Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 RA 5123/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 472/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren, ob die Klägerin Zahlungen aus dem ihr dem Grunde nach zuerkannten Anspruch auf Hinterbliebenenrente verlangen kann.
Die am 1938 geborene Klägerin ist die Witwe des am 1992 in der ehemaligen Sowjetunion verstorbenen D A(im Folgenden: Versicherter. Sie siedelte am 21. Januar 2000 nach Deutschland über, wo sie als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetztes – BVFG - anerkannt wurde. Mit Rentenbescheid vom 18. Januar 2001 wurde ihr Altersrente für Frauen auf der Grundlage von 25 Entgeltpunkten seit dem 1. Februar 2000 gewährt.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 erkannte die Beklagte einen Anspruch auf Witwenrente dem Grunde nach an. Sie führte aus, die Berechnung und Zahlung einer Witwenrente könne nicht erfolgen, weil ausschließlich Entgeltpunkte für rentenrechtliche Zeiten nach dem FRG ermittelt worden seien. Nach § 22b des Fremdrentengesetzes – FRG – würden für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für einen Berechtigten höchstens 25 Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Diese würden bereits durch die Rente aus eigener Versicherung erreicht. Dieser Bescheid wurde bindend, ebenso wie ein die Rücknahme des Bescheides ablehnender Bescheid vom 24. Januar 2003.
Am 22. April 2004 beantragte die Klägerin "die Überprüfung des Rentenbescheides vom 24.01.2003 (Neufeststellung)". Sie verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R – und führte ergänzend aus, die Rechtslage sei seit 2001 höchstrichterlich geklärt. Sie sei mit Urteilen des BSG vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R, B 13 RJ 52/03 R, B 13 RJ 53/03 R, B 13 RJ 56/03 R – erneut bestätigt worden. Auch die unteren Gerichte folgten dieser Auffassung (Hinweis auf Sozialgericht – SG - Freiburg, Urteil vom 19. November 2002 - RA 3558/99 – (vollständiges Aktenzeichen nicht ermittelbar); SG Karlsruhe, Urteile vom 11. Februar 2003 – S 2 RA 4039/03 – und vom 28. April 2003 - S 14 RJ 3205/02 -; SG Dortmund, Urteil vom 11. Juni 2003 - S 2 RJ 106/02 -; Landessozialgericht – LSG - Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Juli 2003 - L 13 RA 525/03 -).
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2004 / Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, sie folge der Auslegung des BSG nicht. Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Zweck und Funktion des § 22b FRG gelte die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte auch, wenn neben einer Rente aus eigener Versicherung noch Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente bestehe.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (eingegangen am 6. September 2004) und vorgetragen, weder nach altem noch nach neuem Recht gebe es eine gesetzliche Grundlage für die Begrenzung der beiden ihr zustehenden Renten auf 25 Entgeltpunkte. Die geänderte Fassung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG sei nach § 300 Abs. 1 und 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - nicht anzuwenden, weil die alte Fassung erst mit der Verkündung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004 aufgehoben worden sei.
Unabhängig davon finde § 22b FRG neue Fassung - n.F. - hier keine Anwendung, weil die Vorschrift verfassungswidrig sei. Es sei rechtswidrig, dass sie rückwirkend zum 7. Mai 1996 in Kraft trete. Der Regelungsgehalt einer Vorschrift bestimme sich nach seinem objektiven Normverständnis (Hinweis auf BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 -). Der Gesetzgeber könne daher nicht (rückwirkend) "klarstellend" bestimmen, wie eine Norm zu interpretieren sei. Dies obliege allein der Rechtsprechung. Die Anwendung von § 22 FRG n.F. verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die vom Bundesverfassungsgericht zur Rückwirkung von Gesetzen ergangenen Entscheidungen, weil es sich bei der durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz eingeführten Norm gerade nicht um eine Klarstellung, sondern um eine Neufassung des § 22b FRG handele.
