Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 241/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Fehlende Arzneimittelzulassung, Wirkstoff Dronabinol, Off-Label-Use, multiple Sklerose,
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Versorgung der Klägerin mit dem synthetischen Cannabis-Präparat Dronabinol.
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet an multipler Sklerose. Zur Behandlung der vorhandenen spastischen Symptomatik beantragte sie bei der Beklagten die Versorgung mit Dronabinol. Dronabinol ist der internationale Freiname für den pharmakologisch wichtigsten natürlichen Inhaltsstoff der Cannabispflanze, das Delta-9-trans-Tetrahy-drocannabinol – kurz: Delta-9-THC. Seit 1998 darf Drona- binol in Deutschland auf Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Das weltweit einzige Dronabinolfertigpräparat ist Marinol®, das in den USA arzneimittelrechtlich für die Indikationen Anorexie mit Gewichtsverlust bei Aidspatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Krebs-Chemotherapie zugelassen ist. In Deutschland oder anderen europäischen Ländern besteht keine arzneimittelrechtliche Zulassung für Marionol®; Apotheker können das Mittel jedoch über Apotheken, die eine entsprechende Importerlaubnis besitzen, beziehen. Daneben besteht in Deutschland die Möglichkeit der Verschreibung wesentlich preiswerterer dronabinolhaltiger Rezepturen auf Betäubungsmittelrezept.
Mit Schreiben der Allgemeinärztin A. A. vom 24.03.2004 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für das Präparat Marinol®. Zur Begründung wurde angegeben, die spastischen Symptome seien bereits seit Ende 2002 versuchsweise mit Dronabinol behandelt worden. Die Patientin vertrage dieses Präparat gut, spreche gut darauf an, ihre spastischen Beschwerden hätten sich deutlich gebessert.
Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Kostenübernahme für Marinol® zur Behandlung von Schmerzen und bei multipler Sklerose sei vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mangels nationaler sowie internationaler Zulassung und mangels valider kontrollierter Studien nicht befürwortet worden. Das Präparat Marinol® könne daher nicht auf Kassenrezept verordnet werden. Wenn Marinol® privat verordnet werde, scheide eine Kostenerstattung aus.
Mit der Begründung, dass sich ihr Gesundheitszustand seit der Absetzung des Medikaments Marinol® 25 verschlechtert habe, legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Unter Bezugnahme auf ein weiteres MDK-Gutachten nach Aktenlage vom 24.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nur insoweit möglich, als diese indikations- und applikationsgerecht zugelassen seien. Dies sei beim Wirkstoff Dronabinol bzw. beim Fertigarzneimittel Marinol® nicht der Fall. Auch ein indikationsfremder Einsatz (Off-Label-Use) nach den vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00, aufgestellten Grundsätzen komme nicht in Betracht. Hierzu sei u.a. Voraussetzung, dass Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Nach gutachterlicher Feststellung des MDK lägen zur Beurteilung der schmerztherapeutischen Wirksamkeit von Dronabinol bisher überwiegend jedoch nur Erfahrungsberichte und kleinere Studien vor. Diese belegten keine ausreichende medizinische Wirksamkeit der Therapie. Auch der ärztliche Beirat der Deutschen Multiplen Sklerosegesellschaft rate von der beantragten Behandlung ab (Widerspruchsbescheid vom 27.07.2004).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. In einer ärztlichen Bescheinigung vom 14.03.2005 bestätigte die Allgemeinärztin A. A., dass sich die spastischen Beschwerden seit dem Absetzen von Dronabinol deutlich verschlechtert hätten.
Nach den Angaben der Allgemeinärztin A. A. im Befundbericht vom 06.06.2005 belaufen sich die Kosten einer Medikation mit Marinol® auf (umgerechnet) 44,00 Euro/Tag, Dronabinol-Tropfen kosten in der entsprechenden Dosierung (umgerechnet) 6,07 Euro/Tag.
Auf Anfrage des Gerichts bestätigte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit Schreiben vom 26.01.2006, dass weder Marinol® noch der Wirkstoff Dronabinol in der Bundesrepublik Deutschland über eine arzneimittelrechtliche Zulassung als Fertigarzneimittel nach §§ 21 ff., 4 Abs.1 AMG verfügen. Auch sei gegenwärtig kein Zulassungsantrag für ein dronabinolhaltiges Arzneimittel anhängig.
