Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 626/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 357/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.08.2005 in Ziffer III des Tenors aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des alkoholabhängigen Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 15.09.2003.
Der 1963 geborene Kläger bezog bis 04.10.1994 Arbeitslosengeld (Alg) und seit 05.10.1994 - unterbrochen durch ein 10-wöchiges Arbeitsverhältnis mit anschließendem Krankengeldbezug und einer nicht nachgewiesenen Zeit vom 11.01.1996 bis 29.10.1996 - Alhi.
Anlässlich eines Freizeitunfalls, bei dem sich der Kläger am linken Ellenbogen verletzte, wurde dieser erstmals am 18.05.1995 vom ärztlichen Dienst der Beklagten untersucht. Dr.med.E.G. , Ärztin für Arbeitsmedizin, stellte fest, dass der Kläger den erlernten Beruf eines Maurers nur noch mit Einschränkungen ausüben könne. Wegen der daneben bestehenden Alkoholproblematik (Alkoholmissbrauch) seien Tätigkeiten mit Eigen- und Fremdgefährdung auszuschließen. Für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch noch vollschichtige Belastbarkeit.
Im Dezember 1998 befand sich der Kläger stationär in der Bezirksklinik R. , Fachkrankenhaus für Psychiatrie, zur körperlichen Entgiftung. Die Klinik diagnostizierte Alkoholabhängigkeit bei bekanntem Drogenabusus sowie ein symptomatisches cerebrales Anfallsleiden.
Am 16.04.1999 wurde der Kläger erneut durch Dr.G. untersucht und begutachtet. Die Ärztin ging weiterhin von vollschichtiger Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten mit den üblichen Einschränkungen für Alkoholabhängige aus (Gutachten vom 19.04.1999). In einem weiteren Gutachten vom 09.09.2003 hielt Dr.G. den Kläger wegen der seit der Vorbegutachtung "deutlich zugespitzten Alkoholproblematik" nicht mehr für irgendwelche berufliche Tätigkeiten belastbar. Er könne täglich nur weniger als 3 Stunden bzw wöchentlich weniger als 15 Stunden tätig sein.
Am 15.09.2003 wurde dem Kläger dieses Gutachten persönlich eröffnet und ihm die rechtlichen Folgen erläutert. Mit Bescheid vom 15.09.2003 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi mit Wirkung vom 15.09.2003 auf, weil der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes bis zu 6 Monaten nicht leistungs- und somit auch nicht arbeitsfähig sei. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.11.2003 zurück. Es sei kein sog. Nahtlosigkeitsfall gegeben, da im Falle einer Behandlung der Alkoholkrankheit eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb von 6 Monaten erwartet werden könne.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Dieses hat Befundberichte des Hausarztes Dr.H. vom 21.07.2004 (Einschränkungen im linken Ellenbogen, Verdacht auf nutr. tox. Leberparenchymschaden) und des Orthopäden Dr.Z. vom 13.07.2004 (Funktionsstörungen der HWS und BWS) beigezogen sowie ein Gutachten des Dr.med.B. R. , Facharzt für Psychiatrie (Weiden), vom 08.11.2004/14.02.2005 eingeholt. Der Gutachter fand Symptome, die auf eine Leberparenchymschädigung hinwiesen (Vergrößerung der Leber iS einer Fettleber), ohne dass es bisher zu einer schwerwiegenden Stoffwechselsfunktionsstörung gekommen sei. Der Sachverständige äußerte Zweifel an einer Kompensation des Alkohols trotz Entgiftungsbehandlung. Einige Anzeichen sprächen für ein mildes Entzugssyndrom. Alkoholabhängigkeit sei jedoch spätestens seit der stationären Behandlung im Bezirkskrankenhaus R. als gegeben anzusehen. Für diese Annahme sprächen auch die Angaben des Klägers zu seinem Konsumverhalten, weil die maßgebliche Kriterien einer manifesten Abhängigkeit (Abstinenzunfähigkeit, Entzugserscheinung bei Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, massiver Alkoholkonsum) vorlägen. In psychischer Hinsicht habe der Kläger jedoch noch keine erkennbaren Folgeschäden davongetragen (keine Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung iS einer kognitiven Störung oder Demenz). Auch für psychowertige Störungen ergäben sich keine Anzeichen. Unter der Voraussetzung, dass der Kläger tatsächlich nur vier Glas Bier/Tag trinke, hielt der Sachverständige den Kläger