L 25 B 238/06 AS PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 7121/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 238/06 AS PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2006 aufgehoben. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin seit dem 05. August 2005 bewilligt. Rechtsanwalt B wird beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Klägerin verfolgt in der Beschwerdeinstanz ihren Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Im Klageverfahren begehrt sie die Bewilligung eines Darlehens von der Beklagten.

Die am 0 1970 im L geborene Klägerin erhält von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 02. Juni 2005 bei der Beklagten die Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 1000 Euro mit der Begründung, sie habe ihre in J lebenden Kinder seit drei Jahren nicht mehr gesehen.

Durch Bescheid vom 13. Juni 2005 hat die Beklagte den Antrag abgelehnt. Kosten für eine Reise nach Jin Höhe von 1.000 Euro könnten nicht übernommen werden, auch nicht in Form eines Darlehens. Es werde nur der notwendige Lebensunterhalt sichergestellt. Durch Bescheid vom 27. Juli 2005 hat die Beklagte den dagegen eingelegten Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 23 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 20 Abs. 1 SGB II lägen nicht vor.

Mit der am 05. August 2005 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 1.000 Euro, hilfsweise 500 Euro weiterverfolgt. Zur Begründung der Klage wurde insbesondere vorgetragen, in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg vom 16. Februar 2005 habe sich die Klägerin mit dem geschiedenen Ehemann dahingehend geeinigt, dass sie in den nächsten Monaten für einen Zeitraum von einem Monat nach J reisen und die dort lebenden gemeinsamen Kinder besuchen dürfe. Danach sei der streitige Bedarf alsbald nach der erstmaligen Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (01.Januar 2005) entstanden. Es liege nach den Umständen ein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts vor, der weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden könne. Die Klägerin sei nicht in der Lage, die Kosten durch ein Ansparen aus der Regelleistung zu decken.

Die Klägerin beantragt in der Hauptsache,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2005 zum Geschäftszeichen Team 714 - BG.-Nr.: das beantragte Darlehen von 1.000,00 Euro zu bewilligen, hilfsweise ein Darlehen von 500,00 Euro

und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie stützt sich auf den Inhalt ihrer angefochtenen Bescheide und verweist desweiteren darauf, es dürfe der Klägerin nicht verwehrt sein, ihr Begehren unter Berufung auf die Auffangnorm für unbenannte Notlagen gemäß § 73 SGB XII beim hierfür zuständigen Leistungsträger geltend zu machen.

Durch Beschluss vom 30. Januar 2006 hat das SG Berlin das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für das Begehren seien nicht erfüllt. Es fehle bereits am konkreten Nachweis des in Höhe von 1.000 Euro, hilfsweise 500 Euro geltend gemachten Bedarfs. Es sei nicht ersichtlich, wie die Klägerin zu diesen Beträgen gelangt sei. Überdies fehle es jedenfalls an der Unabweisbarkeit des Bedarfs, die begriffsnotwendig nur dann gegeben sei, wenn der Bedarf nicht aufgeschoben und auch nicht auf andere Art und Weise gedeckt werden könne. Den Angaben der Klägerin zufolge habe sie ihre Kinder bereits seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Vor diesem Hintergrund lasse sich nicht einmal ansatzweise nachvollziehen, warum jetzt auf einmal ein nicht aufschiebbarer Bedarf gegeben sein solle, dies umso weniger, als nach so langer Zeit sich eine am Kindeswohl orientierte und durch eben dieses erforderliche Wahrnehmung des zivilrechtlichen Umgangsrechts nur schwerlich begründen lasse. Die Klägerin sei eindeutig darauf zu verweisen, die Kosten für eine Besuchsreise anzusparen oder sich wegen der hierfür erstrebten Leistungen an den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger zu wenden, der die Leistungen vielleicht nach § 73 SGB XII gewähre.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 24. Februar 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 23. März 2006 beim SG Berlin eingegangene Beschwerde der Klägerin. Zur Begründung wurde insbesondere vorgetragen, nach einer Entscheidung des Thüringer Landessozialgerichts vom 15. Juni 2005 - L 7 AS 261/05 ER seien Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts in entsprechender Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II darlehnsweise zu erbringen. Gerade weil die Klägerin ihre vier Kinder solange nicht gesehen habe, sei es für sie besonders dringlich, nun nach J zu ihren Töchtern zu reisen, nachdem der Kindesvater in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2005 sich damit endlich einverstanden erklärt habe.

Vor diesem Hintergrund dränge sich ein nicht aufschiebbarer Bedarf geradezu auf. Befremdlich erscheine es, die Aufschiebbarkeit mit dem Kindeswohl zu begründen. Dieses erfordere geradezu den Umgang der Kinder mit der Mutter. Die Kosten für die Besuchsreise anzusparen, sei angesichts der knapp bemessenen Leistungen nach dem SGB II nicht möglich.

