L 11 R 3961/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2120/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3961/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. August 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 19.04.1945 geborene und aus Kroatien stammende Klägerin hat ihren Angaben zufolge keinen Beruf erlernt. Nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im April 1970 war sie als Serviererin, Küchenhilfe, Arbeiterin und zuletzt bis März 1998 als Kassiererin 4 Stunden pro Tag versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog sie Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit bzw. wegen Arbeitslosigkeit. Seit 01.05.2005 erhält die Klägerin von der Beklagten Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Rentenabschlag.

Den ersten Rentenantrag der Klägerin vom September 1998 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.11.1998/Widerspruchsbescheid vom 12.03.1999 ab, nachdem die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt war, die Klägerin könne trotz der festgestellten Gesundheitsstörungen (Gonarthrose links, Adipositas, Senk-Spreiz-Füße beidseits, Varikosis, funktionelle Beschwerden als Ausdruck einer reaktiven Depression auf Arbeitsplatzprobleme) noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15 Kilogramm und ohne ausschließliches Stehen vollschichtig verrichten.

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Konstanz (SG) - S 8 RJ 492/99 - hörte das Gericht die behandelnden Ärzte der Klägerin und holte Gutachten auf orthopädischem und nervenärztlichem Gebiet ein. Prof. Dr. W., Oberarzt der orthopädischen Abteilung der chirurgischen Universitätsklinik F., stellte bei der Klägerin eine Einschränkung der Halswirbelsäulenbeweglichkeit geringen Ausmaßes, leichtgradige (nur röntgenologisch nachweisbare) Verschleißerscheinungen an der unteren Lendenwirbelsäule (geringe Spondylose und Chondrose) ohne Hinweiszeichen für ein Wurzelreizsyndrom, Übergewicht, Krampfadern an beiden Beinen (operativ behandelt) mit geringen Unterschenkelödemen, nur röntgenologisch nachweisbare Verschleißerscheinungen an beiden Kniegelenken im Sinne einer leichtgradigen medialen Gonarthrose und eine Schmerzhaftigkeit des linken Ellenbogengelenks nach Speichenköpfchenabbruch vor einigen Wochen fest. Leichte körperliche Arbeiten ohne anhaltendes Knien oder das In-die-Hocke-Gehen und nicht an gefährlichen Plätzen (z. B. Leitern, Gerüsten) könne die Klägerin daneben vollschichtig verrichten. Der Neurologe und Psychiater Dr. B. diagnostizierte bei der Klägerin ein pseudoradikuläres Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule ohne Reizzustand der Nervenstämme sowie eine reaktiv ausgelöste depressive Entwicklung und vertrat die Auffassung, die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten, eine länger anhaltende geistige Überforderung sowie Wechselschicht.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattete Dr. D., Ltd. Medizinaldirektor und Arzt für Neurologie und Psychiatrie am Zentrum für Psychiatrie in Bad S., ein nervenärztliches Gutachten. Dieser erhob bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und führte aus, die Klägerin könne einer leichten Tätigkeit im Wechsel zwischen Sitzen und Gehen, ohne Akkord, Wechsel- oder Nachtschicht sowie ohne besondere geistige Beanspruchung nur noch halbschichtig nachkommen.

Prof. Dr. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie im Bezirkskrankenhaus Günzburg, legte in seinem nervenärztlichen Gutachten zusammenfassend dar, bei der Klägerin handle es sich um eine überwiegend reaktive Depression mit verstärkter Zuwendung zu Schmerzen im Sinne einer Konversionssymptomatik und einen Versorgungswunsch. Deswegen sollten Tätigkeiten vermieden werden, die mit besonderer Verantwortung, Wechsel- und Nachtschicht sowie Akkord- und Fließbandarbeiten einhergehen. Weitere Einschränkungen beträfen das chirurgisch-orthopädische Fachgebiet. Zwar glaube auch er nicht, dass die Klägerin in der Lage wäre, vollschichtig tätig zu werden. Dies sei jedoch weniger durch ihre Gesundheitsstörungen als durch die Tatsache bedingt, dass sie in den letzten 20 Jahren nie mehr als halbschichtig tätig gewesen sei. Nach den formalen Kriterien der gesetzlichen Rentenversicherung müsste vollschichtige Leistungsfähigkeit angenommen werden, da nicht zu erkennen sei, warum die Klägerin wesentliche betriebsunübliche Pausen benötigen sollte.