Der Anspruch werde auch als Herstellungsanspruch geltend gemacht. Der Anspruch auf große Witwenrente sei anerkannt und bewilligt worden. Damit sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Witwenrente auszubezahlen. Sie habe diese Rente nicht einbehalten und die Gesetzesänderung abwarten dürfen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. April 2005 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid vom 24. Januar 2003 sei nicht unrichtig gewesen. Die Rückwirkung der Neufassung des § 22b FRG n.F. sei ausnahmsweise gerechtfertigt, weil er eine bestehende Rechtslage nicht geändert habe. Entgegen der Auffassung des BSG sei auch die alte Fassung dahingehend auszulegen, dass sie auch bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente anwendbar gewesen sei. Dies ergebe sich bei einer Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik.
Gegen das der Klägerin am 15. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 13. Mai 2005 eingegangene Berufung. § 22b FRG alte Fassung - a.F. - sei keineswegs so auszulegen gewesen, wie es das Sozialgericht getan habe. Diese Vorschrift sei nicht anwendbar gewesen, wenn eine Rente aus eigener Versicherung mit einem Hinterbliebenenrentenanspruch zusammengetroffen sei. Daran ändere auch die Neufassung des § 22b FRG durch das RV-Nachhal-tigkeitsgesetz nichts. Sie sei auf die Ansprüche der Klägerin nicht anzuwenden. Die Rückwirkung der Rechtsänderung verstoße gegen Art. 20 des Grundgesetzes – GG -. Eine derartig weitreichende Rückwirkung sei mit dem GG nur vereinbar, wenn überwiegende Grundsätze des Gemeinwohls der Auszahlung von Hinterbliebenenrenten zusätzlich zu Ansprüchen auf Altersrente entgegenstünden. Dafür reiche nicht aus, dass die Rentenversicherungsträger sparen wollten. Spätestens seit dem Urteil des BSG vom 30. August 2001 habe Rechtssicherheit bestanden und die Betroffenen hätten darauf vertrauen dürfen, dass ihnen Hinterbliebenenrente zustehe. Die Rückwirkung sei so unverhältnismäßig, dass andere Belange, wie die, eine unklare und verworrene Rechtslage zu beseitigen, dahinter zurückstehen müssten. Mindestens für die Zeit vor Inkraftsetzung der Neufassung müsse es bei der Anwendung der ursprünglichen Norm bleiben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2004 aufzuheben und diese zu verurteilen, den Bescheid vom 6. Februar 2001 teilweise zurückzunehmen und ihr seit dem 1. Februar 2000 neben ihrer eigenen Rente Witwenrente nach dem verstorbenen D A ohne Begrenzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Akten des Sozialgerichts Berlin – S 6 RA 5123/04 – und die Akten der Beklagten - - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2005 ist zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Rücknahme des Bescheides vom 6. Februar 2001 und auf die Gewährung von Witwenrente.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Anspruch ist § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X -. Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsaktes anwendbaren Recht. Der hier maßgebliche Verwaltungsakt wurde am 6. Februar 2001 erlassen. Mit dem Verwaltungsakt vom 24. Januar 2003 wurde lediglich die Rücknahme dieses Bescheides abgelehnt. Die Klägerin will aber mit der Rücknahme erreichen, dass die Ablehnung des Auszahlungsanspruchs zurückgenommen wird. Das ist nur dann unmittelbar zu erreichen, wenn der Bescheid vom 6. Februar 2001 überprüft wird.
Zur Zeit des Erlasses des Bescheides vom 6. Februar 2001 war § 22b Abs. 1 FRG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung - WFG - vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461), ergänzt um Satz 3 durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung -RRG 1999 - vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) anwendbar.
Ob sich aus § 22 b Abs. 1 FRG a.F. ergibt, dass bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung sowie einer Hinterbliebenenrente eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen ist (so die Auffassung der Beklagten sowie zahlreicher Sozial- und Landessozialgerichte, nur beispielhaft seien erwähnt: SG Mannheim vom 27. November 2002 – S 9 RJ 2074/02 –, SG Berlin vom 29. März 2004 - S 18 KN 25/03 -, LSG Schleswig-Holstein vom 12. Dezember 2002 – L 5 KN 2/02 –, LSG Baden-Württemberg vom 3. Oktober 2003 – L 3 RJ 2485/03 –, LSG Berlin vom 17. September 2004 –L 5 RJ 23/04 –, alle veröffentlicht in juris) oder ob eine solche Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte dieser Vorschrift nicht zu entnehmen ist (so der 4., 13. und 8. Senat des BSG in ihren Urteilen vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 2, vom 11. März 2004 - B 13 RJ 44/03 R - in SozR 4-5050 § 22b Nr. 1 und vom 07. Juli 2004 - B 8 KN 10/03 R - in SozR 4-5050 § 22b Nr. 2), kann letztlich dahingestellt bleiben, weil die weitere Voraussetzung des § 44 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt ist. Denn es sind der Klägerin Sozialleistungen nicht zu Unrecht vorenthalten worden. Der Senat folgt damit der Auffassung des 8. und 5. Senats des BSG in ihren Urteilen vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R, veröffentlicht in juris) und vom 5. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R und B 5 RJ 39/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de), der er sich nach eigener Überprüfung anschließt.
