Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 2884/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 358/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die vollen Kosten für eine künstliche Befruchtung zu tragen hat.
Die 1971 geborene Klägerin und der 1969 geborene Kläger sind bei der Beklagten krankenversichert. Da der Kläger an einer hochgradigen Fertilitätsstörung leidet, legten sie der Beklagten die Behandlungs-/Kostenpläne des Dr. R. (IVF-Zentrum U.) vom 04.04.2005 für eine geplante intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) mit voraussichtlichen Kosten von 3.474,66 EUR bei der Klägerin und 56,95 EUR beim Kläger zur Genehmigung vor.
Mit Bescheiden vom 19.04.2005 (ohne Rechtsmittelbelehrung) genehmigte die Beklagte die vorgelegten Behandlungspläne. Die Kostenzusage gelte für drei Behandlungsversuche und 50 % der entstehenden Kosten (inklusive Medikamentenkosten).
Dagegen erhoben die Kläger am 30.05.2005 Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte sei zur Erstattung der vollen Kosten der Kinderwunschbehandlung für vier Behandlungszyklen verpflichtet. Die gesetzliche Regelung des § 27 a Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), auf die sich die Beklagte bei der Begrenzung der Leistungspflicht berufe, sei verfassungswidrig und stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehegatten und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die Regelung verstoße gegen elementare Verfassungsgrundsätze, insbesondere das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das GKV-Modernisierungsgesetz stelle ausschließlich Ehepaare mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen schlechter. Die Ehepartner mit Kinderwunsch würden zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung besonders belastet. Vom Vorsitzenden des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren werde aufgrund der Neuregelung ein Anstieg der Mehrlingsgeburten mit einer daraus resultierenden Kostenerhöhung befürchtet, da potentielle Eltern unter dem Kostendruck versucht sein würden, die rechtlich mögliche maximale Anzahl befruchteter Eizellen implantieren zu lassen, um so die Chancen einer Geburt zu erhöhen. Die Nichtanwendung der sonst geltenden Obergrenze für Selbstbeteiligungen von 2 % des Jahreseinkommens stelle eine weitere Schlechterstellung von Familien gegenüber Nicht-Familien dar. Auch das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG sei durch die Reduktion der Kostenübernahme auf 50 % verletzt, da eine unsachgemäße Differenzierung zwischen zwei gleichen Sachverhalten vorgenommen werde. Grundsätzlich übernehme die gesetzliche Krankenkasse auch noch nach der Gesundheitsreform die Kosten einer notwendigen medizinischen Behandlung, bei einer künstlichen Befruchtung jedoch nur noch 50 %, obwohl es sich auch dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesfinanzgerichtshofs (BFH) um eine Heilbehandlung handle. Die künstliche Befruchtung der Eizellen der Frau mit dem Sperma ihres Mannes vermöge einem Ehepaar zu einem (genetisch) gemeinsamen Kind zu verhelfen und damit die Folgen eines anormalen körperlichen Zustandes der Frau - nämlich ihre Unfähigkeit, durch einen Zeugungsakt von ihrem Ehemann Kinder zu empfangen - zu überwinden. Ohne Belang sei, dass die künstliche Befruchtung nicht die Empfängnisunfähigkeit der Frau "heile", sondern lediglich unbeschadet fortbestehender Empfängnisunfähigkeit eine Schwangerschaft mittels ärztlicher Kunst herbeiführe. Der Gleichheitssatz sei auch durch die Ungleichbehandlung von besser und schlechter Verdienenden verletzt. Die Gesundheitsreform wolle weiterhin dauerhaft die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung garantieren, unabhängig vom Einkommen des Patienten. Durch die Einschränkung des Anspruchs auf 50 %ige Kostenübernahme sei die notwendige medizinische Versorgung im Bereich der künstlichen Befruchtung jedoch denjenigen Einkommensgruppen verwehrt, die die übrigen 50 % nicht aufbringen könnten. Durchschnittlich koste eine Behandlung 2500,- EUR, wobei meist mehrere Behandlungen notwendig seien. Danach sei auch das Recht auf Familiengründung aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, denn die Neuregelung stelle einen Eingriff in diesen Schutzbereich dar, der nicht gerechtfertigt sei. Für die Familie bedeute Art. 6 Abs. 1 GG als Abwehrrecht, dass der Staat die Freiheit der Familiengründung im Prinzip ermöglichen müsse, beschränkt nur durch andere Grundrechte. Zwangssterilisation und andere Beschränkungen der Fortpflanzungsmöglichkeiten bedürften einer besonderen Legitimation. In die vorbehaltlosen Schutzbereiche von Ehe und Familie dürfe der Staat nicht eingreifen, er dürfe sie durch definierende Regelungen von Ehe und Familie nur gestalten. Die vorliegende Regelung definiere nicht die Institute Ehe und Familie, sondern greife in diese ein, ohne dass kollidierendes Verfassungsrecht ersichtlich sei. Jedenfalls sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Das GMG verfolge den legitimen Nahzweck, die entstehende Finanzierungslücke zwischen sinkenden Beitragszahlungen und steigenden Ausgaben durch eine Umschichtung und Kürzung der staatlichen Bezuschussung bei der medizinischen Versorgung zu schließen und durch die Konsolidierung der Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung das legitime übergeordnete Ziel zu erreichen, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung dauerhaft unabhängig vom Einkommen der Betroffenen zu sichern. Das GMG sei jedoch bezüglich der Regelung der künstlichen Befruchtung nicht geeignet, diesen Zweck zu erfüllen. Durch diese Regelung werde die Lücke nicht geschlossen, sondern erweitert, indem der Zeugung neuer Beitragszahler im Rahmen der künstlichen Befruchtung so hohe finanzielle Hürden gesetzt würden, dass sich die wenigsten Paare eine Behandlung noch leisten könnten. Die demographische Entwicklung sei durch die zunehmende Lebenserwartung bei gleichzeitigem Geburtenrückgang gekennzeichnet. Dabei sei jede sechste Partnerschaft heute ungewollt kinderlos. Im Jahr 2001 seien 12.000 Geburten nach einer künstlichen Befruchtung erfolgt, was die gesetzlichen Krankenkassen insgesamt 120 Millionen, Euro gekostet habe. Diese 12.000 Kinder würden - nach Schätzungen - im Laufe ihres Lebens ca. 7 Milliarden Euro an die Sozialversicherungen zahlen, davon 1,3 Milliarden Euro an die Krankenversicherung. Reproduktionsmediziner gingen von einem zusätzlichen Geburtenrückgang von 