L 12 AL 4025/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AL 4393/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 4025/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.08.2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte zu Recht die Gewährung von Arbeitslosengeld teilweise aufgehoben und überzahltes Arbeitslosengeld zurückgefordert hat.

Die 1972 geborene Klägerin, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, stammt aus Vietnam und lebt seit 1994 in der Bundesrepublik. Die Klägerin, die Mutter eines Kindes ist, meldete sich am 27.08.2003 arbeitslos. Im Antrag auf Arbeitslosengeld vom 30.09.2003 gab die Klägerin an, auf ihrer Lohnsteuerkarte sei die Lohnsteuerklasse V eingetragen. Sie habe keine Kinder. Im Antragsformular vom 30.09.2003 bestätigte die Klägerin mit ihrer Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

Mit Bescheid vom 17.10.2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Zeit vom 01.10. bis 23.12.2003 eine Sperrzeit eingetreten sei. Die Klägerin habe durch die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma LSG-A. Gastronomiegesellschaft mbH zum 28.02.2003 die später eingetretene Arbeitslosigkeit nach dem befristeten Anschlussarbeitsverhältnis verursacht. Mit Bescheid der Beklagten vom 20.10.2003 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld ab 24.12.2003 gemäß der Leistungsgruppe D (Prozentsatz 60) mit einem täglichen Leistungsbetrag von 14,16 EUR (wöchentlich 99,12 EUR) bewilligt

Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 26.10.2003 Widerspruch ein und gab an, aufgrund der Arbeitszeiten der LSG-A. Gastronomiegesellschaft mbH habe sie die Betreuung ihrer Tochter nicht sicherstellen können. Mit Abhilfebescheid vom 30.10.2003 wurde der Bescheid vom 17.10.2003 aufgehoben. Mit Bescheid vom 03.11.2003 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld ab 01.10.2003 gemäß der Leistungsgruppe C (Prozentsatz 67) mit einem täglichen Zahlbetrag von 24,62 EUR (wöchentlich 172,34 EUR) bewilligt.

Mit Anhörungsschreiben vom 18.06.2004 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie in der Zeit vom 01.10.2003 bis 30.04.2004 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.845,07 EUR zu Unrecht bezogen habe. Sie habe Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C erhalten, was der Lohnsteuerklasse III entspreche, obwohl nur die Leistungsgruppe D (Lohnsteuerklasse V) zugestanden hätte. Die Klägerin hätte den Erläuterungen im Merkblatt für Arbeitslose entnehmen können, dass ihr die Leistung nicht in dieser Höhe zustehe. Hierzu schrieb die Klägerin mit Schreiben vom 20.06.2004, sie sei mit der Rückforderung nicht einverstanden, sie habe ihre Angaben zur Person und zur Steuerklasse immer korrekt gemacht.

Mit dem angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 01.07.2004 wurde die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.10.2003 bis 30.04.2004 teilweise zurückgenommen. Überzahlte Leistungen in Höhe von 1.845,07 EUR wurden zurückgefordert. Die Beklagte führte aus, mit dem ursprünglichen Bescheid vom 17.10.2003 habe die Klägerin Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe D/0 erhalten. Der Fehler sei bei der Erledigung des Widerspruchs passiert. Die Klägerin habe den unterschiedlichen Leistungssatz erkennen müssen. Die Zuordnung zur Leistungsgruppe werde im Merkblatt ausführlich erläutert. Bei der Klägerin liege grobe Fahrlässigkeit (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) X) vor. Der Betrag werde gegen die Ansprüche der Klägerin in Höhe von 56,14 EUR wöchentlich aufgerechnet.

Dagegen legte der Kläger-Vertreter mit Schreiben vom 27.07.2004 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2004 zurückgewiesen wurde. Die Beklagte führte aus, die Höhe des Arbeitslosengeldes hänge auch von der Lohnsteuerklasse ab, die auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragen sei. Die Zuordnung richte sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden sei, auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sei. Dies sei hier unstreitig die Lohnsteuerklasse V. Die Klägerin sei somit gem. § 137 Abs. 2 Nr. 4 SGB III der Leistungsgruppe D zuzuordnen gewesen. Die Zuordnung beruhe auf einem Fehler der Agentur für Arbeit. Die Klägerin habe aber dem Merkblatt für Arbeitslose entnehmen können, dessen Erhalt und Kenntnisnahme sie durch ihre Unterschrift unter den Leistungsantrag bestätigt habe, dass die Höhe der Leistung abhängig von der eingetragenen Lohnsteuerklasse sei. Die Klägerin habe auch ca. 14 Tage vor Erhalt des unrichtigen Bewilligungsbescheides vom 03.11.2003 bereits einmal einen Bewilligungsbescheid erhalten, mit dem Arbeitslosengeld im Anschluss an die festgesetzte Sperrzeit richtig bewilligt worden sei. Statt 99,12 EUR seien ihr 172,34 EUR bewilligt worden. Mit Änderungsbescheid vom 02.01.2004 sei die Leistungshöhe dann auf 172,06 EUR festgesetzt worden.