Die gemäß § 35 b Abs.3 SGB V durch das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung berufene Expertengruppe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassen sind, habe sich mit dem in dem Arzneimittel enthaltenen arzneilich wirksamen Bestandteil in der angefragten Indikation noch nicht beschäftigt.
Laut Schreiben der Allgemeinärztin A. A. vom 28.03.2006 wurde wegen der Nichtverordnungsfähigkeit von Dronabinol versuchsweise auf andere Medikamente umgestellt, und zwar im November 2004 auf Tetrazepam, im Mai 2005 auf Trimipramin, im Oktober 2005 auf Lioresal und im November 2005 auf Lyrica.
Wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen seien alle Medikamente binnen 14 Tage wieder abgesetzt worden. Einziges nebenwirkungsfreies Medikament, das auch eine günstigen Einfluss auf die Spastik gehabt habe, sei Dronabinol gewesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für das Arzneimittel Dronabinol-TR in der notwendigen Dosierung zu Übernehmen.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die von den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Im Hinblick auf die fehlende Arzneimittelzulassung hat die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Wirkstoff Dronabinol. Der angefochtene Bescheid vom 26.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2004 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß §§ 27 Abs.1 Nr.3, 31 Abs.1 Satz 1 SGB V hat der Versicherte Anspruch auf Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung erforderlichen Arzneimittel unter den Einschränkungen der §§ 2 Abs.1 Satz 3, 12 Abs.1 SGB V. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Zur Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004, Az.: B 1 KR 21/04 R; ständige Rechtsprechung). Weder das Fertigarzneimittel Marinol® noch der Wirkstoff Dronabinol verfügen in der Bundesrepublik Deutschland über eine arzneimittelrechtliche Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz. Nach Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ist gegenwärtig auch kein Zulassungsantrag für ein dronabinolhaltiges Arzneimittel anhängig. Zwar lässt § 73 Abs.3 Arzneimittelgesetz (AMG) in begründeten Einzelfällen und unter bestimmten Voraussetzungen die (privatärztliche) Verordnung nicht zugelassener Medikamente zu, jedoch – weil Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie fehlen – nach ständiger Rechtsprechung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel darf, selbst wenn es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (BSG vom 18.05.2004 a.a.O.).
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln (sog. Off-Label-Use, vgl. Urteil vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R). Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004 (a.a.O.) können Medikamente, die im Inland keinerlei Zulassung besitzen, auch nicht im Wege des sogenannten Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden. Im Übrigen wären, selbst wenn man sich über das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004 (a.a.O.) hinwegsetzen würde, die von der Rechtsprechung des BSG definierten Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Anwendung nicht erfüllt. Zwar gehört die multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei denen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Nach den Feststellungen des MDK gibt es jedoch keine veröffentlichten Studien, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen und eine erfolgreiche Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose belegen würden. Es handelt sich bei der multiplen Sklerose auch nicht um eine Krankheit, die nur selten auftritt, so dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet und deshalb nur auf nicht zugelassene Mittel zurückgegriffen werden kann.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol ergibt sich nicht aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der o.g. Entscheidung entschieden, es sei mit den Grundrechten aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Die Klägerin leidet zwar an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass für diese Erkrankung in Deutschland keine allgemein anerkannte Behandlung verfügbar wäre. Nach den Feststellungen des MDK sind in Deutschland zur Behandlung der multiplen Sklerose folgende Präparate zugelassen: Interferon beta-1b, Interferon beta-1a, Glatirameracetat, Azathioprin.
Mit Urteil vom 22.03.2006 (Az.: B 1 KR 7/05 R) bestätigte das Bundessozialgericht, dass eine Leistungsgewährung in Anwendung der Grundsätze zum zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels ebenfalls erfordert, dass dieses über eine Zulassung verfügt. Im konkreten Fall hatte das BSG einen Erstattungsanspruch für das nicht zugelassene Arzneimittel Tomudex® lediglich deswegen anerkannt, weil für die lebensbedrohliche Erkrankung der (dortigen) Klägerin keine andere Therapieoption als diejenige mit Tomudex® bestand. Dieser Fall ist hier nicht gegeben.
Die Klage war daher abzuweisen
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG entspricht der Entscheidung in der Hauptsache.
-
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Versorgung der Klägerin mit dem synthetischen Cannabis-Präparat Dronabinol.
