L 6 R 771/05 WA

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 9 RJ 258/01
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 771/05 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur dann zulässig, wenn ein im Gesetz aufgeführter Restitutionsgrund schlüssig behauptet wird (vgl. BFH, Beschluss vom 29. Januar 1992 – Az.: VIII K 4/91). Dies ist nicht der Fall, wenn eine Klägerin lediglich vorträgt, ihr sei ein anderes Senatsurteil bekannt geworden, aus dem sich ergebe, dass der erkennende Senat bei ihr von seiner Rechtsprechung abgewichen sei.
Die Klage der Klägerin wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor dem Thüringer Landessozialgericht (Az.: L 6 RJ 649/03), in dem ihre Berufung (Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit) zurückgewiesen wurde.

Die 1952 geborene Klägerin stellte im Oktober 1999 einen Rentenantrag, den die Beklagten ablehnte (Bescheid vom 16. Februar 2000, Widerspruchsbescheid vom 17. August 2000).

Ihren Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) vom August 2000 beschied die Beklagte negativ (Bescheid vom 6. November 2000, Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2001). Mit Urteil vom 30. Juni 2003 verurteilte das Sozialgericht Altenburg die Beklagte, der Klägerin Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 1999 zu gewähren und wies im Übrigen die Klage ab. Im Berufungsverfahren holte der erkennende Senat einen Befundbericht ein und leitete den Beteiligten die anonymisierte Kopie eines Gutachtens der berufskundlichen Sachverständigen J. vom 25. September 2001 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RA 71/00) zu, in dem u.a. die Tätigkeit eines Produktionshelfers beschrieben wird. Mit Beschluss vom 17. November 2003 wies der Senat nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurück, diese könne angesichts der vorliegenden medizinischen Unterlagen noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, könne offen bleiben. Hilfsweise werde die Klägerin auf die in dem Gutachten der Sachverständigen J. beschriebene zumutbare Verweisungstätigkeit der Produktionshelferin verwiesen. Der Beschluss wurde der Klägerin am 28. November 2003 zugestellt. Ihr am 2. Dezember 2003 gestellter Antrag auf Tatbestandsberichtigung wurde mit Beschluss vom 15. Dezember 2003 als unzulässig abgelehnt.

Beim Thüringer Landessozialgericht gingen in der Folgezeit mehrere Schriftsätze der Klägerin ein, in dem sie "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" wegen "Falschbeurteilung ihres Leistungsvermögens" beantragte. Der Senatsvorsitzende wies sie mehrfach darauf hin, dass diese Möglichkeit nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens nicht in Betracht kommt.

Dem erneuten Antrag vom Januar 2004 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit kam die Beklagte nicht nach (Bescheid vom 18. März 2004, Widerspruchsbescheid vom 8. April 2004), lehnte mit Bescheid vom 28. April 2004 eine Rücknahme ihres Bescheids vom 19. Januar 2004 ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2004 zurück. Am 3. Juli 2004 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Altenburg Klage mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1999 erhoben (Az.: S 9 RJ 1809/04).

Am 25. August 2005 hat sie mit Schriftsatz vom 23. August 2005 beim Thüringer Landessozialgericht wiederum "Wiedereinsetzung" beantragt und u.a. ausgeführt, ihr sei am 7. Juni 2005 das Urteil des Senats vom 26. Februar 2003 (Az.: L 6 RA 71/00) bekannt geworden, dem das in ihren Verfahren verwendete Gutachten der Berufskundlerin J. zugrunde liege. Daraus ergebe sich, dass der Senat in ihrem Fall eine eigens entwickelte Rechtsprechung entgegen § 103 SGG nicht angewendet habe. Für Dritte sei nicht mehr nachvollziehbar, inwieweit das Gutachten mit ihren Beschwerden korreliere.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 17. November 2003 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 30. Juni 2003 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 6. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Januar 2001, 18. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2004 und des Bescheids vom 19. Januar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2004 zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Februar 2000 und des Widerspruchsbescheids vom 17. August 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1999 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

den Antrag auf Wiederaufnahme abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen der Wiederaufnahme nicht vorliegen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte, der beigezogenen Prozessakten der Verfahren Az.: L 6 RJ 649/03 und Az.: S 9 RJ 1809/04 und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Das Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 23. August 2005 ist als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auszulegen. Die früher mehrfach gestellten Anträge auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand", die mit einer angeblichen inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung begründet wurden, sind verfahrensrechtlich unerheblich, denn diese setzt nach § 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) voraus, dass jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dies war nach Abschluss des Berufungsverfahrens Az.: L 6 RJ 649/03 (mit Beschluss vom 17. November 2003) offensichtlich nicht mehr möglich.

