L 1 RA 109/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 11 RA 1751/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 109/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2003 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Berücksichtigung der Zeit vom 1. Februar 1995 bis 31. Januar 1997, die die Klägerin während ihres Erziehungsurlaubs in den USA verbracht hat, als Kindererziehungszeit streitig. Der beigeladene Ehemann der Klägerin erhielt in dieser Zeit ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft, während sein Arbeitsverhältnis als Arzt ruhte.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. September 2001 die Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Zeit vom 1. Februar 1995 bis 31. Januar 1997 ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2002). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 22. August 2003 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Zeit vom 1. Februar 1995 bis 31. Januar 1997 als Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit für A (geboren am 13. ) und die Zeit vom 1. August 1995 bis zum 31. Januar 1997 als Kindererziehungszeit und Berücksichtigungszeit für M (geboren am 30. ) festzustellen. Eine vollständige und vor allem dauerhafte Lösung vom inländischen Arbeits- und Erwerbsleben sei bei der Klägerin nicht gegeben, denn sie habe unmittelbar vor der Geburt ihres ersten Kindes Pflichtbeitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt, noch vor Beginn des Auslandsaufenthaltes Erziehungsurlaub in Anspruch genommen und ihre Arbeit als Lehrerin nach dessen Beendigung wieder aufgenommen. Ihre Integration in das inländische Arbeits- und Erwerbsleben sei nicht wesentlich stärker gelockert als bei vergleichbaren Versicherten im Inland, denn der Auslandsaufenthalt sei durch das befristete Stipendium des Ehemannes und die mögliche Dauer des Erziehungsurlaubs von vornherein zeitlich begrenzt und nicht auf Dauer angelegt gewesen. Die Voraussetzungen im Sinne des § 56 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VI seien damit erfüllt.

Die Beklagte hat ihre Berufung damit begründet, dass eine Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Ausland nach § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI immer voraussetze, dass während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer im Ausland ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit Pflichtbeiträge vorliegen oder wenigstens ein Rumpfarbeitsverhältnis bestand, weil allein in diesen Fällen von einer fortbestehenden Inlandsintegration ausgegangen werden könne. Die besonderen Voraussetzungen, unter denen der Gesetzgeber Kindererziehungszeiten im Ausland berücksichtige, erfülle die Klägerin nicht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2003 aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Die Klägerin und der Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Im Laufe des Berufungsverfahrens hat sich der Beigeladene mit Schreiben vom 28. August 2005 mit der Zuordnung der streitigen rentenrechtlichen Zeiten wegen Kindererziehung zur Klägerin endgültig einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG – S 11 RA 1751/02 -) und Beklagtenakten () verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die streitigen Zeiten als Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten festzustellen. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die begehrte Feststellung nach § 149 Abs. 5 SGB VI nicht erfüllt sind.

Kindererziehungszeiten sind nach § 56 Abs. 1 SGB VI Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn

1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,

2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen

gleich steht und

3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

Die streitigen Erziehungszeiten sind zwar im Hinblick auf die Erklärung des Beigeladenen – des Vaters der Kinder Aund M – vom 28. August 2005 der Klägerin zuzuordnen (vgl. insoweit § 56 Abs. 2 SGB VI). Auch ist die Klägerin nicht im Sinne des § 56 Abs. 4 SGB VI von der Anrechnung ausgeschlossen. Es fehlt jedoch an der Voraussetzung, dass die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleich steht.

Da die Erziehung in der streitigen Zeit nicht in Deutschland erfolgt ist (vgl. § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI), kommt es entscheidend darauf an, ob die Erziehung einer solchen gleich steht. Dies beurteilt sich nach § 56 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB VI. Nach Satz 2 steht einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleich, wenn der erziehende Elternteil – hier also die Klägerin – sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind – entgegen der Ansicht des SG – jedenfalls deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin in den USA weder eine Beschäftigung noch eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hat. Das SG hat verkannt, dass vorrangige Bedingung für die Gleichstellungsfähigkeit von Erziehungszeiten im Ausland eine dort ausgeübte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ist. Nur, wer aus Gründen der Erwerbstätigkeit – nicht aus anderen Gründen – seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt, soll – bei aufrechterhaltender enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben – Erziehungszeiten im Ausland als gleichgestellte Zeiten anerkannt bekommen können. Es genügt also nicht, dass die Klägerin bis vor der Geburt ihres ersten Kindes im Inland als Lehrerin tätig war und es inzwischen auch wieder ist und diese Tätigkeit lediglich durch den Erziehungsurlaub unterbrochen worden war. Dies mag zwar für eine aufrechterhaltene enge Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben sprechen, rechtfertigt für sich allein aber nicht die Feststellung von Kindererziehungszeiten. In seiner Entscheidung vom 24. Februar 1999 – B 5/4 RA 82/97 R – (Juris-Ausdruck Rz. 16) spricht das Bundessozialgericht (BSG) dies unmissverständlich aus, wenn es darin heißt, das Wort "dort" in § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI bezogen auf die im Ausland ausgeübte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit könne nicht in ein "hier" (Inland) umgedeutet oder – den Gesetzestext korrigierend - einfach weggelassen werden (vgl. auch BSG-Urteil vom 23.10.2003 in SozR 4-2600 § 56 Nr. 1 Rz. 9 und 16). Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber an sich – als Ausfluss des in Deutschland geltenden Territorialitätsprinzips – ausschließlich die Erziehungsleistung in der

