L 16 R 539/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 1386/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 R 539/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Juni 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Waisenrente aus der Versicherung von R. I. , geboren 1928 gestorben am 23.03.1996, für J. R. , geboren 1984.

Der Versicherte und der Kläger sind serbische Staatsangehörige und hatten beim Tod des Versicherten ihren Wohnsitz in G. , Jugoslawien. Der verstorbene Versicherte bezog aufgrund seiner Beitragszeiten von 104 Monaten zur deutschen Versicherung sowie einer Zurechnungszeit von der Beklagten zunächst Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, danach Regelalterserente von zuletzt 474,19 DM. Jugoslawische Versicherungszeiten sind nicht bekannt. Außerdem bezog er Leistungen aus der Unfallversicherung von der Steinbruchs-BG. Auf einer Lebensbescheinigung aus dem Jahre 1985 ist das Kind R. J. geboren 1984 aufgeführt. 1993 füllte der Versicherte ein Formular wegen Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für das Kind J. aus und legte eine 1993 ausgestellte Geburtsurkunde vor, in welcher I. und Z. als Eltern vermerkt sind. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 08.06.1993 die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ab, da das Kind sich im Ausland aufgehalten habe und auch dort erzogen worden sei.

Auf der Lebensbescheinigung vom 30.06.1995 wurden keine minderjährigen Kinder angegeben, Kinderzuschläge oder Kinderzuschüsse waren in der Rente nicht enthalten.

Mit Antrag vom 20.06.1996 beantragte für R. J. , R. D. Vollwaisenrente. Der Antragsteller bezeichnet sich als Bruder, ausgewiesen durch den Pass. Danach ist R. D. 1956 geboren. Er gab an, bei J. handle es sich um den leiblichen Sohn des Versicherten und legte eine 1996 ausgestellte Geburtsurkunde für J. R. vor. Vorgelegt wurde außerdem ein Auszug aus dem Todesregister über die Ehefrau des I. R. geboren 1927, gestorben am 25.07.1995. Weiter wurde eine Aussage vom 25.10.1996, unterzeichnet von A. K. und K. S. , vorgelegt, wonach im Haushalt des verstorbenen I. R. gewohnt haben:

1. N. R. , geboren 1959, Schwiegertochter 2. E. R. , geboren 1979, Enkel 3. N. R. , geboren 1981, Enkelin 4. J. R. , geboren 1984, Sohn 5. M. R. , geboren 1991, Enkelin 6. D. R. , geboren 1956, Sohn

Bei der Beklagten ging am 13.12.1996 eine Anfrage der Familien X. R. und R. R. ein, die sich nach den zuletzt bezahlten Renten für den Versicherten erkundigten, sowie über eine gefälschte Geburtsurkunde für das Kind J. R. und deswegen anhängige Gerichtsverfahren berichteten.

Vorgelegt wurden verschiedene Geburtsurkunden ausgestellt am 19.11.1996, 06.11.1996 und 01.03.1996 worin für das 1984 geborene Kind R. einmal I. und Z. bzw. D. (sowie X.) und N. als Eltern angegeben waren. Die am 19.11.1996 ausgestellte Geburtsurkunde weist auf eine Anmeldung vom 08.08.1994 durch das medizinische Zentrum in G. hin.

Die Beklagte wandte sich an den Versicherungsträger in B. und bat um Aufklärung über den Gerichtsprozess sowie die unterschiedlichen Geburtsurkunden. Beim Gemeindegericht holte die Beklagte eine Auskunft über das Erbschaftsverfahren und die im Haushalt mit dem Versicherten lebenden Angehörigen ein. Am 20.01.1998 ging bei der Beklagten ein Schreiben der Familie D. R. ein, die berichteten, dass eine Entscheidung über die Erben noch nicht getroffen wurde und im Verfahren wegen Fälschung der Unterlagen für das Kind J. R. das Gemeindegericht die Entscheidung wegen Fristversäumung aufgehoben hat. Diese Entscheidung vom 19.07.1995 wurde in Kopie vorgelegt.

Eingangen sind u.a. eine Anklageschrift über die Feststellung der Elternschaft bezüglich des J. R. und ein Beschluss des Gemeindegerichts, dass das Nachlassverfahren über den verstorbenen I. R. unterbrochen sei, damit festgestellt werden könne, ob J. R. sein Sohn oder der Sohn des D. R. und dessen Ehefrau ist. Der wegen des Kriegsausbruchs unterbrochene Gerichtsprozess endete mit Erteilung eines Erbscheins. Nach dem vorgelegten Beschluss wurde der verstorbene Versicherte von seinen Söhnen X. , X. und J. R. beerbt. Der Bevollmächtigte beantragte für seinen Bruder J. erneut Waisenrente und legte eine Kopie des Personalausweises des J. , sowie den Bescheid über die Fürsorgebestimmung für J. vor.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Waisenrente aus der Versicherung des I. R. mit Bescheid vom 12.04.2002 ab mit der Begründung, die Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da J. laut Urteil des Gemeindegerichts in G. nicht Kind des I. und seiner Frau Z. R. sei. Der Enkel des Versicherten sei auch nicht in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen gewesen und von ihm überwiegend unterhalten worden, denn J. sei nicht aus dem Haushalt seiner Eltern ausgeschieden. Ein Anspruch auf Waisenrente bestehe somit nicht.

