L 6 SF 895/05

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 895/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Überträgt der ernannte Sachverständige einem Dritten unerlaubt die Erstellung eines Zusatzgutachtens, ist dieses im gerichtlichen Verfahren nicht verwertbar (vgl. BSG, Beschluss vom 18. September 2003 – Az.: B 9 VU 2/03 B). Mangels Heranziehung durch das Gericht kommt eine Entschädigung des Zusatzgutachtens nicht in Betracht.
Die Entschädigung des Antragsgegners für das Gutachten vom 17. Juni 2002 wird auf 0,00 Euro festgesetzt.

Er hat 317,50 Euro an die Staatskasse zu erstatten.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Mit Beweisanordnung vom 12. Dezember 2001 beauftragte die Berichterstatterin des 1. Senats des Thüringer Landessozialgerichts in dem Berufungsverfahren J. H .../. Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt/Main (Az.: L 1 U 383/01) Dr. B. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Unter dem 16. Januar 2002 beantragte dieser die Einholung von folgenden Zusatzgutachten: orthopädisches Gutachten durch Prof. Dr. P., neurologisches Gutachten durch Dr. F., radiologisches Zusatzgutachten durch Dr. R. Mit Beweisanordnung vom 5. Februar 2002 änderte der Berichterstatter des 1. Senats die Beweisanordnung vom 12. Dezember 2001 dergestalt ab, dass die vorgeschlagenen Ärzte mit der Erstellung der Zusatzgutachten beauftragt wurden.

Am 14. Juni 2002 gingen beim 1. Senat Kopien von Anschreiben des Dr. B. vom 12. Juni 2002 an mehrere Ärzte ein, u.a. an den Antragsgegner, in dem er ihn um ein orthopädisches Zusatzgutachtens inklusive diverser Untersuchungen bat. Unter dem 17. Juni 2002 erstattete dieser ein orthopädisches Zusatzgutachten. In der Rechnung vom 17. Juni 2002 berechnete er 317,50 Euro, die ihm der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Verfügung vom 29. April 2003 anwies.

Mit Verfügung vom 9. Juni 2004 teilte der nunmehr zuständige Berichterstatter des 1. Senats den Verfahrensbeteiligten mit, eine gerichtliche Beauftragung des Antragsgegners sei nicht erfolgt. Daher könne das Gutachten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25. Oktober 1989 – Az.: 2 RU 38/89) nicht verwertet werden. Auf Antrag des Klägers beauftragte er den Antragsgegner mit Verfügung vom 27. Oktober 2004 erneut mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens und informierte ihn über die Unverwertbarkeit des Gutachtens vom 17. Juni 2002. Unter dem 20. Januar 2005 erstellte dieser ein neues orthopädisches Gutachten aufgrund einer erneuten Untersuchung des Klägers. Seine Kostenrechnung über 300,00 Euro wies der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle unter dem 31. März 2005 an.

Unter dem 4. Mai 2005 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dem Antragsgegner mitgeteilt, ein Erstattungsanspruch über die angewiesenen 317,50 Euro habe mangels Beauftragung nicht bestanden; er bitte daher um Rückerstattung. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 9. September 2005 erwidert, seine Beauftragung sei durch Dr. B. erfolgt. Da er die Arbeit geleistet habe und somit Kosten entstanden seien, sei eine Rückerstattung nicht möglich. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle solle sich mit dem Auftraggeber des Zusatzgutachtens in Verbindung setzen.

Am 7. Dezember 2005 hat der Antragsteller dem erkennenden Senat mitgeteilt, eine Entschädigung für das Gutachten sei mangels Beauftragung ausgeschlossen.

Er beantragt,

die Entschädigung des Antragsgegners für das Gutachten vom 17. Juni 2002 auf 0,00 Euro festzusetzen.

Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

II.

