L 11 R 1132/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 3016/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1132/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. Februar 2005 abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit sie die Zeit vom 9. Juli 1988 bis 11. September 1988 betrifft.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die Beklagte auch verpflichtet ist, die Zeit zwischen dem Ende einer versicherungspflichtigen (Aushilfs-)Beschäftigung bis zur Aufnahme des Hochschulstudiums vom 9. Juli bis 11. September 1988 als Tatbestand einer Ausbildungs-Anrechnungszeit vorzumerken.

Der 1967 geborene Kläger beendete seine Schulausbildung mit dem Abitur am 13. Juni 1986 und war dann vom 1. Oktober 1986 bis 31. Dezember 1987 beim Wehrdienst. Die Beklagte anerkannte die Zeit bis zum Wehrdienst (14. Juni 1986 bis 30. September 1986) als Überbrückungszeit zum Wehrdienst. Die Zeit des Wehrdienstes selbst wurde als Pflichtbeitragszeit anerkannt. Vom 5. April 1988 bis 27. Mai 1988 absolvierte er ein Praktikum bei der Firma M. & H., dieser Zeitraum wurde von der Beklagten ebenfalls als Pflichtbeitragszeit anerkannt. Im Anschluss hieran war der Kläger vom 30. Mai 1988 bis 8. Juli 1988 bei der Firma M. & H. gegen ein Arbeitsentgelt von 3.577,00 DM beschäftigt. Diese Zeit wurde von der Beklagten als Pflichtbeitragszeit vorgemerkt. Bis zum Beginn seines Studiums des Maschinenbaus am 1. Oktober 1988 übte der Kläger eine dreiwöchige versicherungsfreie Aushilfstätigkeit bei der LVA Württemberg aus und absolvierte im September einen Mathematik-Kurs bis zum Beginn seines Maschinenbaustudiums.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2003 den Antrag des Klägers, auch die Zeit vom 9. Juli 1988 bis 30. September 1988 als Anrechnungszeit (Überbrückungszeit) anzuerkennen, ab. Zur Begründung führte sie aus, nach Beendigung des Wehrdienstes am 31. Dezember 1987 habe der Kläger innerhalb der Höchstdauer von vier Kalendermonaten eine berufliche Ausbildung im Sinne des § 54 Abs. 3 Satz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung des RRG 1999, nämlich das Praktikum, aufgenommen. Deswegen könne auch die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 4. April 1988 als Überbrückungszeit Anrechnungszeit anerkannt werden. Dies gelte jedoch nicht für die vor Aufnahme der Hochschulausbildung liegenden beitragsfreien Zeiten vom 28. Mai 1988 bis 29. Mai 1988 und vom 9. Juli 1988 bis 30. September 1988. Das Praktikum vom 5. April 1988 bis 27. Mai 1988 genüge zwar den Erfordernissen einer nachfolgenden Ausbildung, sei jedoch keine vorangehende Ausbildungszeit, da es sich hierbei nicht um eine anerkannte Ausbildungszeit handle. Dem Widerspruchsbescheid war kein Hinweis auf die Monatsfrist zur Klageerhebung zu entnehmen.

Gegen den am 1. August 2003 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 6. November 2003 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vortrug, es ginge ihm ausschließlich um die Überbrückung der Zeit nach Ableistung seines (für das Studium vorgeschriebenen) Praktikums im Sommersemester 1988 bis zum frühstmöglichen Studienbeginn im Wintersemester 1988/1989.

Nach Durchführung eines Erörterungstermins verurteilte das SG die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 11. Februar 2005, zugestellt am 24. Februar 2005, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zur Vormerkung der streitgegenständlichen Tatbestände, weil die rentenrechtliche Zeit zwischen dem Wehrdienst und der Aufnahme seines Studiums für den Kläger unvermeidbar gewesen wäre und auch nicht einen größeren Umfang als vier Monate umfasse.

Mit ihrer dagegen am 18. März 2005 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, die Berücksichtigung der Ausbildungspause müsse mit dem 4. April 1988 enden, weil mit dem 5. April 1988 eine nachfolgende Ausbildungszeit (versicherungspflichtiges Praktikum) aufgenommen worden wäre. Deswegen könne der danach liegende Zeitraum nicht anerkannt werden, da er sich an eine Pflichtbeitragszeit anschließe.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 11. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie die Vormerkung der Zeit vom 9. Juli 1988 bis 11. September 1988 betrifft.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Vorlage verschiedener Nachweise über den Mathematik-Kurs hat die Beklagte auch die Zeit vom 12.09.1988 bis 30.09.1988 als Anrechnungszeit wegen Schulbesuchs (Vorbereitungskurs) anerkannt und dem Kläger nach Annahme des Anerkenntnisses (Schreiben vom 22. März 2006) einen Ausführungsbescheid (4. April 2006) erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid ist, soweit er die Beklagte zur Anrechnung der Zeit vom 9. Juli 1988 bis 11. September 1988 verurteilt hat, rechtswidrig und war deshalb teilweise abzuändern.

