L 4 KR 4775/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 12 KR 1083/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4775/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Erstattung von Kosten, die der Klägerin anlässlich der in der Zeit vom 26. Februar 2001 bis 08. November 2002 jeweils in Behandlungszyklen in der Ambulanz für Manuelle Medizin der T.- bzw. R.-klinik in B. K. (Ambulanz) durchgeführten manualtherapeutischen Komplexbehandlung einschließlich Atlas-Therapie nach Arlen (Komplextherapie) sowie für die Unterbringung auch ihrer Eltern in Höhe von insgesamt EUR 7.256,71 entstanden sind.

Die am 1994 geborene Klägerin ist bei der Beklagten über ihren Vater familienversichert. Sie leidet als Folge einer Frühgeburt in der 29. Schwangerschaftswoche an einer spastischen Tetraparese bei periventrikulärer Leukomalazie. Sie wurde mehrfach stationär und ambulant in der Kinderklinik des Universitätsklinikums T. behandelt (vgl. Arztbriefe der Ärztlichen Direktorin der Abteilung III Prof. Dr. K.-M. vom 09. Januar und 20. Mai 1998, 12. Mai, 02. Juni und 04. November 1999 sowie der Oberärztin Dr. M. vom 09. November und 08. Dezember 1998). Seit 1998 wird sie im B.-Kindergarten in N. betreut. Neben krankengymnastischer Behandlung nach Vojta sowie manualtherapeutischer Krankengymnastik wurde bei der Klägerin in Behandlungszyklen seit April 1997 die Komplextherapie in der Ambulanz durchgeführt, wobei die Klägerin zur Durchführung der Behandlung von ihren Eltern begleitet wurde. Die Komplextherapie erfolgte auch vom 15. bis 25. September 1997, vom 23. März bis 03. April 1998, vom 06. bis 16. April 1999, vom 06. bis 17. März, vom 28. August bis 08. September und vom 30. Oktober bis 03. November 2000 (vgl. Arztbriefe des Dr. Reime vom 06. Oktober 1997, vom 22. April 1998, vom 05. Mai und 22. November 1999, vom 25. April, 05. Oktober und 05. Dezember 2000). Insoweit hatte sich die Beklagte mit Bescheid vom 22. September 1997 gegenüber der Klägerin bereit erklärt, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne präjudizierende Wirkung die Kosten der Atlas-Therapie in B. K. zuzüglich der notwendigen Begleitleistungen bis zur Höhe des 2,3fach angesetzten Steigerungssatzes zu erstatten; dieses galt auch für die Atlas-Therapie bei Dr. von S ... Diese Zusage wurde vorläufig bis zum 31. Dezember 2000 begrenzt. Es wurde auch darauf hingewiesen, für eine eventuell darüber hinausgehende Kostenbeteiligung rechtzeitig eine neue Verordnung sowie einen Therapiebericht vorzulegen. Ferner enthielt der Bescheid die konkrete Bewilligung der Gesamterstattung für die im April 1997 durchgeführte Komplextherapie.

