Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 31/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 212/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 92/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die volle Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung.
Die 1970 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, leidet unter einem Zustand nach Tubenamputation rechts und Tubenpathologie links. Ihr sagte die Beklagte am 03.01.2005 zu, 50 % der Kosten für drei Behandlungsversuche der künstlichen Befruchtung zu übernehmen. Auf ihren Widerspruch vom 10.01.2005 wegen zu niedriger Kostenübernahme teilte die Beklagte der Klägerin am 11.01.2005 mit, wegen § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V sei ihr eine höhere Bezuschussung nicht möglich.
Dagegen hat die Klägerin am 31.01.2005 Klage erhoben, woraufhin die Beklagte am 08.03.2005 den Widerspruchsbescheid erließ; § 27a SGB V stelle eine abschließende Normierung dar. Der Klägerbevollmächtigte hat die Klage mit Schriftsatz vom 12. April 2005 umfassend begründet. Seines Erachtens sei die Begrenzung auf 50 % verfassungswidrig und stelle ein unzumutbares Sonderopfer zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die Neuregelung des § 27a SGB V verletze das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz, weil die 50 %ige Selbstbeteiligung ausschließlich Ehepartner mit Kinderwunsch treffe, nicht hingegen andere Patientengruppen. Zudem sei durch den Kostendruck das Risiko von Mehrlingsgeburten erhöht. Gegen das Diskriminierungsverbot aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz werde auch dadurch verstoßen, dass die Obergrenze der Selbstbeteiligung von 2 % des Jahreseinkommens nicht gelte. Durch die Reduktion der Kostenübernahme auf 50 % sei das Gleichbehandlungsgebot aus Art.3 Abs.1 GG verletzt, da sonst notwendige Behandlungen weiterhin zu 100 % übernommen würden. Die im Fall der Klägerin notwendige In-vitro-Fertilisation sei laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesfinanzhofs und des Bundessozialgerichts eine Heilbehandlung. Art.3 Abs.1 Grundgesetz sei auch dadurch verletzt, dass Besser- und Schlechterverdienende ungleich behandelt würden. § 27a Abs.3 SGB V verletzte auch das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Familiengründung aus Art.6 Grundgesetz und stelle einen Eingriff ohne besondere Legitimation dar, zumal die Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenversicherung durch fehlende Beitragszahler entstanden sei. Im Übrigen hätte der Eingriff milder ausgestaltet werden können, wie beispielsweise durch eine stufenweise reduzierte Kostenübernahme. § 27a Abs.3 SGB V verstoße schließlich auch gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Nachkommenschaft aus Art.2 Abs.1 Satz 1 i.V.m. Art.1 Abs.1 Grundgesetz. In vielen europäischen Rechtsordnungen werde dieses Recht auf Nachkommenschaft anerkannt und der Bundesfinanzhof habe festgestellt, dass das Recht, Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Angesichts des Würdegehalts und absoluten Schutzanspruchs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, gestärkt durch den Schutzanspruch aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz, bedürfe es einer umfassenden Interessenabwägung unter Anlegung eines strengen Maßstabes.
Demgegenüber hat die Beklagte darauf hingewiesen, dem Gesetzgeber stehe bei der medizinischen Versorgung ein weiter Gestaltungsspielraum offen. Der Gesetzgeber könne durchaus Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen.