Die Frage, inwieweit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden, beurteilt sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Recht, also nach § 22b Abs. 1 FRG in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes. Denn für den mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch auf Erlass eines Zugunsten-Bescheides nach § 44 SGB X gilt nichts anderes als für eine sonstige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Bei dieser ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, nach welchem Recht die Begründetheit eines Anspruches zu prüfen ist, grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung. Daher sind Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des Rechtsstreits eintreten, zu beachten, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. BSG vom 25. Oktober 1984 – 11 RAz 3/83 in SozR 3-1300 § 44 Nr. 13, BSG vom 13. September 1994 - 5 RJ 30/93 –, BSG vom 2. Juli 1997 – 9 RVs 9/96 –, die beiden zuletzt genannten Urteile veröffentlicht in juris, Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X § 44 Rdz. 8).
Da § 22b Abs. 1 FRG rückwirkend zum 7. Mai 1996 geändert wurde, ist die neue Fassung zu beachten. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des neuen Rechts im vorliegenden Fall ausschließen könnte, liegt nicht vor. Der rückwirkenden Anwendung steht insbesondere nicht § 300 SGB VI entgegen (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R – a.a.O.).
Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG einzubeziehen. Mit dem WFG wurde ein Systemwechsel von dem das frühere FRG beherrschenden Eingliederungsprinzip zu Rentenleistungen, die nur noch an der Höhe der Eingliederungshilfe orientiert sind, vollzogen. Dies stellt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Hinterbliebenen dar, deren Ehegatten ihr Berufsleben in Deutschland verbracht haben. Während die den Spätaussiedlern gewährten Renten aus dem Sozialstaatsprinzip folgen (Fürsorgeleistungen), beruhen die Hinterbliebenenrenten nach Ehegatten, die in der deutschen Rentenversicherung versichert gewesen sind, auf deren Beiträgen. Es ist sachgerecht nach diesem Kriterium zu differenzieren. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Spätaussiedler ist nicht ersichtlich (vgl. BSG vom 30. August 2001 – B 4 RA 87/00 R – SozR 3-5050 § 22 b Nr. 1, BSG vom 3. Juni 2002 – B 5 RJ 22/01 R – SozR 3-5050 § 22b Nr. 3 und BSG vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15).
§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. verstößt auch nicht gegen die Verfassung, soweit darin eine rückwirkende Rechtsänderung enthalten ist, denn aufgrund der unklaren Rechtslage konnte sich bei der Klägerin kein schutzwürdiges Vertrauen bilden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht – BVerfG – entwickelten Rechtsprechung zur Rückwirkung von Gesetzen handelt es sich vorliegend um eine so genannte echte Rückwirkung, da die Rechtsfolgen der Neufassung von § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend ab 7. Mai 1996 eintreten. Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Denn das Verbot rückwirkend belastender Gesetze folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes. Zu dessen wesentlichen Elementen gehört die Rechtsicherheit, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht. Das BVerfG hat jedoch verschiedene Ausnahmefälle benannt. Den entwickelten Ausnahmen ist zu entnehmen, dass eine Durchbrechung des Rückwirkungsgebotes aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls oder dann zulässig und geboten ist, wenn sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen nicht bilden konnte. Hierzu gehört der Fall, dass die geltende Rechtslage unklar und verworren ist, so dass eine baldige Klärung erwartet werden muss (BVerfG vom 17. Januar 1979 – 1 BvR 446/77 – in SozR 3-5750 Art. 2 § 9 a Nr. 8).
