L 6 B 32/05 RA

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 3 RA 390/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 B 32/05 RA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Entscheidung nach § 120 Abs. 4 S. 1 Halbs. 1 ZPO steht im Ermessen des Sozialgerichts (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 24. Februar 2005 – Az.: L 6 B 84/04 SF, 25. März 2004 – Az.: L 6 B 60/03 und vom 8. Juli 1999 – Az.: L 6 B 32/99 RJ): Sie ist vom Beschwerdegericht voll überprüfbar, denn dieses hat die gleichen Rechte wie die Vorinstanz (vgl. BFH, Beschluss vom 31. August 1993 – Az.: XI B 31/93; Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 27. Oktober 1999 – Az.: L 6 B 38/99 SF und 7. Oktober 1999 – Az.: L 6 B 8/99 S).

2. Aufwendungen für einen Pkw, dessen Eigentümer eine andere Person als der Bedürftige ist, können im Normalfall nicht nach § 115 ZPO vom Einkommen abgesetzt werden.

3. Ist der Bedürftige nicht mehr erwerbstätig, kommt eine Berücksichtigung von Aufwendungen für einen Pkw nur dann in Betracht, wenn seine medizinische Notwendigkeit nachgewiesen ist (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Februar 2005 – Az.: L 6 SF 882/04).
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 22. April 2005 wird zurückgewiesen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

In dem Hauptsacheverfahren der Beschwerdeführerin gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund vor dem Sozialgericht Nordhausen wendet sich die Beschwerdeführerin gegen zwei Rückforderungen. Auf ihren Antrag vom 11. März 2004 bewilligte ihr das Sozialgericht mit Beschluss vom 3. Dezember 2004 Prozesskostenhilfe (PKH) bei der Zahlung von monatlichen Raten von 75,00 Euro und ordnete Rechtsanwalt H. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts bei.

Am 28. Dezember 2004 reichte der Prozessbevollmächtigte den Rentenbescheid der Beschwerdeführerin ein und bat um Prüfung, inwieweit sich dadurch eine Reduzierung der monatlichen Raten rechtfertige. Diese sei nicht in der Lage, irgendwelche Raten aufzubringen.

Das Sozialgericht hat eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 14. März 2005 mit entsprechenden Belegen angefordert und mit Beschluss vom 22. April 2005 die Abänderung der Ratenzahlung in Höhe von 75,00 Euro abgelehnt.

Unter dem 17. Mai 2005 hat das Sozialgericht den Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin mit drei Monatsraten für März bis Mai 2005 in Verzug sei; es sei eine Aufhebung der PKH-Bewilligung nach § 124 Nr. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) beabsichtigt.

Am 19. Mai 2005 hat der Prozessbevollmächtigte Gegenvorstellung erhoben und hilfsweise Beschwerde eingelegt und beantragt, seiner Mandantin PKH ohne Ratenzahlung zu bewilligen. Unter dem 31. Mai 2005 hat er angegeben, sofern das Gericht dem Antrag nicht stattgebe, solle er als Beschwerde an das Thüringer Landessozialgericht abgegeben werden. Der zuständige Kammervorsitzende hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 1. Juni 2005) und die Akten dem Senat vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin trägt vor, sie und ihr Ehemann seien beide schwerbehindert und benötigten ihr Kraftfahrzeug (Kfz.) zur Erledigung der Geschäfte des täglichen Lebens.

Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,

die Beschlüsse des Sozialgerichts Nordhausen vom 3. Dezember 2004 und 22. April 2005 abzuändern und ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.

Der Beschwerdegegner hat keinen Antrag gestellt, ist aber der Ansicht, dass der Beschluss des Sozialgerichts nicht zu beanstanden ist.

Der Beteiligte ist der Ansicht, dass aus dem Einkommen der Beschwerdeführerin 75,00 Euro monatlich angesetzt werden können.

