L 3 SB 1893/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 16 SB 1368/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1893/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als Schwerbehinderter.

Der im Jahre 1945 geborene Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger und seit dem Jahre 1979 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.1999 stellte der Beklagte zu Gunsten des Klägers einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit Januar 1998 und folgende Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) fest: 1. Funktionseinbuße der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und skoliotischer Fehlhaltung und nach operiertem Bandscheibenvorfall L 4/L5 links, Schulter-Arm-Syndrom rechts. 2. Coxa valga beider Hüftgelenke.

Am 18.10.2001 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Dabei gab er an, die Beschwerden an Hüfte und Wirbelsäule hätten zugenommen. Darüber hinaus sei ein Diabetes mellitus aufgetreten. Im Rahmen der daraufhin eingeleiteten Ermittlungen holte der Beklagte Befundberichte des Orthopäden Dr. S. vom 30.10.2001 sowie des Allgemeinmediziners und Internisten Dr. K. vom 05.11. 2001 ein.

Mit Bescheid vom 28.01.2002 lehnte der Beklagte auf der Grundlage des nunmehr geltenden Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) und einer Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes eine Neufeststellung des GdB des Klägers ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der damit einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen sei nicht eingetreten. Als Funktionsbeeinträchtigungen lägen vor: Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom (Teil-GdB 30); Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (Teil-GdB 10). Der geltend gemachte Diabetes mellitus bedinge keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 und stelle daher keine Behinderung i. S. des SGB IX dar. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2003 zurück.

Am 17.03.2003 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben und die Zuerkennung eines GdB von mindestens 50 begehrt.

Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen des Orthopäden Dr. S. vom 29.04.2003, des Allgemeinmediziners und Internisten Dr. K. vom 28.04.2003 und des Neurologen und Psychiaters Dr. G. vom 26.01.2004 sowie ein orthopädisches Gutachten des Oberarztes der Klinik für Unfallchirurgie am M.hospital Stuttgart, Dr. D., vom 31.01. 2005 eingeholt.

Dr. S. hat ausgeführt, wegen der Zunahme der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und beider Kniegelenke sei ein GdB von 50 angemessen. Dr. K. hat mitgeteilt, hinsichtlich der orthopädischen Funktionseinschränkungen sei der Einschätzung durch den Ärztlichen Dienst des Beklagten zuzustimmen. Nach seiner Ansicht seien aber die durch das Schulter-Nackensyndrom und psychischen Störungen des Klägers bedingten Schwindelattacken nicht vollständig erfasst, so dass eine geringfügige höhere Bewertung des GdB möglich erscheine. Die Stoffwechselstörungen des Klägers seien nach seiner Ansicht nicht relevant und erhöhten den GdB nicht. Dr. G. hat berichtet, auf neurologischem Fachgebiet liege kein GdB vor. Eine Erkrankung auf psychiatrischen Fachgebiet habe nicht festgestellt werden können. Auffällig sei lediglich eine gewisse Somatisierungstendenz gewesen. Diese sei aber nicht als Erkrankung im eigentlichen Sinne zu werten.

Dr. D. hat auf orthopädischem Fachgebiet eine endgradig eingeschränkte Rechts-Dreh- und beidseitige Seit-Neig-Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei radiologisch dokumentierten deutlich vermehrten Verschleißerscheinungen im Bewegungssegment C4/C5, eine endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit und Rück-Neig-Beweglichkeit der Brustwirbelsäule, eine ganz endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule bei radiologisch dokumentierten diskret bis mittelgradig vermehrten Verschleißerscheinungen in der beinnahen Hälfte bei fehlenden sensiblen oder motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen seitens lumbaler Spinalnerven, eine endgradige Streckhemmung in beiden Ellbogengelenken sowie eine radiologisch dokumentierte beginnende Hüftgelenksarthrose rechts und ganz initiale Zeichen einer beginnenden Hüftgelenksarthrose links bei freier Hüftgelenksbeweglichkeit beidseits diagnostiziert. Die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule seien insgesamt als mittelgradig anzusehen und könnten daher mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gleichgesetzt werden, was einen GdB von 20 rechtfertigte. Die Streckhemmung der Ellbogengelenke sei geringfügig und bedinge keinen GdB. Die geringfügige bis leichte Einschränkung der Belastbarkeit der Hüftgelenke sei wohlwollend mit einem GdB von 10 zu werten. Den Gesamt-GdB schätzte er für die Zeit ab Oktober 2001 auf 20.

