Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 5 RJ 1609/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 654/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Erscheinen die Prozessbevollmächtigten einer Klägerin nicht im Termin und ist nicht nachgewiesen, dass ihnen die Terminsladung zugegangen ist, verstößt das Gericht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn es trotzdem verhandelt.
2. Erklärt dann die allein erschienene Klägerin zur Niederschrift, sie sei bereit ohne ihre Prozessbevollmächtigten zu verhandeln, verliert sie ihr Rügerecht nur, wenn sie vom Vorsitzenden über § 202 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO und den fehlenden Nachweis der Ladung an die Prozessbevollmächtigten belehrt wurde (vgl. BSG Urteil vom 30. August 1955 - Az. 7 RAr 17/54).
2. Erklärt dann die allein erschienene Klägerin zur Niederschrift, sie sei bereit ohne ihre Prozessbevollmächtigten zu verhandeln, verliert sie ihr Rügerecht nur, wenn sie vom Vorsitzenden über § 202 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO und den fehlenden Nachweis der Ladung an die Prozessbevollmächtigten belehrt wurde (vgl. BSG Urteil vom 30. August 1955 - Az. 7 RAr 17/54).
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 21. Juli 2005 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Die 1949 geborene Klägerin arbeitete in der Textilindustrie und war zuletzt bis September 1990 als Heimarbeiterin beschäftigt.
Auf Ihren Rentenantrag vom Juli 2002 holte die Beklagte u.a. ein Gutachten des Dr. H. vom 11. Februar 2003 ein, nach dem die Klägerin an einem angeborenen Klumpfuß rechts mit Beinverkürzung und Unterschenkelverschmächtigung, Armbeschwerden beidseits mit periarthritischen Reizungen und Schwerhörigkeit leidet, aber noch vollschichtig leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann. Mit Bescheid vom 28. November 2002 lehnte sie die Rentengewährung ab Den Widerspruch der Klägerin, den diese u.a. mit einer fehlenden Leistungsfähigkeit und mangelnder Gehstrecke begründete, wies sie nach Einholung eines Gutachtens des Dr. K. vom 21. November 2002 (Diagnosen: Klumpfuß rechts mit erschwertem Gangbild, Hinweise für Weichteilentzündung im Bereich des Schultergürtels bds., weitgehend ausgeglichene Schwerhörigkeit, beginnender Verschleiß in den Kniegelenken ohne Funktionseinschränkung; Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich) mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 zurück.
Die vor dem Sozialgericht erhobene Klage haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin u.a. mit einem fehlendem Leistungsvermögen sowie einer massiven gesundheitlichen Verschlechterung und fehlender Wegefähigkeit in den letzten drei Jahren begründet.
Das Sozialgericht hat der Klägerin mit Verfügung vom 6. November 2003 einen "Fragebogen zur Person" zu I. Angaben zur Person, II. Angaben über das Berufsleben, III. Angaben über Krankheitsbefunde, IV. Angaben über ärztliche Behandlungen, V. Mitgliedschaft in Krankenkassen, VI. letzter Krankengeldbezug, VII. Bezug von Arbeitslosengeld zum Ausfüllen übersandt. Nach VIII. Erklärung sollten "die vorstehend aufgeführten Ärzte" von der Schweigepflicht entbunden werden. Mit Verfügung vom 5. Januar 2004 hat das Sozialgericht an die Rücksendung erinnert. Die Klägerin hat am 30. März den Fragebogen unterschrieben zurückgesandt und bei "IV. Angaben über ärztliche Behandlungen" angegeben: "Alle ärztlichen Befunde liegen der LVA Hessen vor". Mit Verfügung vom 31. März 2004 hat das Sozialgericht an die Benennung der behandelnden Ärzte erinnert; falls diese nicht erfolge, werde eine Entscheidung nach Aktenlage ohne weitere Ermittlungen ergehen. Die Prozessbevollmächtigten haben das von der Klägerin unterschriebene Formular unter dem 22. Juni 2004 wiederum zurückgeschickt. Diese hat dort unter IV. angegeben "Alle ärztlichen Befunde und Untersuchungen liegen der LVA Hessen vor. Bitte dort die Akte anfordern."
Mit Verfügung vom 1. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach Aktenlage ohne weitere Ermittlungen getroffen werde, da die Klägerin weder die behandelnden Ärzte benannt noch von der Schweigepflicht entbunden habe.