10.000 aus aufgrund der neuen Rechtslage. Aus der amtlichen Begründung zu Art. 1 Nr. 14 a GKV-MG sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich der Auswirkung des Gesetzes auf den verfolgten Zweck auch nur bewusst gewesen sei. Der Gesetzgeber hätte zumindest die verfassungsrechtliche Pflicht gehabt, eine Prognose vorzunehmen. Selbst wenn die Geeignetheit des Gesetzes bejaht werden würde, sei das Gesetz jedenfalls nicht verhältnismäßig im engeren Sinn - also unzumutbar. Es mangle bereits an der Erforderlichkeit der Regelung des § 27 a SGB V, denn der Gesetzgeber hätte andere - mildere - Mittel gehabt, z.B. hätte er bei gleich bleibender Kostenbelastung anstatt drei Zyklen zu 50 % zu finanzieren, z.B. den ersten Zyklus voll finanzieren und den zweiten zur Hälfte oder den zweiten und dritten jeweils zu 25 % finanzieren können. Schließlich verstoße § 27 a Abs. 3 SGB V auch gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Nachkommenschaft aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG. Ein solches Recht sei in Deutschland dogmatisch zwar noch in der Entwicklung, habe aber bereits Anerkennung und Anwendung in der Rechtsprechung gefunden. In anderen Rechtsordnungen (z.B. in Portugal) sei dieses "Recht auf Nachkommenschaft", d.h. das Recht Kinder zu bekommen, sei es auf natürliche oder künstliche Weise oder durch Adoption, bereits anerkannt worden. Das Bundesverfassungsgericht habe im Rahmen der Schwangerschaftsabbruch-Entscheidungen das Grundrecht, frei über die eigene Fortpflanzung zu entscheiden, in seiner negativen Funktion anerkannt. Der Bundesfinanzhof habe in jüngster Zeit festgestellt, dass das Recht, Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Ein Recht auf Nachkommenschaft könne daher abgeleitet werden aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das im Lichte der Institutsgarantie und Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie auszulegen sei. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei wegen der Hochrangigkeit und Absolutheit des Würdeschutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Recht auf Nachkommenschaft berühre einen Lebensbereich, der zum innersten Kern der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre.
Mit Bescheid vom 02.06.2005 wiederholte die Beklagte gegenüber dem Kläger ihre Auffassung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück: Als Körperschaft des öffentlichen Rechts unterliege sie der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorschriften bestehe keine Handhabe für eine über 50 % hinausgehende Leistungsgewährung. Auch die vorgebrachten Verfassungsverstöße würden nicht greifen. Unabhängig davon, dass diese schon nicht ersichtlich seien, stehe der Beklagten unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsprinzips eine entsprechende Verwerfungskompetenz auch nicht zu.
Deswegen erhoben die Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) und wiederholten zur Begründung ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.
Mit Urteil vom 27.10.2005, den Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 23.12.2005 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, unstreitig lägen die Anspruchsvoraussetzungen für eine künstliche Befruchtung gemäß § 27 a Abs. 1 SGB V vor. Streitig sei die Beschränkung der Kostenübernahme auf 50 %. Diese ergebe sich zwingend aus § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V in der seit 01.01.2004 geltenden Fassung. Bis zum 31.12.2003 hätten die Kassen 100 % der entstehenden Kosten übernommen. Die Entscheidung der Beklagten sei durch die Neuregelung eindeutig vorgegeben gewesen. Diese sei auch nicht verfassungswidrig. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet würden, unterliege aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lasse sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Alleiniger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG), Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Damit sei dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Eine Grenze sei dann erreicht, wenn sich für seine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lasse. Im übrigen folge aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stützen, darüber hinaus sei verfassungsrechtlich jedoch nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereit zu halten. Dabei habe der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art. 2 Abs. 2 GG regelmäßig nicht ableiten ließen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folge jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Der Gesetzgeber verletze seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherungen Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnehme, die in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienten. Unter Beachtung dieser Vorgaben bestünden gegen die zum 01.01.2004 in Kraft getretene Verringerung des Versicherungsschutzes im Bereich der künstlichen Befruchtung keine Bedenken. Die Neuregelung sei Teil der Bemühungen des Gesetzgebers, die Ausgaben im Bereich der Krankenversicherung zu begrenzen und nach Möglichkeit abzusenken, um die Finanzierung des Krankenversicherungssystems sicher zu stellen, insbesondere eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten, die allgemeingesellschaftlich unerwünscht sei, zu verhindern. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liege nicht vor. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lägen den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und den Maßnahmen zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde, so dass diese Gruppen unterschiedlich behandelt werden könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bilde für die künstliche Befruchtung nicht eine Krankheit, sondern die Unfähigkeit eines Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung den Versicherungsfall (Hinweis auf Urteil des BSG vom 03.04.2001 - B 1 KR 22/00 R -). Der Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsfall bei künstlicher Befruchtung sei zu folgen. Bei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gehe es nicht um die Frage des körperlichen und geistigen Daseins des Versicherten, sondern um die Weitergabe von Leben. Die Möglichkeit hierzu sei nach Überzeugung der Kammer nicht zwingend Gegenstand der Krankenversicherung. Es habe zwar nahe gelegen, die künstliche Befruchtung mit in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen, dies jedoch als besonderen Versicherungsfall