleistung und Beschäftigung in den großen Ghettos im Generalgouvernement ist das Vorliegen eines bzw. mehrerer Beschäftigungsverhältnisse, die die Klägerin aus eigenem Willensentschluss eingegangen ist, glaubhaft.

Bereits aus der Entschädigungsakte geht hervor, dass die Klägerin während ihres Aufenthaltes im Ghetto Czestochowa Reinigungsarbeiten ausgeführt sowie Kleidung und andere Gegenstände aus jüdischen Häusern gesammelt und zu einem Sammelplatz gebracht hat. Diese Tätigkeiten hat sie auch im Rahmen des Rentenverfahrens und im Klageverfahren genannt. Das Gericht sieht daher keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Klägerin diese Arbeiten ausgeübt hat. Wie sie an diese Arbeiten gekommen ist, kann der Entschädigungsakte nicht entnommen werden. Die Beschäftigung im Ghetto und erst recht die Umstände, die der Aufnahme einer Arbeit zu Grunde lagen, spielten für die Wiedergutmachung keine Rolle. Aus dem Entschädigungsverfahren lassen sich daher keine diesbezüglichen Erkenntnisse gewinnen.

Im Widerspruchs- und Klageverfahren hat die Klägerin ausgeführt, sie habe sich für die Tätigkeiten entschlossen, weil sie sich davon die besten Überlebenschancen versprochen habe. Sie sei dadurch in der Lage gewesen, zu überleben.

Diese Angaben der Klägerin sind vor dem Hintergrund der Erkenntnisse über die Umstände der Arbeitsaufnahme in den größeren Ghettos im Generalgouvernement glaubhaft.

Aus den historischen Erkenntnissen ergibt sich, dass Reinigungs- und Aufräumarbeiten in den Ghettos des Generalgouvernements sowohl im Rahmen von Zwangsarbeit als auch im Rahmen `freier´ Beschäftigung erbracht werden konnten. Wie Professor Dr. G. in seinem Gutachten (S. 11 f.) ausdrücklich erwähnt, konnte die Tätigkeit als Straßenreiniger höchst erstrebenswert sein und war gerade bei Intellektuellen, die über keine handwerklichen Fertigkeiten verfügten, begehrt. Für sie stellten ungelernte Arbeiten wie Müllabfuhr etc. eine Möglichkeit dar, um in den Vorteil der ´positiven Effekte einer geregelten Arbeit` zu kommen. Das Gericht hält es daher für gut möglich, dass die Klägerin als Akademikerin, die im Ghetto kaum andere Arbeitschancen gehabt haben dürfte, gerade ungelernte Tätigkeiten, wie die genannten, angenommen hat.

Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass die Art der Tätigkeit – etwa Reinigungstätigkeiten - ein maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung des ´frei` gewählten Beschäftigungsverhältnisses von der Zwangsarbeit abzugeben vermag (so auch Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Bericht zur Umsetzung des ZRBG, a.a.O., S. 15). Eine Vermutung für das Vorliegen von Zwangsarbeit kann allenfalls für die Arbeit in Straßenbaukolonnen gelten, für der es – dem Gutachten Prof. Dr. G. folgend – keinen Anreiz gab, sich freiwillig zur Verfügung zu stellen (Gutachten S. 13).

Soweit die Klägerin damit befasst war, Gegenstände aus ehemals jüdischen Wohnungen zu einem Sammelplatz zu bringen, deutet einiges – insbesondere die der Klägerin durch einen SS-Mann im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit zugefügte Schussverletzung - darauf hin, dass die Arbeit der SS zu Gute kam oder sogar unmittelbar im Auftrag der SS erfolgte. Eine Vermutung, es handele sich deshalb um Zwangsarbeit, ergibt sich daraus nicht, denn es bestehen keine allgemeingültigen Regeln, die darauf hindeuten, dass die SS sich Arbeitskräfte im Wege der Zwangsarbeit und nicht über die Vermittlungstätigkeit des Judenrates beschafft hat. Nur soweit es sich um unbeliebte Arbeitsplätze handelte, kann vermutet werden, dass diese im Rahmen von Zwangsmaßnahmen besetzt wurden (S. 13 Gutachten Prof. G.). Vorliegend ist aber nicht ersichtlich, dass es sich um unbeliebte Arbeiten handelte. Moralisch-wertende Vorstellungen dahingehend, dass das Sammeln zurückgelassener Haushaltsgegenstände deportierter Juden nur unter Zwang erfolgt sein könne - wie von der Beklagten angedeutet - gehen in Anbetracht der Lebensumstände der jüdischen Bevölkerung unter der Herrschaft der Nationalsozialisten fehl.