Mit Verfügung vom 26. Mai 2005 hat es die Prozessbevollmächtigten und die Klägerin persönlich zur Sitzung am 21. Juli 2005 geladen. Eine Empfangsbestätigung über den Zugang der Ladung bei den Prozessbevollmächtigten ist in der Gerichtsakte nicht abgeheftet. Lt. Niederschrift sind in der Sitzung nach Aufruf der Sache nur die Klägerin und ihr Ehemann erschienen. Die Klägerin hat nach der Niederschrift der Sitzung zugestimmt, ohne ihre Prozessbevollmächtigten zu verhandeln.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich den Gutachtern im Verwaltungsverfahren angeschlossen. Die Kammer sei an weiteren Ermittlungen gehindert worden, weil die Klägerin ihre behandelnden Ärzte nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden habe. Daraus müsse geschlossen werden, dass die Klägerin keine weitere aktuelle Begutachtung wünsche. Selbst wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege, könne die Klägerin auf die benannten Verweisungstätigkeiten (Warenaufmacherin/Versandmacherin, Warensortiererin, Büro- oder Verwaltungshilfskraft) verwiesen werden.
Dagegen haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8. September 2005 Berufung eingelegt und u.a. ausgeführt, sie seien zur mündlichen Verhandlung fehlerhaft nicht geladen worden. Zudem sei mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Juni 2004 eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 21. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 18. Juli 2002 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht sind die Voraussetzung für eine Rentengewährung nicht gegeben.
Der Senatsvorsitzende hat die Beteiligten mit Verfügung vom 28. Februar 2006 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurück zu verweisen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der geheimen Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).
Auf die zulässige Berufung ist das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und die Sache an das Gericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 159 Rdnr. 3 a). Bei der Beurteilung ist auf die Rechtsansicht des Sozialgerichts abzustellen.
Das Urteil des Sozialgerichts beruht auf mehreren entsprechenden Mängeln (§§ 103, 62, 110 SGG). Auch ist das Leistungsvermögen der Klägerin ungeklärt.
Das Sozialgericht hat mit seiner Entscheidung erheblich gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG sowie die §§ 128, 62, 110 SGG verstoßen.
Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Rente wegen Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung richtet sich nach den §§ 43, 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht auch dann, wenn der Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich mindestens drei Stunden (volle Erwerbsminderung) bzw. sechs Stunden (teilweise Erwerbsminderung) erwerbstätig zu sein.
Auch ausgehend von ihrer Rechtsansicht, die Benennung der behandelnden Ärzte in den eingereichten Formularen durch die Klägerin sei nicht ausreichend erfolgt, hätte die Vorinstanz ihre Versuche, sie zu befragen nicht einstellen dürfen. Aus den Ausführungen im Urteil ergibt sich, dass die Kammer - zu Recht – die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zum Leistungsvermögen bejaht hat.
Die handschriftlichen Anmerkungen der Klägerin in den eingereichten Formularen unter IV. Angaben über ärztliche Behandlungen legen die Vermutung nahe, dass sie den Sinn der Anfrage des Sozialgerichts nicht verstanden hat. Eine schriftliche Aufklärung der Klägerin durch das Sozialgericht ist nicht erfolgt. Insofern wäre der Kammervorsitzende verpflichtet gewesen, die in der Sitzung am 21. Juli 2005 persönlich anwesende Klägerin entsprechend zu befragen, ggf. - falls erforderlich - auf ihre Mitwirkungspflicht hinzuweisen und die notwendigen Erklärungen zu Protokoll des Gerichts zu nehmen. Dass dies geschehen ist, ist der Niederschrift nicht zu entnehmen. Insofern war das Sozialgericht – entgegen seinen Ausführungen – nicht gehindert, die weiteren auch nach seiner Ansicht notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Das Unterlassen des Gerichts verstößt gegen § 103 SGG. Allein dieser erhebliche Verfahrensfehler hätte die Zurückverweisung gerechtfertigt.
Ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler liegt darin, dass das Sozialgericht aus dem Verhalten der Klägerin den Schluss gezogen hat, sie wünsche keine "weitere aktuelle Begutachtung". Für diese Unterstellung gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist nicht erkennbar, dass dies im Verfahren jemals angesprochen worden ist. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Schon bei der Klageerhebung haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt. Dass die Klägerin hierzu ihre Ansicht geändert haben sollte, ist nicht ersichtlich und hätte ggf. in der Sitzung geklärt werden müssen. Überdies ist der Schluss des Sozialgerichts, die verweigerte Mitwirkung lege den Schluss nahe, es werde keine Begutachtung gewünscht, nicht vertretbar. Diese Verfahrensweise und die Unterstellung des Sozialgerichts verstoßen gegen die §§ 103, 128 SGG.