Das SG hat zunächst zu Recht in der Sache entschieden, da aufgrund der unvollständigen Rechtsbehelfsbelehrung die Klage rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist nach Zugang des Widerspruchsbescheids erhoben wurde.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 149 Abs. 5 SGB VI i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits geklärten Daten durch Bescheid fest. Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden. Infolgedessen wird im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens nur geprüft, ob der behauptete Anrechnungszeittatbestand nach seinen tatsächlichen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt ist. Selbst wenn mithin im Einzelfall jegliche leistungsrechtliche Auswirkung einer Ausbildung als Anrechnungszeit wie vorliegend verneint werden kann (§ 74 Satz 3 SGB VI), kann die Vormerkung einer derartigen Anrechnungszeit nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, zum Zeitpunkt des Leistungsfalles könne sich das bei der Berechnung der Leistung anzuwendende Recht geändert haben. Entscheidend ist mithin, ob nach derzeitigem Recht generell die Möglichkeit besteht, dass der Sachverhalt in einem künftigen Leistungsfall rentenversicherungsrechtlich erheblich sein könnte (vgl. BSG SozR 3 - 2600 § 58 Nr. 13). Das kann bei dem Kläger wegen der Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren der Fall sein (§ 51 Abs. 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI liegen bei der Zeit vom 9. Juli 1988 bis 11. September 1988 aber nicht vor, die Beklagte hat deswegen zu Recht die Vormerkung abgelehnt. Dieser Zeitraum füllt entgegen der Auffassung des Klägers nicht den Tatbestand einer Ausbildungs-Anrechnungszeit im Sinne einer unvermeidbaren Zwischenzeit.

Eine Ausbildung im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI liegt im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig nicht vor. Die Rechtsprechung hat aber über die in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI genannten Fallgruppen hinaus im Sinne einer erweiternden Auslegung auch solche Zeiten als Anrechnungszeit gewertet, die zwischen zwei rentenrechtlich erheblichen anrechenbaren Ausbildungszeiten, wie diejenige zwischen Schulabschluss und Beginn des Hochschulstudiums, liegen (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 10.02.2005, B 4 RA 26/04 R, SozR 4 - 2600 § 58 Nr. 4). Voraussetzung für die Anrechenbarkeit ist, dass die Zeiten generell unvermeidbar und organisationstypisch sind und dementsprechend häufig vorkommen und ferner, dass sie generell nicht länger als vier Monate andauern. Eine Überschreitung wegen abstrakter ausbildungsorganisatorischer Maßnahmen des Ausbildungsträgers ist jedoch unschädlich.

An einer solchen Unvermeidbarkeit fehlt es beim Kläger. Denn eine unvermeidliche Zwischen- bzw. Übergangszeit setzt voraus, dass diese Zeit von zwei Ausbildungszeitabschnitten umgeben ist, wobei der erste Ausbildungsabschnitt ein Anrechnungszeittatbestand nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI sein muss; diesem muss ein weiterer, vom Ausbildungszweck gesehener notwendiger Ausbildungsabschnitt folgen, der den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit erfüllen muss und nach dessen Beendigung erst der Weg ins Berufsleben und damit die Aufnahme einer regelmäßigen in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Berufstätigkeit eröffnet wird (BSG, Urteil vom 24.10.1996, 4 RA 52/95, SozR 3 - 2600 § 58 Nr. 8). Aus dem Grundsatzurteil vom 10. Februar 2005 ergibt sich auch zur Überzeugung des Senats, dass das BSG seine bisherige Rechtsprechung für weiterhin anwendbar bestätigt hat, denn es hat sich konkret auch auf frühere Urteile gestützt.

Bei dem Kläger wurden ausweislich des zuletzt ergangenen Vormerkungsbescheids vom 4. April 2006 in der Zeit vom 30. Mai 1988 bis 8. Juli 1988 Pflichtbeiträge aus 3.577,- DM aus der Aushilfsbeschäftigung abgeführt. Somit lag unstreitig eine Beitragszeit im Sinne des § 55 Abs. 1 SGB VI und nicht, wie erforderlich, ein erster Ausbildungsabschnitt vor der hier streitigen Zeit vom 9. Juli 1988 bis 11. September 1988 vor. Aus dem vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Urteil des BSG vom 31.3.1992 (4 RA 3/91, SozR 3-2600 § 252 Nr. 1) ergibt sich nichts anderes. Der Fall betraf zum einen eine Übergangszeit zwischen der Schulentlassung und der Lehre als einer klassischen Ausbildungszeit, die obendrein Beitragszeit ist, somit einen anderen Sachverhalt. In Umsetzung dieser Entscheidung war bei dem Kläger, wie geschehen, deswegen auch nur die Überbrückungszeit vom 1. Januar 1988 bis 4. April 1988 anzuerkennen, nicht aber auch die streitbefangene Zeit. Das BSG hat in der Entscheidung aber auch weiter deutlich ausgeführt, dass, wenn in der Zeit zwischen Schulabschluss und Beginn der Ausbildung Beiträge aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entrichtet werden, dies die - selbstverständliche - Folge hat, dass insoweit keine Anrechungszeit zurückgelegt werden kann.

Darin liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Art. 3 Grundgesetz (GG) gebietet nicht, wesentlich anders gestaltete Lebenssachverhalte gleich zu behandeln. Ob ein Abiturient vor Aufnahme eines Hochschulstudiums eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufnimmt, ist, auch wenn dadurch sinnvoll Zeit überbrückt wird, ein Sachverhalt, der nicht dem gleichbehandelt werden muss, wenn es an einer solchen Zwischenbeschäftigung fehlt. Eine Zwischenbeschäftigung wird nämlich als Beitragszeit vorgemerkt und dient damit dem gleichen Zweck wie die Anrechnungszeiten, nämlich Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen.

Nach alledem war deshalb der Gerichtsbescheid abzuändern, wobei die Kostenentscheidung auf dem teilweisen Anerkenntnis der Beklagten und im übrigen auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen angesichts der gefestigten Rechtsprechung des BSG nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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