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet an multipler Sklerose. Zur Behandlung der vorhandenen spastischen Symptomatik beantragte sie bei der Beklagten die Versorgung mit Dronabinol. Dronabinol ist der internationale Freiname für den pharmakologisch wichtigsten natürlichen Inhaltsstoff der Cannabispflanze, das Delta-9-trans-Tetrahy-drocannabinol – kurz: Delta-9-THC. Seit 1998 darf Drona- binol in Deutschland auf Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Das weltweit einzige Dronabinolfertigpräparat ist Marinol®, das in den USA arzneimittelrechtlich für die Indikationen Anorexie mit Gewichtsverlust bei Aidspatienten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Krebs-Chemotherapie zugelassen ist. In Deutschland oder anderen europäischen Ländern besteht keine arzneimittelrechtliche Zulassung für Marionol®; Apotheker können das Mittel jedoch über Apotheken, die eine entsprechende Importerlaubnis besitzen, beziehen. Daneben besteht in Deutschland die Möglichkeit der Verschreibung wesentlich preiswerterer dronabinolhaltiger Rezepturen auf Betäubungsmittelrezept.
Mit Schreiben der Allgemeinärztin A. A. vom 24.03.2004 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für das Präparat Marinol®. Zur Begründung wurde angegeben, die spastischen Symptome seien bereits seit Ende 2002 versuchsweise mit Dronabinol behandelt worden. Die Patientin vertrage dieses Präparat gut, spreche gut darauf an, ihre spastischen Beschwerden hätten sich deutlich gebessert.
Nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Kostenübernahme für Marinol® zur Behandlung von Schmerzen und bei multipler Sklerose sei vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mangels nationaler sowie internationaler Zulassung und mangels valider kontrollierter Studien nicht befürwortet worden. Das Präparat Marinol® könne daher nicht auf Kassenrezept verordnet werden. Wenn Marinol® privat verordnet werde, scheide eine Kostenerstattung aus.
Mit der Begründung, dass sich ihr Gesundheitszustand seit der Absetzung des Medikaments Marinol® 25 verschlechtert habe, legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Unter Bezugnahme auf ein weiteres MDK-Gutachten nach Aktenlage vom 24.05.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Verordnung von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei nur insoweit möglich, als diese indikations- und applikationsgerecht zugelassen seien. Dies sei beim Wirkstoff Dronabinol bzw. beim Fertigarzneimittel Marinol® nicht der Fall. Auch ein indikationsfremder Einsatz (Off-Label-Use) nach den vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00, aufgestellten Grundsätzen komme nicht in Betracht. Hierzu sei u.a. Voraussetzung, dass Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Nach gutachterlicher Feststellung des MDK lägen zur Beurteilung der schmerztherapeutischen Wirksamkeit von Dronabinol bisher überwiegend jedoch nur Erfahrungsberichte und kleinere Studien vor. Diese belegten keine ausreichende medizinische Wirksamkeit der Therapie. Auch der ärztliche Beirat der Deutschen Multiplen Sklerosegesellschaft rate von der beantragten Behandlung ab (Widerspruchsbescheid vom 27.07.2004).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. In einer ärztlichen Bescheinigung vom 14.03.2005 bestätigte die Allgemeinärztin A. A., dass sich die spastischen Beschwerden seit dem Absetzen von Dronabinol deutlich verschlechtert hätten.
Nach den Angaben der Allgemeinärztin A. A. im Befundbericht vom 06.06.2005 belaufen sich die Kosten einer Medikation mit Marinol® auf (umgerechnet) 44,00 Euro/Tag, Dronabinol-Tropfen kosten in der entsprechenden Dosierung (umgerechnet) 6,07 Euro/Tag.
Auf Anfrage des Gerichts bestätigte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit Schreiben vom 26.01.2006, dass weder Marinol® noch der Wirkstoff Dronabinol in der Bundesrepublik Deutschland über eine arzneimittelrechtliche Zulassung als Fertigarzneimittel nach §§ 21 ff., 4 Abs.1 AMG verfügen. Auch sei gegenwärtig kein Zulassungsantrag für ein dronabinolhaltiges Arzneimittel anhängig.
Die gemäß § 35 b Abs.3 SGB V durch das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung berufene Expertengruppe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Abgabe von Bewertungen zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung von zugelassenen Arzneimitteln für Indikationen, für die sie nach dem Arzneimittelgesetz nicht zugelassen sind, habe sich mit dem in dem Arzneimittel enthaltenen arzneilich wirksamen Bestandteil in der angefragten Indikation noch nicht beschäftigt.