Es war zudem fehlerhaft, ohne die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu verhandeln. Nach den Aktenunterlagen ist nicht nachgewiesen, dass diesen die Ladung zum Termin zugegangen ist, was aber nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderlich gewesen wäre. Nach § 73 Abs. 3 SGG sind Mitteilungen des Gerichts an die bestellten Bevollmächtigten zu richten. Zwar hat der Kammervorsitzende unter dem 26. Mai 2005 die Zustellung der Ladung an sie verfügt. Diese tragen jedoch vor, sie hätten diese nicht erhalten. Das Empfangsbekenntnis über die Zustellung befindet sich nicht in den Akten.
Unerheblich ist, dass es sich bei § 110 SGG nur um eine Ordnungsvorschrift handelt, denn die Vorinstanz hat mit ihrer Verfahrensweise gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verstoßen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Prozessbevollmächtigten durch entsprechenden Vortrag in der Sitzung das Urteil beeinflusst hätten, beispielsweise durch Hinweis auf die nahe liegende Möglichkeit der namentlichen Benennung der behandelnden Ärzte und ihre Entbindung von der Schweigepflicht zu Protokoll des Gerichts. Insofern liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. August 1955 – Az.: 7 RAr 17/54 in BSGE 1, 126, 131; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 110 Rdnr. 12).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin in der Sitzung nach der Niederschrift erklärt hat, sie sei bereit, ohne die Prozessbevollmächtigten zu verhandeln. Zwar kann nach § 202 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Verletzung einer das Verfahren betreffende Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann aber nicht festgestellt werden. Es geht aus dem Sitzungsprotokoll nicht hervor, dass die Klägerin über die Vorschrift oder den fehlenden Nachweis der Ladung an ihre Prozessbevollmächtigten vom Vorsitzenden belehrt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 1955, a.a.O.). Allein die Bereiterklärung, ohne diese zu verhandeln, ist dann nicht ausreichend.
Die vorliegenden erheblichen Verfahrensmängel rechtfertigen die Zurückverweisung des Rechtsstreites an die Vorinstanz. Eine Entscheidung des Senats in der Sache würde dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes widersprechen. Dann würde den Beteiligten eine Instanz verloren gehen. Zudem wäre die Berufungsinstanz gezwungen, praktisch alle erstinstanzlichen Ermittlungen durchzuführen und deren Aufgaben wahrzunehmen. Durch die Zurückverweisung verbleibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihren Anspruch ggf. in zwei Tatsacheninstanzen überprüfen zu lassen.
Das Sozialgericht wird bei der erneut erforderlichen Entscheidung über den Rechtsstreit auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Die 1949 geborene Klägerin arbeitete in der Textilindustrie und war zuletzt bis September 1990 als Heimarbeiterin beschäftigt.
Auf Ihren Rentenantrag vom Juli 2002 holte die Beklagte u.a. ein Gutachten des Dr. H. vom 11. Februar 2003 ein, nach dem die Klägerin an einem angeborenen Klumpfuß rechts mit Beinverkürzung und Unterschenkelverschmächtigung, Armbeschwerden beidseits mit periarthritischen Reizungen und Schwerhörigkeit leidet, aber noch vollschichtig leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen verrichten kann. Mit Bescheid vom 28. November 2002 lehnte sie die Rentengewährung ab Den Widerspruch der Klägerin, den diese u.a. mit einer fehlenden Leistungsfähigkeit und mangelnder Gehstrecke begründete, wies sie nach Einholung eines Gutachtens des Dr. K. vom 21. November 2002 (Diagnosen: Klumpfuß rechts mit erschwertem Gangbild, Hinweise für Weichteilentzündung im Bereich des Schultergürtels bds., weitgehend ausgeglichene Schwerhörigkeit, beginnender Verschleiß in den Kniegelenken ohne Funktionseinschränkung; Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich) mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2003 zurück.
Die vor dem Sozialgericht erhobene Klage haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin u.a. mit einem fehlendem Leistungsvermögen sowie einer massiven gesundheitlichen Verschlechterung und fehlender Wegefähigkeit in den letzten drei Jahren begründet.