Mit Schreiben vom 22.10.2004, das am 25.10.2004 bei dem Sozialgericht Karlsruhe einging, wurde Klage erhoben. Es wurde vorgetragen, der Ehemann der Klägerin habe sich im Juli 2003 ebenfalls arbeitslos melden müssen. Auch hier seien zur Person und zur Steuerklasse wahrheitsgemäß Angaben gemacht worden. Auch er habe angegeben, dass die Klägerin der Steuerklasse V unterliege. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.08.2005 gab die Klägerin an, sie sei davon ausgegangen, dass sie nach Aufhebung des Sperrzeitbescheides Arbeitslosengeld in Höhe des letzten Nettogehaltes beziehen werde.

Mit Urteil vom 16.08.2005 wurde der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2004 aufgehoben. Das Sozialgericht ging davon aus, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III nicht gegeben seien, da das Vertrauen der Klägerin in den Bestand der Bescheide schutzwürdig sei. Von einer groben Fahrlässigkeit der Klägerin sei nicht auszugehen, da sie aus einem anderen Kulturkreis stamme und mit deutschen Behörden und deren Arbeitsweise nicht sehr vertraut sei. Es habe sich um die ersten Arbeitslosengeld bewilligenden Bescheide gehandelt, die die Klägerin erhalten habe. Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert, sie sei davon ausgegangen, dass sie nach Aufhebung des Sperrzeitbescheides Arbeitslosengeld in Höhe ihres letzten Nettogehaltes erhalten werde. Damit habe die Klägerin zwar verkannt, dass sich der Regelungsgehalt des Sperrzeitbescheides nur auf die Anspruchsdauer, nicht aber auf die Anspruchshöhe beziehe. Auch habe die Klägerin verkannt, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes stets niedriger als das zuvor erhaltene Gehalt sei. Dies könne ihr aufgrund des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffes nicht als grobe, sondern nur als einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden.

Gegen das am 07.09.2005 der Beklagten zugestellte Urteil legte diese mit Schreiben vom 28.09.2005, das am 29.09.2005 bei dem Landessozialgericht einging, Berufung ein. Die Beklagte ist der Ansicht, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) bestehe für Leistungsempfänger die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Grobe Fahrlässigkeit sei dem Betroffenen vorzuwerfen, wenn ein Fehler in einem Bescheid dem Betroffenen bei seinen subjektiven Erkenntnismöglichkeiten geradezu "ins Auge springe" (Urteil des BSG vom 08.02.2001, Az.: B 11 AL 21/00 R). Die Klägerin habe zuletzt ein monatliches Bruttoeinkommen zwischen 1.260 EUR und 1.380 EUR bezogen. Aus diesem Bruttoentgelt habe sich im Jahre 2003 unter Berücksichtigung der Steuerklasse V bei einem Beitragssatz zur Krankenversicherung von 13,5 % ein durchschnittliches Nettoentgelt von ca. 680,- EUR monatlich ergeben. Selbst einem völlig unerfahrenen Leistungsempfänger müsse daher angesichts dessen ins Auge springen, dass eine Entgeltersatzleistung auf keinen Fall höher sein könne als das zuvor bezogene Nettoentgelt. Auch wenn die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, sie sei davon ausgegangen, dass ihr Arbeitslosengeld in Höhe des letzten Nettoverdienstes gezahlt werde, so müsse ihr erst Recht die Rechtswidrigkeit der Bewilligung erkennbar sein, wenn das Arbeitslosengeld sogar höher als das Nettoeinkommen sei. Im Übrigen sei zu beachten, dass der Klägerin im ersten Bewilligungsbescheid Arbeitslosengeld nach der richtigen Leistungsgruppe bewilligt worden sei. Da sich die Lohnsteuerklasse nicht geändert habe, habe die Klägerin bei Erhalt des zweiten Bescheides, der dann die falsche Leistungsgruppe enthalten habe, keineswegs ohne weiteres von dessen Richtigkeit ausgehen können. Auch schlechte Sprachkenntnisse stünden dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entgegen. Die Klägerin habe aufgrund der Hinweise im Bewilligungsbescheid und im Merkblatt erkennen müssen, dass die Leistungsgruppe C nicht ihren tatsächlichen Verhältnissen entsprochen habe und deshalb dem Anspruch fälschlicherweise zu Grunde gelegt worden sei. Die Klägerin sei auch nicht im Umgang mit der Arbeitsverwaltung und ihren Bescheiden unerfahren. Aus den BEWA-Ausdrucken und aus dem Vermerk vom 15.10.2003 (Bl. 36, 38) ergebe sich, dass die Klägerin keine Verständigungsprobleme gehabt habe. Die Beklagte legte eine genaue Berechnung des Erstattungsbetrages sowie eine Rekonstruktion des Bescheides vom 20.10.2003 vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Akten des Sozialgerichtes und des Landessozialgerichtes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobene Berufung ist zulässig und begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2004. Zu entscheiden ist vorliegend über die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.10.2003 bis 30.04.2004 sowie die Erstattung der für diesen Zeitraum überzahlten Leistung.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhobenen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakte), rechtswidrig ist, darf er auch, nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 des § 45 SGB X ganz oder teilweise mir Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X in der ab 07.04.1998 geltenden Fassung).

