L 16 LW 37/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 LW 22/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 LW 37/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 01.09.2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2005 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rechtmäßigkeit eines Mitwirkungsversagungsbescheids gemäß § 66 SGB I.

Nachdem drei frühere Anträge auf Erwerbsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminderungsrente erfolglos geblieben waren, stellte der 1947 geborene Kläger am 17.02.2003 erneut einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. In früheren Verfahren hatte er schon wiederholte Male Ladungen zu gutachterlichen Untersuchungen nicht Folge geleistet und danach jeweils erklärt, aus Krankheitsgründen den Termin nicht wahrgenommen zu haben.

Auch in diesem Verfahren konnte eine persönliche Untersuchung des Klägers nicht stattfinden. Nachdem der beratungsärztliche Dienst die Auffassung vertrat, aufgrund der vorliegenden medizinischen Befunde keine sicheren Aussagen über das Bestehen bzw. Nichtbestehen der medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungrente abgeben zu können, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 19.11.2003 mit, dass man von einer fehlenden Mitwirkung ausgehe. Triftige Gründe für die Nichtwahrnehmung der Untersuchungstermine lägen nicht vor. Ohne sozialmedizinische Begutachtung könne nicht festgestellt werden, ob eine Erwerbsminderung vorliege. Der Rentenantrag müsse schon aus diesen Grund abgelehnt werden. Man werde demnächst auch entsprechend verfahren, weil aufgrund der bisherigen Verhaltensweise, auch in früheren Rentenverfahren, davon auszugehen sei, dass weiterhin eine ablehnende Haltung gegenüber sozialärztlichen Untersuchungsmaßnahmen bestünde.

Eine Fristsetzung zur Nachholung der Mitwirkung enthält das Schreiben nicht.

Bereits mit Schreiben vom 14.05.2003 war der Kläger auf seine Mitwirkungsverpflichtung hingewiesen worden, nachdem er einen Untersuchungstermin am 05.05.2003 nicht wahrgenommen hatte. Darin wird der Kläger aufgefordert, binnen drei Wochen mitzuteilen, ob er sich einer Begutachtung unterziehen, oder seinen Rentenantrag zurückziehen wolle. Der Kläger teilte daraufhin unter Beifügung ärztlicher Atteste mit, dass er wegen einer ausgeprägten chronischen Diarrhoe nur eine deutlich eingeschränkte Reisefähigkeit besitze. Er bitte darum, die Wege kurz zu halten. Eine Begutachtung könne in Eggenfelden erfolgen. Im Rahmen eine erneuten Ladung nach Regensburg wurde der Hinweis wiederholt. Der Kläger meldete sich daraufhin erneut krank.

Mit Schreiben vom 27.11.2003 erwiderte der Kläger auf das Schreiben vom 19.11.2003, dass er Untersuchungen nicht ablehnend gegenüberstünde. Jedoch habe er die Termine aus Krankheitsgründen nicht wahrnehmen können.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.01.2004 den Rentenantrag ab. Zur Begründung stützte sie sich auf § 66 Abs.1 SGB I. Der Kläger habe sich ärztlichen Untersuchungsmaßnahmen verweigert. Nach sozialärztlicher Aussage sei ohne Begutachtung eine Einschätzung des Leistungsvermögens nicht möglich. Eine Sachverhaltsaufklärung auf andere Weise könne nicht erfolgen.

In seinem Widerspruch wies der Kläger darauf hin, eine Untersuchung nicht abzulehnen. Wegen des schlechten Gesundheitszustandes sei jedoch eine Fahrt nach R. zur Untersuchung nicht möglich gewesen.

Mit Bescheid vom 10.05.2005 wies die Beklagten den Widerspruch zurück und stützte sich erneut auf § 66 SGB I.

Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 01.09.2005 ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Anspruchsvoraussetzung für eine Erwerbsminderungsrente nicht nachgewiesen seien. Im Übrigen liege beim Kläger fehlende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung als Dauerzustand vor. Schon aus diesem Grunde sei die Sozialleistung gemäß § 66 Abs.1 SGB I zu versagen. Die Rechtverfolgung sei in Gestalt der offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Klage missbräuchlich gewesen. Daher sei eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 600,00 Euro aufzuerlegen gewesen.