Am 15. Februar 2001 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie habe für Februar und März 2001 wieder einen Therapieplatz in der Ambulanz für die Durchführung der Komplextherapie erhalten. Seit der ersten Behandlungsserie, die am 01. April 1997 begonnen habe, habe sich ihr Zustand im Hinblick auf die extreme Körperspastik in manchen Bereichen deutlich gebessert. Dies werde auch durch die vorgelegten Arztberichte bestätigt. Sie beantragte die weitere Kostenübernahme der Komplextherapie für die nachfolgenden Behandlungen. Diesem Antrag war eine Bescheinigung der Kinderfachärztin Dr. B.-K. der Kinderklinik des Universitätsklinikums T. vom 29. Januar 2001 beigefügt. Die Beklagte erhob eine Stellungnahme des Dr. Meinhold vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) in E., der unter dem 23. Februar 2001 ausführte, bei der Atlas-Therapie nach Arlen handle es sich um eine spezielle Form der Chirotherapie, die nach den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien den außervertraglichen Behandlungsmethoden zugeordnet worden sei. Ein Wirksamkeitsnachweis für diese Therapie anhand wissenschaftlich-statistisch objektivierbarer Kriterien sei bisher nicht erbracht worden, so dass ein Vorteil dieser speziellen Behandlungsmethode gegenüber anerkannten Therapieverfahren nicht belegt sei. Die Erforderlichkeit dieser Therapieform könne deshalb auch für den individuellen Einzelfall gutachterlich nicht begründet werden. Anerkannte manualtherapeutische (chirotherapeutische) Techniken, Krankengymnastik sowie balneophysikalische Maßnahmen stünden im Rahmen der vertragsärztlichen Leistungen ausreichend zur Verfügung. Die Klägerin erhalte ein komplexes Therapieangebot; aus dem Verlauf könne keine eindeutige Befundverbesserung durch die Atlas-Therapie erklärt werden. Eine Fortführung der intensiven therapeutischen Maßnahmen sei notwendig. Die vertragsärztlich angebotenen Therapien seien ausreichend. Entscheidend sei, dass die therapeutischen Bemühungen möglichst im Wohnumfeld oder der näheren Umgebung stattfänden, um einen optimalen Effekt zu erreichen. Mit Bescheid vom 13. März 2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erstattung der in der Ambulanz entstehenden Behandlungskosten ab. Eine Einzelfallentscheidung, wie sie im Jahre 1997 getroffen worden sei, sei leider aufgrund der geänderten Rechtslage nicht mehr möglich. Die Klägerin ließ die Komplextherapie in der Ambulanz vom 26. Februar bis 09. März, am 26. April, vom 06. bis 17. August 2001 sowie vom 20. bis 22. Februar, vom 25. März bis 05. April und vom 04. bis 08. November 2002 durchführen, wobei sie jeweils von ihren Eltern begleitet wurde. Für die Behandlungen und für die Unterkunft entstanden Kosten in Höhe von EUR 7.256,71.

Am 06. April 2001 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. März ein; sie reichte eine Rechnung der Ambulanz vom 15. Mai 2002, ein Schreiben des Leitenden Arztes der Ambulanz Dr. L.-B. vom 28. April 2001 sowie eine Bescheinigung der Dr. B.-K. vom 06. Juni 2001 ein. Sie verwies erneut auf die deutliche Besserung der Körperspastik in manchen Bereichen nach Durchführung der Behandlungen. Sie sei weiter auf die Therapie angewiesen. Als behindertem Kind müsse ihr dadurch eine spätere lebenswerte Zukunft ermöglicht werden. Die Beklagte erhob eine weitere Stellungnahme des Dr. B. vom MDK in H. vom 14. August 2001, der auf moderne vertragsärztliche Behandlungskonzepte für Kinder mit cerebraler Bewegungsstörung hinwies und ausführte, bei den in das Behandlungskonzept der Ambulanz integrierten außervertraglichen Therapiemöglichkeiten, wie die Atlas-Therapie nach Arlen, stehe nicht nur ein Wirksamkeitsnachweis nach den Kriterien der evidenz-basierten Medizin aus; es sei auch die Unbedenklichkeit des Verfahrens nicht dokumentiert. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (BA; seit 01. Januar 2004 Gemeinsamer Bundessausschuss GBA) habe in den entsprechenden Richtlinien keine Empfehlung zugunsten der Komplextherapie abgegeben. Nachdem die Klägerin noch ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 06. Juli 2001 (S 88 KR 1611/00) vorgelegt hatte, erhob die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Dr. B. vom 11. Oktober 2001, der zu dem Ergebnis gelangte, die Notwendigkeit der Komplexbehandlung im vorliegenden Einzelfall könne nicht nachvollzogen werden, zumal auch die Kinderklinik des Universitätsklinikums T. lediglich regelmäßige Anwendungen der manuellen Medizin für erforderlich halte. Von den Begutachtungen unterrichtete die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 18. Oktober 2001. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses vom 07. Februar 2002).