unter Erweiterung des klassischen Krankenversicherungsschutzes. Auch die Argumentation der Kläger stütze diese Auffassung, da sie diesen Lebensbereich mit dem Glück, Leben zu geben und die Hingabe seiner selbst an sein Kind als besondere Herausforderung und neue Dimension der Persönlichkeitsentfaltung beschrieben hätten. Der in § 27 SGB V gewährte Krankenversicherungsschutz umfasse diese "Dimension der Persönlichkeitsentfaltung" nicht. Zu beachten sei ferner, dass bereits vor dem 01.01.2004 eine Beschränkung des Versicherungsschutzes bestanden habe. Nach der früheren Regelung habe die Krankenkasse maximal die Kosten für vier Versuche zu übernehmen gehabt. Dies sei im Gesetz (jetzt § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V beschränkt auf drei Versuche) pauschalierend damit begründet worden, dass danach keine hinreichenden Erfolgsaussichten mehr bestünden. Eine verfassungsrechtlich beanstandenswerte Ungleichbehandlung von Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liege mithin nicht vor. Die Beschränkung auf eine Kostenübernahme von 50 % liege im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung von Leistungen der Krankenkassen. Anzumerken sei noch, dass im Bereich des Zahnersatzes die Kostenübernahme ebenfalls auf 50 bzw. 70 % beschränkt sei. Dass der Gesetzgeber für den Bereich der künstlichen Befruchtung keine Ausnahmeregelung vorgesehen habe, sei unbedenklich, da es hier nicht um die Beseitigung eines lebensbedrohlichen Zustands gehe und es daher hingenommen werden müsse, dass unter Umständen Versicherte in beschränkten wirtschaftlichen Verhältnissen sich dementsprechende Maßnahmen nicht leisten könnten. Es liege auf der Hand, dass das Krankenversicherungsrecht unterschiedliche wirtschaftliche Lebenssituationen nicht in vollem Umfang ausgleichen könne und auch nicht die Aufgabe habe, einen solchen Ausgleich herbeizuführen. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG, der den Schutz der Familie als Abwehrrecht regle, sei nicht gegeben, da es vorliegend nicht um einen Eingriff in den Schutzbereich der Ehe und Familie gehe, sondern um die Frage, ob der verfassungsrechtlich vorgegebene Schutzauftrag dem Gesetzgeber vorschreibe, die Zeugung von Nachkommen zu ermöglichen. Ein solches Recht auf Nachkommenschaft als Leistungsrecht bestehe nach der Überzeugung der Kammer nicht. Es bestünden auch keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Neuregelung, denn diese führe ohne Zweifel zu einer geringeren Kostenbelastung der Krankenkassen. Die Ausführungen der Kläger zu einem angeblich zu erwartenden Geburtenrückgang und einem damit verbundenen Ausfall von Krankenversicherungsbeiträgen in der Zukunft seien rein spekulativ. Zuzugeben sei, dass die Neuregelung in einem starken Spannungsverhältnis zu den allgemeinen politischen Äußerungen der an der Gesetzgebung beteiligten Parteien stehe. Dies ändere aber nichts daran, dass die Neuregelung aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sei. Ein Widerspruch zu allgemeinen politischen Meinungsbekundungen führe nicht zur Verfassungswidrigkeit einer Norm.
Hiergegen richtet sich die am 23.01.2006 eingelegte Berufung der Kläger. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor, das Gericht verkenne, dass § 27 a SGB V einen hohen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 Satz 1 GG darstelle. Bei den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung handle es sich keineswegs lediglich um Maßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität, vielmehr sei Sterilität eine Krankheit, deren Diagnose - vergleichbar der anderer anerkannter Krankheiten - aufgrund des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens bestimmter medizinisch-biologischer Parameter gestellt werde. Erst das Vorliegen der Unfruchtbarkeit bzw. der Fruchtbarkeitsstörungen führe zu einem subjektiven Missempfinden der Betroffenen. Es gebe eine Reihe anderer Krankheiten, deren Behandlungskosten zu 100 % von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen würden. Insoweit sei nicht ersichtlich, wieso in Bezug auf die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung andere Maßstäbe angelegt würden. Entgegen der Argumentation des Sozialgerichts bestünden auch erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Neuregelung, denn langfristig betrachtet werde den gesetzlichen Krankenkassen durch einen Rückgang der Geburtenraten geschadet. Das Sozialgericht verkenne auch, dass die Vollfinanzierung des ersten Zyklusses und eine anteilige Finanzierung von jeweils 25 % für den zweiten und dritten Zyklus ein milderes Mittel im Vergleich zur bestehenden Regelung darstelle. Die Rückführung der Kostenübernahme bei künstlicher Befruchtung sei nicht für die Konsolidierung der Finanzierungsgrundlage der GKV geeignet. Zwar habe der Gesetzgeber grundsätzlich einen Einschätzungsspielraum zur Tatsachenlage, die Grenzen seien jedoch mit der Kostenregelung des § 27 a Abs. 3 SGB V weit überschritten worden. Diese Regelung stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehepartnern und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar, denn hierdurch werde das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Zur weiteren Begründung wiederholen die Kläger im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Die Kläger haben den Jahresbericht Deutsches IVF-Register Seite 5, 6 beigefügt.
Die Kläger beantragen - teilweise sinngemäß -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Oktober 2005 aufzuheben sowie die Bescheide vom 19. April 2005 und 02. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2005 abzuändern bzw. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten der Kinderwunschbehandlung für zwei Zyklen zu 100 % zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und insbesondere statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da die geltend gemachte Erstattung die Berufungssumme von 500,- EUR übersteigt.
Die Berufung ist indes nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Das SG hat unter zutreffender Darstellung der Rechtsgrundlage, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, dargelegt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, mehr als 50 % der Kosten zu übernehmen, die bei insgesamt drei Zyklen aufgrund der durchgeführten ICSI angefallen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verfassungsrecht, wie das SG ausführlich begründet hat. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung.