Übersandt wurde ein Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg (Geschäftsnummer ). Danach ist die Klägerin Mutter von vier Kindern (geboren am 21. Januar 1993, 24. Oktober 1994, 27. Juni 1996, 13. August 1997). Ausweislich des Protokolls hat die Klägerin mit dem Kindesvater an diesem Tage eine Vereinbarung zum Umgangsrecht getroffen. Danach wird die Klägerin in den nächsten Monaten für einen Zeitraum von einem Monat nach J zu reisen. Der Kindesvater wird als Sorgerechtsinhaber sicherstellen, dass die Kindesmutter während ihres Aufenthalts am Wohnort der Kinder mit diesen wöchentlich jeweils zwei mal zwei Stunden mit je zwei Kindern in Anwesenheit Dritter verbringen kann.

Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist als Antrag zu entnehmen,

den Beschluss des SG Berlin vom 30. Januar 2006 aufzuheben und der Klägerin unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Akten der Beklagten und der Gerichtsakten, die dem Senat bei der Beschlussfassung vorgelegen haben.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin kann für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten in Anspruch nehmen. Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe entsprechend. Ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist vorliegend auf den für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Sachantrag zu beziehen. Danach besteht Erfolgsaussicht.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 73 a Rz. 7 a m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Rechtsstandpunkt der Klägerin ist vertretbar. Auch in tatsächlicher Hinsicht besteht die Möglichkeit, dass der Anspruch - so der Höhe nach - auch beweisbar ist.

Anspruchsgrundlage ist § 23 Abs. 1 SGB II. Die Norm lautet:

Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 (SGB II) noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfsbedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Nach dem Inhalt dieser Vorschrift ist klargestellt, dass im Fall des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch des Hilfesuchenden auf die Darlehensgewährung besteht. Die Entscheidung, ob eine Geld- oder Sachleistung erfolgt, ist zwar durch eine Ermessensentscheidung festzustellen, allerdings erachtet der Senat die Auffassung für vertretbar, es sei davon auszugehen, dass die eröffnete Ermessensentscheidung über das "Wie" der Leistungsgewährung im Regelfall auf Geldleistungen gerichtet sei und die Gewährung einer Sachleistung besonders begründet werden müsse ( Eicher/Lang, SGB II § 23 Rz.37).

Nach den genannten Massstäben ist Erfolgsaussicht zu bejahen. Zwar ist die Regelung auf der Tatbestandsseite außerordentlich restriktiv ausgestaltet. Es muss sich um einen Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts handeln, der von den Regelleistungen umfasst wird, der im konkreten Fall aber weder durch das Vermögen noch auf andere Weise gedeckt werden kann und im konkreten Fall der Umstände nach unabweisbar ist.

Diese Voraussetzungen lassen sich für die streitgegenständlichen Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts in vertretbarer Weise begründen, wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen dies in einer ausführlichen Begründung getan hat. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass diese Fahrtkosten dem Grund nach in der Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II enthalten sind (Beschluss vom 28.April 2005 Aktenzeichen L 8 AS 57/ 05 ER). Nach dieser Vorschrift umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensbedarfs insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.

Ebenfalls vertretbar erscheint es unter den vorgetragenen Umständen, einen unabweisbaren Bedarf festzustellen. Jedenfalls aufgrund der Umgangsregelung ist dies der Fall. Die Klägerin ist nicht darauf zu verweisen, die Unabweisbarkeit entfalle bereits deshalb, weil sie die Kinder bereits seit drei Jahren nicht mehr gesehen habe, so dass es sich um keinen unaufschiebbaren Bedarf handele.

Die Beurteilung, die von den Kindeseltern getroffene Vereinbarung zum Umgangsrecht sei nicht am Kindeswohl orientiert, ist dem Senat bereits nicht nachvollziehbar. Sie dürfte sich ohne Anhörung der Kinder, der Kindeseltern und des Jugendamtes auch der Beurteilung im vorliegenden Verfahren entziehen.

Auf ein Ansparen der Reisekosten ist die Klägerin nicht verweisbar. In Anbetracht ihres Einkommens und der voraussichtlichen Höhe der Fahrtkosten würde dies eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung ihres durch Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) geschützten Umgangsrechts (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Oktober 1994 zum Az.1 BvR 1197/93) bedeuten.

Die Höhe der Reisekosten erscheint zumindest zum hilfsweise geltend gemachten Betrag von 500 Euro bei summarischer Prüfung glaubhaft. Insoweit bedarf es im Rahmen der Hauptsache einer Beweiserhebung.

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen liegen vor.

Gegen diesen Beschluss sieht das SGG einen ordentlichen Rechtsbehelf nicht vor, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved