Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 886/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 188/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 24. Januar 2006 wird als unzulässig verworfen, soweit sie darin zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 01. Dezember 2005 bis zum 31. März 2006 verpflichtet worden ist. Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, der Antragstellerin Arbeitslosengeld II vorläufig in Höhe von 254, 66 Euro monatlich bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2006 zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Antrag der Antragstellerin, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin M. zu gewähren, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob das Sozialgericht (SG) Potsdam die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden Antragsgegnerin) zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden Antragsstellerin) "ab dem 1.12.2005 80% der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der Vorschriften des SGB II bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu gewähren".
Die am 1952 geborene und geschiedene Antragstellerin lebt seit 1992 in einer aus drei Zimmern, Küche und Bad bestehenden 61,88 qm großen Wohnung (333,93 Euro Warmmiete) in der Stadt B, die außer ihr am 1987 geborener und in Ausbildung stehender Sohn R S und der am 1954 geborene, ebenfalls geschiedene K G (KG) bewohnen, der eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von 693,51 Euro netto bezieht. Bevor KG die Antragstellerin in diese Wohnung aufgenommen hatte, war er alleiniger Hauptmieter dieser Wohnung, seit dem 1. April 1993 ist die Antragstellerin in den Mietvertrag als weitere Hauptmieterin aufgenommen worden. Zudem ist sie, die für ihren Sohn Kindergeld von 154 Euro monatlich erhält und bis zum 28. Februar 2005 eine Erziehungsrente bezogen hatte, zusammen mit KG auch Pächterin eines Kleingartengrundstückes.
Nachdem die Antragstellerin im Dezember 2004 Arbeitslosengeld II beantragt und in der entsprechenden Formblattrubrik durch Ankreuzen angegeben hatte, sie lebe mit KG in eheähnlicher Gemeinschaft, und frei formuliert auf die Frage nach dem "Verwandtschaftsverhältnis" zu KG "Lebenspartner" geantwortet hatte, bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. März 2005 der Antragstellerin für die Zeit vom 1. März 2005 bis zum 30. Juni 2005 Alg II von 31,12 Euro monatlich. Dabei ging die Antragsgegnerin davon aus, die Antragstellerin und KG bildeten eine Bedarfsgemeinschaft, deren Gesamtbedarf (einschließlich Unterkunftskosten) 818,62 Euro betrage. Demgegenüber betrage das Gesamteinkommen 787,51 Euro (Einkommen der Antragstellerin (154 Euro Kindergeld für den Sohn abzüglich 30 Euro pauschaler Abzug für private Versicherungsbeiträge) und Einkommen des KG (693,51 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente abzüglich 30 Euro pauschaler Abzug für private Versicherungsbeiträge)).
In dem hiergegen erhobenen Widerspruch trug die Antragstellerin vor, mit KG in keiner eheähnlichen Gemeinschaft zu leben, da sie Miete, Strom und Nebenkosten an KG zahle. Sie leide unter einer chronischen Krankheit und wisse nicht, wie sie die notwendigen Medikamente von der ihr bewilligten Leistung noch bezahlen solle.
Am 5. April 2005 wurde die Antragstellerin in ihrer Wohnung von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin aufgesucht. Er bezeichnete den Besuch in seinem Vermerk vom 6. April 2005 als unangemeldet. In diesem Vermerk legte er ausführlich seine Erkenntnisse über die Wohnverhältnisse der Antragstellerin dar; hinsichtlich der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
Daraufhin wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Auf den von der Antragstellerin im Mai 2005 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2005 gestellten Fortzahlungsantrag, in dem sie nunmehr angab, seit 1991 allein stehend zu sein, gewährte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28. Juni 2005 für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 weiterhin Arbeitslosengeld II von 31,12 Euro monatlich, dessen Berechnung dieselben Modalitäten zugrunde lagen wie zuvor. Den gegen die Höhe des Anspruches erhobenen Widerspruch verwarf die Antragsgegnerin als unzulässig, da er zu spät erhoben worden sei (Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005).
Auf den von der Antragstellerin im November 2005 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2006 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte die Antragsgegnerin schließlich mit Bescheid vom 29. Dezember 2005 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 weiterhin Arbeitslosengeld II von 31, 12 Euro monatlich. Der gegen die Höhe der Bewilligung erhobene Widerspruch vom 11. Januar 2006 ist noch nicht beschieden.