Durch Urteil vom 24.04.2001 wies das SG die Klage ab. Die dagegen von der Klägerin beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte Berufung (L 9 RJ 1833/01) blieb nach Einholung eines orthopädischen Gutachtens gemäß § 109 SGG bei Dr. R. erfolglos. Dr. R. hatte bei der Klägerin ein chronisch degeneratives/statisches pseudoradikulär tendomyotisches Lumbalsyndrom im Rahmen einer tieflumbalen Hyperlordose mit degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule mit ISG-Störung, Tendomyosen der Lenden-Becken-Hüftregion beidseits, eine Haltungsinsuffizienz mit Hohlrücken und Hängeschultern, mit Bauchdeckeninsuffizienz und statischer/dynamischer Dysfunktion des Rumpfes, ein leicht- bis mäßiggradiges degeneratives überwiegend oberes HWS-Syndrom, eine links mäßig- bis mittelgradige, rechts leichtgradige Gonarthrose, eine geringgradige Schulterperiarthrose-Symptomatik beidseits bei bekannter leichtergradiger AC-Gelenksarthrose links, einen Zustand nach Speichenköpfchenfraktur links mit geringer Deformierung - symptomfrei, einen Spreizfuß, eine linksbetonte leichtergradige Großzehengrundgelenksarthrose, leichtgradige Krallenzehen beidseits sowie eine mehrfach operierte Oberschenkel-/Unterschenkelvarikose beidseits mit leichtgradigen morphologischen Ödemen und Hautveränderungen diagnostiziert und ausgeführt, leichte Tätigkeiten in überwiegend selbstgewählter wechselnder Körperhaltung, ohne Akkordarbeit, mit gelegentlich kurzzeitigem Heben/Tragen/Bewegen von Lasten bis 10 kg, nur gelegentlich über Schulterhöhe, ohne häufige Kälte-, Nässe- und Zugluftexpositionen könne die Klägerin pro Arbeitstag nur noch 3 bis 6 Stunden (früher halbschichtig bis untervollschichtig) verrichten. Die zeitliche Einschränkung ergebe sich, weil einerseits ein komplettes Einhalten der wünschenswerten Einschränkungen am Arbeitsplatz im gewerblichen Bereich eher die Ausnahme als die Regel darstelle und andererseits auch unter Einhaltung der Vorgaben eine Zunahme der Beschwerden zu erwarten sei. Mit Urteil vom 19.11.2002 wies das LSG die Berufung zurück, da die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbar und auf diesem nicht gehindert sei, körperlich leichte Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen vollschichtig auszuüben. Zu diesem Ergebnis gelangte der Senat aufgrund der übereinstimmenden Beurteilungen von Dr. S., Prof. Dr. W., Dr. B. und Prof. Dr. Dr. W. sowie der behandelnden Ärzte der Klägerin Dr. S. und Dr. H ...

Am 20.01.2004 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag wegen der Gelenke und Depressionen (seit 1998). Die Beklagte veranlasste wiederum eine Untersuchung und Begutachtung durch die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S. sowie zusätzlich ein orthopädisches Gutachten durch Dr. K ... Dr. K. stellte eine initiale Koxarthrose beidseits, eine initiale bis mäßige Gonarthrose beidseits, degenerative Veränderungen der LWS und eine Fehlstatik der HWS und LWS sowie einen Senkspreizfuß mit Hallux-valgus beidseits fest und beurteilte das Leistungsvermögen der Klägerin dahingehend, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Kassiererin, welche überwiegend im Sitzen durchgeführt werde, weiterhin zumutbar sei. Auch könnten leichte und mittelschwere Arbeiten aus orthopädischer Sicht vollschichtig ausgeübt werden, sofern Arbeiten unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten vermieden würden. Dr. S. wies unter Berücksichtigung eines nervenärztlichen Befundberichtes des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. zusätzlich auf rezidivierende depressive Störungen mit Somatisierungsneigung und eine Adipositas hin und hielt die Klägerin ebenfalls für fähig, leichte und mittelschwere Tätigkeiten ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und ohne Gefährdung durch widrige Witterungsbedingungen 6 Stunden und mehr arbeitstäglich zu verrichten.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.03.2004 den Rentenantrag ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde nach Einholung einer Stellungnahme von Dr. S. mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2004 zurückgewiesen.

Deswegen erhob die Klägerin Klage zum SG mit der Begründung, bereits aufgrund der von Dr. H. in seinem Befundbericht geschilderten Beeinträchtigungen auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet sei ihr Restleistungsvermögen auf untervollschichtig herabgesunken. Dr. H. bestätige eine anhaltende depressive Störung mit Somatisierung. Wegen der vielfältigen Beschwerden sei sie bereits seit Jahren in Behandlung, ohne dass sich insoweit eine Besserung ergeben habe.

