Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 4516/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 4199/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2005 wird dahingehend abgeändert, dass der Bescheid der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 21.08.2003 aufgehoben wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu 5/6 zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld im Streit.
Der 1948 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 04.02.2003 die Gewährung von Arbeitslosengeld und gab hierbei wahrheitsgemäß an, dass auf seiner Lohnsteuerklasse die Steuerklasse V eingetragen war. Er bestätigte hierbei mit seiner Unterschrift den Erhalt des Merkblattes für Arbeitslose. Mit Bescheid vom 09.04.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 05.03.2003 ausgehend von einem Bemessungsentgelt von 410 EUR Arbeitslosengeld in Höhe von 213,64 EUR wöchentlich, wobei sie irrtümlich die Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C) zugrunde legte und im Übrigen zutreffend ein Kind berücksichtigte.
Nachdem zwischenzeitlich der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Erkrankung des Klägers streitig geworden war (Verfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart S 3 AL 3416/03 ER und S 3 AL 3796/03) wurde dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 15.07.2003 erneut Arbeitslosengeld ab dem 01.07.2003 bewilligt. Die Leistungshöhe betrug lediglich 131,46 EUR wöchentlich, da die Beklagte nunmehr zutreffend die Lohnsteuerklasse V zugrunde legte (Leistungsgruppe D).
Als der Beklagten die irrtümlich zu hohe Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 01.07.2003 auffiel, hörte sie den Kläger zu der von ihr beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld in Höhe des zuviel ausgezahlten Arbeitslosengeldes an.
Der Kläger legte daraufhin Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2003 ein. Bei Berücksichtigung seiner Nettoverdienste in den Monaten April bis September 2001 ergebe sich ein täglich um 9,70 EUR höherer Leistungssatz.
Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 20.08.2003 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 05.03.2003 teilweise in Höhe von 82,18 EUR wöchentlich zurück. Da dem Kläger das Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt worden sei, habe er erkennen können, dass die Bewilligung nach der falschen Leistungsgruppe bzw. Lohnsteuerklasse vorgenommen worden sei. Der Kläger habe deswegen den zu Unrecht gezahlten Betrag in Höhe von 1.150,52 EUR zu erstatten.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2003 mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2003 als unbegründet zurück.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes sei, nachdem der Kläger zuvor Krankengeld bezogen habe, zutreffend in Höhe von 131,46 EUR wöchentlich festgestellt worden. In ihre Entscheidung bezog die Beklagte nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anschließend den Bescheid vom 20.08.2003 ein und stellte fest, dass der Erstattungsbetrag für die in der Vergangenheit zu hoch gezahlte Leistung in Höhe von 1.150,52 EUR zu Recht geltend gemacht worden sei. Durch die Belehrung in dem ausgehändigten Merkblatt über die Bedeutung der Lohnsteuerklasse für die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld sei dem Kläger bekannt gewesen bzw. habe dieser leicht erkennen können, dass die ursprüngliche Bewilligung von Arbeitslosengeld fehlerhaft gewesen sei. Er habe deshalb die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und sei zur Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen verpflichtet.
Der Kläger hat am 25.08.2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, wobei er alle bisher vorausgegangenen Bescheide der Beklagten mit seiner Klage angriff. Die Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 habe er nicht erkennen können. Es gebe zahlreiche Merkblätter der Beklagten und es sei ihm unklar, welches diese meine. Unklar sei ferner, wie sich der Erstattungsbetrag zusammensetze. Die Beklagte gab im Verlauf des Verfahrens ein Anerkenntnis in der Sache S 3 AL 3796/03 ab, welches einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 11.06.2003 bis zum 30.06.2003 beinhaltete.
Nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12.08.2005 beantragte der Kläger nur noch die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 sowie die Verurteilung der Beklagten, bezüglich des für den Zeitraum vom 11.06. bis 30.06.2003 nachträglich gezahlten Arbeitslosengeldes 2% Zinsen zu zahlen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.08.2005 als unbegründet abgewiesen. Der geltend gemachte Zinsanspruch sei unzulässig und jedenfalls nach § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zumindest ungegründet; dies begründete das SG unter anderem damit, dass über einen Anspruch auf Zinsen noch keine ablehnende Verwaltungsentscheidung vorliege. Auch die Rückforderung des in der Zeit vom 05.03.bis zum 10.06.2003 zuviel gezahlten Arbeitslosengeldes sei nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X rechtmäßig. Die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 habe der Kläger bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres erkennen können. In dem Merkblatt der Beklagten, dessen Erhalt der Kläger mit seiner Unterschrift bestätigt habe, werde die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes und die Bedeutung der Lohnsteuerklassen erläutert; ausdrücklich werde erklärt, welche Lohnsteuerklasse welcher Leistungsgruppe zuzuordnen sei. Soweit der Kläger den Inhalt dieses Merkblattes nicht zur Kenntnis genommen habe, sei ihm grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Auch wenn der Kläger das Merkblatt der Beklagten gemäß seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erst später per Post erhalten habe, sei es ihm spätestens mit Zustellung des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 ohne weiteres möglich gewesen, den Fehler der Beklagten zu bemerken. Denn auf der Rückseite der Bewilligungsbescheide der Beklagten seien die Leistungsgruppen und ihre Zuordnung zu den einzelnen Lohnsteuerklassen dargestellt, wobei sich der Vorderseite des Bescheides entnehmen lasse, welche Leistungsgruppe der Berechnung des bewilligten Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt worden sei. Das Urteil wurde dem Kläger am 07.09.2005 zugestellt.
Der Kläger hat am 03.10.2005 beim LSG Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG sei sein Vertrauen auf den Bestand des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 schutzwürdig. Nicht er, sondern die Beklagte habe die erforderliche Sorgfalt grob fahrlässig verletzt. Er habe den Antrag auf Arbeitslosengeld ordnungsgemäß ausgefüllt und hierbei keinerlei Fahrlässigkeit walten lassen. Die Beklagte sei wegen ihres grob fahrlässigen Bescheides zum Ersatz seines Schadens verpflichtet, welcher von den "Kosten des Rückerstattungsanspruchs abzuziehen" sei. Außerdem sei ein Mitverschulden der Beklagten nach § 254 BGB gegeben. Ein Bürger könne normalerweise darauf vertrauen, dass das Handeln der staatlichen Organe rechtmäßig und er nicht verpflichtet ist, ohne besonderen Anlass Verwaltungsakte auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Schließlich habe er auch keine Leistung zuerkannt bekommen, die ihn von der Höhe her hätten veranlassen müssen, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes anhand des Merkblattes überprüfen zu müssen. Die Bescheide der Beklagten seien zudem dermaßen unverständlich und gewissermaßen chiffriert, dass sich dem Kläger auch insoweit eine Prüfung nicht habe aufdrängen müssen. Überdies gehe der Vortrag der Beklagten am Sachverhalt vorbei, weil auf der Rückseite des Leistungsbescheides vom 09.04.2003 ausdrücklich der Satz stehe, "Die Zuordnung zur Leistungsgruppe D erfolgte aufgrund der auf ihrer Lohnsteuerklasse eingetragenen Lohnsteuerklasse V". Zwar gebe es eine Diskrepanz zwischen der Leistungsgruppe C auf der Vorderseite und der Angabe der Leistungsgruppe D auf der Rückseite, aber die Unterscheidung zwischen diesen beiden Angaben bedeute eine Überforderung des Klägers. Jedenfalls könne deswegen nicht die Rede davon sein, dass der Kläger seine Sorgfaltspflicht "in ungewöhnlich hohem Maße verletzt" habe.