Das Sozialgericht Nürnberg hat die Klage am 16.06.2005 abgewiesen. Es hat § 27a SGB V für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten und darauf hingewiesen, diese Norm knüpfe an einen eigenständigen Versicherungsfall unabhängig von einer Krankheit an. Die Maßnahmen des § 27a SGB V seien lediglich rechtstechnisch der Krankenbehandlung zugeordnet. Der in § 27a SGB V n.F. vorgesehene Anspruch erleichtere es, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Anspruch zu nehmen. Der Gesetzgeber habe durchaus die Möglichkeit, angesichts der beschränkten finanziellen Ressourcen Leistungen zu beschränken. Es sei auch nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, ihren Leistungskatalog für alle Zukunft unverändert beizubehalten oder allenfalls zu erweitern, um die in der Terminologie der Klägerin Schlechterverdienenden in ihren Lebensverhältnissen den Besserverdienenden anzunähern. Aus der Verfassung lasse sich auch nicht das Recht auf Nachkommenschaft ableiten. Die Klägerin selbst habe bestimmte politische Vorstellungen, wie der Verweis auf die Presseinformation von Wunschkind e.V. zeige. Sie verfolge Vereinsinteressen, um die Lobby zu stärken. Die Zielsetzung von Vereinen könne aber nicht dazu führen, dem Gesetzgeber seine politische Gestaltungsfreiheit zu nehmen.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 08.07.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.07.2005 Berufung eingelegt. Der Klägerbevollmächtigte hat eingewandt, der Gesetzgeber habe nicht seine politische, wohl aber seine rechtliche Gestaltungsfreiheit verletzt. Im Übrigen hat er die im Sozialgerichtsverfahren vorgetragenen Gründe wiederholt und hierauf Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 03.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die Kinderwunschbehandlung für drei Zyklen zu 100 % zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2005 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Nürnberg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2005 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 03.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2005. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die volle Kostenübernahme der geplanten drei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 (Bundgesetzblatt I 2190) begrenzt die Übernahmeverpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse auf 50 v.H. der Kosten. Diese Leistungsbeschränkung verletzt kein Verfassungsrecht.
Zutreffend hat das Sozialgericht Entwicklung und Normzweck des in § 27a SGB V enthaltenen Rahmenrechts dargestellt und Gründe für seine Verfassungskonformität genannt. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 SGG abgesehen.
§ 27a SGB V verletzt nicht das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz. Richtig ist, dass der Gesetzgeber Versicherten Heilbehandlung grundsätzlich zu 100 % als Sachleistung zur Verfügung stellt. Ausnahmen stellen Eigenbeteiligungen wie z.B. beim Zahnersatz, aber auch zunehmende Zuzahlungen dar. Die Reduzierung der Kostentragung für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung findet ihre Rechtfertigung darin, dass § 27a SGB V einen eigenständigen Versicherungsfall darstellt, der nicht auf einen einzelnen, von Unfruchtbarkeit betroffenen Versicherten abstellt, sondern auf die ungewollte Kinderlosigkeit des Ehepaars und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung. Vorausgesetzt wird allein, dass die vorgesehenen Maßnahmen zur Herbeiführung der gewünschten Schwangerschaft erforderlich und erfolgversprechend sind; nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bildet den Versicherungsfall (BSG SozR 3-2500 § 27a Nr.3 S.24). Vor diesem Hintergrund gelten die zu § 27 SGB V entwickelten Leistungsgrundsätze nicht. Im Sozialversicherungsrecht wird daher unterschieden zwischen den Leistungen der "normalen" Krankenbehandlung nach § 27 SGB V und den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, die in § 27a SGB V als eigenständiger Versicherungsfall geregelt sind und nur "rechtstechnisch" den Leistungen der Krankenbehandlung zugeordnet werden. Diese Unterscheidung erklärt auch, weshalb die ungewollte Kinderlosigkeit einer unverheirateten Frau keine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse begründet (BSG, Beschluss vom 7. Januar 2005, Az.: B 1 KR 93/03 B). § 27a SGB V stellt sich also als Begünstigung von Ehepaaren dar, die sich aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz ergibt. Dass die In-vitro-Fertilisation keine herkömmliche Heilbehandlung darstellt, wird auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 2005 (BFHE 210, 355) deutlich, wenn es darin heißt, derartige Maßnahmen seien nicht unmittelbare Heilbehandlungsmaßnahmen, deren Kosten typisierend als zwangsläufig und angemessen anzusehen seien. Für die Entscheidung, ob Aufwendungen für In-vitro-Fertilisationen als Heilbehandlungsmaßnahmen im weiteren Sinn einer empfängnisunfähigen Frau aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und den Umständen nach notwendig sind, seien verfassungsrechtliche Wertentscheidungen sowie in der Gesellschaft vorherrschende Auffassungen zu beachten.