Gegen die Annahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss spricht im Ergebnis auch nicht die Formulierung in dem ärztlichen Gutachten des H. E., M.D., aus dem Jahre 1962, der im Zusammenhang mit den Folgen der Schussverletzung der Klägerin schrieb: "unter Zwang nach 6 Wochen wieder zur Arbeit". Das Gericht sieht in dieser Formulierung keinen Hinweis darauf, dass die Klägerin unter Zwang zur Arbeit verbracht wurde, als vielmehr eine Umschreibung der von den Ghettobewohnern wahrgenommen Gefährdung Leistungsunfähiger, die nämlich unmittelbar von Deportation oder Ermordung vor Ort bedroht waren (vgl. Gutachten Prof. G. S. 12). Dies wird auch aus dem ärztlichen Gutachten des H1 W. M.D. deutlich, in dem es über die verletzte Klägerin heißt, sie lebte ( ...) ständig in Gefahr vor Entdeckung und Vernichtung, weil sie wegen der Schusswunde nicht leistungsfähig war.

In diesem Zusammenhang wird auch das von der Klägerin genannte Motiv der Arbeitsaufnahme, nämlich bessere Überlebenschancen zu haben, plausibel. Arbeit in den Ghettos war – wie die historischen Erkenntnisse belegen – begehrt, da diejenigen, die im Ghetto keine Arbeit fanden, nicht nur materiell schlechter gestellt waren sondern sich auch in der `neuen Ordnung´ unmittelbar gefährdet sahen (vgl. Gutachten Prof. G., S. 11, 12). Dass die Klägerin die Arbeit nicht nur wegen des Erhalts von Extra-Lebensmitteln aufgenommen hat, sondern insbesondere, um "sich nützlich zu machen" und dadurch bessere Überlebenschancen zu haben, ist demnach für Ghetto-Arbeit typisch. Das Motiv zu Überleben spricht auch nicht gegen ein Beschäftigungsverhältnis, denn die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, bleiben bei der Beurteilung außer Betracht (BSG, Urteile vom 14.7.1999 - B 13 RJ 71/98 - und 21.4.1999 - B 5 RJ 48/98 R). Auch wenn die Hoffnung, durch die Arbeit bessere Überlebenschancen zu haben, gegenüber der Erlangung eines wirtschaftlichen Wertes womöglich im Vordergrund steht, stellt dies den Typus des Beschäftigungsverhältnisses nicht in Frage, solange die Arbeit aufgrund eigenen Antriebs und nicht unter obrigkeitlichem Zwang aufgenommen wurde.

Bei der Beurteilung des notwendigen eigenen Willensentschlusses kommt es im Übrigen, wie die Klägerin zu Recht ausführt, auch nicht darauf an, dass dieser sich auf die konkret ausgeübte Beschäftigung bezieht. Selbst wenn die Klägerin nicht zwischen verschiedenen Arbeitstätigkeiten hat wählen können, stellt dies den eigenen Willensentschluss nicht in Frage, solange sie sich auch gegen die Arbeitsaufnahme hätte entscheiden können. Davon ist die Kammer aber vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnisse, der beigezogenen Unterlagen und der Erklärungen der Klägerin überzeugt.

Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts im Ghetto Czestochowa zeitweise auch außerhalb des Ghettos tätig war, wie dies aus ihren eigenen Ausführungen und aus den im Entschädigungsverfahren erstellten ärztlichen Gutachten hervorgeht. Dabei spricht einiges dafür, dass es sich bei den Tätigkeiten außerhalb des Ghettos – sei es bei den Reinigungsarbeiten, sei es beim Sammeln von Gegenständen aus jüdischem Eigentum - um Arbeiten im Rahmen der im Gutachten Prof. G. beschriebenen Arbeitsbataillone handelte. Diese Arbeit in den Arbeitsbataillonen war für die jeweils Aufgerufenen dem Grunde nach als Zwangsarbeit angelegt. Vor dem Hintergrund der gutachterlichen Ausführungen über die Meldung Freiwilliger zur Arbeit in den Arbeitsbataillonen, liegt aber im Falle regelmäßiger Tätigkeit, die über die ein bis zwei Tage bestehende Arbeitspflicht hinausging die Annahme einer Arbeit vom Typus des Beschäftigungsverhältnisses nahe, denn die Betroffenen haben sich - außerhalb ihrer eigentlichen Verpflichtung – aus eigenem Antrieb gemeldet, hätten der Arbeit aber ebenso fernbleiben und sich etwa um andere Arbeiten bemühen können. Dass die Klägerin regelmäßig und nicht nur ein- oder zweimal pro Woche gearbeitet hat, hält die Kammer aufgrund der der Entscheidung zugrunde liegenden Unterlagen für glaubhaft. Selbst wenn sie die außerhalb des Ghettos ausgeübten Tätigkeiten im Rahmen von Arbeitsbataillonen ausgeführt hat, steht dies einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss daher nicht entgegen.

Auch bei den außerhalb des Ghettos verrichteten Arbeiten handelt es sich um ´Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto` nach § 1 Abs. 1 ZRBG. Die Klägerin hat glaubhaft erklärt, nach der Arbeit außerhalb des Ghettos, ins Ghetto zurückgekehrt zu sein. Da die Klägerin auf der Straße bzw. in Häusern oder Wohnungen tätig war, ist auch nicht ersichtlich, wo sie außerhalb des Ghettos hätte untergebracht sein sollen.

Nach Sinn und Zweck der Regelung des § 1 Abs. 1 ZRBG liegt im Falle der täglichen Rückkehr ins Ghetto eine Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG vor. Der insoweit nicht eindeutige Wortlaut ist nach Auffassung der Kammer dahingehend auszulegen, dass es auf den Aufenthalt der Verfolgten im Ghetto und nicht darauf ankommt, ob auch der Ort der Beschäftigung innerhalb des Ghettos lag (im Ergebnis ebenso die Arbeitsanweisungen der Beklagten: Gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestand Hamburg, Sonstige Gesetze – ZRBG – EL N 22, Stand 8/2004, R 3, S.2). Dass das ZRBG auch Arbeit außerhalb des Ghettos umfasst, wenn sie "Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto" war, ist auch in der Gesetzesberatung betont worden (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.4.2002, 14/233, S. 23281, Rede Dr. Irmgard Schwaetzer).

Das Gericht hat eine Ghettobeitragszeit von insgesamt 15 Kalendermonaten innerhalb des Zeitraums April 1941 bis 15. September 1942 angenommen, da die Klägerin während des Ghettoaufenthalts infolge der erlittenen Schussverletzung drei Monate arbeitsunfähig war und sich im Ghetto versteckt hielt. Den Angaben der Klägerin zufolge wurde sie im Jahr 1942 in der Winterzeit von dem SS-Mann angeschossen. Eine genaue Zeitangabe findet sich – auch in der Entschädigungsakte – nicht. Soweit die Angaben der medizinischen Gutachter im Entschädigungsverfahren über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach der Schussverletzung differieren, hält das Gericht es für überwiegend wahrscheinlich, dass die Angaben der Klägerin in ihrer eidesstattlichen Versicherung aus dem Jahr 1962 richtig sind.

c) Die Klägerin hat die Tätigkeiten im Ghetto Czestochowa gegen Entgelt ausgeübt.