Das Sozialgericht hat der Klägerin mit Verfügung vom 6. November 2003 einen "Fragebogen zur Person" zu I. Angaben zur Person, II. Angaben über das Berufsleben, III. Angaben über Krankheitsbefunde, IV. Angaben über ärztliche Behandlungen, V. Mitgliedschaft in Krankenkassen, VI. letzter Krankengeldbezug, VII. Bezug von Arbeitslosengeld zum Ausfüllen übersandt. Nach VIII. Erklärung sollten "die vorstehend aufgeführten Ärzte" von der Schweigepflicht entbunden werden. Mit Verfügung vom 5. Januar 2004 hat das Sozialgericht an die Rücksendung erinnert. Die Klägerin hat am 30. März den Fragebogen unterschrieben zurückgesandt und bei "IV. Angaben über ärztliche Behandlungen" angegeben: "Alle ärztlichen Befunde liegen der LVA Hessen vor". Mit Verfügung vom 31. März 2004 hat das Sozialgericht an die Benennung der behandelnden Ärzte erinnert; falls diese nicht erfolge, werde eine Entscheidung nach Aktenlage ohne weitere Ermittlungen ergehen. Die Prozessbevollmächtigten haben das von der Klägerin unterschriebene Formular unter dem 22. Juni 2004 wiederum zurückgeschickt. Diese hat dort unter IV. angegeben "Alle ärztlichen Befunde und Untersuchungen liegen der LVA Hessen vor. Bitte dort die Akte anfordern."
Mit Verfügung vom 1. Juli 2004 hat das Sozialgericht die Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung nach Aktenlage ohne weitere Ermittlungen getroffen werde, da die Klägerin weder die behandelnden Ärzte benannt noch von der Schweigepflicht entbunden habe.
Mit Verfügung vom 26. Mai 2005 hat es die Prozessbevollmächtigten und die Klägerin persönlich zur Sitzung am 21. Juli 2005 geladen. Eine Empfangsbestätigung über den Zugang der Ladung bei den Prozessbevollmächtigten ist in der Gerichtsakte nicht abgeheftet. Lt. Niederschrift sind in der Sitzung nach Aufruf der Sache nur die Klägerin und ihr Ehemann erschienen. Die Klägerin hat nach der Niederschrift der Sitzung zugestimmt, ohne ihre Prozessbevollmächtigten zu verhandeln.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich den Gutachtern im Verwaltungsverfahren angeschlossen. Die Kammer sei an weiteren Ermittlungen gehindert worden, weil die Klägerin ihre behandelnden Ärzte nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden habe. Daraus müsse geschlossen werden, dass die Klägerin keine weitere aktuelle Begutachtung wünsche. Selbst wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege, könne die Klägerin auf die benannten Verweisungstätigkeiten (Warenaufmacherin/Versandmacherin, Warensortiererin, Büro- oder Verwaltungshilfskraft) verwiesen werden.
Dagegen haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8. September 2005 Berufung eingelegt und u.a. ausgeführt, sie seien zur mündlichen Verhandlung fehlerhaft nicht geladen worden. Zudem sei mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. Juni 2004 eine Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 21. Juli 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2003 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 18. Juli 2002 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht sind die Voraussetzung für eine Rentengewährung nicht gegeben.
Der Senatsvorsitzende hat die Beteiligten mit Verfügung vom 28. Februar 2006 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit an das Sozialgericht zurück zu verweisen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der geheimen Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -).
Auf die zulässige Berufung ist das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts aufheben und die Sache an das Gericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Mangel, wenn das Urteil des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 159 Rdnr. 3 a). Bei der Beurteilung ist auf die Rechtsansicht des Sozialgerichts abzustellen.
Das Urteil des Sozialgerichts beruht auf mehreren entsprechenden Mängeln (§§ 103, 62, 110 SGG). Auch ist das Leistungsvermögen der Klägerin ungeklärt.
Das Sozialgericht hat mit seiner Entscheidung erheblich gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG sowie die §§ 128, 62, 110 SGG verstoßen.
Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Rente wegen Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung richtet sich nach den §§ 43, 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht auch dann, wenn der Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt und wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich mindestens drei Stunden (volle Erwerbsminderung) bzw. sechs Stunden (teilweise Erwerbsminderung) erwerbstätig zu sein.
Auch ausgehend von ihrer Rechtsansicht, die Benennung der behandelnden Ärzte in den eingereichten Formularen durch die Klägerin sei nicht ausreichend erfolgt, hätte die Vorinstanz ihre Versuche, sie zu befragen nicht einstellen dürfen. Aus den Ausführungen im Urteil ergibt sich, dass die Kammer - zu Recht – die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zum Leistungsvermögen bejaht hat.