Zweifellos ist die Klägerin durch die Verminderung der Leistungsgewährung erheblich betroffen. Die Verminderung der Leistung beruht ersichtlich auf dem Motiv der Kosteneinsparung. Selbst aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz folgt aber regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen (vgl. BVerfGE 77, 170 ff.; 79, 174 ff.; Beschlüsse vom 15. Dezember 1997, NJW 1998, S.1775 f.). Umsoweniger kann aus Art.6 Grundgesetz abgeleitet werden, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung müssten in einem bestimmten Ausmaß zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Ganz wesentlich spielt dabei eine Rolle, dass die Schwangerschaftsrate bei In-vitro-Fertilisation, bezogen auf den Embryo-Transfer, nach wie vor bei deutlich unter 20 % liegt (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Ungewollte Kinderlosigkeit, Themenheft 20, erschienen im April 2004). Der begrenzten Erfolgsaussicht von reproduktionsmedizinischen Behandlungen steht die Ausweitung der Möglichkeiten der medizinischen Behandlung der ungewollten Kinderlosigkeit gegenüber. Zudem ist die Zahl kinderloser Frauen in Deutschland stark angestiegen. Das Risiko sinkender Fruchtbarkeit ist unmittelbar mit dem steigenden Alter der Mütter bei Geburt verbunden. Dieses stieg in den letzten zehn Jahren um fast zwei Jahre auf knapp 30 Jahre an (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, a.a.O.). Angesichts der ungewissen Erfolgsaussicht von künstlichen Befruchtungsmaßnahmen und der zunehmenden Inanspruchnahme technischer Hilfen bei individuell spät getroffener Entscheidung zur Elternschaft erscheint die Kürzung der Leistungen gemäß § 27a SGB V nachvollziehbar. Dabei kann dahinstehen, ob der Einzelne einen Anspruch auf Familiengründung und auf Nachkommenschaft hat, wie dies vom Klägerbevollmächtigten postuliert wird. Dagegen spricht jedoch, dass der Einzelne auch keinen Anspruch auf Gesundheit, vielmehr aus Art.2 i.V.m. Art.20 IV GG lediglich ein Recht darauf hat, im Risikofall von Krankheit Unterstützung zu erfahren. Es ist bereits fraglich, ob das Risiko ungewollter Kinderlosigkeit überhaupt eine Leistungspflicht des Staates auslöst. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Förderung in § 27a SGB V erscheint aber jedenfalls ausreichend.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die volle Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung.
Die 1970 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, leidet unter einem Zustand nach Tubenamputation rechts und Tubenpathologie links. Ihr sagte die Beklagte am 03.01.2005 zu, 50 % der Kosten für drei Behandlungsversuche der künstlichen Befruchtung zu übernehmen. Auf ihren Widerspruch vom 10.01.2005 wegen zu niedriger Kostenübernahme teilte die Beklagte der Klägerin am 11.01.2005 mit, wegen § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V sei ihr eine höhere Bezuschussung nicht möglich.
Dagegen hat die Klägerin am 31.01.2005 Klage erhoben, woraufhin die Beklagte am 08.03.2005 den Widerspruchsbescheid erließ; § 27a SGB V stelle eine abschließende Normierung dar. Der Klägerbevollmächtigte hat die Klage mit Schriftsatz vom 12. April 2005 umfassend begründet. Seines Erachtens sei die Begrenzung auf 50 % verfassungswidrig und stelle ein unzumutbares Sonderopfer zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die Neuregelung des § 27a SGB V verletze das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz, weil die 50 %ige Selbstbeteiligung ausschließlich Ehepartner mit Kinderwunsch treffe, nicht hingegen andere Patientengruppen. Zudem sei durch den Kostendruck das Risiko von Mehrlingsgeburten erhöht. Gegen das Diskriminierungsverbot aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz werde auch dadurch verstoßen, dass die Obergrenze der Selbstbeteiligung von 2 % des Jahreseinkommens nicht gelte. Durch die Reduktion der Kostenübernahme auf 50 % sei das Gleichbehandlungsgebot aus Art.3 Abs.1 GG verletzt, da sonst notwendige Behandlungen weiterhin zu 100 % übernommen würden. Die im Fall der Klägerin notwendige In-vitro-Fertilisation sei laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesfinanzhofs und des Bundessozialgerichts eine Heilbehandlung. Art.3 Abs.1 Grundgesetz sei auch dadurch verletzt, dass Besser- und Schlechterverdienende ungleich behandelt würden. § 27a Abs.3 SGB V verletzte auch das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Familiengründung aus Art.6 Grundgesetz und stelle einen Eingriff ohne besondere Legitimation dar, zumal die Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenversicherung durch fehlende Beitragszahler entstanden sei. Im Übrigen hätte der Eingriff milder ausgestaltet werden können, wie beispielsweise durch eine stufenweise reduzierte Kostenübernahme. § 27a Abs.3 SGB V verstoße schließlich auch gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Nachkommenschaft aus Art.2 Abs.1 Satz 1 i.V.m. Art.1 Abs.1 Grundgesetz. In vielen europäischen Rechtsordnungen werde dieses Recht auf Nachkommenschaft anerkannt und der Bundesfinanzhof habe festgestellt, dass das Recht, Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Angesichts des Würdegehalts und absoluten Schutzanspruchs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, gestärkt durch den Schutzanspruch aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz, bedürfe es einer umfassenden Interessenabwägung unter Anlegung eines strengen Maßstabes.