Auch bei der Auslegung des Entgeltbegriffs im Sinne des ZRBG ist die bisherige Rechtsprechung des BSG zur entgeltlichen Beschäftigung heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Diese geht im wesentlichen zurück auf § 1226 Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F., § 1227 RVO n.F. wonach die Versicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses an dessen Entgeltlichkeit anknüpfte, wobei die Form der Entgeltzahlung grundsätzlich unerheblich war. Eine Beschäftigung, für die als Entgelt nur freier Unterhalt gewährt wurde, war allerdings seit jeher versicherungsfrei. Werden an Stelle des freien Unterhalts Sachbezüge oder auch geringfügige Geldbeträge zur Bestreitung des notwendigen Unterhalts geleistet so geht dies über die freie Unterhaltsgewährung hinaus, es sei denn, es handelt sich um Sachbezügen in geringerem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten. Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf es keiner wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Arbeit und Gegenleistung (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95), das Entgelt muss aber – auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - eine gewisse Mindesthöhe erreichen (BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R). Bei Gewährung von Lebensmitteln ist zu prüfen, "ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch oder nach vorbestimmte Maße zur beliebigen Verfügung gegeben werden" (BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R, mit Hinweisen auf die Kommentarliteratur). Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat der 13. Senat in seiner Entscheidung vom 7.10.2004 die Gewährung (guter) Verpflegung am Arbeitsplatz im Ghetto Warschau nicht als Entgelt angesehen.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber Nahrungsmittel nicht nur zum unmittelbaren Verbrauch am Arbeitsplatz sondern zur beliebigen Verfügung erhalten.

Die Klägerin hat in ihrem Rentenantrag angegeben, für die Arbeit im Ghetto "extra food" erhalten zu haben. Im Widerspruchsverfahren und im Klageverfahren hat sie ebenfalls ausgeführt, zusätzliches Essen als Entgelt erhalten zu haben. Über ihren – im Laufe des Klageverfahrens eingeschalteten - Prozessbevollmächtigten hat sie ergänzend vorgetragen, sie könne sich daran erinnern, dass die zusätzlichen Nahrungsmittelrationen über den täglichen Bedarf an Lebensmitteln hinausgegangen seien. Es habe sich u.a. um Extra-Rationen Brot und auch um Gemüse, u.a. Kohlrabi, gehandelt. Diese Nahrungsmittel habe sie nicht am Arbeitsplatz verzehrt, sondern mit nach Hause genommen, unter anderem um ihre ebenfalls im Ghetto lebende Mutter zu versorgen.

Das Gericht hat keinen Anlass, an diesen Angaben der Klägerin zu zweifeln. Dabei spricht für die Glaubwürdigkeit der Klägerin insbesondere, dass sie bereits bei Rentenantragstellung zusätzliche Nahrungsmittel als Entgelt angegeben hat. Dort hat sie differenziert zwischen dem Verdienst für die Arbeit im Ghetto ("extra food") und dem Verdienst für die Tätigkeit im DP-Camp ("food"). Die Angaben sind zudem vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnisse schlüssig, wonach die in Beschäftigungsverhältnissen tätigen Juden im Generalgouvernement grundsätzlich Anspruch auf Vergütung hatten.

Grundlage für die Entlohnung der jüdischen Arbeiter war die bereits genannte Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinssatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568, 571) in welcher es heißt:

"Bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Man überlies diese vielmehr den Judenräten. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitstätigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsmässige Entlohnung gefordert werden. Bei den nicht zur Zwangsarbeit einberufenen, sondern v e r m i t t e l t e n Arbeitskräften hat eine ordnungsmässige Entlohnung auf Grund der noch zu erlassenen Tarifordnung zu erfolgen.( ) Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis nicht möglich ist, ist der Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische Arbeitskräfte – vermindert um 20% zu gewähren."