Das SG hörte zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen.

Der Internist Dr. C. bestätigte eine Behandlung der Klägerin bei Dr. R. zuletzt am 15.01.2004. Dr. R. habe zum 01.07.2004 die Praxis aufgegeben. Dr. C. nannte die von Dr. R. vermerkten Dauerdiagnosen und führte aus, dass die Befunde, soweit dies aus der Aktenlage zu entnehmen sei, im wesentlichen mit dem Gutachten von Dr. S. übereinstimmten. Ohne die Klägerin persönlich gesehen und untersucht zu haben, scheine ihm die Beurteilung des Leistungsvermögens im psychiatrischen Bereich am erfolgversprechendsten. Dr. C. fügte Befundberichte der Allgemeinmedizinerin Dr. L. über die durchgeführte Video-Koloskopie vom Januar 2003, ein sozialmedizinischen Gutachten des MDK Baden-Württemberg vom November 2002, den Arztbrief des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. G. vom Juli 2004 sowie eine Aussage des Dr. R. im Verfahren der Klägerin wegen Schwerbehinderung vom August 2003 bei.

Der Arzt für Orthopädie und Chirotherapie B. berichtete über Behandlungen der Klägerin seit über 10 Jahren. Die im beigefügten Gutachten aufgeführten Befunde könne er in vollem Umfang bestätigen, auch die daraus folgenden Beurteilungen. Auch die Befunde der Beklagten deckten sich im wesentlichen mit dem Gutachten und mit seinen orthopädischen Feststellungen. Da die Depression über mehrere Jahre aktenkundig sei, halte er eine psychiatrische Zusatzuntersuchung für notwendig. Beigefügt wurde ein Befundbericht der V. AG, orthopädische Klinik K., vom September 2004 (Diagnose: mediale Belastungsbeschwerden an beiden Kniegelenken).

Dr. H. teilte mit, die Klägerin sei zuletzt im Februar 2004 in Behandlung gewesen. Diagnostisch habe es sich um eine mittelgradige depressive Episode mit ängstlich-agitiertem Gepräge, deutlicher Affektinkontinenz und hypochondrischer Klagsamkeit gehandelt. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei deutlich eingeschränkt gewesen, zeitweilig auf weniger als 3 Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Diese Einschätzung korreliere auch mit dem sozialmedizinischen Gutachten vom November 2002, wobei zu berücksichtigen sei, das sich die Klägerin vor der sozialmedizinischen Begutachtung in der Zeit von August 2002 bis September 2002 in einer psychosomatisch-stationären Behandlung in der M.-B.-Klinik befunden habe. Dr. H. fügte u. a. den Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik vom Oktober 2002, das MDK-Gutachten vom November 2002 und den radiologischen Befundbericht über das craniale Computertomogramm vom Februar 2003 bei.

Die Beklagte legte den Rentenbescheid vom 16.03.2005 über Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.05.2005 vor.

Das SG erhob weiteren Beweis durch Einholung eines nervenärztlich-psychosomatischen Fachgutachtens bei Dr. K.-H., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Diese kam zusammenfassend zu dem Ergebnis, im Vordergrund stehe auf ihrem Fachgebiet eine depressive Entwicklung im Sinne einer Dysthymia, die mit Stimmungsminderung, Andehonie, Grübelneigung und insbesondere auch mit einer psychogenen Überlagerung und Fehlbewertung von Körperbeschwerden einhergehe, die im somatischen Kern aus den in orthopädischen Befundberichten und Gutachten beschriebenen degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates resultierten. Die Einschränkungen beeinträchtigten das Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht. Möglich seien noch leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung mindestens 6 Stunden werktäglich. Zu vermeiden seien besonderer Zeitdruck, Nachtschicht, besondere Verantwortung oder sonstige besondere psychische Belastung sowie eine Gefährdung durch Witterungseinflüsse. Auch die letzte Tätigkeit als Kassiererin in einer Kaufhauscafeteria sei der Klägerin noch mindestens 6-stündig werktäglich zumutbar. Insgesamt habe das Zustandsbild der Klägerin weitgehend den im Vorgutachten von Prof. Dr. W. 2001 beschriebenen Verhältnissen entsprochen, auch wenn heute bei inzwischen noch weiter fortgeschrittener Chronifizierung von deutlicheren Einschränkungen ausgegangen werden müsse.