Die Neufassung des § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Dieses Grundrecht ist vielmehr nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 104, 126, 144 f = SozR 3 - 8570 § 11 Nr. 5 S 48 f; BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3 - 3300 § 54 Nr. 2 S 12 jeweils m.w.N.). Dabei setzt der Gleichheitssatz dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Außerhalb dieses Bereichs lässt er dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln; die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot, d.h. wenn sich für die Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (BVerfGE 102, 68, 87 = SozR 3 - 2500 § 5 Nr. 42 S 184; BVerfGE 97, 271, 290 f = SozR 3 - 2940 § 58 Nr. 1 S 10 f jeweils m.w.N.; BSG, Urteil vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 -). Eine gesetzliche Regelung kann anhand Art. 3 Abs. 1 GG hingegen nicht dahingehend überprüft werden, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gewählt hat (BVerfGE 15, 167, 201; 26, 302, 310).
Aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl. BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195). Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereitzuhalten. Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelmäßig nicht ableiten lassen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl. BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (ständige Rechtsprechung, Urteil des BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R -).
Auch die Pflicht zum besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG begründet keine konkreten Ansprüche auf eine bestimmte Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung (BVerfGE vom 12.02.2003 - 1 BvR 624/01 - SozR 4 - 2500 § 10 Nr. 1 RdNr 28 und unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60, 81; BSG vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 R-). Ein Anspruch, die Bildung der Familie speziell durch die Finanzierung ärztlich assistierter Zeugung eines Kindes zu fördern, besteht daher nicht (Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin vom 28.10.2003 - 4B 3/03 -).
Grundrechtlich geschützte Freiheiten sind durch die hälftige Beteiligung der Versicherten an der streitigen Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht betroffen. Der Gesetzgeber hat seinen demnach im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG weiten Gestaltungsspielraum nicht deshalb überschritten, weil sich Leistungseinschränkungen bei Versicherten je nach deren finanzieller Situation unterschiedlich auswirken können, denn Abstufungen des Leistungsumfangs in der Krankenversicherung sind verfassungsrechtlich nicht generell ausgeschlossen. Die soziale Sicherheit, insbesondere auch der Krankenversicherungsschutz zu bezahlbaren Konditionen, ist stets als ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang anzusehen, der vielfältige Einschränkungen auf Seiten der Versicherten, enttäuschtes Vertrauen, Reduzierung von Leistungen, Einschränkungen in der Berufsausübung- oder in der Berufswahlfreiheit rechtfertigt. Neben der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung hat gerade im Gesundheitswesen der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist für das Gemeinwohl anerkanntermaßen von hoher Bedeutung (vgl. BVerfGE 70, 1, 30; 82, 209, 230). Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierbarkeit einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems leiten lassen darf. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen stets in einem angemessenen Verhältnis stehen. Verfolgt der Gesetzgeber ein komplexes Ziel - wie die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung - mit vielfältigen Mitteln, ist eine Maßnahme nicht ungeeignet, weil die Betroffenen andernorts größere Einsparpotenziale sehen. Auch ist eine bestimmte Maßnahme nicht deshalb als nicht erforderlich anzusehen, weil es andere Mittel innerhalb des Systems gibt, die andere Personen weniger belasten würden. Eine einzelne Maßnahme ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil nicht alle Betroffenen durch die gesetzlichen Vorkehrungen gleichmäßig belastet werden. Die Politik entscheidet letztlich, welches der richtige Weg zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist.
Vor diesem Hintergrund ist das von dem Gesetzgeber mit dem GMG verfolgte Ziel, die gesetzliche Krankenversicherung als solidarische Gemeinschaft mit umfassender medizinischer Versorgung zu erhalten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn der Gesetzgeber zur Verwirklichung dieses Ziel nicht den Weg einer weiteren Steigerung der Beitragssätze, sondern den Weg von Einsparungen innerhalb des Systems gegangen ist, obliegt dies seinem auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstandenden Ermessen. Es handelt sich um keine willkürliche Maßnahme, denn sie wird von der nachvollziehbaren Erkenntnis getragen, dass bei steigender Arbeitslosigkeit infolge steigender Beitragssätze die Zahl der Beitragszahler weiter abnimmt, wodurch eine Finanzierungslücke entsteht bzw. die vorhandene Lücke vertieft wird. Die Versicherten können angesichts dessen nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verlangen, von Maßnahmen, die dem Erhalt des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen, verschont zu bleiben. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich von Zuzahlungen. Diese sind ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung des Haushaltes. Auch in anderen Bereichen existieren Zuzahlungen, z.B. im Bereich des Zahnersatzes. Im übrigen hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen nicht vorliegt, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG liegen den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und den Maßnahmen zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde, so dass diese Gruppen unterschiedlich behandelt werden können.
Schließlich ist auch ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG i.V.m. Art. 1 GG nicht erkennbar. Danach muss der Staat eine medizinische Grundversorgung vorhalten und sicherstellen, dass unabdingbar notwendige Leistungen der Krankenbehandlung auch für sozial Schwache zur Verfügung stehen, im übrigen steht es dem Gesetzgeber jedoch frei, in der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung - wie es in den letzten Jahren zunehmend auch geschehen ist - bei Leistungsfähigkeit Zuzahlungen zu verlangen und gewisse Leistungen (beispielsweise auch Brillengestelle und in weiten Bereichen auch die Zahnprothetik) gänzlich von der Leistungspflicht auszuschließen. Ob die hier zu beurteilende Leistungsbeschränkung rechtspolitisch sinnvoll ist, hat der Senat nicht zu bewerten, da wie oben ausgeführt, eine gesetzliche Regelung nicht dahingehend zu überprüfen ist, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat.
Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die vollen Kosten für eine künstliche Befruchtung zu tragen hat.
Die 1971 geborene Klägerin und der 1969 geborene Kläger sind bei der Beklagten krankenversichert. Da der Kläger an einer hochgradigen Fertilitätsstörung leidet, legten sie der Beklagten die Behandlungs-/Kostenpläne des Dr. R. (IVF-Zentrum U.) vom 04.04.2005 für eine geplante intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) mit voraussichtlichen Kosten von 3.474,66 EUR bei der Klägerin und 56,95 EUR beim Kläger zur Genehmigung vor.
Mit Bescheiden vom 19.04.2005 (ohne Rechtsmittelbelehrung) genehmigte die Beklagte die vorgelegten Behandlungspläne. Die Kostenzusage gelte für drei Behandlungsversuche und 50 % der entstehenden Kosten (inklusive Medikamentenkosten).