Der Schriftsatz vom 23. August 2005 ist nur anhand der neuen inhaltlichen Ausführungen im Interesse der Klägerin als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu werten. Nachdem sie dort vorträgt, ihr sei am 7. Juni 2005 das Senatsurteil in dem Verfahren Az.: L 6 RA 71/00 bekannt geworden, das zu einer für sie positiven Entscheidung führen würde, kommt (nur) ein Wiederaufnahmegrund i.S.v. § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Betracht. Hierfür ist der Senat nach § 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 584 Abs. 1 2. Halbs. ZPO zuständig.

Die Klage war damit an sich statthaft, denn sie richtet sich gegen den rechtskräftigen Senatsbeschluss vom 17. November 2003, durch den die Klägerin beschwert ist (§ 578 Abs. 1 ZPO).

Sie ist jedoch unzulässig.

Der Senat lässt offen, ob die Klage überhaupt rechtzeitig erhoben worden ist. Nach § 586 ZPO ist sie vor Ablauf eines Monats zu erheben (Absatz 1). Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erhalten hat (Absatz 2 1. Halbs.). Bei dem Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7b ZPO wird auf die Kenntnis der aufgefundenen Urkunde und ihrer Benutzbarkeit abgestellt (vgl. BAG, Urteil vom 15. August 1984 – Az.: 7 AZR 558/82, nach juris). Da die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag das Urteil vom 26. Februar 2003 am 7. Juni 2005 erhalten hat, war die Monatsfrist am 7. Juli 2005 abgelaufen (vgl. §§ 222, 223 ZPO). Ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG in Betracht kommt, kann dahingestellt bleiben, weil die Klage bereits aus anderen Gründen unzulässig ist.

Dies ist deshalb der Fall, weil der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nicht ausreichend dargelegt worden ist. Erforderlich ist u.a. die schlüssige Behauptung eines im Gesetz aufgeführten Restitutionsgrundes (vgl. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 29. Januar 1992 – Az.: VIII K 4/91 m.w.N., nach juris; Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Auflage 2002, § 588 Rdnr. 2). Die von der Klägerin hier vorgetragenen Tatsachen ergeben – ihre Richtigkeit unterstellt – nicht den behaupteten Wiederaufnahmegrund des Auffindens einer anderen Urkunde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Das von der Klägerin zitierte Urteil kommt bereits deshalb nicht als Restitutionsgrund in Betracht, weil nur der Tatbestand eines Urteils (für das mündliche Parteivorbringen) Beweis liefern kann, nicht aber die Entscheidungsgründe (vgl. § 314 Satz 1 ZPO). Die Klägerin trägt hier vor, aus dem zitierten Urteil ergebe sich eine Rechtsprechung des Senats, die in ihrem Fall nicht angewendet worden sei. Damit wendet sie sich nicht gegen die dem Beschluss vom 17. November 2003 zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen (das wäre z.B. die Ausgestaltung des Verweisungsberufs), sondern rügt wiederum eine angeblich unrichtige Rechtsauffassung des Senats bzw. eine Abweichung von dessen früheren Rechtsprechung. Damit sind die neuen Unterlagen nicht geeignet, ein anderes Beweisergebnis herbeizuführen und es entfällt die Kausalität für eine günstigere Entscheidung (vgl. Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Juni 1994 – Az.: 10 S 1538/93, nach juris).

Im Übrigen trägt die Klägerin nicht ansatzweise nachvollziehbar vor, weshalb das Urteil vom 26. Februar 2003 für ihren Fall überhaupt entscheidungserheblich sein soll. Dass in beiden Verfahren unterschiedliche gesundheitliche Beeinträchtigungen vorlagen, ist für die grundsätzliche Verwertbarkeit der Angaben der Sachverständigen zur beruflichen Ausgestaltung der Produktionshelfereigenschaft völlig unerheblich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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