Mit Gerichtsbescheid vom 22.08.2005, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 24.08.2005, wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es, gestützt auf die Gutachten von Dr. K.-H. und von Dr. K. aus, die Klägerin sei weder vollständig noch teilweise erwerbsgemindert, da sie zumindest noch einer leichten bis mittelschweren Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt 6 Stunden arbeitstäglich ohne Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft sowie ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne besonderen Zeitdruck, Nachtschicht, besondere Verantwortung oder sonstige besondere psychische Belastung nachgehen könne. Die hiervon abweichende, relativ kurze Leistungsbeurteilung des Dr. H. erachte die Kammer nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens als widerlegt. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig, denn sie habe keine Berufsausbildung abgeschlossen und sei nach ihrem beruflichen Werdegang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt breit verweisbar.

Hiergegen richtet sich die am 26.09.2005 (einem Montag) eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt vor, die Sachverständige Dr. K.-H. sei ihren Beschwerden nicht sorgfältig nachgegangen. Auch seien keinerlei Testverfahren durchgeführt worden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 22. August 2005 sowie den Bescheid vom 30. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Vorprozessakten L 9 RJ 1833/01 und S 8 RJ 492/99 sowie die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder wegen Berufsunfähigkeit.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung sind im angefochtenen Bescheid vom 30.03.2004 und im Urteil des SG zutreffend dargestellt. Hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Zwar erfüllt sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, sie war jedoch weder berufsunfähig noch teilweise oder voll erwerbsgemindert.

Die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet vorliegend bereits von vornherein aus, weil die Klägerin während ihres Berufslebens lediglich ungelernte, allenfalls angelernte Tätigkeiten des unteren Bereichs verrichtet hat und weder über eine abgeschlossene Berufsausbildung noch über sonstige berufsspezifische Qualifikationen verfügt. Sie ist deshalb nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema (vgl. BSGE 62, 74 ff; 59, 249 ff. und 43, 243, 246) auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und auf diesem nach dem vorliegenden und feststellbaren medizinischen Sachverhalt noch in der Lage gewesen, leichte Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich und regelmäßig auszuüben. Damit war die Klägerin auch nicht erwerbsgemindert. Dies hat das SG im angefochtenen Urteil ausführlich begründet dargelegt. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat in vollem Umfang an und nimmt deshalb insoweit auf die Entscheidungsgründe Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Auch der Senat vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin der Leistungsfall der Erwerbsminderung vor dem Beginn der Altersrente eingetreten ist.

Die bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet bestehenden Gesundheitsstörungen sind durch das im Verwaltungsverfahren eingeholte orthopädische Gutachten eingehend gewürdigt worden. Der behandelnde Orthopäde B. hat die von Dr. K. erhobenen Befunde in vollem Umfang bestätigt. Ebenso hat er der Leistungsbeurteilung zugestimmt und diese als korrekt bezeichnet. Dr. C. konnte anhand der Karteiunterlagen des Praxisvorgängers ebenfalls keine schwererwiegenden Befunde mitteilen und stimmte hinsichtlich der erhobenen Befunde mit dem Gutachten von Dr. S. im wesentlichen überein.

Dem Hinweis auf psychische Auffälligkeiten bei der Klägerin ist das SG durch Einholung eines nervenärztlich-psychosomatischen Fachgutachtens nachgegangen. Dr. K.-H. hat sich mit der bei der Klägerin im Vordergrund stehenden psychischen Symptomatik unter Einbeziehung der übrigen Gesundheitsstörungen ausführlich befasst und auch für den Senat nachvollziehbar aufgezeigt, dass es sich bei der Klägerin um eine depressive Entwicklung im Sinne einer Dysthymie handelt, die mit einer Stimmungsminderung, Andehonie, Grübelneigung und insbesondere auch mit einer psychogenen Überlagerung und Fehlbewertung von Körperbeschwerden, bedingt durch die beschriebenen degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates, einhergeht. Hieraus resultieren zwar qualitative Einschränkungen, jedoch keine quantitative Leistungsminderung der Klägerin. Wesentliche Antriebsstörungen waren nicht erkennbar, der Denkablauf normal, jedoch ausgeprägt schmerzfixiert und die Grundstimmung bedrückt. Auffassung, Konzentration, Umstellungsfähigkeit und mnestische Funktionen zeigten sich weitgehend intakt. Eine anhaltende mittelgradige depressive Episode, wie sie im Entlassungsbericht der M.-B.-Klinik beschrieben wurde, ist nicht dokumentiert und lag auch zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. K.-H. nicht vor. Während einer derartigen Episode kann die Arbeitsfähigkeit durchaus aufgehoben sein, eine anhaltende rentenrelevante Leistungsminderung lässt sich aus dieser Diagnose im Anschluss an Dr. K.-H. aber nicht ableiten, da sich die Symptomatik unter adäquater Behandlung, häufig auch spontan, wieder zurückbildet.