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 SGB X). Überzahlte Leistungen sind gemäß § 50 SGB X zurück zu erstatten.

Gem. § 129 Ziff. 1 SGB III in der ab 01.08.2001 geltenden Fassung beträgt für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3-5 Einkommenssteuergesetz haben, das Arbeitslosengeld 67% (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgeltes (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat.

Gem. § 136 Abs. 1 SGB III in der ab 01.04.2003 geltenden Fassung ist das Leistungsentgelt das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt. Die als gewöhnlicher Abzug zugrunde zu legende Steuer richtet sich nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist (§ 137 Abs. 1 SGB III). Zuzuordnen sind Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohngruppe III eingetragen ist der Leistungsgruppe C. Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen ist, sind der Leistungsgruppe D zuzuordnen (§ 137 Abs. 2 Ziff. 3 und 4 SGB III). Die Zuordnung richtet sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs. 3 SGB III). Gewöhnlicher Lohnsteuerabzug ist in der Leistungsgruppe C die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse III und in der Leistungsgruppe D die Steuer nach der Lohnsteuertabelle für die Lohnsteuerklasse V (§ 136 Abs. 3 SGB III).

Danach hatte die Klägerin ab 01.10.2003 Anspruch auf Arbeitslosengeld (erhöhter Leistungssatz von 67 %) nach einem Leistungsentgelt unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse V (Leistungsgruppe D), was einem täglichen Zahlbetrag von 15,81 EUR im Jahr 2003 und 16,03 EUR im Jahr 2004 entsprach. Mit Bescheid vom 03.11.2003 wurde der Klägerin statt dessen Arbeitslosengeld ab 01.10.2003 unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe C mit einem Zahlbetrag von täglich 24,62 EUR bewilligt. Zugrunde gelegt war jeweils ein Bemessungsentgelt von wöchentlich 325,- EUR. Bis zum 31.12.2003 betrug die tägliche Differenz zwischen dem zustehenden und dem tatsächlich gezahlten Arbeitslosengeld 8,81 EUR. Danach betrug sie täglich 8,55 EUR. Der Überzahlungszeitraum erfasste im Jahr 2003 92 Tage (01.10.03 bis 31.12.03) und im Jahr 2004 121 Tage (01.01.04 bis 30.04.04). Danach hat die Beklagte korrekt den Betrag von 1.845,07 EUR errechnet. Insoweit war der Bewilligungsbescheid vom 03.11.2003 rechtswidrig und musste gem. § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X zurückgenommen werden.

Die Klägerin hat weder durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung die Bewilligung von Arbeitslosengeld erwirkt noch beruht der Verwaltungsakt vom 03.11.2003 auf Angaben, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Der Verwaltungsakt musste jedoch deshalb zurückgenommen werden, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet. Es müssen schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. Wiesner in von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Auflage, § 45 Rdnr.22 mit weiteren Nachweisen). Bezugspunkt für die grobe Fahrlässigkeit ist die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde (Urteil des BSG vom 08.02.2001 Az.: B11 AL 21/00 R). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff). Missachtet der Arbeitslose, die klaren und eindeutigen Hinweise im Bescheid oder in einem Merkblatt und konnte er dies nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand erkennen, so begründet dies im Regelfall, wenn nicht gar Kenntnis, so zumindest grobe Fahrlässigkeit (vgl. Urteil des BSG vom 24.04.1997 Az.: 11 RAr 89/96).