Der Antrag ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZuSEG) zulässig. Dass § 25 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) für die Weitergeltung des ZuSEG darauf abstellt, ob der Auftrag vor dem 1. Juli 2004 erteilt worden ist (was hier gerade im Streit steht), ist unerheblich; das Gutachten wurde jedenfalls vor diesem Datum erstellt.

Der Antragsgegner hat keinen Anspruch auf Sachverständigenentschädigung nach den §§ 3 Abs. 1, 1 ZuSEG.

Nach § 3 Abs. 1 ZuSEG werden Sachverständige für ihre Leistung entschädigt. Der Entschädigungsanspruch setzt nach § 1 ZuSEG voraus, dass der Sachverständige vom Gericht zu Beweiszwecken herangezogen worden ist und ein schriftliches Gutachten auf Grund der Anordnung eines Gerichts erstellt wurde (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. September 2004 – Az.: L 6 SF 429/04, 8. Juli 2004 – Az.: L 6 B 8/04 SF in: MedSach 2004, 208 und 8. Februar 2000 – Az.: L 6 B 60/99 SF in: E-LSG B-171). Nachdem der Berichterstatter des 1. Senats des Thüringer Landessozialgerichts in der Beweisanordnung vom 5. Februar 2002 ausdrücklich Prof. Dr. P. mit der Erstellung des orthopädischen Zusatzgutachtens beauftragte, wurde der Antragsgegner nicht im Sinne des Gesetzes herangezogen; eine Entschädigung nach dem ZuSEG kommt nicht in Betracht.

Unerheblich ist, dass der unzweifelhaft vom 1. Senat beauftragte Sachverständige Dr. B. den Antragsgegner beauftragt hatte. Nach § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 407a Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist der Sachverständige zwar berechtigt, sich zur Erledigung des Gutachtensauftrags anderer Personen als Hilfskraft zu bedienen (§ 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO). Hier hat er aber dem Antragsgegner unerlaubt die vollständige Erstellung des Zusatzgutachtens übertragen. Damit ist dieses im gerichtlichen Verfahren nicht verwertbar (vgl. u.a. Bundessozialgericht (BSG) vom 18. September 2003 – Az.: B 9 VU 2/03 B). Ob der Antragsgegner aus fachlicher Sicht grundsätzlich in der Lage war, ein qualifiziertes Gutachten zu erstellen, ist unerheblich. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt allein dem Gericht (vgl. § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 404 Abs. 1 ZPO).

Ein Vertrauensschutz des Antragsgegners scheidet aus. Unerheblich ist, dass das Gericht der Kopie des Schreibens vom 12. Juni 2002 entnehmen konnte, dass dessen Verfasser Dr. B. den nicht beauftragten Antragsgegner um eine orthopädische Untersuchung gebeten hatte. Es enthielt keinen Neuvorschlag zur Person des Zusatzsachverständigen an den Senat. Vertrauensgesichtspunkte für eine Zustimmung zur Abänderung der Beweisanordnung durch Schweigen des Gerichts sind damit nicht denkbar (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2004, a.a.O.). Eine nachträgliche (konkludente) Genehmigung durch Übersenden des Gutachtens an die Beteiligten scheitert bereits daran, dass die Sachverständigenernennung (oder Abänderung) vor der Gutachtenserstattung erfolgen muss (vgl. BSG vom 25. Oktober 1989 – Az.: 2 RU 38/89, nach juris; BSG vom 28. März 1984 – Az.: 9a RV 29/83 in SozR 1500 § 128 Nr. 24; BSG vom 1. Dezember 1964 – Az.: 11 RA 146/64 in Breithaupt 1965, 263, 264; Senatsbeschluss vom 2. Mai 2000 – Az.: L 6 B 61/99 SF).

Nachdem die Entschädigung zu Unrecht durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle angewiesen wurde, hat der Antragsgegner den gezahlten Betrag in Höhe von 317,50 Euro zurück zu erstatten.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG, § 16 Abs. 2 Satz 4 ZuSEG).
Rechtskraft
Aus
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