L 16 R 238/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 RA 1059/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 238/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt neu gefasst wird: Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 01. Januar 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach Maßgabe der am 01. Januar 2000 geltenden Berechnungsvorschriften des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Ver- fahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte nach vorangegangener Bewilligung von Renten wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit verpflichtet ist, die sich hieran anschließende Rente wegen EU auf Dauer nach den am 1. Januar 2000 geltenden Rechtsvorschriften neu zu berechnen.

Die am 1951 geborene Klägerin bezog von der Beklagten Rente wegen EU für die Zeit vom 29. Dezember 1993 bis 31. Dezember 1996 und für die Zeit vom 01. Januar 1997 bis 31. Dezember 1999 (Bescheide vom 10. Januar 1995 und 24. Januar 1997). Mit Überprüfungsbescheid vom 31. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2000 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 10. Januar 1995 ab. Auf einen entsprechenden Weitergewährungsantrag der Klägerin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 1999 EU-Rente auf unbestimmte Dauer über den bisherigen Befristungszeitpunkt hinaus ab 01. Januar 2000 längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres an. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass für die Berechnung der Rente weiterhin der "bisherige Bescheid unter Berücksichtigung der Rentenanpassung" gelte. Den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese eine Rentenberechung nach Maßgabe der am 01. Januar 1997 bzw. 01. Januar 2000 geltenden Rechtsvorschriften im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Oktober 1996 (– 4 RA 31/96 –) begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2003 ebenso zurück wie den Widerspruch der Klägerin gegen die eine Rücknahme des Bescheides vom 24. Januar 1997 ablehnende Entscheidung vom 30. Dezember 1998.

Im Klageverfahren hat die Beklagte nach Durchführung einer Probeberechnung auf der Grundlage der ab 01. Januar 2000 geltenden Rechtslage, eines Eintritts der Erwerbsminderung am 07. Dezember 1992 und eines Rentenbeginns am 01. Januar 2000 24,4272 persönliche Entgeltpunkte (EP) ermittelt gegenüber den bisher zu Grunde gelegten 24,3893 persönlichen EP (Rentenanpassungsmitteilung zum 01. Juli 1999).

Mit Urteil vom 15. März 2004 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 verurteilt, die am 01. Januar 2000 beginnende EU-Rente nach Maßgabe des zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechts des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zu berechnen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage, die sich nur noch gegen den Rentenbescheid vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 richte, sei begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Neuberechnung ihrer EU-Rente nach Maßgabe der am 01. Januar 2000 geltenden Berechnungsvorschriften des SGB VI. Für die Klägerin sei am 01. Januar 2000 ein neues eigenständiges Recht auf Rente entstanden, das gleichzeitig eine Berechnung der Rente nach den an diesem Tag geltenden Rechtsvorschriften des SGB VI erforderlich mache. Dem Urteil des BSG vom 24. Oktober 1996 (- 4 RA 31/96 = SozR 3-2600 § 300 Nr. 8) werde gefolgt.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Der in Bezug genommenen Entscheidung des BSG werde nicht gefolgt. Die Weiterzahlung einer EU-Rente über den Wegfallzeitpunkt hinaus stelle keinen neuen Rentenbeginn im Sinne des § 300 Abs. 1 SGB VI dar. Nahtlos einander folgende Zeitrentenabschnitte bzw. eine Dauerrentengewährung im Anschluss an eine Zeitrente stellten folglich einen einheitlichen Rentenanspruch dar. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 302b SGB VI in seiner ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung (neuer Fassung = n. F.) die Weitergeltung des alten Rechts angeordnet habe. Schließlich habe auch das BSG in seinem Urteil vom 31. Oktober 2002 (- B 4 RA 9/01 R -) klargestellt, dass es nur ein Stammrecht auf Rente wegen EU, nicht hingegen etwa ein zweites besondere Stammrecht auf eine befristete Rente wegen EU gebe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Rentenakten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Teil der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils deshalb neu zu fassen war, weil das SG darin den angefochtenen Bescheid vom 10. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 aufgehoben hat, anstatt ihn nur in dem von der Klägerin begehrten Umfang zu ändern. Die auch im Übrigen lediglich klarstellende Neufassung des Tenors des angefochtenen Urteils unter Beibehaltung der darin inhaltlich verlautbarten Entscheidung führt nicht dazu, dass die gegen ein derartiges Urteil gerichtete Berufung teilweise begründet wäre.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Neuberechnung ihrer am 01. Januar 2000 beginnenden EU-Rente auf Dauer nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt geltenden Berechnungsvorschriften des SGB VI.

Gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften dieses Gesetzbuches auch auf Sachverhalte und Ansprüche anzuwenden, die bereits vorher vorgelegen haben, mithin erst recht auf Ansprüche auf EU-Rente, die – wie die hier streitgegenständlichen – zeitgleich mit dem Inkrafttreten der betreffenden Vorschriften entstanden sind. Für die Klägerin ist unabhängig von den vorangegangenen Bewilligungen von Rente wegen EU auf Zeit mit dem 01. Januar 2000 aufgrund eines neuen Leistungsfalles ein neues eigenständiges Recht auf EU-Rente entstanden, das gleichzeitig eine Berechnung der Rente nach den insoweit maßgeblichen Rechtsvorschriften erforderlich gemacht hat. Bei dem die Gewährung von EU-Rente auf Dauer regelnden Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1999 handelt es sich nicht um eine bloße Verlängerung bzw. inhaltliche Umwandlung des zunächst bis zum 31. Dezember 1999 zuerkannten Rechts der Klägerin auf Gewährung von EU-Rente. Vielmehr verlautbarten die zuvor erteilten Zeitrentenbescheide jeweils einen Verfügungssatz des Inhalts, dass eine Rente bestimmter Art für eine begrenzte Dauer in festgesetzter Höhe bewilligt wird. Die – bindenden – Bescheide der Beklagten vom 10. Januar 1995 und 24. Januar 1997 regelten lediglich das Bestehen von Stammrechten auf Rente wegen EU für die Zeit vom 29. Dezember 1993 bis zum 31. Dezember 1996 und vom 01. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999, aus denen innerhalb dieser Zeiträume auch nur Einzelansprüche auf die Gewährung konkreter monatlicher Rentenleistungen entstehen konnten (vgl. BSG, Urteil vom 24. Oktober 1996 – 4 RA 31/96 = SozR 3-2600 § 300 Nr. 8 mit weiteren Nachweisen). Damit wurden entgegen der Auffassung der Beklagten keine besonderen Stammrechte auf eine befristete Rente wegen EU zuerkannt, sondern lediglich Rentenstammrechte für bestimmte Zeiträume. Mit Ablauf der zeitlich begrenzten Geltung zum 31. Dezember 1999 konnten die zuvor erteilten Zeitrentenbescheide mithin keine Regelungswirkungen mehr entfalten. Die Beklagte war vielmehr verpflichtet, für die Zeit nach dem 31. Dezember 1999 zukunftsgerichtet darüber zu entscheiden, ob der Klägerin weiterhin EU-Rente zusteht. Diese Verwaltungsentscheidung konnte sich rechtlich zulässig aber allein darauf beziehen, ob die Anspruchsvoraussetzungen für den sich anschließenden Leistungszeitraum im vollem Umfang erneut erfüllt sind (vgl. BSG aaO). Das von der Beklagten der Klägerin ab 01. Januar 2000 erneut zuerkannte Recht auf Gewährung von Rente wegen EU kann daher in jedem Fall nur nach Maßgabe des SGB VI in der ab 01. Januar 2000 geltenden Fassung entstanden sein. Für die Anwendung des § 300 Abs. 2 SGB VI ist bei dieser Rechtslage kein Raum, weil das in Rede stehende Recht auf EU-Rente überhaupt erst ab 01. Januar 2000 bestanden haben kann.

Aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Vorschrift des § 302b Abs. 1 SGB VI n.F. ergibt sich keine andere Beurteilung. Ungeachtet dessen, dass vorliegend die Berechnung des Wertes eines bereits am 01. Januar 2000 bestehenden Rechts auf EU-Rente in Streit steht, die genannte Fassung der Vorschrift aber erst seit dem 1. Januar 2001 gilt, trägt der in dieser Rechtsvorschrift zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch im Übrigen nicht. Bestand danach am 31. Dezember 2000 Anspruch auf eine Rente wegen EU, besteht der jeweilige Anspruch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres weiter, solange die Voraussetzungen vorliegen, die für die Bewilligung der Leistung maßgebend waren (§ 302b Abs. 1 Satz 1 SGB VI n. F.). Gemäß § 302b Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F. gilt dies bei befristeten Renten auch für einen Anspruch nach Ablauf der Frist. Der Gesetzgeber wollte mit diesen Bestimmungen sicherstellen, dass Ansprüche auf Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Rentenbeginn vor Inkrafttreten der Änderung auch künftig nach dem bisherigen Recht zu beurteilen sind. Der Vorschrift des § 302b Abs. 1Satz 1 und Satz 2 SGB VI n. F. lässt sich aber nicht entnehmen, dass auch die Rentenberechnung für Folgerenten eines am 31. Dezember 2000 bestehenden Anspruchs auf EU-Rente nach Maßgabe des bis dahin geltenden Rechts zu erfolgen hätte. Vielmehr betrifft § 302b Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB VI n. F. nur den jeweiligen "Anspruch" auf Rente wegen EU als solchen, nicht aber die Berechnung des Wertes dieses Rechts auf EU-Rente. Dies erhellt auch aus § 314b SGB VI, wo für befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, deren Anspruch auch nach dem Ablauf der Frist von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig ist, inhaltlich die Weitergeltung des bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechts angeordnet wird. Hätte für befristete Renten bereits § 302b Abs. 1 Satz 2 SGB VI n. F. die umfassende Weitergeltung des bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechts zur Folge, hätte es der Regelung des § 314b SGB VI nicht bedurft. So richtet sich auch die weitere Befristung von Renten, die aus medizinischen Gründen als Zeitrenten zu zahlen waren, nach § 102 Abs. 2 SGB VI n. F. und nicht nach altem Recht.

Auch die Vorschrift des § 302a Abs. 3 Satz 2 SGB VI ist nicht geeignet, die Auffassung der Beklagten zu stützen. Danach wird bei einer nach § 4 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz als Invalidenrente überführten Leistung Rente auch geleistet, solange die Erwerbsminderung vorliegt, die vor der Überführung für die Bewilligung der Leistung maßgebend war; war die Leistung befristet, gilt dies bis zum Ablauf der Frist. Damit wurde lediglich klargestellt, dass die für die laufende Rente in dieser Vorschrift normierte Privilegierung im Falle einer Weitergewährung einer nur befristeten Rente nicht gelten soll. Dies entspricht voll und ganz der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 24. Oktober 1996 (aaO).

Auch die Tatsache, dass vorliegend die Weitergewährung der zunächst befristeten Rente noch vor Ablauf der Befristung zuerkannt worden ist, ist nicht entscheidungserheblich. Denn es ist schlechterdings ohne Belang, ob der Weiterbewilligungsbescheid noch während des Laufs der vorangegangenen Zeitrente oder erst nach deren Ablauf erteilt wird, sofern eine lückenlose Weitergewährung erfolgt. Hätte die Beklagte das Recht der Klägerin auf EU-Rente ab 01. Januar 2000 erst nach diesem Zeitpunkt anerkannt, ergäbe sich keine abweichende rechtliche Beurteilung.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht auf die Regelungen des § 306 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI berufen. § 306 Abs. 1 SGB VI regelt, dass persönliche EP, die einer Rente zugrunde lagen, auf die Anspruch bereits vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften bestand, nicht allein aus Anlass dieser Rechtsänderung neu bestimmt werden. Eine solche Rente ist jedoch vorliegend nicht streitbefangen. Auch § 306 Abs. 2 SGB VI ist vorliegend nicht anwendbar. Ist für eine wieder zu gewährende Rente – wie hier – ein neuer Rentenbeginn zu bestimmen, gilt § 306 Abs. 2 SGB VI nicht, weil es sich nicht mehr um dieselbe Rente handelt. In diesen Fällen ist die Rentenfeststellung immer unter der Beachtung des § 300 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vorzunehmen. Schließlich lag auch eine Leistungsunterbrechung vorliegend gar nicht vor.

Der Senat nimmt im Übrigen auf seinen inhaltsgleichen - rechtskräftigen - Beschluss vom 19. Juli 2004 (- L 16 RA 37/04 -) Bezug; die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wurde als unzulässig verworfen (- B 4 RA 212/04 B - ; vgl. auch – B 4 RA 85/05 B – nicht veröffentlicht).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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