Letzteres ist hier der Fall. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt konnte sich vorliegend bei der Klägerin nicht bilden, denn die Rechtslage zu § 22 Abs.1 Satz 1 FRG alter Fassung war unklar und verworren. Nachdem die Sozial- und Landessozialgerichte zunächst der Auffassung der Beklagten zu § 22 b FRG a.F. Fassung folgten und eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte bei einem Zusammentreffen von eigener Rente und einer Hinterbliebenenrente für zulässig hielten, vertrat der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 30. August 2001 (a.a.O.) eine andere Auffassung. Eine Klärung erfolgte letztlich aber auch noch nicht durch diese höchstrichterliche Entscheidung, denn zahlreiche Sozial- und Landessozialgerichte folgten dieser Entscheidung nicht. Auch die Rentenversicherungsträger verabredeten, ihr nicht zu folgen. Ob durch die folgenden Entscheidungen des 13. Senats vom 11. März 2004 (B 13 RJ 44/03 R a.a.O.) sowie des 8. Senats vom 7. Juni 2004 (B 8 KN 10/03 R a.a.O.) davon auszugehen gewesen wäre, dass die Betroffenen auf eine bestimmte Interpretation des Gesetzes vertrauen dürfen, kann letztlich dahin gestellt bleiben, denn bereits am 11. März 2004 wurde das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen (siehe Bundesratsdrucksache 191/04). Von diesem Zeitpunkt an hatten die Betroffenen Kenntnis von der beabsichtigten Änderung der Rechtslage, so dass sich auch durch die Entscheidungen des 8. und 13. Senats kein Vertrauen in die Rechtslage ergeben konnte. Selbst wenn ein berechtigtes Vertrauen bis zu diesem Zeitpunkt unterstellt würde, entfiele dieses, denn die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist nicht mehr möglich, wenn mit der Änderung einer Rechtslage gerechnet werden muss. Letzteres ist regelmäßig ab dem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung der Fall. Damit entfällt dann auch ein zu dem Zeitpunkt bereits vorhandenes berechtigtes Vertrauen in die alte Rechtslage (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R – a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren, ob die Klägerin Zahlungen aus dem ihr dem Grunde nach zuerkannten Anspruch auf Hinterbliebenenrente verlangen kann.
Die am 1938 geborene Klägerin ist die Witwe des am 1992 in der ehemaligen Sowjetunion verstorbenen D A(im Folgenden: Versicherter. Sie siedelte am 21. Januar 2000 nach Deutschland über, wo sie als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetztes – BVFG - anerkannt wurde. Mit Rentenbescheid vom 18. Januar 2001 wurde ihr Altersrente für Frauen auf der Grundlage von 25 Entgeltpunkten seit dem 1. Februar 2000 gewährt.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 erkannte die Beklagte einen Anspruch auf Witwenrente dem Grunde nach an. Sie führte aus, die Berechnung und Zahlung einer Witwenrente könne nicht erfolgen, weil ausschließlich Entgeltpunkte für rentenrechtliche Zeiten nach dem FRG ermittelt worden seien. Nach § 22b des Fremdrentengesetzes – FRG – würden für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für einen Berechtigten höchstens 25 Entgeltpunkte zugrunde gelegt. Diese würden bereits durch die Rente aus eigener Versicherung erreicht. Dieser Bescheid wurde bindend, ebenso wie ein die Rücknahme des Bescheides ablehnender Bescheid vom 24. Januar 2003.
Am 22. April 2004 beantragte die Klägerin "die Überprüfung des Rentenbescheides vom 24.01.2003 (Neufeststellung)". Sie verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R – und führte ergänzend aus, die Rechtslage sei seit 2001 höchstrichterlich geklärt. Sie sei mit Urteilen des BSG vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R, B 13 RJ 52/03 R, B 13 RJ 53/03 R, B 13 RJ 56/03 R – erneut bestätigt worden. Auch die unteren Gerichte folgten dieser Auffassung (Hinweis auf Sozialgericht – SG - Freiburg, Urteil vom 19. November 2002 - RA 3558/99 – (vollständiges Aktenzeichen nicht ermittelbar); SG Karlsruhe, Urteile vom 11. Februar 2003 – S 2 RA 4039/03 – und vom 28. April 2003 - S 14 RJ 3205/02 -; SG Dortmund, Urteil vom 11. Juni 2003 - S 2 RJ 106/02 -; Landessozialgericht – LSG - Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Juli 2003 - L 13 RA 525/03 -).