Am 28.03.2006 wurde im Landessozialgericht ein Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger das Original des Bescheides vom 09.04.2003 vorlegte (vgl. Blatt 42 f. der Gerichtsakte). Auf der Vorderseite des Bescheides ist entsprechend dem Vortrag des Klägers die Leistungsgruppe C vermerkt, wohingegen auf der Rückseite angegeben ist, die Zuordnung zur Leistungsgruppe D sei aufgrund der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse V erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 11.06. bis 30.06.2003 bezüglich des in diesem Zeitraum zu gewährenden Arbeitslosengeldes 2% Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. SGG zulässige Berufung ist im wesentlichen begründet.
Der Kläger hat zwar keinen Zinsanspruch hinsichtlich des für den Monat Juni 2003 zu gewährenden Arbeitslosengeldes, wozu nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen wird. Der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 ist hingegen rechtswidrig und war deswegen aufzuheben.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach Abs. 2 Satz 2 in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach Abs. 2 Satz 3 indes nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3).
Vorliegend kommt für eine Rücknahme allein die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X in Betracht, weil der Kläger bei seiner Antragstellung richtige und vollständige Angaben gemacht hat und der Fehler ohne eine Einwirkung des Klägers allein im Bereich der Beklagten entstanden ist.
Auch eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist jedoch nicht möglich, weil ein Vorsatz oder eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Vorschrift vorliegend nicht erkennbar sind. Für eine Kenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 gibt es keine Anhaltspunkte.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist. Nach der zivil- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden ist bzw. wenn außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei genügt für die Kenntnis der Rechtwidrigkeit eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Ein Kennenmüssen ist erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Fehlerhaftigkeit des Bescheids ohne Mühe erkennen konnte (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 45 Rn. 23 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die erforderliche Sorgfalt verletzt in besonders schwerem Maße, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184 , 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32 , 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108 , 112; 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 20).
Ob ein bestimmter Verschuldensgrad (Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz) vorliegt, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das Bundessozialgericht aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben (vgl. BSGE 34, 124 , 127 = SozR Nr. 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175 , 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr. 2; zur näheren Begründung auch Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des deutschen Sozialgerichtsverbandes Band XVIII 1980, 12, 25).
Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl. BVerwGE 92, 81 , 84). Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde den Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen (vgl. BSGE 64, 233 , 236 ff. = SozR 4100 § 145 Nr. 4) und dies den Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergibt (z.B.: Da in Ihrer Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003 zu Beginn des Jahres die Steuerklasse III eingetragen war und ist, erhalten Sie das Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C) macht im übrigen gegebenenfalls auch den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, z.B. weil der zugrunde gelegte Sachverhalt (hier: Steuerklasse III) nicht dem angegebenen und wahren (Steuerklasse V) entspricht (vgl. etwa BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Vorliegend besteht insoweit die Besonderheit, dass die Beklagte dem Kläger vorwirft, nicht die Rückseite des Bewilligungsbescheides gelesen zu haben, welche nach Meinung der Beklagten eine Erläuterung zu den Lohnsteuerklassen und den ihnen zugeordneten Leistungsgruppen enthält. Der von dem Kläger vorgelegte Bewilligungsbescheid enthält indes - entgegen den Ausführungen des SG - keine solche Erklärung. Im Gegenteil wird auf der Rückseite des Bescheides völlig korrekt die Lohnsteuerklasse V des Klägers genannt ("Die Zuordnung zur Leistungsgruppe D erfolgte aufgrund der auf ihrer Lohnsteuerklasse eingetragenen Lohnsteuerklasse V"). Zwar wird auf der Vorderseite die Leistungsgruppe C aufgeführt, doch ist der Kläger nach Ansicht des Senates nicht grob fahrlässig gewesen, wenn er die richtigen Ausführungen auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides zur Kenntnis genommen hat und anschließend davon ausgegangen ist, dass insoweit alles seine Richtigkeit habe. Insofern ist es aus der Sicht des Versicherten auch nicht grob fahrlässig, wenn er einer konkreten Belehrung durch die Beklagte Glauben schenkt und diese nicht anhand eines allgemein gehaltenen Merkblattes überprüft. Gerade ein sorgfältiger Versicherter, der noch die Rückseiten seiner Bewilligungsbescheide studiert, hätte insoweit Bestätigung hinsichtlich der gewährten Leistung erlangt. Ob insoweit etwas anderes gelten muss, wenn auf der Vorderseite des Bescheides neben der Leistungsgruppe C auch noch die dazugehörige Lohnsteuerklasse III aufgeführt worden wäre, hat der Senat nicht zu entscheiden, weil dies nicht der Fall war.
