Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 1133/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4236/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. August 2004 insoweit aufgehoben, als dort über Leistungen nach § 3 Berufskrankheitenverordnung entschieden worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie die Gewährung einer Verletztenrente.
Der am 1953 geborene Kläger arbeitete von Mai 1976 bis September 1999 bei der Sch. Hüttenwerke GmbH (SHW) in der Schleiferei und Dreherei. Er arbeitete an verschiedenen Maschinen und bearbeitete Bremsscheiben mit einem Gewicht von 7 bis 12,5 kg, wobei gelegentlich extreme Rumpfbeugehaltungen vorkamen. Die Stückzahl lag zwischen 200 (bei höheren Gewichten) und 1000 Stück (bei niedrigeren Gewichten) pro Schicht. Von 1976 bis 1979/1980 handelte es sich teilweise um Schichten mit zehn Stunden, danach um Schichten mit acht Stunden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Zusammenstellung des Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004 verwiesen.
Der Kläger wandte sich im Jahre 2001 an die Beklagte und trug vor, ein bei ihm bestehendes rezidivierendes HWS-Syndrom mit Cervicocephalgien sowie ein chronisch rezidivierendes Thorakal- und Lumbalsyndrom bei Hohlrücken sei durch seine schwere Tätigkeit bei der SHW verursacht. Er habe vor ca. acht Jahren zum ersten Mal Wirbelsäulenbeschwerden gehabt. Er habe in den Jahren von 1976 bis 1999 pro Arbeitsschicht (200 Arbeitsschichten pro Jahr) Gegenstände mit einem Gewicht bis 10 kg ca. 1800 mal gehoben und Gegenstände mit einem Gewicht von 10 bis 15 kg 600 mal.
Mit Bescheid vom 27.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 lehnte die Beklagte nach Einholung einer Auskunft der SHW sowie einer Stellungnahme bzw. Berechnung der Gesamtbelastung (Lebensdosis) BK 2108 nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) des Technischen Aufsichtsbeamten Dipl.-Ing. G. die Gewährung von Leistungen mit der Begründung ab, der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei der SHW keinen derart hohen Belastungen der Hals- und Lendenwirbelsäule ausgesetzt gewesen, die als geeignet angesehen werden könnten, eine BK nach den Ziff. 2108/2109 der Anlage zur BKV zu verursachen.
Dagegen hat der Kläger am 25.04.2002 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben unter anderem mit der Begründung, er habe während seiner Tätigkeit bei der Firma SHW Bremsscheiben mit einem Gewicht von bis zu 15 kg pro Stück bearbeitet. Seine Aufgabe habe darin bestanden, die Bremsscheiben aus einem Behälter herauszuheben, zur Maschine zu laufen und sie einzuspannen. Für letzteren Arbeitsvorgang habe er sich in die Maschine hineinbeugen müssen, was auch beim Herausnehmen der fertigen Bremsscheibe und beim Einlegen in den dafür vorgesehenen Behälter wieder erforderlich gewesen sei. Er habe auf diese Weise pro Stunde ca. 100 Stück getragen. Beim Vordrehen der 8-10 kg schweren BMW- und Porschescheiben habe die Laufzeit einer Scheibe 50-60 Sekunden betragen.
Das Sozialgericht hat mehrere Auskünfte der SHW zur Tätigkeit des Klägers eingeholt.
Die Beklagte hat die Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004 mit Berechnung der Gesamt-Belastung (Lebensdosis) BK 2108 nach dem MDD vorgelegt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, aus den Lastgewichten resultiere zu keiner Zeit eine BK-relevante Druckkraft ) 3200 N für Männer. Somit betrage für die Tätigkeit des Klägers von Mai 1976 bis September 1999 die berufliche Gesamtbelastungsdosis DH = 0 Nh. Tätigkeiten, die für das Entstehen einer BK im Sinne der BK Nr. 2109 als ursächlich angesehen werden könnten, seien vom Kläger nicht angegeben worden.