noch für fähig, vollschichtig mittelschwere Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Vermieden werden sollten Arbeiten mit andauernden Zwangshaltungen, besonderer Belastung des linken Armes, Tätigkeiten mit besonderen Ansprüchen an das Reaktionsvermögen, auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.08.2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger über den 14.09.2003 hinaus Alhi zu gewähren. Dieser sei zum streitigen Zeitpunkt in der Lage gewesen, regelmäßig mit gewissen Einschränkungen auf den für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt vollschichtig tätig zu sein. Die Tatsache der Alkoholabhängigkeit führe nicht automatisch zur Verneinung von Arbeitsfähigkeit. Es sei vielmehr das individuelle Leistungsvermögen zu bestimmen. Vorliegend habe die Alkoholkrankheit beim Kläger noch keine bedeutsame psychische oder physische Schädigung hervorgerufen. Die Beklagte selbst habe in der Vergangenheit trotz der bekannten Alkoholabhängigkeit Verfügbarkeit angenommen. In der Arbeitswelt sei eine nicht unbeträchtliche Zahl von Suchtkranken, insbesondere von Alkoholikern, tätig. Wenn die Beklagte Leistungsunfähigkeit annehme, sei sie zumindest zur Zahlung von Alhi aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung verpflichtet, denn es habe nicht von einer erfolgreichen Therapie innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten ausgegangen werden können.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Nach dem Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 09.09.2003 habe sich die Alkoholerkrankung zugespitzt, so dass beim Kläger wegen der Alkoholabhängigkeit lediglich eine Leistungsfähigkeit von unter 3 Stunden täglich/15 Stunden wöchentlich vorgelegen habe. Daher habe ein Anspruch auf Alhi wegen fehlender Arbeitsfähigkeit nicht mehr bestanden. Zu bedenken sei, dass sich die Alkoholabhängigkeit (in Abgrenzung zum Alkoholmissbrauch) dadurch auszeichne, dass eine Erkrankung vorliege, aufgrund derer der Betroffene zu einer Kontrolle seines Alkoholkonsums nicht mehr in der Lage sei. Zudem würden bereits Entzugserscheinungen sichtbar. Bereits aus Gründen des Unfallschutzes sei es in der Regel verboten, Alkohol während der Arbeitszeit zu konsumieren oder gar alkoholisiert zu arbeiten. Wenn aber ein Alkoholabhängiger keine Kontrolle über sein Konsumverhalten mehr habe und eine Alkoholabstinenz nach dem Krankheitsbild nicht möglich sei, könnten diese grundlegenden Verhaltenspflichten, die sich aus jedem Arbeitsvertrag ergäben, nicht eingehalten werden. Unter Berücksichtigung derartiger Gesundheitsstörungen könne angesichts der erheblichen Gefahren, die damit verbunden seien, eine Vermittlung nicht erfolgen und auch nicht die Verantwortung gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber übernommen werden. Entgegen der vom erstinstanzlichen Gericht geäußerten Ansicht sei auch nicht ein sog. Nahtlosigkeitsfall anzunehmen. Der vom SG bestellte Gutachter gehe nämlich davon aus, dass die erforderliche Behandlung des Klägers innerhalb von vier bis sechs Monaten beendet werden könne.
Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er habe über den 14.09.2003 hinaus Anspruch auf Alhi, denn er sei arbeitsfähig gewesen und habe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden. Nach dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr.R. bedingten seine Gesundheitsstörungen zwar Leistungseinschränkungen qualitativer Art. Dies bedeute aber nicht, dass ihm der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei. Der Sachverständige bestätige ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten. Die Auffassung der Beklagten, bereits das Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms sei ein ausreichendes Kriterium für die Beurteilung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens, bedeute eine unzulässige Abkehr vom Prinzip der Funktionsbegutachtung in der gesetzlichen Sozialversicherung. Im Übrigen sei das SG gerade nicht von einem Nahtlosigkeitsfall ausgegangen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Gemäß § 105 Abs 2 SGG ist Berufung gegen einen Gerichtsbescheid statthaft.
Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel, ob das SG durch Gerichtsbescheid und damit nicht aufgrund der grundsätzlich erforderlichen mündlichen Verhandlung entscheiden durfte. Nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGG kann durch Gerichtsbescheid nur entschieden werden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Bestimmung ist dazu gedacht, tatsächlich und rechtlich einfach gelagerte Fälle zügig zu entscheiden und die erste Instanz zu entlasten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.11.1999 - L 4 RJ 158/99). Bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art steht dem SG ein Ermessenspielraum zu (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 8. Auflage § 105 RdNr 9). Im vorliegenden Fall hätte das SG besondere Schwierigkeiten bereits deshalb annehmen müssen, weil das Ausmaß des tatsächlichen Alkoholkonsums des Klägers auch nach der Begutachtung durch Dr.R. besonderer Beweiswürdigung bedurfte und der Frage, wie Verfügbarkeit bei sicherer Diagnose einer Alkoholabhängigkeit zu beurteilen ist, grundsätzliche Bedeutung zukommen kann (Leitherer aaO § 105 RdNr 6). Trotzdem musste der Senat die Sache nicht zwingend an das Sozialgericht zurückverweisen (§ 159 Abs 1 Nr 2 SGG), sondern er konnte selbst entscheiden (BSGE 88, 274; vgl auch Bayer. Landessozialgericht Urteil vom 25.06.2004 - L 18 V 8/04 - Breithaupt 2005, 221).
Die Berufung der Beklagten ist in der Hauptsache begründet, denn das SG hat den Bescheid vom 15.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2003 zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte zu Unrecht über den 14.09.2003 hinaus zur Gewährung von Alhi verurteilt.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist § 48 Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Wesentlich ist eine Änderung, wenn der Verwaltungsakt unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen von der Behörde nicht hätte erlassen werden dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 19), die Änderung mithin rechtserheblich ist. Welche Änderungen wesentlich sind, ist daher nach dem jeweiligen Leistungsrecht zu beurteilen (Niesel SGB III 3. Auflage § 330 RdNr 40). Eine wesentliche Änderung ist entgegen der Auffassung der Beklagten ab 15.09.2003 nicht eingetreten.
Gemäß § 198 Satz 2 Nr 1 SGB III fanden die Alg-Vorschriften (§§ 118 bis 121 SGB III) auf die Alhi entsprechende Anwendung. Nach § 118 Abs 1 Nrn 1, 2 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche). Eine Beschäftigung sucht, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der AA zur Verfügung steht (§ 119 Abs 1 Nrn 1, 2 SGB III). Den Vermittlungsbemühungen der AA steht zur Verfügung, wer arbeitsfähig ist und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilnehmen und Vorschlägen der AA zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs 3 SGB III).
Nach Ansicht der Beklagten soll Arbeitsfähigkeit des Klägers im genannten Sinne ab 15.09.2003 nicht mehr vorgelegen haben. Zwar ist es zutreffend, dass ein Arbeitsloser eine Beschäftigung nur aufnehmen kann, wenn er hierzu geistig und körperlich in der Lage ist. Das objektive Tatbestandsmerkmal "können" umfasst u.a. auch den Gesundheitszustand des Arbeitslosen (Brand in Niesel aaO § 119 Rdnr 28). Im Gesundheitszustand des Klägers ist jedoch gegenüber den Befunden, die der Alhi-Bewilligung zugrunde lagen, keine wesentliche Änderung iS § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten.
Bereits seit der stationären Behandlung in der Bezirksklinik R. vom 11.12.1998 bis 28.12.1998 (körperliche Entgiftung) musste von einer gesicherten Alkoholabhängigkeit des Klägers ausgegangen werden. Diese Diagnose ist dem Entlassungsbericht der Klinik vom 17.02.1999 zu entnehmen. Der Kläger litt bei Aufnahme unter deutlichen Entzugserscheinungen, zeigte aber keinerlei Interesse, sich tiefergehend mit seinen Problemen zu befassen. Er bezeichnete sich selbst als "Spiegeltrinker", der trinke, um Entzugserscheinungen (Übelkeit, Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Erbrechen) abzumildern. Im Alkoholentzug kam es auch zu cerebralen Krampfanfällen. Der vom SG gehörte Sachverständige Dr.R. bestätigte in seinem Gutachten die Diagnose der Bezirksklinik R ...
Dr.G. vom ärztlichen Dienst der Beklagten ging im Gutachten vom 19.04.1999 ebenfalls von Alkoholabhängigkeit des Klägers aus, hielt diesen aber "mit den üblichen Einschränkungen für Alkoholabhängige" weiterhin für leichte Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar. Am 09.09.2003 beurteilte diese Sachverständige die Alkoholproblematik als "weiter zugespitzt" und diagnostizierte einen Alkoholmissbrauch bei bekannter Alkoholabhängigkeit. Zwar würde die von ihr nunmehr gesehene Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf 3 Stunden/Tag grundsätzlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X darstellen, wenn dieser Einschätzung gefolgt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall.