Am 04. März 2002 erhob die Klägerin Klage beim SG Stuttgart, mit der sie die Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 26. Februar 2001 bis 08. November 2002 durchgeführten Komplextherapien begehrte. Sie reichte verschiedene Unterlagen ein und trug vor, nach dem Beschluss des BA vom 21. Juni 2002, wonach die Atlas-Therapie nach Arlen in Nr. 40 der Anlage B der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V, BUB-Richtlinien) aufgeführt sei, könne zwar nicht mehr von einem Systemversagen ausgegangen werden, gleichwohl sei ihr Anspruch nach § 40 Abs. 1 SGB V begründet. Die R.-Klinik sei eine Reha-Klinik und erfülle die Voraussetzungen des § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V, so dass die Klinik die Zulassung zur Versorgung der Versicherten mit Leistungen der ambulanten Reha als so genannte wohnortnahe Einrichtung, wie auch vom SG Berlin entschieden, beanspruchen könne. Nach den Feststellungen der Kinderklinik des Universitätsklinikums T. werde die Indikation zur Komplextherapie bei ihr bestätigt, was nur der Fall sein könne, wenn die ambulante Krankenbehandlung im Sinne einer Begleittherapie nicht ausreiche. Auch nach Ansicht der Kinderklinik sei durch die regelmäßig angewandte Manualtherapie ein leichter positiver Effekt im Hinblick auf die Rumpfstabilität und die Mobilität der oberen Extremität sowie eine Verbesserung der Atemsituation erreicht worden. Die Möglichkeit, die Begleittherapie mit einzelnen Behandlungskomponenten wohnortnah auszuführen, widerspreche der Notwendigkeit der in B. K. durchgeführten Komplextherapie nicht. Diese bestehe aus mehreren Komponenten einschließlich der Atlas-Therapie, die nur in der zeitgleichen Kombination im Rahmen einer intensiven Anwendung ihre positive Wirkung entfalten könne. Deshalb lasse sich die Komplextherapie auch nicht durch einzelne voneinander unabhängig durchgeführte Maßnahmen ersetzen. Ein wohnortnahes vergleichbares Behandlungsangebot existiere nicht. Entscheidend sei bei der Komplextherapie die Verbindung von Atlas-Therapie und neurophysiologischer Krankengymnastik. Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Sie trug vor, die Wirksamkeit der Komplextherapie müsse in wissenschaftlichen Studien erbracht werden, die nach der Aussage der Ärzte des MDK bisher nicht vorlägen. Die behandelnden Ärzte der Ambulanz hätten keine Kassenzulassung. Das SG erhob Auskünfte des früheren BA, Arbeitsausschuss "Ärztliche Behandlung", vom 03. Juli 2002 und der Ambulanz vom 05. Juli 2002, deren Leitender Arzt Dr. L.-B. eine weitere Stellungnahme vom 30. Juni 2002 mit vorlegte, sowie eine schriftliche Auskunft als sachverständige Zeugin der Prof. Dr. K.-M. vom 08. Juli 2002. Mit Urteil vom 10. Oktober 2002, das den Prozessbevollmächtigen der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 13. November 2002 zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin am 09. Dezember 2002 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt, mit der sie den Zahlungsanspruch in Höhe von EUR 7.256,71 weiterverfolgt. Die Klägerin hat verschiedene Unterlagen eingereicht und trägt unter Wiederholung ihrs bisherigen Vorbringens vor, ihr Zahlungsanspruch sei nach den §§ 13 Abs. 3, 40 Abs. 1 SGB V begründet. Es treffe nicht zu, dass die Komplextherapie eine völlig neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V sei. Neu sei lediglich die Atlas-Therapie nach Arlen. Alle anderen physikalisch-medizinischen Elemente der Komplextherapie gehörten bereits zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, weshalb die Kosten für eine Behandlung nicht übernommen würden, wenn dieselbe Therapie ohne das eine Teilelement problemlos unter den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung subsumierbar sei. Die Komplextherapie sei nicht ausschließlich auf die Atlas-Therapie ausgerichtet. Auch die Ärzte der Kinderklinik des Universitätsklinikums T. hätten die Durchführung der Komplextherapie ausdrücklich befürwortet. Die vorgelegten Atteste bestätigten, dass die durchgeführten Behandlungszyklen für sie unverzichtbar gewesen seien. Aus der vorgelegten Rechnung der Ambulanz vom 20. November 2002 über die Behandlungen vom 04. bis 08. November 2002 ergebe sich auch, dass darin Kosten für die Atlas-Therapie nicht enthalten seien. Bei ihr stehe fest, dass nicht die wöchentlich durchgeführte Krankengymnastik