Dagegen richtet sich der Widerspruch mit der Begründung, aufgrund der Geburtsurkunde vom 09.05.2002 stehe fest, dass J. das Kind von I. und Z. R. sei.

Der Bescheid des Gemeindegerichts in G. vom 13.05.1998 wurde übersetzt. Die Klage des J. wegen Anfechtung der Vater- und Mutterschaft wurde als nicht fristgerecht und unzulässig verworfen. Im Sachverhalt ist vermerkt, dass der Minderjährige seit Geburt im gemeinsamen Haushalt mit D. und N. R. lebe und diese mit Mama und Papa anspreche.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, es ergebe sich kein Beweis dafür, dass der Kläger J. das leibliche Kind des Versicherten sei, die Geburtsurkunden seien widersprüchlich.

Dagegen richtet sich in die Klage. Es wird vorgetragen, der gesetzliche Vormund D. R. sei Bruder des Klägers, Vater sei der Versicherte gewesen. Dies beweise die Geburtsurkunde. Vorgelegt wurde nochmal eine Geburtsurkunde vom 08.08.2002

Das Sozialgericht verurteilte mit Urteil vom 04.06.2003 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, dem 1984 geborenen J. Waisenrente aus der Versicherung von I. R. zu bezahlen. Zur Begründung verwies das Sozialgericht auf den Beschluss vom 25.02.2002 in der Nachlasssache. Die Beklagte habe in ihrem Bescheid und Widerspruchsbescheid die Unterlagen falsch zitiert und falsch verstanden. Die Beklagte habe Klageschrift und Urteil des Gemeindegerichts verwechselt. Entscheidend für die Kammer sei daher nicht die offensichtlich unrichtige Geburtsurkunde sondern die Entscheidung des Gerichts aus dem Jahre 2002.

Dagegen legte die Beklagte Berufung ein und führte zur Begründung aus, es bestünden erhebliche Zweifel daran, ob der Kläger der Sohn des verstorbenen Versicherten I. R. sei. Da Geburtsurkunden vorliegen, die den Verstorbenen als Vater des Klägers ausweisen, jedoch auch Geburtsurkunden mit anderem Inhalt vorliegen, die D. R. als Vater bezeichnen, sei nicht geklärt, wer Vater des Klägers sei, so dass kein Anspruch auf Waisenrente bestehe. Im Übrigen bestünden Hinweise darauf, dass die vorgelegte Geburtsurkunde eine Fälschung sei. Es sei bei den falschen und verworrenen Angaben nachträglich sicherlich unmöglich zu klären, ob eine Haushaltsaufnahme oder ein überwiegender Unterhalt durch den Versicherten vorgelegen habe. Offenbar habe die Familie gemeinsam im Haus in G. gelebt. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Waisenrente seien dadurch aber nicht gegeben, da im Regelfall ein Kind nur dann in den Haushalt des Versicherten aufgenommen worden sei, wenn es aus dem Haushalt der Eltern ausgeschieden sei. Es sei anzunehmen, dass die leiblichen Eltern weiterhin die Erziehung und Betreuungsarbeit erbracht haben und auch die finanzielle Unterstützung diesen zugeflossen sei.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.06.2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Steinbruchs-BG, des Sozialgerichts Landshut und des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, an den Kläger Waisenrente aus der Versicherung des R. I. zu bezahlen. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger der Sohn des Versicherten und somit waisenrentenberechtigt ist.

Nach § 48 SGB VI haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn 1. sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist, und 2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Abs. 2 bestimmt: Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Vollwaisenrente, wenn 1. sie einen Elternteil nicht mehr haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig war und 2. der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Nach Abs. 3 werden als Kinder auch berücksichtigt: 1. Stiefkinder und Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGB I), die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren, 2. Enkel und Geschwister, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren oder von ihm überwiegend unterhalten wurden. Dieser Anspruch besteht längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet ... (§ 48 Abs. 4 SGB VI).