Auch die Tätigkeiten im Rahmen der Ghetto-Dienstleistungen oder in den Arbeitsbataillonen wurden vom Judenrat - wenn auch oft mit großem Verzug - bezahlt (Gutachten Prof. G., S. 5). Allerdings erfolgte – soweit dies den historischen Quellen zu entnehmen ist - die Entlohnung nicht nur in Form von Lebensmitteln, wie es die Klägerin für ihre Tätigkeit angegeben hat. Jedenfalls die "ordentlich operierenden Beitriebe" haben Lohn zugeteilt, der dann aber für Lebensmittel teilweise wieder eingezogen wurde (Gutachten Prof. G., S. 14). Ob die in Betrieben Arbeitenden selbst tatsächlich auch Geld erhalten haben oder dieses an den Judenrat geflossen ist, kann hier dahinstehen. Denn die Klägerin hat in keinem Betrieb, sondern im Rahmen der durch den Judenrat vermittelten Dienstleistungs-Tätigkeiten innerhalb und außerhalb des Ghettos tätig. Für die in der Selbstverwaltung tätigen Arbeiter im Warschauer Ghetto ist belegt, dass sie 4 kg Brot monatlich zusätzlich an Sonderzuteilung erhalten haben (Gutachten Prof. G., S. 15). Ähnliches dürfte aufgrund der Vergleichbarkeit der Zustände in den großen Ghettos im Generalgouvernement auch in Czestochowa gegolten haben. Die Angaben der Klägerin werden auch von daher durch die historischen Erkenntnisse gestützt.

Die zusätzlichen Lebensmittelrationen, die die Klägerin zu ihrer freien Verfügung erhalten hat, stellen ein Entgelt im Sinne des ZRBG dar. Dabei hat das Gericht die tatsächlichen Rahmenbedingungen einbezogen, die den historischen Erkenntnissen zufolge der Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse im Ghetto Czestochowa zu Grunde lagen. Denn ohne deren Betrachtung kann – jedenfalls im Rahmen eines Gesetzes, welches ausschließlich auf Arbeitsverhältnisse in Ghettos abstellt - eine Beurteilung des Umfangs des erhaltenen Entgeltes nicht erfolgen.

Aus den gesicherten historischen Erkenntnissen ergibt sich zunächst, dass – jedenfalls im Generalgouvernement - monetäre Vergütung im Vergleich zur Vergütung in Form von Lebensmittelrationen von deutlich geringerem Wert war. Nahrungsmittel waren im Generalgouvernement ein ausgesprochen knappes Gut, so dass die ausreichende Ernährung für die große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement die Überlebensfrage darstellte (Bogdan Musial, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement, Wiesbaden, 1999, S. 159 f.).

Der Gutachter Prof. G. bezeichnet die Lebensmittelrationen in den Ghettos des Generalgouvernements als "Achillesferse" des Ghettolebens. Da alle Grundnahrungsmittel ins Ghetto importiert und bezahlt werden mussten, sei es durchaus lebenserhaltend gewesen, im Bereich des Judenrats, der den legalen Import organisierte, beschäftigt gewesen zu sein (Gutachten Prof. G., S. 14). Die hohe Bedeutung von Nahrungsmitteln im Vergleich zu Geldzahlungen erschließt sich auch bei Betrachtung der für die jüdischen Arbeiter vorgesehenen Lohnsätze, nämlich 80 % des Lohnes der polnischen Arbeiter, die zu niedrig waren, um damit überleben zu können. Bereits die Sätze für die polnischen Arbeiter deckten lediglich etwa 30 % der "minimalen Bedürfnisse" der polnischen Arbeiter. In Anbetracht dieser geringen Entlohnung war der fortschreitende Prozess der Verelendung der jüdischen Bevölkerung nicht aufzuhalten ( ...) (Musial, a.a.O., S. 169 f.).

Der hohe Wert von Nahrungsmitteln im Ghetto ergibt sich auch daraus, dass die Lebensmittelpreise im Ghetto wesentlich höher waren als außerhalb. Für Warschau wird für den Jahresanfang 1942 der Preis für Brot innerhalb des Gettos mit 80 - 85 Zloty pro Kilogramm angegeben, während außerhalb des Gettos das Kilo Brot 8 - 12 Zloty kostete (The Black Book of Polish Jewry, Hrsg. Arno Lustiger, Bodenheim 1995, S 47 f. unter Bezug auf Polish Fortnightly Review vom 1.12.1942, veröffentlicht vom Polnischen Informationsministerium in London).

Zusätzliche Brot- und Gemüserationen, wie sie die Klägerin als Gegenleistung für die geleistete Arbeit zur freien Verfügung erhalten hat, sind vor diesem Hintergrund als Entgelt im Sinne des ZRBG anzusehen. Derartige Rationen gehen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse in den Ghettos des Generalgouvernements über die bloße Gewährung freien Unterhalts hinaus und erreichen eine für die Annahme eines Entgeltes erforderliche Mindesthöhe.