Für den Senat steht hiernach fest, dass die Klägerin über die Antragstellung hinaus noch in der Lage war, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck, Nachtschicht, besondere Verantwortung oder besondere psychische Belastung sowie ohne Gefährdung durch Witterungseinflüsse (Kälte, Nässe, Zugluft) und ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten.

Soweit demgegenüber Dr. H. eine Leistungseinschränkung der Klägerin auf weniger als drei Stunden täglich angenommen hat, ist dies für den Senat nicht nachvollziehbar und durch das Gutachten von Dr. K.-H. widerlegt. Eine anhaltende mittelgradige Depression ist nicht belegt, vielmehr handelt es sich auch nach den Darlegungen von Dr. H. um Episoden, die zeitweilig das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden einschränken und damit Arbeitsunfähigkeit, jedoch keine anhaltende Erwerbsminderung bedingen.

Der Einwand der Klägerin im Berufungsverfahren, dass Dr. K.-H. nicht die üblichen Testverfahren durchgeführt habe, ist nicht stichhaltig. Solche können in bestimmten Fällen zwar nützlich sein, sie sind jedoch keinesfalls Voraussetzung und Grundlage einer nervenärztlichen Leistungsbeurteilung. Eine Leidensverschlimmerung wird nicht geltend gemacht, die Klägerin bezieht ohnehin seit 01.05.2005 Altersrente.

Dem Antrag der Klägerin, gemäß § 109 SGG ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen, war nicht stattzugeben, da dieser aus grober Nachlässigkeit zu spät gestellt wurde (§ 109 Abs. 2 SGG). Ein Antrag gemäß § 109 SGG muss spätestens dann innerhalb angemessener Frist gestellt werden, wenn der klagende Beteiligte erkennen muss, dass das Gericht keine (weiteren) Erhebungen von Amts wegen durchführt. Nachdem die Klägerin die am 26.09.2005 eingelegte Berufung nicht begründete, wurde sie nach Beiziehung der Verwaltungsakten der Beklagten mit Schreiben der Berichterstatterin vom 31.01.2006 darauf hingewiesen, dass nach Durchsicht der Akten und summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden sein dürfte, und angefragt, ob bei Aufrechterhaltung der Berufung einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt wird. Am 13.04.2006 ist der Rechtsstreit terminiert worden. Erst am 03.05.2006, das heißt drei Monate nach dem Hinweis, ging dem Senat die Berufungsbegründung mit dem Antrag gemäß § 109 SGG zu. Der Antrag wurde damit nicht innerhalb angemessener Frist (etwa vier bis sechs Wochen) gestellt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, Rdnr. 11 zu § 109 m.w.N.). Die Klägerin muss sich das Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

Im Hinblick auf die qualitativen Leistungseinschränkungen braucht der Klägerin keine konkrete Berufstätigkeit genannt zu werden, weil sie ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besondere Begründung zur Verneinung einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder einer "schweren spezifischen Leistungsminderung" erfordern. Sie erscheinen nämlich nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaubte ihr noch körperliche Verrichtungen, die in leichten einfachen Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Montieren, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von kleinen Teilen.

Schließlich war der Klägerin auch der Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Die Frage, ob es auf dem gesamten Arbeitsmarkt ausreichend Arbeitsplätze gibt, ist nur dann zu prüfen, wenn der Versicherte die noch in Betracht kommenden Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausüben kann oder entsprechende Arbeitsplätze von seiner Wohnung nicht zu erreichen vermag oder die Zahl der in Betracht kommenden Arbeitsplätze deshalb nicht unerheblich reduziert ist, weil der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, oder die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, oder die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Berufsfremde nicht vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Dieser Katalog ist nach den Entscheidungen des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 abschließend. Im Falle der Klägerin ist keiner dieser Fälle gegeben.

Die Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 Satz 2 SGB VI). Der Rentenversicherung ist nur das Risiko einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung zugewiesen, nicht dagegen das Risiko einer Minderung einer Erwerbsmöglichkeit oder der Arbeitslosigkeit (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 1/95 -). Das Risiko, dass die Klägerin keinen für sie geeigneten Arbeitsplatz fand, geht nicht zu Lasten des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. BSG SozR 3 - 2200 § 1246 Nr. 41 und vom 21.07.1992 - 4 RA 13/91 -).

Die Berufung der Klägerin konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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