L 1 KR 36/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 1612/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 36/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe freiwilliger Beiträge, die der Kläger als hauptberuflich Selbständiger für einen zurückliegenden Zeitraum schuldet.

Der Kläger ist seit 1982 Mitglied der Beklagten. Als selbständiger Steuerberater ist er bei ihr seit 1993 freiwillig versichert. Ab Januar 1998 wurde die Mitgliedschaft aufgrund der Einkommensangaben des Klägers sowie des vorgelegten Einkommensteuerbescheides für das Jahr 1997 einkommensbezogen in der Beitragsklasse 805 (entsprechend der gesetzlichen Mindesteinnahmen-Grenze) geführt. Dies wurde ihm zuletzt mit Bescheid vom 1. August 2000 bestätigt. Weil der Einkommensteuerbescheid 1998 nach Angaben des Klägers – wie sie die Beklagte verstand – auch Anfang 2001 noch nicht vorlag, beließ sie es zunächst – bis 31. März 2001 – bei der Einstufung in die Beitragsklasse 805. Nachdem sie vom Finanzamt im April 2001 erfahren hatte, dass der Einkommensteuerbescheid 1998 bereits am 20. September 2000 erteilt worden war, bat sie den Kläger vergeblich, diesen vorzulegen. Stattdessen legte er im Juni 2001 eine neue Einkommenserklärung über Arbeitseinkommen (30.221 DM), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (-4.593 DM) und Einnahmen aus Kapitalvermögen (6.909 DM) sowie einen Gewinnfeststellungsbescheid 1999 des Finanzamtes vom 11. Juni 2001 vor, der Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 30.221 DM auswies. Daraus ergaben sich Einkünfte unterhalb der gesetzlichen Mindesteinnahmen-Grenze von monatlich 3.360 DM (für 2001).

Die Beklagte stufte den Kläger mit Bescheid vom 27. Juni 2001 ab 1. April 2001 in die einkommensunabhängige Beitragsklasse 605 auf der Grundlage der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze von 6.525 DM (Regeleinstufung) zu einem Monatsbeitrag von 854,78 DM zuzüglich eines monatlichen Beitrages zur sozialen Pflegeversicherung von 110,92 DM ein, insoweit zugleich im Namen der Beigeladenen (monatlicher Gesamtbeitrag 965,70 DM, bisheriger Gesamtbeitrag 497,28 DM).

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe aktuelle Einkommensunterlagen vorgelegt. Die Einkommensveranlagung 1999 sei noch nicht erfolgt. Der angeforderte Einkommensteuerbescheid 1998 habe aufgrund persönlicher Umstände mit der aktuellen Einkommensentwicklung nichts gemein und deshalb für die aktuelle Beitragseinstufung ab April 2001 keine Bedeutung.

Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1999 vom 3. September 2001 (Einkünfte aus selbständiger Arbeit 30.221 DM und aus Vermietung und Verpachtung -4.539 DM sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen 7.146 DM) legte die Beklagte diesen der Beitragsbemessung ab 1. Oktober 2001 zugrunde und stufte den Kläger dementsprechend wieder in die Beitragsklasse 805 ein.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12. August 2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers – der nun nur noch die Beitragsklasseneinstufung für die Zeit vom 1. April 2001 bis 30. September 2001 zum Gegenstand hatte – zurück. Der vorgelegte Gewinnfeststellungsbescheid sei als Einkommensnachweis nicht ausreichend, weil der Kläger außer dem dort bescheinigten Arbeitseinkommen noch weitere Einkünfte (aus Kapitalvermögen bzw. Vermietung und Verpachtung) habe. Danach könne, so lange kein Steuerbescheid vorliege, der beitragspflichtige Einnahmen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung ausweise, von der Regeleinstufung bei Selbständigen nicht abgewichen werden. Nachdem bereits im September 2000 der Einkommensteuerbescheid 1998 vorgelegen habe, sei – bis zur Erteilung des nächsten Steuerbescheides (hier vom 3. September 2001 für das Jahr 1999) – allein dieser als Nachweis für eine (weitere) einkommensbezogene Einstufung geeignet und nicht mehr der für 1997. Der Einstufung in die Beitragsklasse 605 ab 1. April 2001 stehe auch nicht entgegen, dass dem Kläger zuletzt mit Bescheid vom 1. August 2000 eine weitere Einstufung in die Beitragsklasse 805 mitgeteilt worden sei. Denn dieser Bescheid sei ausdrücklich bis zur Erteilung eines neuen Steuerbescheides befristet gewesen. Spätestens seit Erhalt desselben vom 20. September 2000 habe der Kläger mit einer Neueinstufung rechnen müssen. Eine Aufhebung des Bescheides vom 1. August 2000 sei deshalb entbehrlich gewesen. Im Übrigen seien die Aufhebungsvoraussetzungen wegen Änderung der Verhältnisse aber auch erfüllt gewesen.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) Berlin wies die auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide gerichtete Klage durch Urteil vom 4. April 2003 aus den Gründen des Widerspruchsbescheides ab.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, es fehle an einer ausdrücklichen Regelung, dass ausschließlich ein Einkommensteuerbescheid als Nachweis heranzuziehen sei. Mit den Einkommensangaben in der Erklärung zur Überprüfung der Einkommen sei er seiner Mitwirkungspflicht zur Festsetzung von Beiträgen nachgekommen. Die Beklagte habe hiervon nicht grundlos abweichen dürfen, vor allem, weil für die das Gesamteinkommen tatsächlich bestimmenden Arbeitseinkünfte ein Feststellungsbescheid vorgelegen habe. Das Einkommen des Jahres 1998 sei für eine Beitragsfestsetzung 2001 wegen des fehlenden aktuellen Bezuges nicht geeignet. Es sei immer das aktuelle Einkommen der Beitragspflicht zu unterwerfen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. April 2003 sowie den Bescheid vom

27. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2002

aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Kläger hat im Laufe des Berufungsverfahrens u. a. den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20. September 2000 eingereicht. Dieser weist Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 54.189 DM und aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von -4.951 DM sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 8.677 DM aus. Im Übrigen hat der Kläger auch den Bescheid für die Erbengemeinschaft bestehend aus ihm und seiner Schwester für 1999 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 23. Januar 2001 sowie den Feststellungsbescheid des Finanzamtes Singen für die Grundstücksgemeinschaft bestehend aus ihm und seiner Schwester für 1997, 1998 und 1999 nach § 180 ff. Abgabenordnung vom 31. Januar 2001 vorgelegt. Der Bescheid vom 23. Januar 2001 weist für 1999 Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen in Höhe von 7.121 DM und der Bescheid vom 31. Januar 2001 für 1999 Einkünfte der Grundstücksgemeinschaft aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1.475 DM aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG – S 72 KR 1612/02 –) und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Beitragsbescheid nicht zu beanstanden ist.

Nach § 240 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V gilt für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatliche Bezugsgröße (Satz 2). Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden (Satz 3).

Die Beklagte hat den Kläger danach für die streitige Zeit vom 1. April 2001 bis 30. September 2001 zu Recht in die einkommensunabhängige Beitragsklasse 605 (Regelbeitrag) eingestuft, woran sie aus den von ihr genannten Gründen durch den vorangegangenen Beitragsbescheid vom 1. August 2000 nicht gehindert war. Denn der Kläger hat für die streitige Zeit kein niedrigeres als das der Beitragsbemessungsgrenze entsprechende Einkommen nachgewiesen. Da die Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz SGB V an die tatsächlichen Einnahmen, insbesondere das Arbeitseinkommen anknüpft, ist es allerdings richtig, dass diese die Einkommensverhältnisse möglichst aktuell widerspiegeln sollen. Denn Beiträge sollen möglichst nach der augenblicklich vorhandenen Leistungsfähigkeit der Versicherten erhoben werden (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 27. November 1984 in SozR 2200 § 180 Nr. 20, juris-Ausdruck S. 5). Andererseits lassen sich die tatsächlichen Einnahmen, zu denen bei hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen vor allem die Einnahmen aus dieser Tätigkeit gehören, nur bedingt aktuell feststellen. Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit bestimmen sich nach dem Arbeitseinkommen im Sinne des § 15 SGB IV (BSG-Urteil vom 26. September 1996 in SozR 3-2500 § 240 Nr. 27). Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit und ist Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Daraus folgt, dass die Krankenkasse bei freiwillig versicherten Selbständigen auf deren Angaben und die von ihnen vorgelegten Bescheide der Finanzämter, insbesondere die Einkommensteuerbescheide, angewiesen sind (BSG aaO S. 104), die regelmäßig erst mit zeitlichem Abstand zu dem Kalenderjahr erteilt werden, in dem die der Besteuerung unterliegenden Einnahmen erzielt wurden. Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, dass der Umfang des zeitlichen Abstands auch vom Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung abhängt.