Dagegen erhoben die Kläger am 30.05.2005 Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte sei zur Erstattung der vollen Kosten der Kinderwunschbehandlung für vier Behandlungszyklen verpflichtet. Die gesetzliche Regelung des § 27 a Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), auf die sich die Beklagte bei der Begrenzung der Leistungspflicht berufe, sei verfassungswidrig und stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehegatten und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die Regelung verstoße gegen elementare Verfassungsgrundsätze, insbesondere das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Das GKV-Modernisierungsgesetz stelle ausschließlich Ehepaare mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen schlechter. Die Ehepartner mit Kinderwunsch würden zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung besonders belastet. Vom Vorsitzenden des Bundesverbandes Reproduktionsmedizinischer Zentren werde aufgrund der Neuregelung ein Anstieg der Mehrlingsgeburten mit einer daraus resultierenden Kostenerhöhung befürchtet, da potentielle Eltern unter dem Kostendruck versucht sein würden, die rechtlich mögliche maximale Anzahl befruchteter Eizellen implantieren zu lassen, um so die Chancen einer Geburt zu erhöhen. Die Nichtanwendung der sonst geltenden Obergrenze für Selbstbeteiligungen von 2 % des Jahreseinkommens stelle eine weitere Schlechterstellung von Familien gegenüber Nicht-Familien dar. Auch das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG sei durch die Reduktion der Kostenübernahme auf 50 % verletzt, da eine unsachgemäße Differenzierung zwischen zwei gleichen Sachverhalten vorgenommen werde. Grundsätzlich übernehme die gesetzliche Krankenkasse auch noch nach der Gesundheitsreform die Kosten einer notwendigen medizinischen Behandlung, bei einer künstlichen Befruchtung jedoch nur noch 50 %, obwohl es sich auch dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesfinanzgerichtshofs (BFH) um eine Heilbehandlung handle. Die künstliche Befruchtung der Eizellen der Frau mit dem Sperma ihres Mannes vermöge einem Ehepaar zu einem (genetisch) gemeinsamen Kind zu verhelfen und damit die Folgen eines anormalen körperlichen Zustandes der Frau - nämlich ihre Unfähigkeit, durch einen Zeugungsakt von ihrem Ehemann Kinder zu empfangen - zu überwinden. Ohne Belang sei, dass die künstliche Befruchtung nicht die Empfängnisunfähigkeit der Frau "heile", sondern lediglich unbeschadet fortbestehender Empfängnisunfähigkeit eine Schwangerschaft mittels ärztlicher Kunst herbeiführe. Der Gleichheitssatz sei auch durch die Ungleichbehandlung von besser und schlechter Verdienenden verletzt. Die Gesundheitsreform wolle weiterhin dauerhaft die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung garantieren, unabhängig vom Einkommen des Patienten. Durch die Einschränkung des Anspruchs auf 50 %ige Kostenübernahme sei die notwendige medizinische Versorgung im Bereich der künstlichen Befruchtung jedoch denjenigen Einkommensgruppen verwehrt, die die übrigen 50 % nicht aufbringen könnten. Durchschnittlich koste eine Behandlung 2500,- EUR, wobei meist mehrere Behandlungen notwendig seien. Danach sei auch das Recht auf Familiengründung aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, denn die Neuregelung stelle einen Eingriff in diesen Schutzbereich dar, der nicht gerechtfertigt sei. Für die Familie bedeute Art. 6 Abs. 1 GG als Abwehrrecht, dass der Staat die Freiheit der Familiengründung im Prinzip ermöglichen müsse, beschränkt nur durch andere Grundrechte. Zwangssterilisation und andere Beschränkungen der Fortpflanzungsmöglichkeiten bedürften einer besonderen Legitimation. In die vorbehaltlosen Schutzbereiche von Ehe und Familie dürfe der Staat nicht eingreifen, er dürfe sie durch definierende Regelungen von Ehe und Familie nur gestalten. Die vorliegende Regelung definiere nicht die Institute Ehe und Familie, sondern greife in diese ein, ohne dass kollidierendes Verfassungsrecht ersichtlich sei. Jedenfalls sei der Eingriff nicht verhältnismäßig. Das GMG verfolge den legitimen Nahzweck, die entstehende Finanzierungslücke zwischen sinkenden Beitragszahlungen und steigenden Ausgaben durch eine Umschichtung und Kürzung der staatlichen Bezuschussung bei der medizinischen Versorgung zu schließen und durch die Konsolidierung der Finanzgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung das legitime übergeordnete Ziel zu erreichen, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung dauerhaft unabhängig vom Einkommen der Betroffenen zu sichern. Das GMG sei jedoch bezüglich der Regelung der künstlichen Befruchtung nicht geeignet, diesen Zweck zu erfüllen. Durch diese Regelung werde die Lücke nicht geschlossen, sondern erweitert, indem der Zeugung neuer Beitragszahler im Rahmen der künstlichen Befruchtung so hohe finanzielle Hürden gesetzt würden, dass sich die wenigsten Paare eine Behandlung noch leisten könnten. Die demographische Entwicklung sei durch die zunehmende Lebenserwartung bei gleichzeitigem Geburtenrückgang gekennzeichnet. Dabei sei jede sechste Partnerschaft heute ungewollt kinderlos. Im Jahr 2001 seien 12.000 Geburten nach einer künstlichen Befruchtung erfolgt, was die gesetzlichen Krankenkassen insgesamt 120 Millionen, Euro gekostet habe. Diese 12.000 Kinder würden - nach Schätzungen - im Laufe ihres Lebens ca. 7 Milliarden Euro an die Sozialversicherungen zahlen, davon 1,3 Milliarden Euro an die Krankenversicherung. Reproduktionsmediziner gingen von einem zusätzlichen Geburtenrückgang von 10.000 aus aufgrund der neuen Rechtslage. Aus der amtlichen Begründung zu Art. 1 Nr. 14 a GKV-MG sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber sich der Auswirkung des Gesetzes auf den verfolgten Zweck auch nur bewusst gewesen sei. Der Gesetzgeber hätte zumindest die verfassungsrechtliche Pflicht gehabt, eine Prognose vorzunehmen. Selbst wenn die Geeignetheit des Gesetzes bejaht werden würde, sei das Gesetz jedenfalls nicht verhältnismäßig im engeren Sinn - also unzumutbar. Es mangle bereits an der Erforderlichkeit der Regelung des § 27 a SGB V, denn der Gesetzgeber hätte andere - mildere - Mittel gehabt, z.B. hätte er bei gleich bleibender Kostenbelastung anstatt drei Zyklen zu 50 % zu finanzieren, z.B. den ersten Zyklus voll finanzieren und den zweiten zur Hälfte oder den zweiten und dritten