sowie die Übungen nach Vojta für den bisherigen Behandlungserfolg ausschlaggebend gewesen seien, sondern fast ausschließlich die mehrmals jährlich durchgeführte Komplextherapie in der Ambulanz. Dies ergebe sich auch daraus, dass, nachdem die mehrwöchigen Komplextherapieintervalle aus Kostengründen nicht mehr möglich seien, inzwischen ihre muskuläre und motorische Weiterentwicklung deutlich zurückgegangen sei und die Gefahr von Kontrakturen zugenommen habe. Der Komplextherapie komme nicht lediglich ergänzende Funktion zur Krankengymnastik und Ergotherapie zu. Die Atlas-Therapie nach Arlen sei zwar ein am Anfang stehendes, jedoch nur eines von vielen Behandlungsmodulen der Komplextherapie, deren Wirkung nicht allein auf die Atlas-Therapie, sondern auf dem Zusammenwirken der gesamten Behandlungen in einer bestimmten Reihenfolge beruhe. Die Vorstellung, dass die Komplextherapie eine adjuvante Behandlung mit Außenseitermethoden darstelle, sei völlig sachfremd und abwegig. Ohne die in Intervallen durchgeführte Komplextherapie wäre sie aufgrund der Spastik und der Kontrakturen nicht in der Lage, die Behindertenschule aufzusuchen, da bloße krankengymnastische Behandlungen die spastikbedingten Fehlentwicklungen nicht verhindert hätten. Dies gelte selbst dann, wenn die Atlas-Therapie in der Komplextherapie weggelassen worden wäre. Dabei werde die Komplextherapie in der Ambulanz auch ohne die Atlas-Therapie angeboten. Insoweit berufe sie sich auf das Zeugnis des Dr. L.-B ... Da die sonstigen Leistungen der Komplextherapie mit Ausnahme der Atlas-Therapie von den Krankenkassen übernommen würden, habe sie also zumindest einen Anspruch auf Kostenerstattung für alle anderen Behandlungsmodule. Der völlige Ausschluss der Kostenerstattung sei nicht gerechtfertigt. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich der am 24. September 2002 veröffentlichte Beschluss des früheren BA vom 21. Juni 2002 nur mit der Atlas-Therapie, nicht jedoch mit der Komplextherapie, wie sie in der Ambulanz durchgeführt worden sei, befasse. Schließlich mache sie für die Behandlungen, die bis zum "05. April 2002" durchgeführt worden seien, ein Systemversagen geltend. Die Gesellschaft für Manuelle Medizin habe nämlich über viele Jahre hinweg erfolglos versucht, beim BA eine Herausnahme der Atlas-Therapie aus der Qualifizierung als Hilfsmittel und eine Überprüfung durch den Ausschuss für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu erreichen. Aufgrund der 1994 erfolgten rechtswidrigen Zuordnung der Atlas-Therapie zu den Hilfsmitteln ergebe sich eine jahrelange Untätigkeit des BA. Es liege ein durch Irrtum des BA bedingter Systemmangel vor. Es treffe auch nicht zu, dass der BA erst im Juli 2001 mit der Komplextherapie befasst worden sei. Vielmehr sei der BA erst in diesem Zeitpunkt bereit gewesen, die Atlas-Therapie einer Prüfung zu unterziehen. Dazu berufe sie sich auf das Zeugnis des Prof. Dr. G.-B ... Ihr könne auch nicht entgegengehalten werden, dass sie die Komplextherapie im Februar 2001 fortgeführt habe, ohne den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 13. März 2001 abzuwarten. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte bis Ende 2000 die Kosten für die Behandlungen in der Ambulanz übernommen habe und zum Teil in anderen Fällen auch heute noch übernehme. Ihre Eltern hätten durchaus darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte auch im Februar 2001 wiederum für die Kosten aufkommen werde. Der Bescheid vom 13. März 2001 habe sie überrascht. Im Hinblick auf ihre weitere Entwicklung sei sie von der mindestens im Halbjahresabstand durchzuführenden Komplextherapie abhängig gewesen. Ein Zuwarten hätte daher einen deutlichen Rückschritt bedeutet. Zwar habe es sich nicht um eine Notfalltherapie, jedoch um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Es gehe nicht an, dass der Beginn einer medizinisch indizierten und dringend erforderlichen Therapie davon abhängig gemacht werden könne, dass sich die Krankenkasse zunächst eine abschließende Meinung zur Kostenübernahme bilde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 13. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. Februar 2002 zu verurteilen, an sie EUR 7.256,71 zu zahlen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Sie hat den Bewilligungsbescheid vom 22. September 1997 vorgelegt.