Die Kammer vertritt nicht die Ansicht des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.2.2006, L 3 R 140/05), wonach der Erhalt von Essen am Arbeitsplatz und einer zusätzlichen Tagesration kein Entgelt im Sinne des ZRBG darstellt. Zwar kann der Entgeltbegriff - wie das BSG in seinem Urteil vom 7.10.2004 festgestellt hat - auch unter Ghetto-Bedingungen nicht völlig von der Höhe des für geleistete Arbeit Erlangten gelöst werden, so dass auch im Rahmen des ZRBG nicht jedes "irgendwie geartetes, und sei es noch so geringes Entgelt" zu einem Rentenanspruch führt (B 13 RJ 59/03 R). Nach Auffassung der Kammer kann aber bei der Beurteilung der Entgelthöhe auf die Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Ghetto nicht verzichtet werden, will man die dem Gesetz zu Grunde liegenden Realität nicht aus dem Auge verlieren. Die Auslegung eines Gesetzes, welches ausschließlich auf Beschäftigungsverhältnisse in jüdischen Ghettos abstellt, kommt nicht umhin, die in diesen Ghettos herrschenden Umstände zu berücksichtigen. Wenn sich dabei – wie dargelegt – ergibt, dass selbst die ´ordnungsgemäße` tarifliche Entlohnung der jüdischen Arbeiter in ´freien Arbeitsverhältnissen` nicht zum Überleben ausreichte, sind die Maßstäbe dessen, was als "noch so gering" anzusehen ist, entsprechend anzupassen. Anderenfalls müsste die Entgeltlichkeit einer Beschäftigung nämlich selbst dann verneint werden, wenn der für die jüdischen Arbeiter übliche Satz gezahlt wurde. Auch der Wert von Lebensmittelrationen ist anhand der beschriebenen Verhältnisse zu bemessen. In Anbetracht von Brotpreisen in 10-facher Höhe des außerhalb des Ghettos zu Zahlenden sind zusätzliche Brot- und Gemüserationen zur freien Verfügung nicht als derart geringfügig anzusehen, dass ihnen der Entgeltcharakter abzusprechen wäre.

2. Ist damit für die Zeiten der Beschäftigung der Klägerin im Ghetto Czestochowa das ZRBG anwendbar, gelten für sie gem. § 2 Abs. 1 ZRBG Beiträge als gezahlt.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin zu dem vom Fremdrentengesetz - FRG - (§§ 1, 17a FRG, § 20 WGSVG) erfassten Personenkreis gehört. Dies war zunächst unumstritten. Entsprechend wurden auch die potentiell Anspruchsberechtigten im Ausland durch die Rentenversicherungsträger, die Botschaften und die Claims Conference informiert (vgl. etwa die Sonderinformation zum ZRBG der Beklagten als Verbindungsstelle, Ausgabe August 2002). Die Beklagte und die Deutsche Rentenversicherung Bund halten die Anerkennung von Ghettobeitragszeiten unabhängig davon für möglich, welches Sozialversicherungsrecht in dem betroffenen Gebiet seinerzeit galt, ob die Beschäftigung dort zur Versicherungspflicht geführt hätte und ob die Voraussetzungen für die Anwendung des FRG erfüllt sind (vgl. Dienstanweisung zum ZRBG der deutschen Rentenversicherung Bund vom 4.11.2005, Punkt 2; gemeinsame Arbeitsanweisungen LVA Freie und Hansestadt Hamburg, a.a.O., R 3.2, S. 6).

Auch das bei der Gesetzgebung federführende ehemalige Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung hat ausdrücklich erklärt, das ZRBG verfolge das Ziel der Anerkennung von Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung im Ghetto, unabhängig davon, ob der Verfolgte zum Personenkreis des FRG oder des deutschen Sprach- und Kulturkreises gehört (Bericht zur Umsetzung des ZRBG, a.a.O., S. 7). Das inzwischen zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in einem Schreiben vom 10.3.2006, welches der Kammer vorliegt und den Beteiligten bekannt ist, diese Haltung erneut bekräftigt (Antwort an José Moskovits auf dessen an die Bundeskanzlerin Dr. Merkel gerichtetes Schreiben vom 16.12.2005).