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2004 / Widerspruchsbescheid vom 20. August 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, sie folge der Auslegung des BSG nicht. Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Zweck und Funktion des § 22b FRG gelte die Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte auch, wenn neben einer Rente aus eigener Versicherung noch Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente bestehe.
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben (eingegangen am 6. September 2004) und vorgetragen, weder nach altem noch nach neuem Recht gebe es eine gesetzliche Grundlage für die Begrenzung der beiden ihr zustehenden Renten auf 25 Entgeltpunkte. Die geänderte Fassung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG sei nach § 300 Abs. 1 und 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI - nicht anzuwenden, weil die alte Fassung erst mit der Verkündung des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) vom 21. Juli 2004 aufgehoben worden sei.
Unabhängig davon finde § 22b FRG neue Fassung - n.F. - hier keine Anwendung, weil die Vorschrift verfassungswidrig sei. Es sei rechtswidrig, dass sie rückwirkend zum 7. Mai 1996 in Kraft trete. Der Regelungsgehalt einer Vorschrift bestimme sich nach seinem objektiven Normverständnis (Hinweis auf BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 -). Der Gesetzgeber könne daher nicht (rückwirkend) "klarstellend" bestimmen, wie eine Norm zu interpretieren sei. Dies obliege allein der Rechtsprechung. Die Anwendung von § 22 FRG n.F. verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die vom Bundesverfassungsgericht zur Rückwirkung von Gesetzen ergangenen Entscheidungen, weil es sich bei der durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz eingeführten Norm gerade nicht um eine Klarstellung, sondern um eine Neufassung des § 22b FRG handele.
Der Anspruch werde auch als Herstellungsanspruch geltend gemacht. Der Anspruch auf große Witwenrente sei anerkannt und bewilligt worden. Damit sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Witwenrente auszubezahlen. Sie habe diese Rente nicht einbehalten und die Gesetzesänderung abwarten dürfen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. April 2005 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid vom 24. Januar 2003 sei nicht unrichtig gewesen. Die Rückwirkung der Neufassung des § 22b FRG n.F. sei ausnahmsweise gerechtfertigt, weil er eine bestehende Rechtslage nicht geändert habe. Entgegen der Auffassung des BSG sei auch die alte Fassung dahingehend auszulegen, dass sie auch bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente anwendbar gewesen sei. Dies ergebe sich bei einer Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik.
Gegen das der Klägerin am 15. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 13. Mai 2005 eingegangene Berufung. § 22b FRG alte Fassung - a.F. - sei keineswegs so auszulegen gewesen, wie es das Sozialgericht getan habe. Diese Vorschrift sei nicht anwendbar gewesen, wenn eine Rente aus eigener Versicherung mit einem Hinterbliebenenrentenanspruch zusammengetroffen sei. Daran ändere auch die Neufassung des § 22b FRG durch das RV-Nachhal-tigkeitsgesetz nichts. Sie sei auf die Ansprüche der Klägerin nicht anzuwenden. Die Rückwirkung der Rechtsänderung verstoße gegen Art. 20 des Grundgesetzes – GG -. Eine derartig weitreichende Rückwirkung sei mit dem GG nur vereinbar, wenn überwiegende Grundsätze des Gemeinwohls der Auszahlung von Hinterbliebenenrenten zusätzlich zu Ansprüchen auf Altersrente entgegenstünden. Dafür reiche nicht aus, dass die Rentenversicherungsträger sparen wollten. Spätestens seit dem Urteil des BSG vom 30. August 2001 habe Rechtssicherheit bestanden und die Betroffenen hätten darauf vertrauen dürfen, dass ihnen Hinterbliebenenrente zustehe. Die Rückwirkung sei so unverhältnismäßig, dass andere Belange, wie die, eine unklare und verworrene Rechtslage zu beseitigen, dahinter zurückstehen müssten. Mindestens für die Zeit vor Inkraftsetzung der Neufassung müsse es bei der Anwendung der ursprünglichen Norm bleiben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2004 aufzuheben und diese zu verurteilen, den Bescheid vom 6. Februar 2001 teilweise zurückzunehmen und ihr seit dem 1. Februar 2000 neben ihrer eigenen Rente Witwenrente nach dem verstorbenen D A ohne Begrenzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Akten des Sozialgerichts Berlin – S 6 RA 5123/04 – und die Akten der Beklagten - - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. April 2005 ist zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Rücknahme des Bescheides vom 6. Februar 2001 und auf die Gewährung von Witwenrente.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Anspruch ist § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X -. Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsaktes anwendbaren Recht. Der hier maßgebliche Verwaltungsakt wurde am 6. Februar 2001 erlassen. Mit dem Verwaltungsakt vom 24. Januar 2003 wurde lediglich die Rücknahme dieses Bescheides abgelehnt. Die Klägerin will aber mit der Rücknahme erreichen, dass die Ablehnung des Auszahlungsanspruchs zurückgenommen wird. Das ist nur dann unmittelbar zu erreichen, wenn der Bescheid vom 6. Februar 2001 überprüft wird.