Mit Bescheid vom 02.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2005 hat die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV abgelehnt. Dagegen ist ein gesondertes Klageverfahren anhängig.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.08.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger liege weder eine BK nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur BKV vor, noch habe er einen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV. Es könne offen bleiben, ob beim Kläger bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule bestünden, jedenfalls seien die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben.
Gegen den am 18.08.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.09.2004 (Montag) Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, das Sozialgericht habe das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen verneint, hierzu jedoch keine unabhängige Expertise eingeholt. Die von ihm durchgeführten Tätigkeiten seien rückenbelastend gewesen. Er habe beim Drehen und Schleifen von Bremsscheiben Gegenstände mit einem Gewicht von jeweils bis zu 15 kg gehoben und zwar 2400 Mal pro Arbeitsschicht. Vom Mai 1976 bis Dezember 1979 habe er täglich 470 Bremsscheiben tragen müssen. Er habe auch Hebe- und Tragevorgänge in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeführt. Außerdem sei die Betriebsakte beizuziehen, welche der Technische Aufsichtsdienst über das Mitgliedsunternehmen führe. Wenn es sich bei den Halswirbelsäulenveränderungen nicht um eine Listenberufskrankheit handle, könnte zu prüfen sein, ob eine BK nach neuer Erkenntnis im Einzelfall vorliege. Im Übrigen sei anzumerken, dass das Bundessozialgericht (BSG) das MDD keineswegs als absolut angesehen habe. Es habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass das MDD eine Berechnungsgrundlage bieten könne, auf deren Grundlage eine BK nach der Nr. 2108 festgestellt werden könne. Es sei in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. August 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2002 aufzuheben, seine Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, auch unter Berücksichtigung der vom Kläger beschriebenen wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten habe die notwendige Mindestdruckkraft von 3200 N, welche nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen geeignet sei, wirbelsäulenschädigend zu wirken, nicht erreicht werden können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zum großen Teil unbegründet. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV liegen nicht vor. Der Gerichtsbescheid ist lediglich insoweit aufzuheben als dort über einen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV entschieden worden ist.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht über den Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV entschieden und die Klage abgewiesen. Insoweit ist der Gerichtsbescheid aufzuheben. Der Bescheid vom 02.08.2004 ist nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens betreffend die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV geworden.
Wird nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 SGG). Der während des Klageverfahrens ergangene Bescheid vom 02.08.2004 hat den Bescheid vom 27.11.2001 weder abgeändert noch ersetzt. Auf Anregung des Senats hin hat die Beklagte inzwischen (05.01.2005) auch einen Widerspruchsbescheid erlassen, gegen den der Kläger Klage gesondert erhoben hat.
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählen nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht wurden und die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich waren oder sein können.
Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreicht (BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m. w. N.).
Beim Kläger liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht vor. Der Kläger verrichtete bei seiner Tätigkeit bei der Firma SHW keine Tätigkeiten, die geeignet waren, eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV zu verursachen. Nach den von der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Tabellen und Berechnungen ihres Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet und die den Senat überzeugen, resultiert aus den vom Kläger getragenen und gehobenen Lastgewichten in dem Zeitraum vom 11.05.1976 bis 30.09.1999 keine BK-relevante Druckkraft von mehr als 3200 N. Diese Berechnungen beruhen auf den von dem Technischen Aufsichtsbeamten G. am 22.06.2004 bei der Firma SHW durchgeführten Ermittlungen, den Angaben der Firma SHW vom 11.02. und 07.06.2004 sowie auf den Angaben