Mit Beschluss vom 24. Januar 2006 hat das SG Potsdam die hier angefochtene einstweilige Regelung erlassen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, und die Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu verwerfen (§ 572 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Für eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren besteht kein Rechtsbedürfnis mehr, wenn und soweit die Antragsgegnerin der aus dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Potsdam erwachsenen Verpflichtung zu (vorläufigen) Leistung bereits nachgekommen ist, was hier für den Leistungszeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. März 2006 der Fall ist. Nach Ablauf des Zeitraums hat sich die einstweilige Regelung – und nur diese ist Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - durch Zeitablauf erledigt. Die Klärung der Frage, ob die der einstweiligen Regelung zugrunde liegende Rechtsauffassung des SG zutrifft, ist damit dem Klageverfahren vorbehalten. Die Bestätigung der vorläufigen Maßnahme oder deren Rückabwicklung bleiben nach dem System des Prozessrechts dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, in dem ggf. zu klären ist, ob dem von einer einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht (ständige Rechtsprechung des Senates; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. November 2005 – L 14 B 1147/05 AS ER; OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 – 2 SN 11/97, NVwZ 1998, 85; Thüringisches OVG, Beschluss vom 17. Juli 1997 – 8 E 425.97, FEVS 1998, 129; VGH Mannheim, Beschluss vom 22. April 1992 – 6 S 435/92 , NVwZ-RR 1992, 442; Philipp, Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in sozialrechtlichen Streitigkeiten, BayVBl 1989, 387, 391). Der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin steht bei einer stattgebenden Entscheidung der ersten Instanz im einstweiligen Rechtschutzverfahren der Aussetzungsantrag nach § 199 Abs. 2 SGG zur Verfügung, um eine Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung zu verhindern.
Soweit die Beschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. Dem Antrag ist – wie das SG zureffend herausgearbeitet hat- in Anwendung des § 86b Abs 2 SGG allein deshalb teilweise stattzugeben, weil die Tatsachenlage im einstweiligen Verfahren nicht vollständig durchdrungen werden kann und eine Folgenabwägung (Leistung/Nichtleistung) zugunsten der Antragstellerin zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung zum SGB II (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats) entwickelt hat.
Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung (vorläufige und möglicherweise teilweise Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative - gestützt werden, wobei Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne.
Der Senat kann hier im Ergebnis nicht nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage (siehe oben, 2. Alternative) entscheiden. Die Höhe des Anspruchs der Antragstellerin nach § 19 Abs 1 SGB II hängt davon, in welchem Umfang sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II ist. Dies hängt vorliegend davon ab, ob sie mit KG eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Ist dies der Fall, mindert nach Maßgabe des § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II das Partnereinkommen nach den hier vorgetragenen Verhältnissen die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin.
Das SG hat zu Recht das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft in Frage gestellt und bezweifelt, dass KG als "Person, die mit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt" (§ 7 Abs 3 Nr 3b SGB II) anzusehen ist. Als eheähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau anzusehen, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung einer reinen Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerwGE 98, 195 ff unter Bezugnahme auf BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 26). Dieser Sachverhalt ist im Streitfall durch die Gesamtwürdigung der den Einzelfall kennzeichnenden Hinweistatsachen festzustellen. Von der Rechtsprechung werden regelmäßig das Bestehen einer gemeinsamen Wohnung und die Dauer und die Kontinuität des Zusammenlebens herangezogen. Weiter ist die konkrete Lebenssituation der Partner, "die - nach außen erkennbare - Intensität der gelebten Gemeinschaft" (BVerwG aa0), sowie die Befugnis über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners tatsächlich verfügen zu können von Bedeutung, wobei es hier auf das tatsächliche Erscheinungsbild ankommt.