Bundesrepublik Deutschland honorieren will (BSG – Urteil vom 24.02.1999 aaO). Das ist nicht verfassungswidrig (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1998 in NJW 1998, 2963 = NZS 1998, 518). Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung kann deshalb nach § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI nicht erwerben, wer die Zeit seines Erziehungsurlaubs mit den Kindern im Ausland verbringt.

Entgegen der Ansicht des SG ergibt sich gegenteiliges insbesondere nicht aus der Entscheidung des BSG vom 10. November 1998 – B 4 RA 39/98 R – =SozR 3-2600 § 56 Nr. 13. Das SG hat zur Rechtfertigung seiner Ansicht, dass im Rahmen des § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI auf eine eigene Erwerbstätigkeit des erziehenden Elternteils im Ausland verzichtet werden könne, auf Ausführungen Bezug genommen, die das BSG im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 56 Abs. 3 Satz 3 SGB VI gemacht hat (aaO S. 69).

Es fehlt aber auch an der Feststellungsfähigkeit der streitigen Zeiten als Kindererziehungs-zeiten auf der Grundlage des § 56 Abs. 3 Satz 3 SGB VI. Danach gilt das in Satz 2 Bestimmte bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten im Ausland auch, wenn der Ehegatte des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Person gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind schon deshalb nicht erfüllt, weil auch der Beigeladene seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht zwecks Ausübung einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit ins Ausland verlegt hatte, sondern zu Ausbildungszwecken. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft bescheinigt unter dem 9. April 2001, sie habe dem Beigeladenen ein Ausbildungsstipendium gewährt. Zwischen ihr und diesem habe kein Arbeits- bzw. Dienstverhältnis bestanden.

Darüber hinaus fehlt es aber auch an dem weiteren Erfordernis, dass zwischen dem Ehegatten des Erziehenden und dem inländischen Arbeitgeber für die Dauer des Auslandsaufenthalts mindestens ein Rumpfarbeitsverhältnis fortbestanden haben muss (BSG – Urteil vom 17. November 1992 in SozR 3-2600 § 56 Nr. 4). Dazu gehört nicht nur, dass der Arbeitnehmer von vornherein verpflichtet und berechtigt sein muss, nach Beendigung des Auslandsaufenthalts seine Arbeit beim inländischen Arbeitgeber wieder aufzunehmen. Das war hier der Fall. Vielmehr muss darüber hinaus rechtlich sichergestellt sein, dass auch während der Dauer des Auslandsaufenthalts noch wechselseitige Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis

zwischen inländischem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bestehen. Insbesondere muss der inländische Arbeitgeber Verantwortung und Fürsorge für den im Ausland Beschäftigten weiter übernehmen (BSG SozR aaO Seite 19). Solche zusätzlichen, ein Rumpfarbeitsverhältnis kennzeichnenden wechselseitigen Rechte und Pflichten (Treue, Fürsorge) waren hier nicht vereinbart. Es handelte sich lediglich um eine Beurlaubung ohne Dienstbezüge unter Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, wobei jedoch alle Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhten. So wurde die Beurlaubungszeit nicht gemäß § 19 Bundesangestellten-tarif (BAT) als Beschäftigungszeit angerechnet, weil ein dienstliches Interesse an der Beurlaubung nicht bestand (vgl. § 50 Abs. 3 BAT). Die Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) waren ausgesetzt. Es bestand weder eine Berichtspflicht noch ein Rückrufrecht (Auskünfte vom 23. Juli 2001 und 21. August 2001).

Schließlich steht die Erziehung in den USA auch nicht aufgrund Abkommensrechts einer Erziehung im Inland gleich. Die Gebietsgleichstellung nach Art. 5 des deutsch-(us)amerikanischen Sozialversicherungsabkommens (DASVA) erfasst nur den "Aufenthalt"

im Gebiet der anderen Vertragspartei, nicht auch die dort erfolgende Erziehung. Unter "Aufenthalt" ist nach der gewöhnlichen, auch dem DASVA zugrunde liegenden Bedeutung ausschließlich der für die zulässige Ausübung von Staatsgewalt bedeutsame tatsächliche Umstand zu verstehen, dass sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Staates befindet. Eine weitergehende, die Kindererziehung im Aufenthaltsgebiet erfassende Bedeutung haben die Parteien des DASVA nicht vereinbart (vgl. BSG-Urteil vom 12. Juli 1988 in SozR 2200 § 1251 a Nr. 2).

Waren die streitigen Zeiten danach nicht als Kinderziehungszeiten anzuerkennen, konnten sie nach § 57 SGB VI auch nicht als Berücksichtigungszeiten anerkannt werden.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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