des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren. So ist insbesondere bei den Berechnungen berücksichtigt, dass der Kläger nach seinen Angaben ab November 1976 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5713 - arbeitete, vom 01.04.1978 bis 1982 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5714 - und von 1982 bis 1990 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5713 -. Weiter ist berücksichtigt, dass der Kläger von Hand die Bremsscheibe aus der Palette entnehmen, ein- und ausspannen und anschließend in eine Box ablegen musste. Außerdem sind Zehn-Stundenschichten bis 1979/1980 sowie Samstagsarbeit berücksichtigt. Weiter sind der Berechnung Gewichte der Bremsscheiben zwischen 7 und 12,5 kg - wie vom Kläger angegeben - zugrundegelegt. Wenn der Kläger angibt, er habe Gegenstände mit einem Gewicht bis zu 15 kg bearbeitet, so widerspricht sich dies nicht. Im Übrigen hat er nicht vorgetragen, bei welchem Arbeitsvorgang die zu bearbeitenden Teile mehr als 12,5 kg betragen haben sollen. Jedenfalls hat die Firma SHW lediglich Gewichte bis 12,5 kg bestätigt. Ein Nachweis für eine höhere Gewichtsbelastung ist nicht erbracht, weitere Ermittlungen sind nicht möglich.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren, er habe pro Arbeitsschicht Gegenstände (mit einem Gewicht bis zu 15 kg) insgesamt 2400 mal gehoben, weil es sich um 2400 Bremsscheiben gehandelt habe, ist für den Senat nicht glaubhaft. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Kläger - selbst bei einer Zehn-Stundenschicht - 240 Bremsscheiben in der Stunde bzw. vier Bremsscheiben in einer Minute bearbeitet hätte. Dies ist unmöglich, zumal der Kläger selbst im Sozialgerichtsverfahren vorgetragen hat, die Laufzeit einer Scheibe habe 50 bis 60 Sekunden betragen. Hierzu sind dann noch die Be- und Entladevorgänge von insgesamt mindestens 12 Sekunden pro Stück (Auskunft der SHW vom Januar 2003) hinzuzurechnen.
Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung waren - auch nach dem Vortrag des Klägers - nur gelegentlich vorzunehmen.
Die Einholung einer unabhängigen Expertise zur Berechnung der Gesamtbelastung (Lebensdosis) BK 2108 hält der Senat nicht für erforderlich, vielmehr sind die Berechnungen des Technischen Aufsichtsbeamten G. für den Senat nachvollziehbar und in sich stimmig und der Kläger hat nicht detailliert dargelegt, in welchen Punkten dieser Berechnung nicht gefolgt werden kann.
Die von Klägerseite geäußerten Zweifel an der Anwendbarkeit des MDD auf seinen Fall, geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 18.03.2003 (B 2 U 13/02 R) und vom 19.08.2003 (B 2 U 1/02 R) ausführlich dargestellt hat, begegnet die Anwendung des MDD zur notwendigen Konkretisierung der versicherten Einwirkungen bei der BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV keinen Bedenken, denn das MDD basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist eine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen. Die Anwendung des MDD begegnet auch im Speziellen keinen Bedenken. Schließlich sind der Berechnung weitgehend die Angaben des Klägers sowie die detaillierten Angaben der Firma SHW als auch die Ermittlungen durch den Technischen Aufsichtsbeamten G. zugrundegelegt. Der Senat kann daher nicht erkennen, inwieweit es im vorliegenden Fall an der Schlüssigkeit der durchgeführten Berechnung mangeln sollte. Angesichts dessen und der Tatsache, dass bereits die ermittelte Druckkraft für den gesamten Zeitraum von 1976 bis 1999 kleiner als der Richtwert nach dem MDD war, erachtet der Senat weitere Ermittlungen nicht für angezeigt.
Die Beiziehung der Betriebsakte der Firma SHW hält der Senat nicht für erforderlich. Es ist für den Senat nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargetan, welche zusätzlichen Erkenntnisse hieraus gewonnen werden könnten, nachdem alle für die Anwendung des MDD relevanten Daten im Bericht des Aufsichtsbeamten G. enthalten sind.
Da schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht gegeben sind, kann letztlich die Frage, ob in medizinischer Hinsicht ein berufstypisches Schadensbild vorliegt, offengelassen werden.
Soweit der Kläger (auch) die Anerkennung einer BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV begehrt, ist nicht erkennbar, dass die maßgeblichen Voraussetzungen (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für ihre Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) hier erfüllt sein könnten. Der Kläger selbst hat nie vorgetragen, er habe schwere Lasten auf der Schulter getragen und dies wurde auch von der Firma SHW in der Auskunft vom Januar 2003 verneint.