Ob die für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Rechtssinne konstituierenden Merkmale erfüllt sind, ist derzeit ungewiss. Zwar leben die Antragstellerin und KG langjährig in gemeinsamer Wohnung zusammen, scheinen auch Freizeitinteressen gemeinsam zu verwirklichen und die Antragstellerin hat den Vortrag, der Zweifel am Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft wecken soll, erst zu einem Zeitpunkt eingebracht, als ihr durch den Bescheid vom 07. März 2005 die Anspruchsschädlichkeit einer eheähnlichen Gemeinschaft vor Augen geführt worden ist, nachdem sie zuvor eine Lebenspartnerschaft in den Antragsformularen angegeben hatte. Danach mag zwar die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft durchaus nahe liegen. Sie steht aber nicht mit der für eine Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen Eindeutigkeit fest. Denn es haben sich auch Anhaltspunkte ergeben, die darauf hindeuten, dass "nur eine Wohngemeinschaft" bestehen könnte. Dies betrifft die Umstände, die auf eine getrennte Haushaltsführung hindeuten, insbesondere auch der Umstand, dass ein von der Antragstellerin KG zugeordnetes Zimmer der Wohnung – bei dessen Abwesenheit – verschlossen vorgefunden wurde und die damit verbundene Einlassung der Antragstellerin, KG sei selten zu Hause und verbringe die meiste Zeit bei Freunden oder bei seiner Freundin. Insoweit bestehen noch Ermittlungsnotwendigkeiten, die im Hauptsacheverfahren zu leisten sind; der sichere Schluss einer eheähnlichen Gemeinschaft bestehe, ist (noch) nicht gerechtfertigt.
Ob Leistungen vorläufig zu gewähren sind, hängt damit von der Folgenabwägung (dazu oben) ab, die zugunsten der Antragstellerin zu treffen ist, der momentan nicht Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Einer möglichen Rechtsverletzung der Antragstellerin (gegeben für den Fall, dass ihr ein höherer Leistungsanspruch zusteht), stehen abgesehen vom Ausfallrisiko im Rückforderungsfalle, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich geschützte Position der Antragstellerin nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Rechtsanwältin Marx beizuordnen, ist abzulehnen, da die Antragstellerin aufgrund der Entscheidung über die Kostenerstattung im vorliegenden (unanfechtbaren) Beschluss einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsgegnerin hat und aufgrund dessen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 114 ZPO iVm § 73a Abs 1 Satz 1 SGG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Streitig ist, ob das Sozialgericht (SG) Potsdam die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden Antragsgegnerin) zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet hat, der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden Antragsstellerin) "ab dem 1.12.2005 80% der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der Vorschriften des SGB II bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu gewähren".
Die am 1952 geborene und geschiedene Antragstellerin lebt seit 1992 in einer aus drei Zimmern, Küche und Bad bestehenden 61,88 qm großen Wohnung (333,93 Euro Warmmiete) in der Stadt B, die außer ihr am 1987 geborener und in Ausbildung stehender Sohn R S und der am 1954 geborene, ebenfalls geschiedene K G (KG) bewohnen, der eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von 693,51 Euro netto bezieht. Bevor KG die Antragstellerin in diese Wohnung aufgenommen hatte, war er alleiniger Hauptmieter dieser Wohnung, seit dem 1. April 1993 ist die Antragstellerin in den Mietvertrag als weitere Hauptmieterin aufgenommen worden. Zudem ist sie, die für ihren Sohn Kindergeld von 154 Euro monatlich erhält und bis zum 28. Februar 2005 eine Erziehungsrente bezogen hatte, zusammen mit KG auch Pächterin eines Kleingartengrundstückes.
Nachdem die Antragstellerin im Dezember 2004 Arbeitslosengeld II beantragt und in der entsprechenden Formblattrubrik durch Ankreuzen angegeben hatte, sie lebe mit KG in eheähnlicher Gemeinschaft, und frei formuliert auf die Frage nach dem "Verwandtschaftsverhältnis" zu KG "Lebenspartner" geantwortet hatte, bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 7. März 2005 der Antragstellerin für die Zeit vom 1. März 2005 bis zum 30. Juni 2005 Alg II von 31,12 Euro monatlich. Dabei ging die Antragsgegnerin davon aus, die Antragstellerin und KG bildeten eine Bedarfsgemeinschaft, deren Gesamtbedarf (einschließlich Unterkunftskosten) 818,62 Euro betrage. Demgegenüber betrage das Gesamteinkommen 787,51 Euro (Einkommen der Antragstellerin (154 Euro Kindergeld für den Sohn abzüglich 30 Euro pauschaler Abzug für private Versicherungsbeiträge) und Einkommen des KG (693,51 Euro Erwerbsunfähigkeitsrente abzüglich 30 Euro pauschaler Abzug für private Versicherungsbeiträge)).