Der Berichterstatter des Senats hat die Beteiligten mit Schreiben vom 18. März und 05. Mai 2003 darauf hingewiesen, dass der Senat erwäge, gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Zu dieser Verfahrensweise hat die Klägerin mit Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigen vom 24. April und 08. Mai 2003 Stellung genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entschieden hat, wobei die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigen der Klägerin vom 24. April und 08. Mai 2003 keinen Anlass gegeben haben, von dieser Verfahrensweise abzuweichen, ist statthaft und zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 13. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. Februar 2002 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen hier nur nach § 13 Abs. 3 SGB V, der in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung anzuwenden ist, durchzusetzenden Anspruch auf Erstattung von EUR 7.256,71 für die bei ihr in der Zeit vom 26. Februar 2001 bis 08. November 2002 in der Ambulanz durchgeführte Komplextherapie einschließlich der im Zusammenhang mit den ärztlichen Behandlungen geltend gemachten Nebenkosten für Unterbringung.

Der Senat lässt dahingestellt, ob es sich bei der bei der Klägerin bereits vom 26. Februar bis 09. März 2001, wie die zur Erstattung vorgelegte Rechnung der Ambulanz vom 14. März 2001 belegt, nach der schon für den 26. Februar 2001 intensives myofasziales Lösen eines Muskelsystems, Atlas-Therapie nach Arlen und chirotherapeutischer Eingriff WS abgerechnet wurden, durchgeführten Komplextherapie um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt hat und der Klägerin deshalb nicht zuzumuten war, vor Durchführung der weiteren Serienbehandlung zunächst den ablehnenden Bescheid der Beklagten abzuwarten.

Dass die Komplexbehandlung als (neues) Heilmittel insbesondere im Hinblick auf die Atlas-Therapie als integrierter Bestandteil der Komplextherapie nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen werden kann, hat das SG zutreffend dargelegt. Auf die Entscheidungsgründe wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 13. März 2002 (B 1 KR 36/00 R = SozR 3-2500 § 138 Nr. 2) klargestellt, dass für den BA bei der Prüfung neuer Heilmittel die selben Beurteilungsmaßstäbe gelten wie für neue Behandlungsmethoden. Auch als ärztliche Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V ist die Komplexbehandlung unter Einschluss der Atlas-Therapie, wie sie in der von Dr. L.-B. in der vorgelegten Stellungnahme vom 30. Juni 2002 beschrieben ist, eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V, die nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung erbracht werden kann. Deshalb scheidet auch ein Anspruch auf Kostenerstattung für die selbst beschaffte Behandlung aus. Eine Qualifizierung der Komplextherapie als ambulante Rehabilitation nach § 40 Abs. 1 SGB V vermag der Senat, abgesehen davon, dass auch eine solche Rehabilitation nicht die Anwendung neuer Behandlungsmethoden zuließe, nicht zu bejahen.

Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der BA (ab 01. Januar 2004 der GBA) auf Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über 1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung, 2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen oder Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und 3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Der BA überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien des Satzes 1 Nr. 1 entsprechen (Satz 2 der Vorschrift). Falls die Überprüfung ergibt, dass diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden (Satz 3 der Vorschrift). Der BA hat durch Beschluss vom 21. Juni 2002 die BUB-Richtlinien in der Weise geändert, dass nunmehr nach Anlage B ("Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen") in Nr. 40 die Atlas-Therapie als außervertragliche Leistung aufgenommen wurde. Dieser Beschluss ist am Tag nach der Bekanntgabe im Bundesanzeiger, die im Bundesanzeiger Nr. 179 vom 24. September 2002 erfolgte, also am 25. September 2002, in Kraft getreten. Danach kann die Atlas-Therapie nach Arlen als ärztliche Behandlung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen beansprucht werden, und zwar weder für Behandlungen, die vor dem 25. September 2002 durchgeführt worden sind, noch für danach erfolgte Behandlungen.