Dies rechtfertigt es – in Verbindung mit der Regelung des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V – den Nachweis niedrigerer Einnahmen nur dann als erbracht anzusehen, wenn die vorhandenen jeweils neuesten, niedrigere Einnahmen ausweisenden steuerlichen Unterlagen vorgelegt werden, und dies so lange gelten zu lassen, bis wiederum vorhandene neuere, den erforderlichen Nachweis führende Steuerbescheide vorgelegt werden. Daraus folgt, dass vorhandene aber nicht beigebrachte neueste Unterlagen bis zur Vorlage wiederum neuester Unterlagen – unter Berücksichtigung des Steuergeheimnisses (§ 30 Abgabenordnung) – den Nachweis niedrigerer Einnahmen ausschließen.

Dies führt zwar im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erteilung der Steuerbescheide dazu, dass die Beiträge den wahren, zur Zeit der Einstufung durch die Kasse erzielten Einnahmen nicht zuverlässig entsprechen, weil auf Tatsachen aus der Vergangenheit zurückgegriffen wird. Die Einstufung trägt der Entwicklung der Einnahmen also erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung Rechnung. Dies ist jedoch aus Gründen der Praktikabilität und um möglichen Manipulationen vorzubeugen, letztlich auch aus Gründen der Beitragsgerechtigkeit hinzunehmen. Auch ist nicht zu übersehen, dass bei schwankendem Arbeitseinkommen die im Vergleich zu den aktuellen Einnahmen zu niedrigen oder zu hohen Beiträge auf die Dauer in vielen Fällen einander wieder ausgleichen (vgl. BSG-Urteil vom 27. November 1984 in SozR 2200 § 180 Nr. 20 – juris-Ausdruck S. 6).

Im Falle des Klägers lag der Einkommensteuerbescheid 1998 bereits im September 2000 vor, so dass es schon von da an nicht mehr gerechtfertigt war, ihn weiterhin auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides 1997 einzustufen. Dass die Beklagte erst ab April 2001 nicht mehr auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheides 1997 eingestuft hat, belastet ihn insoweit nicht. Da der Kläger den Nachweis niedrigerer Einnahmen ab April 2001 durch Vorenthalten des Einkommensteuerbescheides 1998 jedoch nicht erbracht hat, unterlag er der Regeleinstufung. Der Kläger hat auch nicht schon vor September 2001 – dem Zeitpunkt der Vorlage des Einkommensteuerbescheides 1999 – wiederum neuere, den erforderlichen Nachweis niedrigerer Einnahmen erbringende Steuerunterlagen vorgelegt. Denn der im Juni 2001 eingereichte Gewinnfeststellungsbescheid 1999 wies lediglich die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach, nicht aber die weiteren Einnahmen aus Kapitalvermögen und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Es fehlte also an einem vollständigem Nachweis niedrigerer Einkünfte für die Zeit (bereits) ab Juli 1999. Dabei hätte der Kläger jedenfalls seine Einnahmen aus Kapitalvermögen im Jahr 1999 auch damals schon nachweisen können, wie der erst im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheid vom 23. Januar 2001 belegt.

Der Umstand schließlich, dass der Kläger im Berufungsverfahren auch den Einkommensteuerbescheid 1998 nachgereicht hat, kann nicht zu einer für ihn günstigeren Neueinstufung für die streitige Zeit führen. Dies folgt aus der Vorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Eine Ausnahme gilt allein dann, wenn sich wegen Vorenthaltung des neuesten Steuerbescheides darin ausgewiesene höhere Einkünfte nicht rechtzeitig berücksichtigen ließen. Dann kann die Krankenkasse auch Nachberechnungen mit Rückwirkung vornehmen (so Bundestagsdrucksache 12/3937 S. 17).

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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