Demgegenüber hat die Beklagte darauf hingewiesen, dem Gesetzgeber stehe bei der medizinischen Versorgung ein weiter Gestaltungsspielraum offen. Der Gesetzgeber könne durchaus Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen.
Das Sozialgericht Nürnberg hat die Klage am 16.06.2005 abgewiesen. Es hat § 27a SGB V für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten und darauf hingewiesen, diese Norm knüpfe an einen eigenständigen Versicherungsfall unabhängig von einer Krankheit an. Die Maßnahmen des § 27a SGB V seien lediglich rechtstechnisch der Krankenbehandlung zugeordnet. Der in § 27a SGB V n.F. vorgesehene Anspruch erleichtere es, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Anspruch zu nehmen. Der Gesetzgeber habe durchaus die Möglichkeit, angesichts der beschränkten finanziellen Ressourcen Leistungen zu beschränken. Es sei auch nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, ihren Leistungskatalog für alle Zukunft unverändert beizubehalten oder allenfalls zu erweitern, um die in der Terminologie der Klägerin Schlechterverdienenden in ihren Lebensverhältnissen den Besserverdienenden anzunähern. Aus der Verfassung lasse sich auch nicht das Recht auf Nachkommenschaft ableiten. Die Klägerin selbst habe bestimmte politische Vorstellungen, wie der Verweis auf die Presseinformation von Wunschkind e.V. zeige. Sie verfolge Vereinsinteressen, um die Lobby zu stärken. Die Zielsetzung von Vereinen könne aber nicht dazu führen, dem Gesetzgeber seine politische Gestaltungsfreiheit zu nehmen.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 08.07.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.07.2005 Berufung eingelegt. Der Klägerbevollmächtigte hat eingewandt, der Gesetzgeber habe nicht seine politische, wohl aber seine rechtliche Gestaltungsfreiheit verletzt. Im Übrigen hat er die im Sozialgerichtsverfahren vorgetragenen Gründe wiederholt und hierauf Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Juni 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 03.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten für die Kinderwunschbehandlung für drei Zyklen zu 100 % zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2005 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Nürnberg sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.06.2005 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 03.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2005. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die volle Kostenübernahme der geplanten drei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 (Bundgesetzblatt I 2190) begrenzt die Übernahmeverpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse auf 50 v.H. der Kosten. Diese Leistungsbeschränkung verletzt kein Verfassungsrecht.
Zutreffend hat das Sozialgericht Entwicklung und Normzweck des in § 27a SGB V enthaltenen Rahmenrechts dargestellt und Gründe für seine Verfassungskonformität genannt. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 SGG abgesehen.