Die bei der Klägerin durchgeführten streitigen Behandlungen setzten sich, wie auch die von ihr vorgelegten Rechnungen der Ambulanz belegen, als einheitliches Behandlungskonzept aus verschiedenen ambulant erbrachten ärztlichen Leistungen zusammen, und zwar - ausgenommen die Behandlungen vom 04. bis 08. November 2002 - unter Einschluss der Atlas-Therapie nach Arlen. Streitgegenstand war von Anfang an lediglich die Komplextherapie unter Einschluss der Atlas-Therapie, wie sie auch bis zum 31. Dezember 2000 durchgeführt worden war. Ist, wie hier, die Atlas-Therapie integrierter Teil eines Gesamtkonzepts einer Behandlung ist der Leistungsausschluss zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung schon dann zu bejahen, wenn bereits dieser integrierte Teil als neue Behandlungsmethode ausgeschlossen ist. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass hier die Atlas-Therapie für das Gesamtkonzept der Behandlungen in der Ambulanz nur ein unwesentlicher Teil war. Dabei berücksichtigt der Senat, dass Dr. L.-B. in der Stellungnahme vom 30. Juni 2002 darauf hingewiesen hat, dass die Atlas-Therapie gerade bei der Behandlung bewegungsgestörter Kinder einen synergetischen Ko-Faktor bei der Komplextherapie bildet. In dieser Form ist die Atlas-Therapie in der Ambulanz im Rahmen des individuellen Gesamtkonzepts eingesetzt worden. Mithin war nicht zu prüfen, ob einzelne Elemente der Komplextherapie, zum Beispiel der chirotherapeutische Eingriff an der Wirbelsäule, vertragsärztliche Leistungen sind. Da der negative Beschluss des BA zur Atlas-Therapie am 25. September 2002 in Kraft getreten ist, konnte die Komplextherapie, die ab dem 25. September 2002 bei der Klägerin durchgeführt wurde, nicht zu Lasten der Beklagten abgerechnet werden. Eine gerichtliche Überprüfung des Beschlusses des BA vom 21. Juni 2002 ist ausgeschlossen. Für die vor dem 25. September 2002, als ein negativer Beschluss des BA zur Atlas-Therapie fehlte, durchgeführten streitigen Behandlungen gilt Folgendes: Die Rechtswidrigkeit der Leistungsverweigerung ließe sich nach der Rechtsprechung als so genannter Systemmangel nur mit der rechtswidrigen Untätigkeit des BA begründen. Ein Systemmangel liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung des BA trotz Erfüllung der für die Überprüfung neuer Behandlungsmethoden formal und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen unterblieben oder verzögert worden wäre (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14; BSG SozR 3-2500 § 27a Nr. 2; zuletzt BSG, SozR 3-2500 § 138 Nr. 2 und SozR 4-2500 § 135 Nr. 1). Dafür ist jedoch hinsichtlich der Beurteilung der Atlas-Therapie bis zum Beschluss vom 21. Juni 2002 nichts ersichtlich. Im Übrigen vermag der Senat eine rechtswidrige Untätigkeit des BA hinsichtlich der Beurteilung der Komplexbehandlung als solche auch unter Einschluss der Atlas-Therapie nicht zu bejahen, zumal dem von der Klägerin vorgelegten - nicht rechtskräftigen - Urteil des SG Berlin vom 06. Juli 2001 (S 18 KR 1611/00), dort auf Seite 6, entnommen werden kann, dass dem BA jedenfalls bis zum 05. Juli 2001 ein Antrag auf Prüfung der Komplextherapie als neuer Behandlungsmethode nicht vorgelegen hat.

Die Klägerin trägt zwar vor, bei der Komplextherapie vom 04. bis 08. November 2002 habe die Ambulanz die Anwendung der Atlas-Therpie nach Arlen nicht mehr abgerechnet. Der Senat vermag jedoch nicht festzustellen, dass sich die bei der Klägerin im November 2002 durchgeführte Behandlung im Rahmen der Komplextherapie hinsichtlich des Behandlungskonzepts geändert hätte. Sofern im November 2002 eine völlig andere Komplextherapie zur Anwendung gekommen sein sollte, die sich ausschließlich aus Komponenten zusammen gesetzt hätte, die alle zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört hätten, fehlte es für die Durchsetzung eines Anspruchs auf Kostenerstattung an einer Verwaltungsentscheidung zu der nun grundlegend geänderten Komplextherapie.

Darauf, dass andere gesetzliche Krankenkassen für Behandlungen mittels Atlas-Therapie nach Arlen bzw. für die Komplexbehandlung unter Einschluss der Atlas-Therapie in Einzelfällen Kosten übernommen oder sich daran beteiligt haben mögen, wie es auch im Falle der Klägerin bis zum 31. Dezember 2000 der Fall war, kann sie sich ebenso wenig berufen, wie auf einen möglichen Erfolg der bei ihr in der Ambulanz durchgeführten Behandlungen. Die Erhebung von Sachverständigengutachten war nicht geboten.

Da die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der von der Ambulanz abgerechneten Behandlungskosten hat, kann sie auch nicht die Erstattung von weiter geltend gemachten akzessorischen Nebenkosten verlangen, die ihr bzw. ihren Eltern anlässlich der Durchführung der Behandlungen in der Ambulanz entstanden sind, wie die Kosten für eine private Unterkunft während der jeweiligen Behandlungszyklen.

Danach war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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