Der Kläger hatte vor dem Sozialgericht Landshut keinen konkreten Antrag gestellt. Dem Tatbestand des Urteils ist zu entnehmen, dass die Kammer das klägerische Begehren als auf Gewährung der Erwerbsminderungsrente gerichtet interpretierte.

Dagegen richtet sich die klägerische Berufung zum Bayer. Landessozialgericht. Zur Begründung trägt der Kläger vor, infolge einer schweren Erkrankung weder die Termine zur Verhandlung noch zu einer Begutachtung wahrgenommen zu haben. Die Reisefähigkeit sei deutlich eingeschränkt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 01.09.2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, der beigezogenen Streitakte des Sozialgerichts Landshut sowie der Verfahrensakte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Dabei hat der Senat das Berufungsvorbringen des Klägers dahingehend ausgelegt, dass die Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils sowie des Mitwirkungsversagungsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids Gegenstand des Berufungsantrages ist. Der Kläger, der einen Berufungsantrag nicht explizit formuliert hat, wendet sich mit seinem Vorbringen gegen das sozialgerichtliche Urteil und dagegen, dass er seine Mitwirkungspflichten verletzt habe. Er hat nicht vorgetragen, dass der Erhalt der Erwerbsminderungsrente Berufungsziel sei. Da Gegenstand des Berufungsverfahrens ein Bescheid ist, mit dem die begehrte Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung und nicht aufgrund Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt wird, wäre die Stellung eines Leistungsantrags - über einen Aufhebungsantrag hinaus - unzulässig. Bei der Auslegung des Berufungsvorbringens geht der Senat davon aus, dass der Berufungsantrag auf das weitestgehende zulässige Rechtsschutzziel gerichtet ist.

Die Berufung erweist sich auch als begründet. Dabei geht der Senat aus den eben dargelegten Gründen davon aus, dass die Klage auf Aufhebung des Mitwirkungsversagungsbescheids in Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtet und darüber hinaus ein Leistungsantrag nicht gestellt war.

Der angefochtene Mitwirkungsversagungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids stellt sich als rechtwidrig dar.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 66 SGB I eine Konkretisierung des verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist. Immer dann, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für eine Sozialleistung weder sicher bejaht noch sicher verneint werden können, weil der Antragsteller seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten verletzte, ist der Antrag nicht unter Anwendung der Regeln über die Beweis- bzw. Feststellungslast abzulehnen. Vielmehr kann die Sozialleistung gemäß § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung versagt werden. Im Falle der Mitwir- kungsnachholung und Erweislichkeit der Leistungsvoraussetzungen ist dann über die nachträglich Erbringung gemäß § 67 SGB I zu entscheiden, ohne dass der Antragsteller den Weg des § 44 SGB X beschreiten muss. Dies hat die Beklagte auch nicht in Abrede gestellt.

Allerdings setzt ein rechtmäßiger Mitwirkungsversagungsbescheid nach § 66 Abs.3 SGB I u.a. voraus, dass der Leistungsberechtigte vor der Versagung auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht dann innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nicht nachgekommen ist. Zwar hat die Beklagte den Kläger auf seine Mitwirkungspflicht hingewiesen sowie auch darauf, dass die Mitwirkungsversagung beabsichtigt ist. Jedoch fehlt es im Schreiben vom 19.11.2003 an der Fristsetzung verbunden mit der Aufforderung, zu einem neu angesetzten Begutachtungstermin zu erscheinen. Auch das Schreiben vom 14.05.2003 enthält keine solche Fristsetzung. Hier wurde der Kläger aufgefordert, binnen Frist mitzuteilen, ob er sich untersuchen lassen wolle. Dies hat der Kläger unter Bedingungen bejaht. Die Leistungsversagung wurde nicht angedroht.

Der streitgegenständliche Mitwirkungsversagungsbescheid war ebenso wie das sozialgerichtliche Urteil aufzuheben. Auch war die Entscheidung nach § 192 SGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht im Übrigen auf § 193 SGG.

Gründe dafür, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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