Die Beschwerdeführerin hat Atteste der Internistin Dipl.-Med. F. vom 11. August 2005 eingereicht, wonach sie und ihr Ehemann aus medizinischen Gründen auf das Kfz. angewiesen seien. Der Senat hat Befundberichte der Dipl.-Med. F. über die Beschwerdeführerin (vom 5. Januar 2006) und ihren Ehemann (vom 28. Januar 2006) sowie eine Stellungnahme zur Notwendigkeit der Benutzung des Kfz. vom 27. Januar 2006 beigezogen.

Auf Anfrage des Senats hat der Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, bei der Beschwerdeführerin seien weitere Beschwerden aufgetreten. Diese würden durch Atteste des Orthopäden Dr. W. vom 2. Februar 2006, der Frauenärztin Dipl.-Med. M. vom 31. Januar 2006 und zwei Behandlungsbestätigungen über physiotherapeutische Behandlungen belegt.

II.

Die nach § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Vorinstanz festgesetzten monatlichen Raten in Höhe von 75,00 Euro sind nicht zu beanstanden.

Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt das Gericht mit der Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu zahlende Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlende Beträge fest. Nach Absatz 4 Satz 1 Halbs. 1 kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben.

Die Entscheidung des Sozialgerichts, ob nach Abschluss der notwendigen Ermittlungen die Abänderung erfolgt und ggf. in welcher Höhe Raten festgesetzt werden, ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 24. Februar 2005 – Az.: L 6 B 84/04 SF. 25. März 2004 – Az.: L 6 B 60/03 vom 8. Juli 1999 – Az.: L 6 B 32/99 RJ), die vom Senat voll überprüfbar ist, denn er hat die gleichen Rechte wie die Vorinstanz (vgl. BFH vom 31. August 1993 – Az.: XI B 31/93 in: NJW 1994, 751, 752; Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 1999 – Az.: L 6 B 38/99 SF in: E-LSG B-161 und 7. Oktober 1999 – Az.: L 6 B 8/99 S).

Eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin ist im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 24. November 2005 - Az.: L 6 B 27/05 RJ, 9. Oktober 2003 – Az.: L 6 B 39/03 RJ. 17. Juli 2003 - Az.: L 6 B 30/03 RJ und vom 6. Juli 2000 – Az.: L 6 B 7/00 SF) nicht eingetreten. Eine solche wird angenommen, wenn sie zu einer für den Hilfsbedürftigen günstigeren Anwendung der Tabelle führt (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 2005 – Az.: L 6 SF 72/05; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3 Auflage 2003, Rdnr. 391). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgt nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 115 ZPO. Demnach werden vom Einkommen der Beschwerdeführerin abgesetzt: 1. die in § 82 Abs. 2 und 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezeichneten Beträge; 2. 64 v.H. des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 Nr. 1, § 86 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, der im Zeitpunkt der Prozesskostenhilfe gilt; 3. die Kosten der Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen; 4. weitere Beiträge, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist.

Entsprechend errechnet sich das einzusetzende Einkommen wie folgt: monatliches Renteneinkommen 842,47 EUR./. Eigenanteil zur Krankenversicherung 61,92 EUR./. Pflegeversicherungsbeitrag 14,32 EUR 766,23 EUR./. Grundbetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 1 und 2 ZPO Beschwerdeführerin 380,00 EUR./. Grundsteuer ½ 5,76 EUR./. Heizöl ½ 70,00 EUR./. Abfallgebühren ½ 3,16 EUR./. Unfallversicherung 20,24 EUR./. Wohngebäudeversicherung ½ 6,13 EUR./. Schornsteinfeger ½ 1,97 insgesamt 278,97 EUR ========