Allerdings hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 13.1.2006, L 4 RJ 113/04, die Ansicht vertreten, der Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten, der durch die Bestimmungen des SGB VI, des WGSVG (§§ 1, 20 WGSVG) und des FRG (§§ 1, 16, 17a FRG) festgelegt sei, werde durch das ZRBG nicht ausgeweitet. Dem ZRBG sei nicht zu entnehmen, dass die in § 1 ZRBG definierten Beschäftigungszeiten in einem Ghetto Beitragszeiten nach § 55 SGB VI gleichgestellt werden und zur Erfüllung der Wartezeit geeignet sein sollen, unabhängig davon, ob die Verfolgten dem vom FRG, WGSVG oder der RVO erfassten Personenkreis angehören. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht (so auch SG Hamburg, Urteil vom 9.2.2006, S 9 RJ 896/03).

Der Gesetzgeber hat – wie sich aus dem Klammerzusatz am Ende der Vorschrift ergibt – mit § 2 Abs. 1 ZRBG eine Legaldefinition der ´Ghetto-Beitragszeit` vorgenommen: Gem. § 2 Abs. 1 ZRBG gelten Beiträge für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Getto als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebietes sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeit).

Die Formulierung ´als gezahlt gelten` findet sich auch in § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, wonach Pflichtbeitragszeiten auch solche Zeiten sind, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Schon die identische Formulierung in beiden Normen lässt eine einschränkende Auslegung des § 2 Abs. 1 ZRBG nur schwerlich zu. Die den Ziffern 1 und 2 vorangestellte Fiktion der Beitragszahlung ist vielmehr als Kernaussage des § 2 Abs. 1 ZRBG anzusehen, während die Ziffern 1 und 2 nur die erforderlichen ergänzenden Regelungen über die Berechnung und die Auslandszahlung der Rente treffen.

Da für Beschäftigungszeiten im Ghetto außerhalb des Bundesgebietes Beiträge nach der Reichsversicherungsordnung als gezahlt gelten, kommt es für die Zahlbarkeit von Renten ins Ausland – anders als vor Inkrafttreten des ZRBG – generell nicht auf die Anwendbarkeit des FRG an. Es ist folglich auch nicht von Bedeutung, ob die Verfolgten dem Personenkreis des § 1 FRG angehören, d.h. Deutsche oder Vertriebene bzw. Spätaussiedler sind. Auf die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreises kommt es deshalb nicht an, weil § 20 WGSVG – ebenso wie § 17a FRG - lediglich die Funktion hat, für diesen Personenkreis die Anwendung des FRG zu ermöglichen.

Dass dies vom Gesetzgeber auch so beabsichtigt war, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, in der es heißt:

"Eine Gleichstellung erfolgt nicht nur für Zeiten, in denen nach früherem Reichsrecht für freiwillig gegen Entgelt aufgenommene Beschäftigungen Beiträge zu zahlen waren. Vielmehr wird für entsprechende Zeiten auch außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze, also in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten, für die Berechnung von Renten eine Beitragszahlung für eine nach den Reichsversicherungsgesetzen versicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb des Bundesgebietes unterstellt. Dies gilt auch für Zeiten in einem Staat, in dem ein System der sozialen Sicherung für den Fall des Alters (noch) nicht errichtet war" (BT-Drs. 14/8583, S. 6).

Wenn demnach eine Ghetto-Beitragszeit auch auf einem vom Deutschen Reich besetzten Staatsgebiet zurückgelegt sein kann, in dem ein System der sozialen Sicherung für den Fall des Alters (vgl. § 15 Abs. 2 FRG) gar nicht bestanden hat, macht der Gesetzgeber damit deutlich, dass es für die Begründung einer Ghetto-Beitragszeit auf die Anwendbarkeit des FRG nicht ankommen sollte.