jeweils zu 25 % finanzieren können. Schließlich verstoße § 27 a Abs. 3 SGB V auch gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf Nachkommenschaft aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG im Lichte des Art. 6 Abs. 1 GG. Ein solches Recht sei in Deutschland dogmatisch zwar noch in der Entwicklung, habe aber bereits Anerkennung und Anwendung in der Rechtsprechung gefunden. In anderen Rechtsordnungen (z.B. in Portugal) sei dieses "Recht auf Nachkommenschaft", d.h. das Recht Kinder zu bekommen, sei es auf natürliche oder künstliche Weise oder durch Adoption, bereits anerkannt worden. Das Bundesverfassungsgericht habe im Rahmen der Schwangerschaftsabbruch-Entscheidungen das Grundrecht, frei über die eigene Fortpflanzung zu entscheiden, in seiner negativen Funktion anerkannt. Der Bundesfinanzhof habe in jüngster Zeit festgestellt, dass das Recht, Nachkommen zu gebären, zum Kernbereich des Grundrechts der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre. Ein Recht auf Nachkommenschaft könne daher abgeleitet werden aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das im Lichte der Institutsgarantie und Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie auszulegen sei. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei wegen der Hochrangigkeit und Absolutheit des Würdeschutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Recht auf Nachkommenschaft berühre einen Lebensbereich, der zum innersten Kern der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehöre.
Mit Bescheid vom 02.06.2005 wiederholte die Beklagte gegenüber dem Kläger ihre Auffassung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück: Als Körperschaft des öffentlichen Rechts unterliege sie der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorschriften bestehe keine Handhabe für eine über 50 % hinausgehende Leistungsgewährung. Auch die vorgebrachten Verfassungsverstöße würden nicht greifen. Unabhängig davon, dass diese schon nicht ersichtlich seien, stehe der Beklagten unter Berücksichtigung des Gewaltenteilungsprinzips eine entsprechende Verwerfungskompetenz auch nicht zu.
Deswegen erhoben die Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) und wiederholten zur Begründung ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren.
Mit Urteil vom 27.10.2005, den Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 23.12.2005 wies das SG die Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, unstreitig lägen die Anspruchsvoraussetzungen für eine künstliche Befruchtung gemäß § 27 a Abs. 1 SGB V vor. Streitig sei die Beschränkung der Kostenübernahme auf 50 %. Diese ergebe sich zwingend aus § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V in der seit 01.01.2004 geltenden Fassung. Bis zum 31.12.2003 hätten die Kassen 100 % der entstehenden Kosten übernommen. Die Entscheidung der Beklagten sei durch die Neuregelung eindeutig vorgegeben gewesen. Diese sei auch nicht verfassungswidrig. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet würden, unterliege aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lasse sich dem Grundgesetz nicht entnehmen. Alleiniger verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab sei das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG), Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Damit sei dem Gesetzgeber aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Eine Grenze sei dann erreicht, wenn sich für seine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lasse. Im übrigen folge aus Art. 2 Abs. 1 und 2 GG zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu stützen, darüber hinaus sei verfassungsrechtlich jedoch nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereit zu halten. Dabei habe der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art. 2 Abs. 2 GG regelmäßig nicht ableiten ließen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folge jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen. Der Gesetzgeber verletze seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherungen Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnehme, die in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienten. Unter Beachtung dieser Vorgaben bestünden gegen die zum 01.01.2004 in Kraft getretene Verringerung des Versicherungsschutzes im Bereich der künstlichen Befruchtung keine Bedenken. Die Neuregelung sei Teil der Bemühungen des Gesetzgebers, die Ausgaben im Bereich der Krankenversicherung zu begrenzen und nach Möglichkeit abzusenken, um die Finanzierung des Krankenversicherungssystems sicher zu stellen, insbesondere eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten, die allgemeingesellschaftlich unerwünscht sei, zu verhindern. Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liege nicht vor. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lägen den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und den Maßnahmen zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde, so dass diese Gruppen unterschiedlich behandelt werden könnten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bilde für die künstliche Befruchtung nicht eine Krankheit, sondern die Unfähigkeit eines Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung den Versicherungsfall (Hinweis auf Urteil des BSG vom 03.04.2001 - B 1 KR 22/00 R -). Der Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsfall bei künstlicher Befruchtung sei zu folgen. Bei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gehe es nicht um die Frage des körperlichen und geistigen Daseins des Versicherten, sondern um die Weitergabe von Leben. Die Möglichkeit hierzu sei nach Überzeugung der Kammer nicht zwingend Gegenstand der Krankenversicherung. Es habe zwar nahe gelegen, die künstliche Befruchtung mit in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen, dies jedoch als besonderen Versicherungsfall unter Erweiterung des klassischen Krankenversicherungsschutzes. Auch die Argumentation der Kläger stütze diese Auffassung, da sie diesen Lebensbereich mit dem Glück, Leben zu geben und die Hingabe seiner selbst an sein Kind als besondere Herausforderung und neue Dimension der Persönlichkeitsentfaltung beschrieben hätten. Der in § 27 SGB V gewährte Krankenversicherungsschutz umfasse diese "Dimension der Persönlichkeitsentfaltung" nicht. Zu beachten sei ferner, dass bereits vor dem 01.01.2004 