Die Halswirbelsäulenveränderungen des Klägers können auch nicht nach § 9 Abs. 2 SGB VII entschädigt werden. Gem. § 9 Abs. 2 SGB VII sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV (bzw. deren Anlage) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII erfüllt sind. Mit Hinblick auf die dort niedergelegten Maßgaben für die Bezeichnung von BKen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung (durch die BKV) bedeutet das, dass eine abgrenzbare (bestimmte) Personengruppe in Rede stehen muss, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt ist, wobei diese Auswirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten der jeweiligen Art zu verursachen. Es muss um "verordnungsreife" BKen gehen, die (nur) deshalb (noch) nicht gem. § 9 Abs. 1 SGB VII zu entschädigen sind, weil der Verordnungsgeber der BKV, der mit dem Erkenntnisfortschritt in der medizinischen Wissenschaft nicht Schritt halten kann, die regelmäßig in mehrjährigen Abständen novellierte BKV dem Stand der Wissenschaft (noch) nicht angepasst hat. Indessen ist es nicht Aufgabe des § 9 Abs. 2 SGB VII, jede Krankheit, die durch eine berufliche Tätigkeit verursacht wurde, im Einzelfall - gleichsam aus Billigkeitsgründen - wie eine BK zu entschädigen.
Nach dem Kenntnisstand des Senats ist die Berufsgruppe der Dreher durch das einhändige Heben mit ausgestrecktem Arm durch ihre Arbeit nicht in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt. Es sind weiter auch keine medizinischen Erkenntnisse darüber bekannt, dass das einhändige Heben mit ausgestrecktem Arm bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule auslösen könnte.
Da das Sozialgericht die Klage somit zu Recht abgewiesen hat, ist auch die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs des Berufungsverfahrens erachtet der Senat eine - auch nur teilweise - Kostenerstattung nicht für angemessen
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie die Gewährung einer Verletztenrente.
Der am 1953 geborene Kläger arbeitete von Mai 1976 bis September 1999 bei der Sch. Hüttenwerke GmbH (SHW) in der Schleiferei und Dreherei. Er arbeitete an verschiedenen Maschinen und bearbeitete Bremsscheiben mit einem Gewicht von 7 bis 12,5 kg, wobei gelegentlich extreme Rumpfbeugehaltungen vorkamen. Die Stückzahl lag zwischen 200 (bei höheren Gewichten) und 1000 Stück (bei niedrigeren Gewichten) pro Schicht. Von 1976 bis 1979/1980 handelte es sich teilweise um Schichten mit zehn Stunden, danach um Schichten mit acht Stunden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Zusammenstellung des Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004 verwiesen.
Der Kläger wandte sich im Jahre 2001 an die Beklagte und trug vor, ein bei ihm bestehendes rezidivierendes HWS-Syndrom mit Cervicocephalgien sowie ein chronisch rezidivierendes Thorakal- und Lumbalsyndrom bei Hohlrücken sei durch seine schwere Tätigkeit bei der SHW verursacht. Er habe vor ca. acht Jahren zum ersten Mal Wirbelsäulenbeschwerden gehabt. Er habe in den Jahren von 1976 bis 1999 pro Arbeitsschicht (200 Arbeitsschichten pro Jahr) Gegenstände mit einem Gewicht bis 10 kg ca. 1800 mal gehoben und Gegenstände mit einem Gewicht von 10 bis 15 kg 600 mal.
Mit Bescheid vom 27.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.2002 lehnte die Beklagte nach Einholung einer Auskunft der SHW sowie einer Stellungnahme bzw. Berechnung der Gesamtbelastung (Lebensdosis) BK 2108 nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) des Technischen Aufsichtsbeamten Dipl.-Ing. G. die Gewährung von Leistungen mit der Begründung ab, der Kläger sei während seiner Tätigkeit bei der SHW keinen derart hohen Belastungen der Hals- und Lendenwirbelsäule ausgesetzt gewesen, die als geeignet angesehen werden könnten, eine BK nach den Ziff. 2108/2109 der Anlage zur BKV zu verursachen.
Dagegen hat der Kläger am 25.04.2002 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben unter anderem mit der Begründung, er habe während seiner Tätigkeit bei der Firma SHW Bremsscheiben mit einem Gewicht von bis zu 15 kg pro Stück bearbeitet. Seine Aufgabe habe darin bestanden, die Bremsscheiben aus einem Behälter herauszuheben, zur Maschine zu laufen und sie einzuspannen. Für letzteren Arbeitsvorgang habe er sich in die Maschine hineinbeugen müssen, was auch beim Herausnehmen der fertigen Bremsscheibe und beim Einlegen in den dafür vorgesehenen Behälter wieder erforderlich gewesen sei. Er habe auf diese Weise pro Stunde ca. 100 Stück getragen. Beim Vordrehen der 8-10 kg schweren BMW- und Porschescheiben habe die Laufzeit einer Scheibe 50-60 Sekunden betragen.
Das Sozialgericht hat mehrere Auskünfte der SHW zur Tätigkeit des Klägers eingeholt.
Die Beklagte hat die Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004 mit Berechnung der Gesamt-Belastung (Lebensdosis) BK 2108 nach dem MDD vorgelegt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, aus den Lastgewichten resultiere zu keiner Zeit eine BK-relevante Druckkraft ) 3200 N für Männer. Somit betrage für die Tätigkeit des Klägers von Mai 1976 bis September 1999 die berufliche Gesamtbelastungsdosis DH = 0 Nh. Tätigkeiten, die für das Entstehen einer BK im Sinne der BK Nr. 2109 als ursächlich angesehen werden könnten, seien vom Kläger nicht angegeben worden.
Mit Bescheid vom 02.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2005 hat die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV abgelehnt. Dagegen ist ein gesondertes Klageverfahren anhängig.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.08.2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, beim Kläger liege weder eine BK nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur BKV vor, noch habe er einen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV. Es könne offen bleiben, ob beim Kläger bandscheibenbedingte Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule bestünden, jedenfalls seien die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht gegeben.
Gegen den am 18.08.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.09.2004 (Montag) Berufung eingelegt und ergänzend vorgebracht, das Sozialgericht habe das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen verneint, hierzu jedoch keine unabhängige Expertise eingeholt. Die von ihm durchgeführten Tätigkeiten seien rückenbelastend gewesen. Er habe beim Drehen und Schleifen von Bremsscheiben Gegenstände mit einem Gewicht von jeweils bis zu 15 kg gehoben und zwar 2400 Mal pro Arbeitsschicht. Vom Mai 1976 bis Dezember 1979 habe er täglich 470 Bremsscheiben tragen müssen. Er habe auch Hebe- und Tragevorgänge in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeführt. Außerdem sei die Betriebsakte beizuziehen, welche der Technische Aufsichtsdienst über das Mitgliedsunternehmen führe. Wenn es sich bei den Halswirbelsäulenveränderungen nicht um eine Listenberufskrankheit handle, könnte zu prüfen sein, ob eine BK nach neuer Erkenntnis im Einzelfall vorliege. Im Übrigen sei anzumerken, dass das Bundessozialgericht (BSG) das MDD keineswegs als absolut angesehen habe. Es habe lediglich zum Ausdruck gebracht, dass das MDD eine Berechnungsgrundlage bieten könne, auf deren Grundlage eine BK nach der Nr. 2108 festgestellt werden könne. Es sei in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. August 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2002 aufzuheben, seine Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 bzw. 2109 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, auch unter Berücksichtigung der vom Kläger beschriebenen wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten habe die notwendige Mindestdruckkraft von 3200 N, welche nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen geeignet sei, wirbelsäulenschädigend zu wirken, nicht erreicht werden können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zum großen Teil unbegründet. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV liegen nicht vor. Der Gerichtsbescheid ist lediglich insoweit aufzuheben als dort über einen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV entschieden worden ist.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht über den Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV entschieden und die Klage abgewiesen. Insoweit ist der Gerichtsbescheid aufzuheben. Der Bescheid vom 02.08.2004 ist nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens betreffend die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheiten nach Nr. 2108 und 2109 der Anlage zur BKV geworden.