Zur Zeit des Erlasses des Bescheides vom 6. Februar 2001 war § 22b Abs. 1 FRG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung - WFG - vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461), ergänzt um Satz 3 durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung -RRG 1999 - vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) anwendbar.
Ob sich aus § 22 b Abs. 1 FRG a.F. ergibt, dass bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung sowie einer Hinterbliebenenrente eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen ist (so die Auffassung der Beklagten sowie zahlreicher Sozial- und Landessozialgerichte, nur beispielhaft seien erwähnt: SG Mannheim vom 27. November 2002 – S 9 RJ 2074/02 –, SG Berlin vom 29. März 2004 - S 18 KN 25/03 -, LSG Schleswig-Holstein vom 12. Dezember 2002 – L 5 KN 2/02 –, LSG Baden-Württemberg vom 3. Oktober 2003 – L 3 RJ 2485/03 –, LSG Berlin vom 17. September 2004 –L 5 RJ 23/04 –, alle veröffentlicht in juris) oder ob eine solche Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte dieser Vorschrift nicht zu entnehmen ist (so der 4., 13. und 8. Senat des BSG in ihren Urteilen vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 2, vom 11. März 2004 - B 13 RJ 44/03 R - in SozR 4-5050 § 22b Nr. 1 und vom 07. Juli 2004 - B 8 KN 10/03 R - in SozR 4-5050 § 22b Nr. 2), kann letztlich dahingestellt bleiben, weil die weitere Voraussetzung des § 44 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt ist. Denn es sind der Klägerin Sozialleistungen nicht zu Unrecht vorenthalten worden. Der Senat folgt damit der Auffassung des 8. und 5. Senats des BSG in ihren Urteilen vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R, veröffentlicht in juris) und vom 5. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R und B 5 RJ 39/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de), der er sich nach eigener Überprüfung anschließt.
Die Frage, inwieweit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden, beurteilt sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Recht, also nach § 22b Abs. 1 FRG in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes. Denn für den mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch auf Erlass eines Zugunsten-Bescheides nach § 44 SGB X gilt nichts anderes als für eine sonstige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Bei dieser ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, nach welchem Recht die Begründetheit eines Anspruches zu prüfen ist, grundsätzlich die letzte mündliche Verhandlung. Daher sind Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des Rechtsstreits eintreten, zu beachten, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. BSG vom 25. Oktober 1984 – 11 RAz 3/83 in SozR 3-1300 § 44 Nr. 13, BSG vom 13. September 1994 - 5 RJ 30/93 –, BSG vom 2. Juli 1997 – 9 RVs 9/96 –, die beiden zuletzt genannten Urteile veröffentlicht in juris, Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X § 44 Rdz. 8).
Da § 22b Abs. 1 FRG rückwirkend zum 7. Mai 1996 geändert wurde, ist die neue Fassung zu beachten. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des neuen Rechts im vorliegenden Fall ausschließen könnte, liegt nicht vor. Der rückwirkenden Anwendung steht insbesondere nicht § 300 SGB VI entgegen (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R – a.a.O.).
Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG einzubeziehen. Mit dem WFG wurde ein Systemwechsel von dem das frühere FRG beherrschenden Eingliederungsprinzip zu Rentenleistungen, die nur noch an der Höhe der Eingliederungshilfe orientiert sind, vollzogen. Dies stellt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Hinterbliebenen dar, deren Ehegatten ihr Berufsleben in Deutschland verbracht haben. Während die den Spätaussiedlern gewährten Renten aus dem Sozialstaatsprinzip folgen (Fürsorgeleistungen), beruhen die Hinterbliebenenrenten nach Ehegatten, die in der deutschen Rentenversicherung versichert gewesen sind, auf deren Beiträgen. Es ist sachgerecht nach diesem Kriterium zu differenzieren. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Spätaussiedler ist nicht ersichtlich (vgl. BSG vom 30. August 2001 – B 4 RA 87/00 R – SozR 3-5050 § 22 b Nr. 1, BSG vom 3. Juni 2002 – B 5 RJ 22/01 R – SozR 3-5050 § 22b Nr. 3 und BSG vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – BSGE 93, 15).
§ 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. verstößt auch nicht gegen die Verfassung, soweit darin eine rückwirkende Rechtsänderung enthalten ist, denn aufgrund der unklaren Rechtslage konnte sich bei der Klägerin kein schutzwürdiges Vertrauen bilden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht – BVerfG – entwickelten Rechtsprechung zur Rückwirkung von Gesetzen handelt es sich vorliegend um eine so genannte echte Rückwirkung, da die Rechtsfolgen der Neufassung von § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend ab 7. Mai 1996 eintreten. Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Denn das Verbot rückwirkend belastender Gesetze folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes. Zu dessen wesentlichen Elementen gehört die Rechtsicherheit, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht. Das BVerfG hat jedoch verschiedene Ausnahmefälle benannt. Den entwickelten Ausnahmen ist zu entnehmen, dass eine Durchbrechung des Rückwirkungsgebotes aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls oder dann zulässig und geboten ist, wenn sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen nicht bilden konnte. Hierzu gehört der Fall, dass die geltende Rechtslage unklar und verworren ist, so dass eine baldige Klärung erwartet werden muss (BVerfG vom 17. Januar 1979 – 1 BvR 446/77 – in SozR 3-5750 Art. 2 § 9 a Nr. 8).
Letzteres ist hier der Fall. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt konnte sich vorliegend bei der Klägerin nicht bilden, denn die Rechtslage zu § 22 Abs.1 Satz 1 FRG alter Fassung war unklar und verworren. Nachdem die Sozial- und Landessozialgerichte zunächst der Auffassung der Beklagten zu § 22 b FRG a.F. Fassung folgten und eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte bei einem Zusammentreffen von eigener Rente und einer Hinterbliebenenrente für zulässig hielten, vertrat der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 30. August 2001 (a.a.O.) eine andere Auffassung. Eine Klärung erfolgte letztlich aber auch noch nicht durch diese höchstrichterliche Entscheidung, denn zahlreiche Sozial- und Landessozialgerichte folgten dieser Entscheidung nicht. Auch die Rentenversicherungsträger verabredeten, ihr nicht zu folgen. Ob durch die folgenden Entscheidungen des 13. Senats vom 11. März 2004 (B 13 RJ 44/03 R a.a.O.) sowie des 8. Senats vom 7. Juni 2004 (B 8 KN 10/03 R a.a.O.) davon auszugehen gewesen wäre, dass die Betroffenen auf eine bestimmte Interpretation des Gesetzes vertrauen dürfen, kann letztlich dahin gestellt bleiben, denn bereits am 11. März 2004 wurde das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen (siehe Bundesratsdrucksache 191/04). Von diesem Zeitpunkt an hatten die Betroffenen Kenntnis von der beabsichtigten Änderung der Rechtslage, so dass sich auch durch die Entscheidungen des 8. und 13. Senats kein Vertrauen in die Rechtslage ergeben konnte. Selbst wenn ein berechtigtes Vertrauen bis zu diesem Zeitpunkt unterstellt würde, entfiele dieses, denn die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist nicht mehr möglich, wenn mit der Änderung einer Rechtslage gerechnet werden muss. Letzteres ist regelmäßig ab dem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung der Fall. Damit entfällt dann auch ein zu dem Zeitpunkt bereits vorhandenes berechtigtes Vertrauen in die alte Rechtslage (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R – a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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