In dem hiergegen erhobenen Widerspruch trug die Antragstellerin vor, mit KG in keiner eheähnlichen Gemeinschaft zu leben, da sie Miete, Strom und Nebenkosten an KG zahle. Sie leide unter einer chronischen Krankheit und wisse nicht, wie sie die notwendigen Medikamente von der ihr bewilligten Leistung noch bezahlen solle.
Am 5. April 2005 wurde die Antragstellerin in ihrer Wohnung von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin aufgesucht. Er bezeichnete den Besuch in seinem Vermerk vom 6. April 2005 als unangemeldet. In diesem Vermerk legte er ausführlich seine Erkenntnisse über die Wohnverhältnisse der Antragstellerin dar; hinsichtlich der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
Daraufhin wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Auf den von der Antragstellerin im Mai 2005 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2005 gestellten Fortzahlungsantrag, in dem sie nunmehr angab, seit 1991 allein stehend zu sein, gewährte ihr die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 28. Juni 2005 für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 weiterhin Arbeitslosengeld II von 31,12 Euro monatlich, dessen Berechnung dieselben Modalitäten zugrunde lagen wie zuvor. Den gegen die Höhe des Anspruches erhobenen Widerspruch verwarf die Antragsgegnerin als unzulässig, da er zu spät erhoben worden sei (Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005).
Auf den von der Antragstellerin im November 2005 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2006 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte die Antragsgegnerin schließlich mit Bescheid vom 29. Dezember 2005 für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 weiterhin Arbeitslosengeld II von 31, 12 Euro monatlich. Der gegen die Höhe der Bewilligung erhobene Widerspruch vom 11. Januar 2006 ist noch nicht beschieden.
Mit Beschluss vom 24. Januar 2006 hat das SG Potsdam die hier angefochtene einstweilige Regelung erlassen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakte, insbesondere die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, und die Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu verwerfen (§ 572 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) iVm § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Für eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren besteht kein Rechtsbedürfnis mehr, wenn und soweit die Antragsgegnerin der aus dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Potsdam erwachsenen Verpflichtung zu (vorläufigen) Leistung bereits nachgekommen ist, was hier für den Leistungszeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. März 2006 der Fall ist. Nach Ablauf des Zeitraums hat sich die einstweilige Regelung – und nur diese ist Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens - durch Zeitablauf erledigt. Die Klärung der Frage, ob die der einstweiligen Regelung zugrunde liegende Rechtsauffassung des SG zutrifft, ist damit dem Klageverfahren vorbehalten. Die Bestätigung der vorläufigen Maßnahme oder deren Rückabwicklung bleiben nach dem System des Prozessrechts dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, in dem ggf. zu klären ist, ob dem von einer einstweiligen Anordnung Begünstigten diese Leistung endgültig zusteht (ständige Rechtsprechung des Senates; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. November 2005 – L 14 B 1147/05 AS ER; OVG Berlin, Beschluss vom 15. September 1997 – 2 SN 11/97, NVwZ 1998, 85; Thüringisches OVG, Beschluss vom 17. Juli 1997 – 8 E 425.97, FEVS 1998, 129; VGH Mannheim, Beschluss vom 22. April 1992 – 6 S 435/92 , NVwZ-RR 1992, 442; Philipp, Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in sozialrechtlichen Streitigkeiten, BayVBl 1989, 387, 391). Der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin steht bei einer stattgebenden Entscheidung der ersten Instanz im einstweiligen Rechtschutzverfahren der Aussetzungsantrag nach § 199 Abs. 2 SGG zur Verfügung, um eine Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung zu verhindern.
Soweit die Beschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet. Dem Antrag ist – wie das SG zureffend herausgearbeitet hat- in Anwendung des § 86b Abs 2 SGG allein deshalb teilweise stattzugeben, weil die Tatsachenlage im einstweiligen Verfahren nicht vollständig durchdrungen werden kann und eine Folgenabwägung (Leistung/Nichtleistung) zugunsten der Antragstellerin zu treffen ist. Die folgende Begründung ist an den Maßstäben ausgerichtet, die das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung zum SGB II (Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - 3. Kammer des Ersten Senats) entwickelt hat.
Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die danach zu treffende Entscheidung kann sowohl auf eine Folgenabwägung (vorläufige und möglicherweise teilweise Zuerkennung/aktuelle Versagung des Anspruchs) – 1. Alternative - als auch auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - 2. Alternative - gestützt werden, wobei Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt. Soll die Entscheidung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert werden, ist das erkennende Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, insbesondere dann, wenn das einstweilige Verfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand der Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne.