eine Beschränkung des Versicherungsschutzes bestanden habe. Nach der früheren Regelung habe die Krankenkasse maximal die Kosten für vier Versuche zu übernehmen gehabt. Dies sei im Gesetz (jetzt § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V beschränkt auf drei Versuche) pauschalierend damit begründet worden, dass danach keine hinreichenden Erfolgsaussichten mehr bestünden. Eine verfassungsrechtlich beanstandenswerte Ungleichbehandlung von Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen liege mithin nicht vor. Die Beschränkung auf eine Kostenübernahme von 50 % liege im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums bei der Ausgestaltung von Leistungen der Krankenkassen. Anzumerken sei noch, dass im Bereich des Zahnersatzes die Kostenübernahme ebenfalls auf 50 bzw. 70 % beschränkt sei. Dass der Gesetzgeber für den Bereich der künstlichen Befruchtung keine Ausnahmeregelung vorgesehen habe, sei unbedenklich, da es hier nicht um die Beseitigung eines lebensbedrohlichen Zustands gehe und es daher hingenommen werden müsse, dass unter Umständen Versicherte in beschränkten wirtschaftlichen Verhältnissen sich dementsprechende Maßnahmen nicht leisten könnten. Es liege auf der Hand, dass das Krankenversicherungsrecht unterschiedliche wirtschaftliche Lebenssituationen nicht in vollem Umfang ausgleichen könne und auch nicht die Aufgabe habe, einen solchen Ausgleich herbeizuführen. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG, der den Schutz der Familie als Abwehrrecht regle, sei nicht gegeben, da es vorliegend nicht um einen Eingriff in den Schutzbereich der Ehe und Familie gehe, sondern um die Frage, ob der verfassungsrechtlich vorgegebene Schutzauftrag dem Gesetzgeber vorschreibe, die Zeugung von Nachkommen zu ermöglichen. Ein solches Recht auf Nachkommenschaft als Leistungsrecht bestehe nach der Überzeugung der Kammer nicht. Es bestünden auch keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Neuregelung, denn diese führe ohne Zweifel zu einer geringeren Kostenbelastung der Krankenkassen. Die Ausführungen der Kläger zu einem angeblich zu erwartenden Geburtenrückgang und einem damit verbundenen Ausfall von Krankenversicherungsbeiträgen in der Zukunft seien rein spekulativ. Zuzugeben sei, dass die Neuregelung in einem starken Spannungsverhältnis zu den allgemeinen politischen Äußerungen der an der Gesetzgebung beteiligten Parteien stehe. Dies ändere aber nichts daran, dass die Neuregelung aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten unbedenklich sei. Ein Widerspruch zu allgemeinen politischen Meinungsbekundungen führe nicht zur Verfassungswidrigkeit einer Norm.
Hiergegen richtet sich die am 23.01.2006 eingelegte Berufung der Kläger. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor, das Gericht verkenne, dass § 27 a SGB V einen hohen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 2 Abs. 1 Satz 1 GG darstelle. Bei den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung handle es sich keineswegs lediglich um Maßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität, vielmehr sei Sterilität eine Krankheit, deren Diagnose - vergleichbar der anderer anerkannter Krankheiten - aufgrund des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens bestimmter medizinisch-biologischer Parameter gestellt werde. Erst das Vorliegen der Unfruchtbarkeit bzw. der Fruchtbarkeitsstörungen führe zu einem subjektiven Missempfinden der Betroffenen. Es gebe eine Reihe anderer Krankheiten, deren Behandlungskosten zu 100 % von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen würden. Insoweit sei nicht ersichtlich, wieso in Bezug auf die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung andere Maßstäbe angelegt würden. Entgegen der Argumentation des Sozialgerichts bestünden auch erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Neuregelung, denn langfristig betrachtet werde den gesetzlichen Krankenkassen durch einen Rückgang der Geburtenraten geschadet. Das Sozialgericht verkenne auch, dass die Vollfinanzierung des ersten Zyklusses und eine anteilige Finanzierung von jeweils 25 % für den zweiten und dritten Zyklus ein milderes Mittel im Vergleich zur bestehenden Regelung darstelle. Die Rückführung der Kostenübernahme bei künstlicher Befruchtung sei nicht für die Konsolidierung der Finanzierungsgrundlage der GKV geeignet. Zwar habe der Gesetzgeber grundsätzlich einen Einschätzungsspielraum zur Tatsachenlage, die Grenzen seien jedoch mit der Kostenregelung des § 27 a Abs. 3 SGB V weit überschritten worden. Diese Regelung stelle ein ungerechtfertigtes und unzumutbares Sonderopfer von Ehepartnern und Familien als Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Krankenversicherung dar, denn hierdurch werde das spezielle Diskriminierungsverbot aus dem Schutzauftrag des Staates gegenüber Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Zur weiteren Begründung wiederholen die Kläger im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Die Kläger haben den Jahresbericht Deutsches IVF-Register Seite 5, 6 beigefügt.
Die Kläger beantragen - teilweise sinngemäß -,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27. Oktober 2005 aufzuheben sowie die Bescheide vom 19. April 2005 und 02. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2005 abzuändern bzw. aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten der Kinderwunschbehandlung für zwei Zyklen zu 100 % zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und insbesondere statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG, da die geltend gemachte Erstattung die Berufungssumme von 500,- EUR übersteigt.
Die Berufung ist indes nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Das SG hat unter zutreffender Darstellung der Rechtsgrundlage, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist, dargelegt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, mehr als 50 % der Kosten zu übernehmen, die bei insgesamt drei Zyklen aufgrund der durchgeführten ICSI angefallen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verfassungsrecht, wie das SG ausführlich begründet hat. Insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe des SG Bezug und verzichtet auf deren erneute Darstellung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Das Vorbringen der Kläger im Berufungsverfahren führt zu keiner anderen Entscheidung.