Dabei ist vorliegend auch zu beachten, dass der Kläger sich ursprünglich keinen Fehler vorwerfen lassen muss, die Beklagte aber gleich mehrere (falsche Berechnung der Leistung; widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Leistungsgruppe; widerrechtliche Vorenthaltung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11.06. bis zum 30.06.2003). Der Senat hält es insoweit aber für ausgeschlossen, dass von dem Kläger eine höhere Sorgfalt als von der Beklagten verlangt werden kann. Schließlich war auch die Höhe des erstmalig bewilligten Arbeitslosengeldes im Vergleich zum letzten Einkommen des Klägers nicht so hoch, dass diese bereits allein dem Kläger Anlass zu einer Nachfrage hätte geben müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu 5/6 zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Arbeitslosengeld im Streit.
Der 1948 geborene Kläger beantragte bei der Beklagten am 04.02.2003 die Gewährung von Arbeitslosengeld und gab hierbei wahrheitsgemäß an, dass auf seiner Lohnsteuerklasse die Steuerklasse V eingetragen war. Er bestätigte hierbei mit seiner Unterschrift den Erhalt des Merkblattes für Arbeitslose. Mit Bescheid vom 09.04.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 05.03.2003 ausgehend von einem Bemessungsentgelt von 410 EUR Arbeitslosengeld in Höhe von 213,64 EUR wöchentlich, wobei sie irrtümlich die Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C) zugrunde legte und im Übrigen zutreffend ein Kind berücksichtigte.
Nachdem zwischenzeitlich der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen einer Erkrankung des Klägers streitig geworden war (Verfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart S 3 AL 3416/03 ER und S 3 AL 3796/03) wurde dem Kläger mit weiterem Bescheid vom 15.07.2003 erneut Arbeitslosengeld ab dem 01.07.2003 bewilligt. Die Leistungshöhe betrug lediglich 131,46 EUR wöchentlich, da die Beklagte nunmehr zutreffend die Lohnsteuerklasse V zugrunde legte (Leistungsgruppe D).
Als der Beklagten die irrtümlich zu hohe Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 01.07.2003 auffiel, hörte sie den Kläger zu der von ihr beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld in Höhe des zuviel ausgezahlten Arbeitslosengeldes an.
Der Kläger legte daraufhin Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2003 ein. Bei Berücksichtigung seiner Nettoverdienste in den Monaten April bis September 2001 ergebe sich ein täglich um 9,70 EUR höherer Leistungssatz.
Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 20.08.2003 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 05.03.2003 teilweise in Höhe von 82,18 EUR wöchentlich zurück. Da dem Kläger das Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt worden sei, habe er erkennen können, dass die Bewilligung nach der falschen Leistungsgruppe bzw. Lohnsteuerklasse vorgenommen worden sei. Der Kläger habe deswegen den zu Unrecht gezahlten Betrag in Höhe von 1.150,52 EUR zu erstatten.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.07.2003 mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2003 als unbegründet zurück.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes sei, nachdem der Kläger zuvor Krankengeld bezogen habe, zutreffend in Höhe von 131,46 EUR wöchentlich festgestellt worden. In ihre Entscheidung bezog die Beklagte nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anschließend den Bescheid vom 20.08.2003 ein und stellte fest, dass der Erstattungsbetrag für die in der Vergangenheit zu hoch gezahlte Leistung in Höhe von 1.150,52 EUR zu Recht geltend gemacht worden sei. Durch die Belehrung in dem ausgehändigten Merkblatt über die Bedeutung der Lohnsteuerklasse für die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld sei dem Kläger bekannt gewesen bzw. habe dieser leicht erkennen können, dass die ursprüngliche Bewilligung von Arbeitslosengeld fehlerhaft gewesen sei. Er habe deshalb die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und sei zur Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen verpflichtet.