Der Senat kann hier im Ergebnis nicht nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage (siehe oben, 2. Alternative) entscheiden. Die Höhe des Anspruchs der Antragstellerin nach § 19 Abs 1 SGB II hängt davon, in welchem Umfang sie hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II ist. Dies hängt vorliegend davon ab, ob sie mit KG eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Ist dies der Fall, mindert nach Maßgabe des § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II das Partnereinkommen nach den hier vorgetragenen Verhältnissen die Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin.
Das SG hat zu Recht das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft in Frage gestellt und bezweifelt, dass KG als "Person, die mit der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt" (§ 7 Abs 3 Nr 3b SGB II) anzusehen ist. Als eheähnliche Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau anzusehen, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung einer reinen Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (BVerwGE 98, 195 ff unter Bezugnahme auf BVerfGE 87, 234; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 26). Dieser Sachverhalt ist im Streitfall durch die Gesamtwürdigung der den Einzelfall kennzeichnenden Hinweistatsachen festzustellen. Von der Rechtsprechung werden regelmäßig das Bestehen einer gemeinsamen Wohnung und die Dauer und die Kontinuität des Zusammenlebens herangezogen. Weiter ist die konkrete Lebenssituation der Partner, "die - nach außen erkennbare - Intensität der gelebten Gemeinschaft" (BVerwG aa0), sowie die Befugnis über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners tatsächlich verfügen zu können von Bedeutung, wobei es hier auf das tatsächliche Erscheinungsbild ankommt.
Ob die für eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Rechtssinne konstituierenden Merkmale erfüllt sind, ist derzeit ungewiss. Zwar leben die Antragstellerin und KG langjährig in gemeinsamer Wohnung zusammen, scheinen auch Freizeitinteressen gemeinsam zu verwirklichen und die Antragstellerin hat den Vortrag, der Zweifel am Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft wecken soll, erst zu einem Zeitpunkt eingebracht, als ihr durch den Bescheid vom 07. März 2005 die Anspruchsschädlichkeit einer eheähnlichen Gemeinschaft vor Augen geführt worden ist, nachdem sie zuvor eine Lebenspartnerschaft in den Antragsformularen angegeben hatte. Danach mag zwar die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft durchaus nahe liegen. Sie steht aber nicht mit der für eine Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen Eindeutigkeit fest. Denn es haben sich auch Anhaltspunkte ergeben, die darauf hindeuten, dass "nur eine Wohngemeinschaft" bestehen könnte. Dies betrifft die Umstände, die auf eine getrennte Haushaltsführung hindeuten, insbesondere auch der Umstand, dass ein von der Antragstellerin KG zugeordnetes Zimmer der Wohnung – bei dessen Abwesenheit – verschlossen vorgefunden wurde und die damit verbundene Einlassung der Antragstellerin, KG sei selten zu Hause und verbringe die meiste Zeit bei Freunden oder bei seiner Freundin. Insoweit bestehen noch Ermittlungsnotwendigkeiten, die im Hauptsacheverfahren zu leisten sind; der sichere Schluss einer eheähnlichen Gemeinschaft bestehe, ist (noch) nicht gerechtfertigt.
Ob Leistungen vorläufig zu gewähren sind, hängt damit von der Folgenabwägung (dazu oben) ab, die zugunsten der Antragstellerin zu treffen ist, der momentan nicht Einkommen oder Vermögen zur Verfügung steht, um elementare Bedürfnisse zu befriedigen. Einer möglichen Rechtsverletzung der Antragstellerin (gegeben für den Fall, dass ihr ein höherer Leistungsanspruch zusteht), stehen abgesehen vom Ausfallrisiko im Rückforderungsfalle, keine darstellbaren Interessen der Antragsgegnerin gegenüber. Allein der fiskalische Gesichtspunkt überwiegt die grundrechtlich geschützte Position der Antragstellerin nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihr Rechtsanwältin Marx beizuordnen, ist abzulehnen, da die Antragstellerin aufgrund der Entscheidung über die Kostenerstattung im vorliegenden (unanfechtbaren) Beschluss einen Kostenerstattungsanspruch gegen die Antragsgegnerin hat und aufgrund dessen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 114 ZPO iVm § 73a Abs 1 Satz 1 SGG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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