Die Neufassung des § 27 a Abs. 3 Satz 3 SGB V verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Dieses Grundrecht ist vielmehr nur dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 104, 126, 144 f = SozR 3 - 8570 § 11 Nr. 5 S 48 f; BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3 - 3300 § 54 Nr. 2 S 12 jeweils m.w.N.). Dabei setzt der Gleichheitssatz dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers um so engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Außerhalb dieses Bereichs lässt er dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln; die Grenze bildet insoweit allein das Willkürverbot, d.h. wenn sich für die Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (BVerfGE 102, 68, 87 = SozR 3 - 2500 § 5 Nr. 42 S 184; BVerfGE 97, 271, 290 f = SozR 3 - 2940 § 58 Nr. 1 S 10 f jeweils m.w.N.; BSG, Urteil vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 -). Eine gesetzliche Regelung kann anhand Art. 3 Abs. 1 GG hingegen nicht dahingehend überprüft werden, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gewählt hat (BVerfGE 15, 167, 201; 26, 302, 310).
Aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl. BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195). Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereitzuhalten. Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG regelmäßig nicht ableiten lassen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl. BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (ständige Rechtsprechung, Urteil des BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R -).
Auch die Pflicht zum besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG begründet keine konkreten Ansprüche auf eine bestimmte Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung (BVerfGE vom 12.02.2003 - 1 BvR 624/01 - SozR 4 - 2500 § 10 Nr. 1 RdNr 28 und unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60, 81; BSG vom 16.12.2003 - B 1 KR 12/02 R-). Ein Anspruch, die Bildung der Familie speziell durch die Finanzierung ärztlich assistierter Zeugung eines Kindes zu fördern, besteht daher nicht (Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin vom 28.10.2003 - 4B 3/03 -).
Grundrechtlich geschützte Freiheiten sind durch die hälftige Beteiligung der Versicherten an der streitigen Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht betroffen. Der Gesetzgeber hat seinen demnach im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG weiten Gestaltungsspielraum nicht deshalb überschritten, weil sich Leistungseinschränkungen bei Versicherten je nach deren finanzieller Situation unterschiedlich auswirken können, denn Abstufungen des Leistungsumfangs in der Krankenversicherung sind verfassungsrechtlich nicht generell ausgeschlossen. Die soziale Sicherheit, insbesondere auch der Krankenversicherungsschutz zu bezahlbaren Konditionen, ist stets als ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang anzusehen, der vielfältige Einschränkungen auf Seiten der Versicherten, enttäuschtes Vertrauen, Reduzierung von Leistungen, Einschränkungen in der Berufsausübung- oder in der Berufswahlfreiheit rechtfertigt. Neben der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung hat gerade im Gesundheitswesen der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht. Die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist für das Gemeinwohl anerkanntermaßen von hoher Bedeutung (vgl. BVerfGE 70, 1, 30; 82, 209, 230). Soll die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Hilfe eines Sozialversicherungssystems erreicht werden, stellt auch dessen Finanzierbarkeit einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang dar, von dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Systems leiten lassen darf. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen stets in einem angemessenen Verhältnis stehen. Verfolgt der Gesetzgeber ein komplexes Ziel - wie die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung - mit vielfältigen Mitteln, ist eine Maßnahme nicht ungeeignet, weil die Betroffenen andernorts größere Einsparpotenziale sehen. Auch ist eine bestimmte Maßnahme nicht deshalb als nicht erforderlich anzusehen, weil es andere Mittel innerhalb des Systems gibt, die andere Personen weniger belasten würden. Eine einzelne Maßnahme ist zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil nicht alle Betroffenen durch die gesetzlichen Vorkehrungen gleichmäßig belastet werden. Die Politik entscheidet letztlich, welches der richtige Weg zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ist.
Vor diesem Hintergrund ist das von dem Gesetzgeber mit dem GMG verfolgte Ziel, die gesetzliche Krankenversicherung als solidarische Gemeinschaft mit umfassender medizinischer Versorgung zu erhalten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn der Gesetzgeber zur Verwirklichung dieses Ziel nicht den Weg einer weiteren Steigerung der Beitragssätze, sondern den Weg von Einsparungen innerhalb des Systems gegangen ist, obliegt dies seinem auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstandenden Ermessen. Es handelt sich um keine willkürliche Maßnahme, denn sie wird von der nachvollziehbaren Erkenntnis getragen, dass bei steigender Arbeitslosigkeit infolge steigender Beitragssätze die Zahl der Beitragszahler weiter abnimmt, wodurch eine Finanzierungslücke entsteht bzw. die vorhandene Lücke vertieft wird. Die Versicherten können angesichts dessen nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht verlangen, von Maßnahmen, die dem Erhalt des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung dienen, verschont zu bleiben. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich von Zuzahlungen. Diese sind ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Konsolidierung des Haushaltes. Auch in anderen Bereichen existieren Zuzahlungen, z.B. im Bereich des Zahnersatzes. Im übrigen hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren mit Kinderwunsch gegenüber anderen Patientengruppen nicht vorliegt, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BSG liegen den Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und den Maßnahmen zur Krankenbehandlung gemäß § 27 SGB V unterschiedliche Versicherungsfälle zugrunde, so dass diese Gruppen unterschiedlich behandelt werden können.
Schließlich ist auch ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG i.V.m. Art. 1 GG nicht erkennbar. Danach muss der Staat eine medizinische Grundversorgung vorhalten und sicherstellen, dass unabdingbar notwendige Leistungen der Krankenbehandlung auch für sozial Schwache zur Verfügung stehen, im übrigen steht es dem Gesetzgeber jedoch frei, in der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung - wie es in den letzten Jahren zunehmend auch geschehen ist - bei Leistungsfähigkeit Zuzahlungen zu verlangen und gewisse Leistungen (beispielsweise auch Brillengestelle und in weiten Bereichen auch die Zahnprothetik) gänzlich von der Leistungspflicht auszuschließen. Ob die hier zu beurteilende Leistungsbeschränkung rechtspolitisch sinnvoll ist, hat der Senat nicht zu bewerten, da wie oben ausgeführt, eine gesetzliche Regelung nicht dahingehend zu überprüfen ist, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat.
Die Berufung der Kläger war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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