Nach Überzeugung des Senats steht nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger eine dieser Voraussetzungen erfüllt, denn nach dem Vortrag und den bekannten Unterlagen ist der Kläger entweder der Sohn oder der Enkel des Versicherten. Aufgrund der zeitnah ausgestellten widersprüchlichen Geburtsurkunden konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, ob der Kläger nun der Sohn oder der Enkel des Versicherten ist. Dabei genügt es auch nicht, diese Feststellungen fakultativ zu treffen, denn obwohl auch ein Enkel Waisenrente nach dem Versicherten beziehen kann, wäre dazu erforderlich, dass er in den Haushalt des Versicherten aufgenommen und von diesem unterhalten wurde. Geht man nun aber davon aus, dass er als Enkel der Sohn des für ihn als Bevollmächtigter aufgetretenen D. ist, lebten sowohl seine Eltern als auch er im gemeinsamen Haushalt mit dem Versicherten. Es ist somit nicht nachgewiesen, dass seine Eltern für ihn keinen Unterhalt erbracht haben oder er aus dem Haushalt der Eltern ausgeschieden ist, was aber für eine Aufnahme in den Haushalt des Versicherten Voraussetzung wäre.

Auch das Bundessozialgericht hat in mehreren Entscheidungen diese Voraussetzungen der Aufnahme in dem Haushalt der Großeltern und die Notwendigkeit des Bar- und Betreuungsunterhalts durch die Großeltern bestätigt (siehe z.B. Urteil BSG vom 22.04.1992 Az.: 5 RJ 28/91, vom 30.08.2001 Az.: B 4 RA 109/00 R und 30.01.2002 Az.: B 5 RJ 34/01 R).

Die Geburtsurkunden sind und bleiben widersprüchlich, denn es wird aus den vorgelegten weiteren später ausgestellten Urkunden nicht glaubhaft, dass die Vaterschaft des Versicherten nachgewiesen ist. Aus den Unterlagen des Verfahrens über den Erbschein ist nicht erkennbar, ob die bestehenden Unklarheiten ausgeräumt werden konnten oder eventuell ein Vaterschaftsnachweis geführt wurde. Aufgrund der langen Unterbrechung des Verfahrens durch die Kriegswirren in Jugoslawien ist zweifelhaft, ob im Beschluss über die Erbfolge die vorangegangenen, hier bekannten Umstände, die zu den Zweifeln an der Vaterschaft des Versicherten Anlass geben, berücksichtigt wurden. Die bestehenden Zweifel bleiben daher gewichtig, da der als Bruder auftretende Bevollmächtigte des Klägers und seine Ehefrau von dem Vorwurf der Urkundenfälschung in ihrer Heimat nicht aufgrund der nachgewiesenen Unschuld sondern wegen Fristablauf straffrei gestellt wurden. Aus dem jugoslawischen Berufungsurteil in dieser Strafsache geht hervor, dass die Zweifel an der Richtigkeit der Angaben zur Geburt des Klägers und der Vaterschaft des Versicherten nicht ausgeräumt wurden. Die Zweifel werden verstärkt aufgrund des Alters des Versicherten und seiner Ehefrau, die bei der Geburt des Klägers bereits 56 bzw. 57 Jahre alt gewesen sind. Vor allem das Alter der Ehefrau des Versicherten von 57 Jahren bei der Geburt des Klägers weckte große Zweifel. Auch beim Betrachten der vorgelegten Zeugenaussagen zeigt sich, dass die angeblich nicht als Eltern des Klägers anzusehenden Eheleute R. mehrere Kinder haben, die vor und nach dem Kläger geboren sind, d.h. der Kläger würde sich hier in eine Geschwisterreihe nahtlos einfügen. Daneben fällt auch auf, dass die anderen Söhne des Versicherten alle etwa im Alter des Bevollmächtigten sind und somit zwischen 25 und 30 Jahren älter sind als der Kläger. Der Bevollmächtigte, geboren 1956, wäre bei der Geburt des Klägers 26 Jahre alt, seine Ehefrau 25 Jahre alt gewesen. Aus biologischen Überlegungen liegt die Elternschaft dieses Ehepaares deshalb wesentlich näher als die des Versicherten und seiner Ehefrau, so dass auch deshalb die behauptete Vaterschaft des Versicherten Zweifel begegnet, die nicht ausgeräumt werden konnten.

Da der Anspruch auf Waisenrente entweder von der Elternschaft des Versicherten oder von der Aufnahme in dessen Haushalt und der überwiegenden Unterhaltserbingung durch den Versicherten abhängig ist, trägt der Kläger nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Bestimmungen der objektiven Beweislast (Jens Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage § 103 Anm. 19a) die Nachweispflicht für die von ihm behaupteten Umstände und Tatsachen. Dieser Nachweispflicht konnte er entgegen der Auffassung des Sozialgerichts aber nicht genügen. Die Beklagte ist deshalb nicht zur Leistung der Waisenrente aus der Versicherung des verstorbenen R. I. verpflichtet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.06.2003 war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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