So schloss Dr.R. aufgrund seiner neurologischen Untersuchung des Klägers vom 05.11.2004 ein cerebrales Anfallsleiden aus. Hinweise für eine Schädigung des zentralen Nervensystems fanden sich nicht. Zentral zuordenbare Paresen, Sensibilitätsstörungen oder Koordinationsdefizite konnte er nicht objektivieren. Auch lag eine Beeinträchtigung der Feinmotorik oder von Sinnesleistungen nicht vor. Neuropsychologische Defizite bestanden nicht. Über sensible Reizerscheinungen im Bereich der linken Hand hinaus (Folgen der Ellenbogenfraktur) ergaben sich keine Hinweise für weitere Schädigungen des peripheren Nervensystems. Es bestand keine äthyltoxische Polyneuropathie. Der Lagesinn war in Takt.
Auch in psychischer Hinsicht wies der Kläger trotz des Alkoholkonsums keine erkennbaren Folgeschäden auf. Die Exploration ergab keine Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung iS einer kognitiven Störung oder gar Demenz. Auch für psychowertige Störungen, die im Zusammenhang mit Alkoholkonsum oft auftreten (Haluzinatose etc), ergab sich kein Anhalt. Das intellektuelle Niveau des Klägers hielt der Sachverständige für mindestens durchschnittlich. Es fanden sich keine Hinweise für das Bestehen einer ernsthaften endogenen psychischen Erkrankung oder für schwerwiegende neurotische Symptome.
Der Sachverständige gelangte zum zweifelsfreien Ergebnis, dass der Kläger weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht durch den Substanzkonsum als bedeutsam vorgeschädigt angesehen werden kann. Dr.R. schloss sich daher der Beurteilung der Dr.G. vom 09.09.2003, der Kläger sei für berufliche Tätigkeiten nicht mehr belastbar, ausdrücklich nicht an. Er sah vielmehr keine zeitlich eingeschränkte Belastbarkeit.
Mit der auch durch Dr.R. bestätigten Alkoholabhängigkeit allein kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ab 15.09.2003 nicht begründet werden. Die Kriterien der Einordnung nach dem international gebräuchlichen psychiatrischen Klassifizierungssystem "International Classification of deceases" (ICD-10) erfüllte der Kläger nämlich bereits seit seinem Aufenthalt in der Bezirksklinik R. im Jahr 1998 (vgl zB Alkohol und Straßenverkehr, Faktensammlung, Herausgeber Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. Bonn 1999 S.22). Auch Dr.G. hat beim Kläger schon im Gutachten vom 19.04.1999 Alkoholabhängigkeit angenommen.
Hieraus ergibt sich, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS einer Verschlechterung im Gesundheitszustand und damit in der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht eingetreten ist, so dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Alhi-Bewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ab 15.09.2003 nicht vorlagen. Der Senat hatte vorliegend nicht darüber zu befinden, ob bereits die sichere Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nach ICD-10 eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens bedeutet (ablehnend zB LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2002 - L 3 AL 39/01 -).
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.08.2005 war daher in der Hauptsache zurückzuweisen.
Allerdings hat das SG hat der Beklagten zu Unrecht Kosten gemäß § 192 SGG auferlegt.
Das SG kann einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die u.a. dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist (§ 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG).
Das Verhalten der Beklagten kann jedoch nicht als missbräuchlich im genannten Sinne gewertet werden. Zwar hat die Beklagte trotz der Hinweise des Vorsitzenden im Erörterungstermin vom 03.05.2005, es gäbe weder medizinische Belege noch lägen in der Rechtsprechung Anhaltspunkte für den von der Beklagten aufgestellten Grundsatz, Alkoholabhängigkeit bedinge bereits Leistungsunfähigkeit, vor, noch könne vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer entsprechenden Therapie innerhalb von 6 Monaten seine Leistungsfähigkeit wieder erlangen werde, kein Anerkenntnis abgegeben.
Hierin liegt aber noch keine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung, weil die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme ihres Lt. Arztes Dr.O. vom 06.06.2005 davon ausgehen durfte, dass der Sachverhalt besonderer Beweiswürdigung bedurfte bzw der Streitsache grundsätzliche Bedeutung zukam. Von einer Uneinsichtigkeit der Beklagten, die ein besonders hohes Maß erreicht hatte, kann mithin nicht die Rede sein.
Der angefochtene Gerichtsbescheid war daher in Ziffer III des Tenors aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des alkoholabhängigen Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 15.09.2003.