Der Kläger hat am 25.08.2003 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, wobei er alle bisher vorausgegangenen Bescheide der Beklagten mit seiner Klage angriff. Die Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 habe er nicht erkennen können. Es gebe zahlreiche Merkblätter der Beklagten und es sei ihm unklar, welches diese meine. Unklar sei ferner, wie sich der Erstattungsbetrag zusammensetze. Die Beklagte gab im Verlauf des Verfahrens ein Anerkenntnis in der Sache S 3 AL 3796/03 ab, welches einen Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 11.06.2003 bis zum 30.06.2003 beinhaltete.
Nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 12.08.2005 beantragte der Kläger nur noch die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 sowie die Verurteilung der Beklagten, bezüglich des für den Zeitraum vom 11.06. bis 30.06.2003 nachträglich gezahlten Arbeitslosengeldes 2% Zinsen zu zahlen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12.08.2005 als unbegründet abgewiesen. Der geltend gemachte Zinsanspruch sei unzulässig und jedenfalls nach § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zumindest ungegründet; dies begründete das SG unter anderem damit, dass über einen Anspruch auf Zinsen noch keine ablehnende Verwaltungsentscheidung vorliege. Auch die Rückforderung des in der Zeit vom 05.03.bis zum 10.06.2003 zuviel gezahlten Arbeitslosengeldes sei nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X rechtmäßig. Die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 habe der Kläger bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres erkennen können. In dem Merkblatt der Beklagten, dessen Erhalt der Kläger mit seiner Unterschrift bestätigt habe, werde die Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes und die Bedeutung der Lohnsteuerklassen erläutert; ausdrücklich werde erklärt, welche Lohnsteuerklasse welcher Leistungsgruppe zuzuordnen sei. Soweit der Kläger den Inhalt dieses Merkblattes nicht zur Kenntnis genommen habe, sei ihm grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Auch wenn der Kläger das Merkblatt der Beklagten gemäß seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem SG erst später per Post erhalten habe, sei es ihm spätestens mit Zustellung des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 ohne weiteres möglich gewesen, den Fehler der Beklagten zu bemerken. Denn auf der Rückseite der Bewilligungsbescheide der Beklagten seien die Leistungsgruppen und ihre Zuordnung zu den einzelnen Lohnsteuerklassen dargestellt, wobei sich der Vorderseite des Bescheides entnehmen lasse, welche Leistungsgruppe der Berechnung des bewilligten Arbeitslosengeldes zugrunde gelegt worden sei. Das Urteil wurde dem Kläger am 07.09.2005 zugestellt.
Der Kläger hat am 03.10.2005 beim LSG Berufung eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG sei sein Vertrauen auf den Bestand des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 schutzwürdig. Nicht er, sondern die Beklagte habe die erforderliche Sorgfalt grob fahrlässig verletzt. Er habe den Antrag auf Arbeitslosengeld ordnungsgemäß ausgefüllt und hierbei keinerlei Fahrlässigkeit walten lassen. Die Beklagte sei wegen ihres grob fahrlässigen Bescheides zum Ersatz seines Schadens verpflichtet, welcher von den "Kosten des Rückerstattungsanspruchs abzuziehen" sei. Außerdem sei ein Mitverschulden der Beklagten nach § 254 BGB gegeben. Ein Bürger könne normalerweise darauf vertrauen, dass das Handeln der staatlichen Organe rechtmäßig und er nicht verpflichtet ist, ohne besonderen Anlass Verwaltungsakte auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Schließlich habe er auch keine Leistung zuerkannt bekommen, die ihn von der Höhe her hätten veranlassen müssen, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes anhand des Merkblattes überprüfen zu müssen. Die Bescheide der Beklagten seien zudem dermaßen unverständlich und gewissermaßen chiffriert, dass sich dem Kläger auch insoweit eine Prüfung nicht habe aufdrängen müssen. Überdies gehe der Vortrag der Beklagten am Sachverhalt vorbei, weil auf der Rückseite des Leistungsbescheides vom 09.04.2003 ausdrücklich der Satz stehe, "Die Zuordnung zur Leistungsgruppe D erfolgte aufgrund der auf ihrer Lohnsteuerklasse eingetragenen Lohnsteuerklasse V". Zwar gebe es eine Diskrepanz zwischen der Leistungsgruppe C auf der Vorderseite und der Angabe der Leistungsgruppe D auf der Rückseite, aber die Unterscheidung zwischen diesen beiden Angaben bedeute eine Überforderung des Klägers. Jedenfalls könne deswegen nicht die Rede davon sein, dass der Kläger seine Sorgfaltspflicht "in ungewöhnlich hohem Maße verletzt" habe.