Wird nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 SGG). Der während des Klageverfahrens ergangene Bescheid vom 02.08.2004 hat den Bescheid vom 27.11.2001 weder abgeändert noch ersetzt. Auf Anregung des Senats hin hat die Beklagte inzwischen (05.01.2005) auch einen Widerspruchsbescheid erlassen, gegen den der Kläger Klage gesondert erhoben hat.
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wobei die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen sind, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählen nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht wurden und die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich waren oder sein können.
Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreicht (BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R - m. w. N.).
Beim Kläger liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht vor. Der Kläger verrichtete bei seiner Tätigkeit bei der Firma SHW keine Tätigkeiten, die geeignet waren, eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV zu verursachen. Nach den von der Beklagten im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegten Tabellen und Berechnungen ihres Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 29.06.2004, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet und die den Senat überzeugen, resultiert aus den vom Kläger getragenen und gehobenen Lastgewichten in dem Zeitraum vom 11.05.1976 bis 30.09.1999 keine BK-relevante Druckkraft von mehr als 3200 N. Diese Berechnungen beruhen auf den von dem Technischen Aufsichtsbeamten G. am 22.06.2004 bei der Firma SHW durchgeführten Ermittlungen, den Angaben der Firma SHW vom 11.02. und 07.06.2004 sowie auf den Angaben des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren. So ist insbesondere bei den Berechnungen berücksichtigt, dass der Kläger nach seinen Angaben ab November 1976 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5713 - arbeitete, vom 01.04.1978 bis 1982 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5714 - und von 1982 bis 1990 an einer Drehmaschine - Kostenstelle 5713 -. Weiter ist berücksichtigt, dass der Kläger von Hand die Bremsscheibe aus der Palette entnehmen, ein- und ausspannen und anschließend in eine Box ablegen musste. Außerdem sind Zehn-Stundenschichten bis 1979/1980 sowie Samstagsarbeit berücksichtigt. Weiter sind der Berechnung Gewichte der Bremsscheiben zwischen 7 und 12,5 kg - wie vom Kläger angegeben - zugrundegelegt. Wenn der Kläger angibt, er habe Gegenstände mit einem Gewicht bis zu 15 kg bearbeitet, so widerspricht sich dies nicht. Im Übrigen hat er nicht vorgetragen, bei welchem Arbeitsvorgang die zu bearbeitenden Teile mehr als 12,5 kg betragen haben sollen. Jedenfalls hat die Firma SHW lediglich Gewichte bis 12,5 kg bestätigt. Ein Nachweis für eine höhere Gewichtsbelastung ist nicht erbracht, weitere Ermittlungen sind nicht möglich.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren, er habe pro Arbeitsschicht Gegenstände (mit einem Gewicht bis zu 15 kg) insgesamt 2400 mal gehoben, weil es sich um 2400 Bremsscheiben gehandelt habe, ist für den Senat nicht glaubhaft. Dies würde nämlich bedeuten, dass der Kläger - selbst bei einer Zehn-Stundenschicht - 240 Bremsscheiben in der Stunde bzw. vier Bremsscheiben in einer Minute bearbeitet hätte. Dies ist unmöglich, zumal der Kläger selbst im Sozialgerichtsverfahren vorgetragen hat, die Laufzeit einer Scheibe habe 50 bis 60 Sekunden betragen. Hierzu sind dann noch die Be- und Entladevorgänge von insgesamt mindestens 12 Sekunden pro Stück (Auskunft der SHW vom Januar 2003) hinzuzurechnen.
Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung waren - auch nach dem Vortrag des Klägers - nur gelegentlich vorzunehmen.
Die Einholung einer unabhängigen Expertise zur Berechnung der Gesamtbelastung (Lebensdosis) BK 2108 hält der Senat nicht für erforderlich, vielmehr sind die Berechnungen des Technischen Aufsichtsbeamten G. für den Senat nachvollziehbar und in sich stimmig und der Kläger hat nicht detailliert dargelegt, in welchen Punkten dieser Berechnung nicht gefolgt werden kann.