Der 1963 geborene Kläger bezog bis 04.10.1994 Arbeitslosengeld (Alg) und seit 05.10.1994 - unterbrochen durch ein 10-wöchiges Arbeitsverhältnis mit anschließendem Krankengeldbezug und einer nicht nachgewiesenen Zeit vom 11.01.1996 bis 29.10.1996 - Alhi.
Anlässlich eines Freizeitunfalls, bei dem sich der Kläger am linken Ellenbogen verletzte, wurde dieser erstmals am 18.05.1995 vom ärztlichen Dienst der Beklagten untersucht. Dr.med.E.G. , Ärztin für Arbeitsmedizin, stellte fest, dass der Kläger den erlernten Beruf eines Maurers nur noch mit Einschränkungen ausüben könne. Wegen der daneben bestehenden Alkoholproblematik (Alkoholmissbrauch) seien Tätigkeiten mit Eigen- und Fremdgefährdung auszuschließen. Für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe jedoch noch vollschichtige Belastbarkeit.
Im Dezember 1998 befand sich der Kläger stationär in der Bezirksklinik R. , Fachkrankenhaus für Psychiatrie, zur körperlichen Entgiftung. Die Klinik diagnostizierte Alkoholabhängigkeit bei bekanntem Drogenabusus sowie ein symptomatisches cerebrales Anfallsleiden.
Am 16.04.1999 wurde der Kläger erneut durch Dr.G. untersucht und begutachtet. Die Ärztin ging weiterhin von vollschichtiger Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten mit den üblichen Einschränkungen für Alkoholabhängige aus (Gutachten vom 19.04.1999). In einem weiteren Gutachten vom 09.09.2003 hielt Dr.G. den Kläger wegen der seit der Vorbegutachtung "deutlich zugespitzten Alkoholproblematik" nicht mehr für irgendwelche berufliche Tätigkeiten belastbar. Er könne täglich nur weniger als 3 Stunden bzw wöchentlich weniger als 15 Stunden tätig sein.
Am 15.09.2003 wurde dem Kläger dieses Gutachten persönlich eröffnet und ihm die rechtlichen Folgen erläutert. Mit Bescheid vom 15.09.2003 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi mit Wirkung vom 15.09.2003 auf, weil der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes bis zu 6 Monaten nicht leistungs- und somit auch nicht arbeitsfähig sei. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.11.2003 zurück. Es sei kein sog. Nahtlosigkeitsfall gegeben, da im Falle einer Behandlung der Alkoholkrankheit eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb von 6 Monaten erwartet werden könne.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Dieses hat Befundberichte des Hausarztes Dr.H. vom 21.07.2004 (Einschränkungen im linken Ellenbogen, Verdacht auf nutr. tox. Leberparenchymschaden) und des Orthopäden Dr.Z. vom 13.07.2004 (Funktionsstörungen der HWS und BWS) beigezogen sowie ein Gutachten des Dr.med.B. R. , Facharzt für Psychiatrie (Weiden), vom 08.11.2004/14.02.2005 eingeholt. Der Gutachter fand Symptome, die auf eine Leberparenchymschädigung hinwiesen (Vergrößerung der Leber iS einer Fettleber), ohne dass es bisher zu einer schwerwiegenden Stoffwechselsfunktionsstörung gekommen sei. Der Sachverständige äußerte Zweifel an einer Kompensation des Alkohols trotz Entgiftungsbehandlung. Einige Anzeichen sprächen für ein mildes Entzugssyndrom. Alkoholabhängigkeit sei jedoch spätestens seit der stationären Behandlung im Bezirkskrankenhaus R. als gegeben anzusehen. Für diese Annahme sprächen auch die Angaben des Klägers zu seinem Konsumverhalten, weil die maßgebliche Kriterien einer manifesten Abhängigkeit (Abstinenzunfähigkeit, Entzugserscheinung bei Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, massiver Alkoholkonsum) vorlägen. In psychischer Hinsicht habe der Kläger jedoch noch keine erkennbaren Folgeschäden davongetragen (keine Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung iS einer kognitiven Störung oder Demenz). Auch für psychowertige Störungen ergäben sich keine Anzeichen. Unter der Voraussetzung, dass der Kläger tatsächlich nur vier Glas Bier/Tag trinke, hielt der Sachverständige den Kläger noch für fähig, vollschichtig mittelschwere Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Vermieden werden sollten Arbeiten mit andauernden Zwangshaltungen, besonderer Belastung des linken Armes, Tätigkeiten mit besonderen Ansprüchen an das Reaktionsvermögen, auf Leitern und Gerüsten sowie an laufenden Maschinen.