Am 28.03.2006 wurde im Landessozialgericht ein Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kläger das Original des Bescheides vom 09.04.2003 vorlegte (vgl. Blatt 42 f. der Gerichtsakte). Auf der Vorderseite des Bescheides ist entsprechend dem Vortrag des Klägers die Leistungsgruppe C vermerkt, wohingegen auf der Rückseite angegeben ist, die Zuordnung zur Leistungsgruppe D sei aufgrund der auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse V erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.08.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 11.06. bis 30.06.2003 bezüglich des in diesem Zeitraum zu gewährenden Arbeitslosengeldes 2% Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. SGG zulässige Berufung ist im wesentlichen begründet.
Der Kläger hat zwar keinen Zinsanspruch hinsichtlich des für den Monat Juni 2003 zu gewährenden Arbeitslosengeldes, wozu nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen wird. Der Erstattungsbescheid der Beklagten vom 20.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2003 ist hingegen rechtswidrig und war deswegen aufzuheben.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, soweit er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 der Vorschrift ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach Abs. 2 Satz 2 in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach Abs. 2 Satz 3 indes nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3).
Vorliegend kommt für eine Rücknahme allein die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X in Betracht, weil der Kläger bei seiner Antragstellung richtige und vollständige Angaben gemacht hat und der Fehler ohne eine Einwirkung des Klägers allein im Bereich der Beklagten entstanden ist.
Auch eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist jedoch nicht möglich, weil ein Vorsatz oder eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Vorschrift vorliegend nicht erkennbar sind. Für eine Kenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 09.04.2003 gibt es keine Anhaltspunkte.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist. Nach der zivil- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit im Rahmen des Kennenmüssens dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden ist bzw. wenn außer Acht gelassen worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei genügt für die Kenntnis der Rechtwidrigkeit eine Parallelwertung in der Laiensphäre. Ein Kennenmüssen ist erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte die Fehlerhaftigkeit des Bescheids ohne Mühe erkennen konnte (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 45 Rn. 23 f. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die erforderliche Sorgfalt verletzt in besonders schwerem Maße, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184 , 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32 , 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108 , 112; 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 20).
Ob ein bestimmter Verschuldensgrad (Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz) vorliegt, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Eine Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, besteht, auch wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. In verschiedenen Zusammenhängen hat das Bundessozialgericht aus dem Sozialrechtsverhältnis hergeleitet, dass die Beteiligten "sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Versicherungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren" haben (vgl. BSGE 34, 124 , 127 = SozR Nr. 25 zu § 29 RVO; BSGE 77, 175 , 180 = SozR 3-4100 § 105 Nr. 2; zur näheren Begründung auch Krause, Das Sozialrechtsverhältnis, Schriftenreihe des deutschen Sozialgerichtsverbandes Band XVIII 1980, 12, 25).