Die mit der Unterkunft zusammenhangenden Kosten (Heizung, Grundsteuer, Müllgebühren, Wohngebäudeversicherung, Schornsteinfegerkosten) sind zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann nach Kopfteilen aufzuteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2004 – Az.: L 6 RJ 734/03; OLG Koblenz vom 28. Dezember 1999 – Az.: 9 WF 760/99 in: MDR 2000, 728, 729 = FamRZ 2000, 1093; OLG Koblenz vom 3. Juli 1995 – Az.: 7 W 233/95 in: MDR 1995, 1165, 1166 = FamRZ 1997, 679; Philippi in Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Auflage 2002, § 115 Rdnr. 37a) um den notwendigen Berechnungsaufwand in vertretbaren Grenzen zu halten. Anhaltspunkte für eine Ausnahme (wenn das Einkommen eines Mitbewohners so niedrig ist, dass bei Abzug der Beträge nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 ZPO kein einzusetzendes Einkommen verbliebe (vgl. OLG Koblenz vom 3. Juli 1995, a.a.O). oder das Einkommen erheblich hinter dem Einkommen des Mitbewohners zurückbleibt) sind nicht ersichtlich.

Nicht anzurechnen sind die Telefonkosten, Rundfunkgebühren und die Hundesteuer, die zur privaten Lebensführung gehören (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, a.a.O., Rdnr. 274). Die Energiekosten (Strom und Gas) werden durch die Freibeträge abgegolten (vgl. u.a Senatsbeschlüsse vom 24. Februar 2005 – Az.: L 6 B 84/04 SF und vom 30. Juni 2004 – Az.: L 6 SF 273/04). Die ausstehenden Wasserrechnungen müssten nunmehr abgezahlt sein; insofern können die Abzahlungen schon deshalb nicht berücksichtigt werden.

Nicht angesetzt werden können die Aufwendungen für den Pkw. Dessen Eigentümer ist I. K., auf den auch die Rechnungen laufen. Bereits deshalb scheidet im "Normalfall" ein Ansatz aus.

Daran ändert im vorliegenden Fall auch durch den Vortrag der Beschwerdeführerin nichts, der Wagen werde nur von ihr und ihrem Ehemann benutzt und sie seien aus medizinischen Gründen auf diesen angewiesen. Nachdem beide nicht mehr erwerbstätig sind (Rentner), kommt eine Berücksichtigung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2005 – Az.: L 6 SF 882/04) nur dann in Betracht, wenn die medizinische Notwendigkeit nachgewiesen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Es ist nicht ersichtlich, dass die Eheleute den Wagen für Arztbesuche tatsächlich unbedingt benötigen. Unerheblich ist, dass für den Ehemann der Beschwerdeführerin ein GdB von 100 anerkannt ist (Bescheid vom 17. Juni 2005). Aussagen über die Notwendigkeit eines Pkw können den dort aufgeführten Diagnosen (Prostatatumorerkrankung, Herzleistungsminderung, Lungenfunktionsstörung, Hörbehinderung, Sprunggelenksarthrose rechts, Coxarthrose links) nicht entnommen werden.

Zwar hat die behandelnde Ärztin der Eheleute in ihren Attesten vom 11. August 2005 bestätigt, diese seien "aus medizinischer Sicht" auf den Wagen angewiesen. Belegen können dies ihre Angaben aber nicht. Auch die Befundberichte vom 5. Januar 2006 und 28. Januar 2006 sind insoweit nicht aussagekräftig. In der Befundmitteilung vom 27. Januar 2006 wird dagegen explizit angegeben, dass die Eheleute öffentliche Verkehrsmittel benutzen könnten. Damit scheidet die medizinische Notwendigkeit aus. Die Tatsache, dass die Hilfsbedürftige in einem kleinen Dorf wohnt und damit Verrichtungen des täglichen Lebens (Behördenbesuche, Arztbesuche, Einkaufen) mit einem Kraftfahrzeug erheblich leichter durchgeführt werden können, begründet nicht die medizinische Notwendigkeit der Vorhaltung.

Keine zusätzlichen Erkenntnisse sind den Attesten des Dr. W. (regelmäßige ärztliche Behandlung erforderlich) und der Dipl.-Med. M. (Vermeiden von schwerem Heben und Tragen; regelmäßige Kontrollen) zu entnehmen. Bedeutungslos ist die Durchführung der Physiotherapie.

Nach der Tabelle zu § 115 Abs. 1 ZPO hat die Beschwerdeführerin bei einem einzusetzenden Einkommen bis 300,00 Euro monatlich 75,00 Euro aufzubringen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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