Auch aus dem Verweis auf das WGSVG in § 1 Abs. 2 ZRBG kann nicht geschlossen werden, dass es auf die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ankommt, wie sich ebenfalls der Gesetzesbegründung entnehmen lässt. Dort heißt es zu § 1 Abs. 2 ZRBG:

"Damit wird festgelegt, dass das WGSVG, dessen Teil III zugunsten von Verfolgten zusätzliche Regelungen zu den allgemein anzuwendenden Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) trifft, anzuwenden ist. Bedeutung hat dies insbesondere für die dort zum Leistungsrecht getroffenen Regelungen über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, Berücksichtigung von Anrechnungszeiten, die besondere Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten und die Bewertung von Verfolgungsersatzzeiten für pflichtversicherte Verfolgte" (BT-Drs. 14/8583, S. 6).

Hätte der Gesetzgeber die in § 20 WGSVG genannte Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis auch bei der Anwendung des ZRBG für maßgeblich gehalten, hätte er dies in die Aufzählung bedeutender Regelungen aufgenommen. Der Kammer erscheint es ausgeschlossen, dass in der Gesetzesbegründung ausgerechnet diejenige Voraussetzung für die Begründung einer Ghetto-Beitragszeit unerwähnt bleibt, die den weit überwiegenden Teil des vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 ZRBG erfassten Personen von Rentenleistungen ausschließen würde.

Im Hinblick auf die frühere Rechtslage wird in der Gesetzesbegründung im übrigen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit dem ZRBG "Neuland" betreten werde, "wobei von bestimmten Grundsätzen sowohl im Bereich der Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten als auch der Erbringung von Leistungen daraus ins Ausland abgewichen wird" (BT-Drs. 14/8583, S. 5). Insoweit gibt die Gesetzesüberschrift, die nur auf die Zahlbarmachung von Renten abstellt, den Inhalt des Gesetzes nicht vollständig wieder.

Hätte der Gesetzgeber die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis als Voraussetzung für die Begründung einer Getto-Beitragszeit festgeschrieben, widerspräche dies im übrigen dem in der Gesetzesbegründung formulierten Ziel, wonach es nicht darauf ankommen soll, in welchem vom Deutschen Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten zurückgelegt worden sind und in welchem Staat sich der Berechtigte aufhält (BT-Drs. 14/8583, S. 5). Es würde dann nämlich dabei bleiben, dass ein Ghetto-Überlebender, der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht angehört, einen Rentenzahlungsanspruch hätte, wenn sich das Getto in einem eingegliederten Gebiet befand (Begründung der Beitragszeit nach RVO/SGB VI, Auszahlung nach ZRBG), nicht jedoch, wenn das Getto in einem zwar besetzten, aber nicht eingegliederten Gebiet lag.

Dafür, dass das ZRBG nur für solche Personen gelten soll, die dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehören, ergeben sich schließlich auch aus den zu Protokoll gegebenen Reden zur Gesetzesberatung, die den Wiedergutmachungscharakter des ZRBG in den Vordergrund stellen, keinerlei Anhaltspunkte (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.4.2002, 14/233, S. 23279 ff.)

Die Kammer entnimmt den Gesetzesmaterialien und dem Anwendungsbereich des ZRBG, der sich auf Ghettos in vom Deutschen Reich besetzten oder diesem eingegliederten Gebieten beschränkt, dass dem Gesetzgeber daran gelegen war, den in diesen Ghettos beschäftigten Personen - unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Volk oder dem deutschen Sprach- und Kulturkreis - einen rentenversicherungsrechtlichen Ausgleich zu verschaffen, da sie "in besonderem Maße der hoheitlichen Gewalt des Deutschen Reichs ausgesetzt" waren (BT-Drs. 14/8583, S. 6).

Die Klägerin hat nach alledem Anspruch auf Regelaltersrente, denn es ist auch nicht ersichtlich, dass sie für die Beschäftigungszeit im Ghetto bereits eine Leistung aus einem anderen (ausländischen) System der sozialen Sicherheit erhält (vgl. hierzu BT-Drs. 14/8583, S. 6).

Die allgemeine Wartezeit ist unter Berücksichtigung der anzurechnenden verfolgungsbedingten Ersatzzeiten, zu denen auch die drei Monate der - durch die erlittenen Schussverletzung verursachte - Krankheit der Klägerin im Ghetto zählen, gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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