Mit Gerichtsbescheid vom 09.08.2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger über den 14.09.2003 hinaus Alhi zu gewähren. Dieser sei zum streitigen Zeitpunkt in der Lage gewesen, regelmäßig mit gewissen Einschränkungen auf den für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt vollschichtig tätig zu sein. Die Tatsache der Alkoholabhängigkeit führe nicht automatisch zur Verneinung von Arbeitsfähigkeit. Es sei vielmehr das individuelle Leistungsvermögen zu bestimmen. Vorliegend habe die Alkoholkrankheit beim Kläger noch keine bedeutsame psychische oder physische Schädigung hervorgerufen. Die Beklagte selbst habe in der Vergangenheit trotz der bekannten Alkoholabhängigkeit Verfügbarkeit angenommen. In der Arbeitswelt sei eine nicht unbeträchtliche Zahl von Suchtkranken, insbesondere von Alkoholikern, tätig. Wenn die Beklagte Leistungsunfähigkeit annehme, sei sie zumindest zur Zahlung von Alhi aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung verpflichtet, denn es habe nicht von einer erfolgreichen Therapie innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten ausgegangen werden können.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Nach dem Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 09.09.2003 habe sich die Alkoholerkrankung zugespitzt, so dass beim Kläger wegen der Alkoholabhängigkeit lediglich eine Leistungsfähigkeit von unter 3 Stunden täglich/15 Stunden wöchentlich vorgelegen habe. Daher habe ein Anspruch auf Alhi wegen fehlender Arbeitsfähigkeit nicht mehr bestanden. Zu bedenken sei, dass sich die Alkoholabhängigkeit (in Abgrenzung zum Alkoholmissbrauch) dadurch auszeichne, dass eine Erkrankung vorliege, aufgrund derer der Betroffene zu einer Kontrolle seines Alkoholkonsums nicht mehr in der Lage sei. Zudem würden bereits Entzugserscheinungen sichtbar. Bereits aus Gründen des Unfallschutzes sei es in der Regel verboten, Alkohol während der Arbeitszeit zu konsumieren oder gar alkoholisiert zu arbeiten. Wenn aber ein Alkoholabhängiger keine Kontrolle über sein Konsumverhalten mehr habe und eine Alkoholabstinenz nach dem Krankheitsbild nicht möglich sei, könnten diese grundlegenden Verhaltenspflichten, die sich aus jedem Arbeitsvertrag ergäben, nicht eingehalten werden. Unter Berücksichtigung derartiger Gesundheitsstörungen könne angesichts der erheblichen Gefahren, die damit verbunden seien, eine Vermittlung nicht erfolgen und auch nicht die Verantwortung gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber übernommen werden. Entgegen der vom erstinstanzlichen Gericht geäußerten Ansicht sei auch nicht ein sog. Nahtlosigkeitsfall anzunehmen. Der vom SG bestellte Gutachter gehe nämlich davon aus, dass die erforderliche Behandlung des Klägers innerhalb von vier bis sechs Monaten beendet werden könne.
Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.08.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er habe über den 14.09.2003 hinaus Anspruch auf Alhi, denn er sei arbeitsfähig gewesen und habe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden. Nach dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr.R. bedingten seine Gesundheitsstörungen zwar Leistungseinschränkungen qualitativer Art. Dies bedeute aber nicht, dass ihm der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen sei. Der Sachverständige bestätige ein vollschichtiges Leistungsvermögen für mittelschwere Arbeiten. Die Auffassung der Beklagten, bereits das Vorliegen eines Abhängigkeitssyndroms sei ein ausreichendes Kriterium für die Beurteilung des qualitativen und quantitativen Leistungsvermögens, bedeute eine unzulässige Abkehr vom Prinzip der Funktionsbegutachtung in der gesetzlichen Sozialversicherung. Im Übrigen sei das SG gerade nicht von einem Nahtlosigkeitsfall ausgegangen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Gemäß § 105 Abs 2 SGG ist Berufung gegen einen Gerichtsbescheid statthaft.
Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel, ob das SG durch Gerichtsbescheid und damit nicht aufgrund der grundsätzlich erforderlichen mündlichen Verhandlung entscheiden durfte. Nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGG kann durch Gerichtsbescheid nur entschieden werden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Bestimmung ist dazu gedacht, tatsächlich und rechtlich einfach gelagerte Fälle zügig zu entscheiden und die erste Instanz zu entlasten (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.11.1999 - L 4 RJ 158/99). Bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art steht dem SG ein Ermessenspielraum zu (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 8. Auflage § 105 RdNr 9). Im vorliegenden Fall hätte das SG besondere Schwierigkeiten bereits deshalb annehmen müssen, weil das Ausmaß des tatsächlichen Alkoholkonsums des Klägers auch nach der Begutachtung durch Dr.R. besonderer Beweiswürdigung bedurfte und der Frage, wie Verfügbarkeit bei sicherer Diagnose einer Alkoholabhängigkeit zu beurteilen ist, grundsätzliche Bedeutung zukommen kann (Leitherer aaO § 105 RdNr 6). Trotzdem musste der Senat die Sache nicht zwingend an das Sozialgericht zurückverweisen (§ 159 Abs 1 Nr 2 SGG), sondern er konnte selbst entscheiden (BSGE 88, 274; vgl auch Bayer. Landessozialgericht Urteil vom 25.06.2004 - L 18 V 8/04 - Breithaupt 2005, 221).
Die Berufung der Beklagten ist in der Hauptsache begründet, denn das SG hat den Bescheid vom 15.09.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.11.2003 zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte zu Unrecht über den 14.09.2003 hinaus zur Gewährung von Alhi verurteilt.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist § 48 Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Nach dieser Bestimmung ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Wesentlich ist eine Änderung, wenn der Verwaltungsakt unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen von der Behörde nicht hätte erlassen werden dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr 19), die Änderung mithin rechtserheblich ist. Welche Änderungen wesentlich sind, ist daher nach dem jeweiligen Leistungsrecht zu beurteilen (Niesel SGB III 3. Auflage § 330 RdNr 40). Eine wesentliche Änderung ist entgegen der Auffassung der Beklagten ab 15.09.2003 nicht eingetreten.
Gemäß § 198 Satz 2 Nr 1 SGB III fanden die Alg-Vorschriften (§§ 118 bis 121 SGB III) auf die Alhi entsprechende Anwendung. Nach § 118 Abs 1 Nrn 1, 2 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche). Eine Beschäftigung sucht, wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der AA zur Verfügung steht (§ 119 Abs 1 Nrn 1, 2 SGB III). Den Vermittlungsbemühungen der AA steht zur Verfügung, wer arbeitsfähig ist und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilnehmen und Vorschlägen der AA zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs 3 SGB III).
Nach Ansicht der Beklagten soll Arbeitsfähigkeit des Klägers im genannten Sinne ab 15.09.2003 nicht mehr vorgelegen haben. Zwar ist es zutreffend, dass ein Arbeitsloser eine Beschäftigung nur aufnehmen kann, wenn er hierzu geistig und körperlich in der Lage ist. Das objektive Tatbestandsmerkmal "können" umfasst u.a. auch den Gesundheitszustand des Arbeitslosen (Brand in Niesel aaO § 119 Rdnr 28). Im Gesundheitszustand des Klägers ist jedoch gegenüber den Befunden, die der Alhi-Bewilligung zugrunde lagen, keine wesentliche Änderung iS § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten.
Bereits seit der stationären Behandlung in der Bezirksklinik R. vom 11.12.1998 bis 28.12.1998 (körperliche Entgiftung) musste von einer gesicherten Alkoholabhängigkeit des Klägers ausgegangen werden. Diese Diagnose ist dem Entlassungsbericht der Klinik vom 17.02.1999 zu entnehmen. Der Kläger litt bei Aufnahme unter deutlichen Entzugserscheinungen, zeigte aber keinerlei Interesse, sich tiefergehend mit seinen Problemen zu befassen. Er bezeichnete sich selbst als "Spiegeltrinker", der trinke, um Entzugserscheinungen (Übelkeit, Herzrasen, Schwitzen, Zittern, Erbrechen) abzumildern. Im Alkoholentzug kam es auch zu cerebralen Krampfanfällen. Der vom SG gehörte Sachverständige Dr.R. bestätigte in seinem Gutachten die Diagnose der Bezirksklinik R ...
Dr.G. vom ärztlichen Dienst der Beklagten ging im Gutachten vom 19.04.1999 ebenfalls von Alkoholabhängigkeit des Klägers aus, hielt diesen aber "mit den üblichen Einschränkungen für Alkoholabhängige" weiterhin für leichte Tätigkeiten vollschichtig einsetzbar. Am 09.09.2003 beurteilte diese Sachverständige die Alkoholproblematik als "weiter zugespitzt" und diagnostizierte einen Alkoholmissbrauch bei bekannter Alkoholabhängigkeit. Zwar würde die von ihr nunmehr gesehene Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf 3 Stunden/Tag grundsätzlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X darstellen, wenn dieser Einschätzung gefolgt werden könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall.