Allerdings dürfte ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten sein, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (vgl. BVerwGE 92, 81 , 84). Das gilt auch, soweit Antragsteller über ihre Rechte und Pflichten durch Merkblätter aufgeklärt werden, die abstrakte Erläuterungen über Voraussetzungen von Ansprüchen und deren Bemessung enthalten. Andernfalls würde den Begünstigten durch Merkblätter das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet. Auch bei der Berücksichtigung der Vielfalt von Aufgaben und der Vielzahl der zu bearbeitenden Vorgänge ist es aber gerade die Aufgabe der Fachbehörde, wahrheitsgemäße tatsächliche Angaben von Antragstellern rechtlich einwandfrei umzusetzen (vgl. BSGE 64, 233 , 236 ff. = SozR 4100 § 145 Nr. 4) und dies den Betroffenen in der Begründung des Bescheids deutlich zu machen. Eine Bescheidbegründung, die den zugrunde gelegten Sachverhalt wiedergibt (z.B.: Da in Ihrer Lohnsteuerkarte für das Jahr 2003 zu Beginn des Jahres die Steuerklasse III eingetragen war und ist, erhalten Sie das Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C) macht im übrigen gegebenenfalls auch den mit einer bestimmten Rechtsmaterie nicht vertrauten Antragsteller darauf aufmerksam, dass der Bewilligungsbescheid nicht in Ordnung ist, z.B. weil der zugrunde gelegte Sachverhalt (hier: Steuerklasse III) nicht dem angegebenen und wahren (Steuerklasse V) entspricht (vgl. etwa BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 45).
Vorliegend besteht insoweit die Besonderheit, dass die Beklagte dem Kläger vorwirft, nicht die Rückseite des Bewilligungsbescheides gelesen zu haben, welche nach Meinung der Beklagten eine Erläuterung zu den Lohnsteuerklassen und den ihnen zugeordneten Leistungsgruppen enthält. Der von dem Kläger vorgelegte Bewilligungsbescheid enthält indes - entgegen den Ausführungen des SG - keine solche Erklärung. Im Gegenteil wird auf der Rückseite des Bescheides völlig korrekt die Lohnsteuerklasse V des Klägers genannt ("Die Zuordnung zur Leistungsgruppe D erfolgte aufgrund der auf ihrer Lohnsteuerklasse eingetragenen Lohnsteuerklasse V"). Zwar wird auf der Vorderseite die Leistungsgruppe C aufgeführt, doch ist der Kläger nach Ansicht des Senates nicht grob fahrlässig gewesen, wenn er die richtigen Ausführungen auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides zur Kenntnis genommen hat und anschließend davon ausgegangen ist, dass insoweit alles seine Richtigkeit habe. Insofern ist es aus der Sicht des Versicherten auch nicht grob fahrlässig, wenn er einer konkreten Belehrung durch die Beklagte Glauben schenkt und diese nicht anhand eines allgemein gehaltenen Merkblattes überprüft. Gerade ein sorgfältiger Versicherter, der noch die Rückseiten seiner Bewilligungsbescheide studiert, hätte insoweit Bestätigung hinsichtlich der gewährten Leistung erlangt. Ob insoweit etwas anderes gelten muss, wenn auf der Vorderseite des Bescheides neben der Leistungsgruppe C auch noch die dazugehörige Lohnsteuerklasse III aufgeführt worden wäre, hat der Senat nicht zu entscheiden, weil dies nicht der Fall war.
Dabei ist vorliegend auch zu beachten, dass der Kläger sich ursprünglich keinen Fehler vorwerfen lassen muss, die Beklagte aber gleich mehrere (falsche Berechnung der Leistung; widersprüchliche Angaben hinsichtlich der Leistungsgruppe; widerrechtliche Vorenthaltung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 11.06. bis zum 30.06.2003). Der Senat hält es insoweit aber für ausgeschlossen, dass von dem Kläger eine höhere Sorgfalt als von der Beklagten verlangt werden kann. Schließlich war auch die Höhe des erstmalig bewilligten Arbeitslosengeldes im Vergleich zum letzten Einkommen des Klägers nicht so hoch, dass diese bereits allein dem Kläger Anlass zu einer Nachfrage hätte geben müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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