Die handschriftlichen Anmerkungen der Klägerin in den eingereichten Formularen unter IV. Angaben über ärztliche Behandlungen legen die Vermutung nahe, dass sie den Sinn der Anfrage des Sozialgerichts nicht verstanden hat. Eine schriftliche Aufklärung der Klägerin durch das Sozialgericht ist nicht erfolgt. Insofern wäre der Kammervorsitzende verpflichtet gewesen, die in der Sitzung am 21. Juli 2005 persönlich anwesende Klägerin entsprechend zu befragen, ggf. - falls erforderlich - auf ihre Mitwirkungspflicht hinzuweisen und die notwendigen Erklärungen zu Protokoll des Gerichts zu nehmen. Dass dies geschehen ist, ist der Niederschrift nicht zu entnehmen. Insofern war das Sozialgericht – entgegen seinen Ausführungen – nicht gehindert, die weiteren auch nach seiner Ansicht notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Das Unterlassen des Gerichts verstößt gegen § 103 SGG. Allein dieser erhebliche Verfahrensfehler hätte die Zurückverweisung gerechtfertigt.
Ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler liegt darin, dass das Sozialgericht aus dem Verhalten der Klägerin den Schluss gezogen hat, sie wünsche keine "weitere aktuelle Begutachtung". Für diese Unterstellung gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist nicht erkennbar, dass dies im Verfahren jemals angesprochen worden ist. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Schon bei der Klageerhebung haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt. Dass die Klägerin hierzu ihre Ansicht geändert haben sollte, ist nicht ersichtlich und hätte ggf. in der Sitzung geklärt werden müssen. Überdies ist der Schluss des Sozialgerichts, die verweigerte Mitwirkung lege den Schluss nahe, es werde keine Begutachtung gewünscht, nicht vertretbar. Diese Verfahrensweise und die Unterstellung des Sozialgerichts verstoßen gegen die §§ 103, 128 SGG.
Es war zudem fehlerhaft, ohne die Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu verhandeln. Nach den Aktenunterlagen ist nicht nachgewiesen, dass diesen die Ladung zum Termin zugegangen ist, was aber nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderlich gewesen wäre. Nach § 73 Abs. 3 SGG sind Mitteilungen des Gerichts an die bestellten Bevollmächtigten zu richten. Zwar hat der Kammervorsitzende unter dem 26. Mai 2005 die Zustellung der Ladung an sie verfügt. Diese tragen jedoch vor, sie hätten diese nicht erhalten. Das Empfangsbekenntnis über die Zustellung befindet sich nicht in den Akten.
Unerheblich ist, dass es sich bei § 110 SGG nur um eine Ordnungsvorschrift handelt, denn die Vorinstanz hat mit ihrer Verfahrensweise gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) verstoßen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Prozessbevollmächtigten durch entsprechenden Vortrag in der Sitzung das Urteil beeinflusst hätten, beispielsweise durch Hinweis auf die nahe liegende Möglichkeit der namentlichen Benennung der behandelnden Ärzte und ihre Entbindung von der Schweigepflicht zu Protokoll des Gerichts. Insofern liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30. August 1955 – Az.: 7 RAr 17/54 in BSGE 1, 126, 131; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 110 Rdnr. 12).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin in der Sitzung nach der Niederschrift erklärt hat, sie sei bereit, ohne die Prozessbevollmächtigten zu verhandeln. Zwar kann nach § 202 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Verletzung einer das Verfahren betreffende Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen kann aber nicht festgestellt werden. Es geht aus dem Sitzungsprotokoll nicht hervor, dass die Klägerin über die Vorschrift oder den fehlenden Nachweis der Ladung an ihre Prozessbevollmächtigten vom Vorsitzenden belehrt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 1955, a.a.O.). Allein die Bereiterklärung, ohne diese zu verhandeln, ist dann nicht ausreichend.
Die vorliegenden erheblichen Verfahrensmängel rechtfertigen die Zurückverweisung des Rechtsstreites an die Vorinstanz. Eine Entscheidung des Senats in der Sache würde dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes widersprechen. Dann würde den Beteiligten eine Instanz verloren gehen. Zudem wäre die Berufungsinstanz gezwungen, praktisch alle erstinstanzlichen Ermittlungen durchzuführen und deren Aufgaben wahrzunehmen. Durch die Zurückverweisung verbleibt den Beteiligten die Möglichkeit, ihren Anspruch ggf. in zwei Tatsacheninstanzen überprüfen zu lassen.
Das Sozialgericht wird bei der erneut erforderlichen Entscheidung über den Rechtsstreit auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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