So schloss Dr.R. aufgrund seiner neurologischen Untersuchung des Klägers vom 05.11.2004 ein cerebrales Anfallsleiden aus. Hinweise für eine Schädigung des zentralen Nervensystems fanden sich nicht. Zentral zuordenbare Paresen, Sensibilitätsstörungen oder Koordinationsdefizite konnte er nicht objektivieren. Auch lag eine Beeinträchtigung der Feinmotorik oder von Sinnesleistungen nicht vor. Neuropsychologische Defizite bestanden nicht. Über sensible Reizerscheinungen im Bereich der linken Hand hinaus (Folgen der Ellenbogenfraktur) ergaben sich keine Hinweise für weitere Schädigungen des peripheren Nervensystems. Es bestand keine äthyltoxische Polyneuropathie. Der Lagesinn war in Takt.
Auch in psychischer Hinsicht wies der Kläger trotz des Alkoholkonsums keine erkennbaren Folgeschäden auf. Die Exploration ergab keine Hinweise für eine hirnorganische Beeinträchtigung iS einer kognitiven Störung oder gar Demenz. Auch für psychowertige Störungen, die im Zusammenhang mit Alkoholkonsum oft auftreten (Haluzinatose etc), ergab sich kein Anhalt. Das intellektuelle Niveau des Klägers hielt der Sachverständige für mindestens durchschnittlich. Es fanden sich keine Hinweise für das Bestehen einer ernsthaften endogenen psychischen Erkrankung oder für schwerwiegende neurotische Symptome.
Der Sachverständige gelangte zum zweifelsfreien Ergebnis, dass der Kläger weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht durch den Substanzkonsum als bedeutsam vorgeschädigt angesehen werden kann. Dr.R. schloss sich daher der Beurteilung der Dr.G. vom 09.09.2003, der Kläger sei für berufliche Tätigkeiten nicht mehr belastbar, ausdrücklich nicht an. Er sah vielmehr keine zeitlich eingeschränkte Belastbarkeit.
Mit der auch durch Dr.R. bestätigten Alkoholabhängigkeit allein kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ab 15.09.2003 nicht begründet werden. Die Kriterien der Einordnung nach dem international gebräuchlichen psychiatrischen Klassifizierungssystem "International Classification of deceases" (ICD-10) erfüllte der Kläger nämlich bereits seit seinem Aufenthalt in der Bezirksklinik R. im Jahr 1998 (vgl zB Alkohol und Straßenverkehr, Faktensammlung, Herausgeber Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. Bonn 1999 S.22). Auch Dr.G. hat beim Kläger schon im Gutachten vom 19.04.1999 Alkoholabhängigkeit angenommen.
Hieraus ergibt sich, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS einer Verschlechterung im Gesundheitszustand und damit in der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht eingetreten ist, so dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Alhi-Bewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ab 15.09.2003 nicht vorlagen. Der Senat hatte vorliegend nicht darüber zu befinden, ob bereits die sichere Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nach ICD-10 eine vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens bedeutet (ablehnend zB LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2002 - L 3 AL 39/01 -).
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.08.2005 war daher in der Hauptsache zurückzuweisen.
Allerdings hat das SG hat der Beklagten zu Unrecht Kosten gemäß § 192 SGG auferlegt.
Das SG kann einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die u.a. dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist (§ 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG).
Das Verhalten der Beklagten kann jedoch nicht als missbräuchlich im genannten Sinne gewertet werden. Zwar hat die Beklagte trotz der Hinweise des Vorsitzenden im Erörterungstermin vom 03.05.2005, es gäbe weder medizinische Belege noch lägen in der Rechtsprechung Anhaltspunkte für den von der Beklagten aufgestellten Grundsatz, Alkoholabhängigkeit bedinge bereits Leistungsunfähigkeit, vor, noch könne vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer entsprechenden Therapie innerhalb von 6 Monaten seine Leistungsfähigkeit wieder erlangen werde, kein Anerkenntnis abgegeben.
Hierin liegt aber noch keine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung, weil die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme ihres Lt. Arztes Dr.O. vom 06.06.2005 davon ausgehen durfte, dass der Sachverhalt besonderer Beweiswürdigung bedurfte bzw der Streitsache grundsätzliche Bedeutung zukam. Von einer Uneinsichtigkeit der Beklagten, die ein besonders hohes Maß erreicht hatte, kann mithin nicht die Rede sein.
Der angefochtene Gerichtsbescheid war daher in Ziffer III des Tenors aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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