Laut Schreiben der Allgemeinärztin A. A. vom 28.03.2006 wurde wegen der Nichtverordnungsfähigkeit von Dronabinol versuchsweise auf andere Medikamente umgestellt, und zwar im November 2004 auf Tetrazepam, im Mai 2005 auf Trimipramin, im Oktober 2005 auf Lioresal und im November 2005 auf Lyrica.
Wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen seien alle Medikamente binnen 14 Tage wieder abgesetzt worden. Einziges nebenwirkungsfreies Medikament, das auch eine günstigen Einfluss auf die Spastik gehabt habe, sei Dronabinol gewesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für das Arzneimittel Dronabinol-TR in der notwendigen Dosierung zu Übernehmen.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die von den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Im Hinblick auf die fehlende Arzneimittelzulassung hat die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Wirkstoff Dronabinol. Der angefochtene Bescheid vom 26.04.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2004 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Gemäß §§ 27 Abs.1 Nr.3, 31 Abs.1 Satz 1 SGB V hat der Versicherte Anspruch auf Versorgung mit den für eine Krankenbehandlung erforderlichen Arzneimittel unter den Einschränkungen der §§ 2 Abs.1 Satz 3, 12 Abs.1 SGB V. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Zur Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels muss es zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts fehlt es daher an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit speziell einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004, Az.: B 1 KR 21/04 R; ständige Rechtsprechung). Weder das Fertigarzneimittel Marinol® noch der Wirkstoff Dronabinol verfügen in der Bundesrepublik Deutschland über eine arzneimittelrechtliche Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz. Nach Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ist gegenwärtig auch kein Zulassungsantrag für ein dronabinolhaltiges Arzneimittel anhängig. Zwar lässt § 73 Abs.3 Arzneimittelgesetz (AMG) in begründeten Einzelfällen und unter bestimmten Voraussetzungen die (privatärztliche) Verordnung nicht zugelassener Medikamente zu, jedoch – weil Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arzneimitteltherapie fehlen – nach ständiger Rechtsprechung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel darf, selbst wenn es in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden, wenn es weder das zentrale noch das dezentrale europarechtliche Anerkennungsverfahren durchlaufen hat (BSG vom 18.05.2004 a.a.O.).
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur zulassungsüberschreitenden Anwendung von Arzneimitteln (sog. Off-Label-Use, vgl. Urteil vom 19. März 2002 – B 1 KR 37/00 R). Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004 (a.a.O.) können Medikamente, die im Inland keinerlei Zulassung besitzen, auch nicht im Wege des sogenannten Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden. Im Übrigen wären, selbst wenn man sich über das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.05.2004 (a.a.O.) hinwegsetzen würde, die von der Rechtsprechung des BSG definierten Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Anwendung nicht erfüllt. Zwar gehört die multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei denen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Nach den Feststellungen des MDK gibt es jedoch keine veröffentlichten Studien, die den Kriterien der evidenzbasierten Medizin genügen und eine erfolgreiche Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose belegen würden. Es handelt sich bei der multiplen Sklerose auch nicht um eine Krankheit, die nur selten auftritt, so dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet und deshalb nur auf nicht zugelassene Mittel zurückgegriffen werden kann.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Dronabinol ergibt sich nicht aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der o.g. Entscheidung entschieden, es sei mit den Grundrechten aus Art.2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art.2 Abs.2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernte Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Die Klägerin leidet zwar an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass für diese Erkrankung in Deutschland keine allgemein anerkannte Behandlung verfügbar wäre. Nach den Feststellungen des MDK sind in Deutschland zur Behandlung der multiplen Sklerose folgende Präparate zugelassen: Interferon beta-1b, Interferon beta-1a, Glatirameracetat, Azathioprin.
Mit Urteil vom 22.03.2006 (Az.: B 1 KR 7/05 R) bestätigte das Bundessozialgericht, dass eine Leistungsgewährung in Anwendung der Grundsätze zum zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels ebenfalls erfordert, dass dieses über eine Zulassung verfügt. Im konkreten Fall hatte das BSG einen Erstattungsanspruch für das nicht zugelassene Arzneimittel Tomudex® lediglich deswegen anerkannt, weil für die lebensbedrohliche Erkrankung der (dortigen) Klägerin keine andere Therapieoption als diejenige mit Tomudex® bestand. Dieser Fall ist hier nicht gegeben.
Die Klage war daher abzuweisen
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG entspricht der Entscheidung in der Hauptsache.
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