Die von Klägerseite geäußerten Zweifel an der Anwendbarkeit des MDD auf seinen Fall, geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 18.03.2003 (B 2 U 13/02 R) und vom 19.08.2003 (B 2 U 1/02 R) ausführlich dargestellt hat, begegnet die Anwendung des MDD zur notwendigen Konkretisierung der versicherten Einwirkungen bei der BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV keinen Bedenken, denn das MDD basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist eine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erfahrungstatsachen. Die Anwendung des MDD begegnet auch im Speziellen keinen Bedenken. Schließlich sind der Berechnung weitgehend die Angaben des Klägers sowie die detaillierten Angaben der Firma SHW als auch die Ermittlungen durch den Technischen Aufsichtsbeamten G. zugrundegelegt. Der Senat kann daher nicht erkennen, inwieweit es im vorliegenden Fall an der Schlüssigkeit der durchgeführten Berechnung mangeln sollte. Angesichts dessen und der Tatsache, dass bereits die ermittelte Druckkraft für den gesamten Zeitraum von 1976 bis 1999 kleiner als der Richtwert nach dem MDD war, erachtet der Senat weitere Ermittlungen nicht für angezeigt.
Die Beiziehung der Betriebsakte der Firma SHW hält der Senat nicht für erforderlich. Es ist für den Senat nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargetan, welche zusätzlichen Erkenntnisse hieraus gewonnen werden könnten, nachdem alle für die Anwendung des MDD relevanten Daten im Bericht des Aufsichtsbeamten G. enthalten sind.
Da schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht gegeben sind, kann letztlich die Frage, ob in medizinischer Hinsicht ein berufstypisches Schadensbild vorliegt, offengelassen werden.
Soweit der Kläger (auch) die Anerkennung einer BK nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV begehrt, ist nicht erkennbar, dass die maßgeblichen Voraussetzungen (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für ihre Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) hier erfüllt sein könnten. Der Kläger selbst hat nie vorgetragen, er habe schwere Lasten auf der Schulter getragen und dies wurde auch von der Firma SHW in der Auskunft vom Januar 2003 verneint.
Die Halswirbelsäulenveränderungen des Klägers können auch nicht nach § 9 Abs. 2 SGB VII entschädigt werden. Gem. § 9 Abs. 2 SGB VII sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV (bzw. deren Anlage) bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB VII erfüllt sind. Mit Hinblick auf die dort niedergelegten Maßgaben für die Bezeichnung von BKen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung (durch die BKV) bedeutet das, dass eine abgrenzbare (bestimmte) Personengruppe in Rede stehen muss, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt ist, wobei diese Auswirkungen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten der jeweiligen Art zu verursachen. Es muss um "verordnungsreife" BKen gehen, die (nur) deshalb (noch) nicht gem. § 9 Abs. 1 SGB VII zu entschädigen sind, weil der Verordnungsgeber der BKV, der mit dem Erkenntnisfortschritt in der medizinischen Wissenschaft nicht Schritt halten kann, die regelmäßig in mehrjährigen Abständen novellierte BKV dem Stand der Wissenschaft (noch) nicht angepasst hat. Indessen ist es nicht Aufgabe des § 9 Abs. 2 SGB VII, jede Krankheit, die durch eine berufliche Tätigkeit verursacht wurde, im Einzelfall - gleichsam aus Billigkeitsgründen - wie eine BK zu entschädigen.
Nach dem Kenntnisstand des Senats ist die Berufsgruppe der Dreher durch das einhändige Heben mit ausgestrecktem Arm durch ihre Arbeit nicht in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädlichen Einwirkungen ausgesetzt. Es sind weiter auch keine medizinischen Erkenntnisse darüber bekannt, dass das einhändige Heben mit ausgestrecktem Arm bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule auslösen könnte.
Da das Sozialgericht die Klage somit zu Recht abgewiesen hat, ist auch die Berufung zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs des Berufungsverfahrens erachtet der Senat eine - auch nur teilweise - Kostenerstattung nicht für angemessen
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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