§ 27a SGB V verletzt nicht das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz. Richtig ist, dass der Gesetzgeber Versicherten Heilbehandlung grundsätzlich zu 100 % als Sachleistung zur Verfügung stellt. Ausnahmen stellen Eigenbeteiligungen wie z.B. beim Zahnersatz, aber auch zunehmende Zuzahlungen dar. Die Reduzierung der Kostentragung für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung findet ihre Rechtfertigung darin, dass § 27a SGB V einen eigenständigen Versicherungsfall darstellt, der nicht auf einen einzelnen, von Unfruchtbarkeit betroffenen Versicherten abstellt, sondern auf die ungewollte Kinderlosigkeit des Ehepaars und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung. Vorausgesetzt wird allein, dass die vorgesehenen Maßnahmen zur Herbeiführung der gewünschten Schwangerschaft erforderlich und erfolgversprechend sind; nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bildet den Versicherungsfall (BSG SozR 3-2500 § 27a Nr.3 S.24). Vor diesem Hintergrund gelten die zu § 27 SGB V entwickelten Leistungsgrundsätze nicht. Im Sozialversicherungsrecht wird daher unterschieden zwischen den Leistungen der "normalen" Krankenbehandlung nach § 27 SGB V und den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, die in § 27a SGB V als eigenständiger Versicherungsfall geregelt sind und nur "rechtstechnisch" den Leistungen der Krankenbehandlung zugeordnet werden. Diese Unterscheidung erklärt auch, weshalb die ungewollte Kinderlosigkeit einer unverheirateten Frau keine Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkasse begründet (BSG, Beschluss vom 7. Januar 2005, Az.: B 1 KR 93/03 B). § 27a SGB V stellt sich also als Begünstigung von Ehepaaren dar, die sich aus Art.6 Abs.1 Grundgesetz ergibt. Dass die In-vitro-Fertilisation keine herkömmliche Heilbehandlung darstellt, wird auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Juli 2005 (BFHE 210, 355) deutlich, wenn es darin heißt, derartige Maßnahmen seien nicht unmittelbare Heilbehandlungsmaßnahmen, deren Kosten typisierend als zwangsläufig und angemessen anzusehen seien. Für die Entscheidung, ob Aufwendungen für In-vitro-Fertilisationen als Heilbehandlungsmaßnahmen im weiteren Sinn einer empfängnisunfähigen Frau aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen und den Umständen nach notwendig sind, seien verfassungsrechtliche Wertentscheidungen sowie in der Gesellschaft vorherrschende Auffassungen zu beachten.
Zweifellos ist die Klägerin durch die Verminderung der Leistungsgewährung erheblich betroffen. Die Verminderung der Leistung beruht ersichtlich auf dem Motiv der Kosteneinsparung. Selbst aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art.2 Abs.2 Satz 1 Grundgesetz folgt aber regelmäßig kein verfassungsrechtlicher Anspruch gegen die Krankenkassen auf Bereitstellung bestimmter und insbesondere spezieller Gesundheitsleistungen (vgl. BVerfGE 77, 170 ff.; 79, 174 ff.; Beschlüsse vom 15. Dezember 1997, NJW 1998, S.1775 f.). Umsoweniger kann aus Art.6 Grundgesetz abgeleitet werden, Maßnahmen der künstlichen Befruchtung müssten in einem bestimmten Ausmaß zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Ganz wesentlich spielt dabei eine Rolle, dass die Schwangerschaftsrate bei In-vitro-Fertilisation, bezogen auf den Embryo-Transfer, nach wie vor bei deutlich unter 20 % liegt (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Ungewollte Kinderlosigkeit, Themenheft 20, erschienen im April 2004). Der begrenzten Erfolgsaussicht von reproduktionsmedizinischen Behandlungen steht die Ausweitung der Möglichkeiten der medizinischen Behandlung der ungewollten Kinderlosigkeit gegenüber. Zudem ist die Zahl kinderloser Frauen in Deutschland stark angestiegen. Das Risiko sinkender Fruchtbarkeit ist unmittelbar mit dem steigenden Alter der Mütter bei Geburt verbunden. Dieses stieg in den letzten zehn Jahren um fast zwei Jahre auf knapp 30 Jahre an (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, a.a.O.). Angesichts der ungewissen Erfolgsaussicht von künstlichen Befruchtungsmaßnahmen und der zunehmenden Inanspruchnahme technischer Hilfen bei individuell spät getroffener Entscheidung zur Elternschaft erscheint die Kürzung der Leistungen gemäß § 27a SGB V nachvollziehbar. Dabei kann dahinstehen, ob der Einzelne einen Anspruch auf Familiengründung und auf Nachkommenschaft hat, wie dies vom Klägerbevollmächtigten postuliert wird. Dagegen spricht jedoch, dass der Einzelne auch keinen Anspruch auf Gesundheit, vielmehr aus Art.2 i.V.m. Art.20 IV GG lediglich ein Recht darauf hat, im Risikofall von Krankheit Unterstützung zu erfahren. Es ist bereits fraglich, ob das Risiko ungewollter Kinderlosigkeit überhaupt eine Leistungspflicht des Staates auslöst. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Förderung in § 27a SGB V erscheint aber jedenfalls ausreichend.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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