Die Bescheide vom 20.10.2003 und vom 03.11.2003 unterscheiden sich dahingehend, dass die Beklagte im Bescheid vom 03.11.2003 zu Recht von dem Prozentsatz von 67 ausging, da sie durch den Widerspruch der Klägerin zwischenzeitlich erfahren hatte, dass diese ein Kind hat. Weiter hat die Beklagte zu Unrecht die Leistungsgruppe C (Steuerklasse III) berücksichtigt.

Zusammenfassend ergibt sich in der Gesamtschau, dass die Klägerin erkannt hat oder nur aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, dass das ausbezahlte Arbeitslosengeld zu hoch war. Mit dem später aufgehobenen Sperrzeitbescheid vom 17.10.2003 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis 23.12.2003 ruhe. Hieraus konnte die Klägerin nicht den Schluss ziehen, dass sich die Sperrzeit auf die Höhe des (täglichen) Anspruchs auf Arbeitslosengeld auswirkt. Folgerichtig wurde der Klägerin mit dem nicht bei den Akten befindlichen und von der Beklagten rekonstruierten Bescheid vom 20.10.2003, von dem die Klägerin angibt, er sei nicht mehr in ihrem Besitz, Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe D von täglich 14,16 EUR (wöchentlich 99,12 EUR ) bewilligt. Sodann wurde der Klägerin mit Bescheid vom 03.11.2003 Arbeitslosengeld ab Beginn der Arbeitslosigkeit (01.10.2003) nach der Leistungsgruppe C in Höhe von täglich 24,62 EUR (wöchentlich 172,34 EUR) bewilligt. Da hier die Bewilligung des Arbeitslosengeldes von Beginn der Arbeitslosigkeit an erfolgte, konnte die Klägerin nicht ernsthaft annehmen, dass die im Vergleich zu dem vorangehenden Bescheid vom 20.10.2003 gesteigerte Höhe der Leistung eine Nachzahlung wegen der zunächst verhängten Sperrzeit darstellte. Zudem musste der Klägerin auffallen, dass die Höhe des nunmehr bewilligten Arbeitslosengeldes die Höhe ihres zuletzt erzielten Nettoverdienstes von ca. 680,- EUR (brutto 1360,- EUR und 1320,- EUR) mit einer monatlichen Leistung von 738,- EUR ( 30 x 24,62.- EUR) überschritt. Des Weiteren hat die Klägerin bei der Antragstellung mit ihrer Unterschrift bestätigt, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Auf Blatt 39 des Merkblattes für Arbeitslose (Stand April 2003) wird der Zusammenhang der Leistungsgruppe und der Steuerklasse erläutert. Hieraus konnte die Klägerin schließen, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes auch von der Leistungsgruppe und damit von der Steuerklasse abhängig ist. Anhaltspunkte dafür, dass das Arbeitslosengeld dem zuvor erzielten Nettoentgelt entspricht oder dieses gar übersteigt, lassen sich dem Merkblatt für Arbeitslose nicht entnehmen. Vielmehr wird auf Seite 36 ausgeführt, dass das Arbeitslosengeld nur einem bestimmten Prozentsatz (im Fall der Klägerin 67 %) des Bemessungsentgeltes (unter Berücksichtigung von anderen Faktoren) entspricht. Anhand des dort gezeigten Beispieles ist zu ersehen, dass das Arbeitslosengeld unter dem Nettoentgelt aus einem Arbeitsverhältnis liegt.

Entgegen der Annahme des Sozialgerichtes, die Klägerin sei im Umgang mit Behörden unerfahren, hat die Klägerin bereits ein Einbürgerungsverfahren hinter sich gebracht. Gemäß Vermerk des Vermittlers/der Vermittlerin Brunner vom 15.10.2003 spricht die Klägerin mäßig gut deutsch und versteht fast alles, so dass keine besonderen sprachlichen Probleme auftraten.

Es war daher der Klägerin klar erkennbar, dass das ihr mit dem Bescheid vom 03.11.2003 zuerkannte Arbeitslosengeld zu hoch war. Sie hat somit erkannt oder nur grob fahrlässig nicht erkannt, dass der Bescheid insoweit rechtswidrig war. Dass die Klägerin zudem nicht immer mit der gebotenen Aufmerksamkeit gegenüber der Beklagten gehandelt hat, wird auch daran deutlich dass die Klägerin bei der Antragstellung gegenüber der Beklagten angegeben hat, sie habe keine Kinder, was eine falsche Angabe darstellt, auch wenn sich diese nicht zugunsten der Klägerin auswirkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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