Mit Urteil vom 23.03.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien mit einem GdB von 20, die Hüftgelenkserkrankung mit einem GdB von maximal 10 zu berücksichtigen. Die endgradige Streckhemmung in beiden Ellbogengelenke rechtfertige den Ansatz eines Einzel-GdB nicht. Gleiches gelte für den allein diätetisch eingestellten Diabetes mellitus. Erkrankungen auf psychiatrischen Fachgebiet lägen nicht vor. Bei einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sei allenfalls ein GdB von insgesamt 20 angemessen. Hinter dem vom Beklagten zu Gunsten des Klägers festgestellten Gesamt-GdB von 30 könne das Gericht zwar nicht zurückbleiben; allerdings sei eine Höherbemessung nicht möglich. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 11.04.2005 zugestellt.

Am 11.05. 2005 hat der Kläger Berufung eingelegt.

Der Senat hat eine weitere schriftliche sachverständige Zeugenaussage von Dr. K. vom 23.01.2006 eingeholt. Darin heißt es zusammenfassend, der Kläger leide an rezidivierenden Wirbelsäulebeschwerden, einer Neigung zu Colon irritable bei Sigmadivertikulose, einer hypertonen Herz-Kreislauferkrankung bei Adipositas, einem Diabetes mellitus bei metabolischem Syndrom sowie einer ausgeprägten Tendenz zu vegetativer Dystonie mit Somatisierungstendenz. Im Jahre 1998 sei vom damals behandelnden neurologischen Facharzt die Verdachtsdiagnose einer larvierten Depression geäußert worden. Wegen Neigung zu Herzrhythmusstörungen sei im März 2004 ein Langzeit-EKG durchgeführt worden, wobei die Untersuchung einen Normalbefund ergeben habe. Gleiches gelte für eine wegen rezidivierender anfallsartiger Kopfschmerzen durchgeführte neurologische Untersuchung. Orthopädischerseits sei wegen zunehmender rezidivierender Leistenschmerzen die Diagnose einer Coxarthrose rechts stärker als links gestellt worden. Mit einer endoprothetischen Versorgung könne aber noch zugewartet werden. Durch eine Gewichtsreduktion könne der Kläger, der bei einer Größe von 168 cm 85 kg wiege, die meisten Medikamente einsparen und eine Entlastung des Bewegungsapparates herbeiführen. Internistischerseits sei eine Erhöhung des GdB nicht veranlasst, da sämtliche internistische Erkrankungen durch die Adipositas bedingt seien. Wenn überhaupt, sei eine Höherbemessung wegen der Wirbelsäulebeschwerden und der Coxarthrose auf einen GdB von 40 bis 50 möglich.

Der Kläger trägt vor, die Entscheidung des Sozialgerichts sei in sich widersprüchlich, da einerseits ausgeführt werde, das Gericht könne nicht hinter dem vom Beklagten festgestellten GdB von 30 für die Wirbelsäulebeeinträchtigung zurückbleiben, andererseits aber insoweit doch von einem GdB von lediglich 20 ausgegangen werde. Diese Bemessung sei auch in der Sache unzutreffend, da Beeinträchtigungen in insgesamt drei Wirbelsäuleabschnitten festgestellt worden seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass ärztlicherseits schon im Jahre 1997 eine L4-Wurzelirritationen angenommen worden sei. Angesichts seiner erheblichen Sprachschwierigkeiten könne auch der Kontakt zum Sachverständigen Dr. D. beeinträchtigt gewesen sein, so dass vorsorglich eine erneute Begutachtung unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers beantragt werden. Hinsichtlich der Hüftgelenkserkrankung sei ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Anders als vom Sozialgericht angenommen, stelle er die Diabetes-Erkrankung auch keineswegs nur diätetisch ein. Vielmehr sei er durchgängig auf blutzuckersenkende Medikamente angewiesen. Schließlich leide er unter einer behandlungsbedürftigen Hypertonie.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. März 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den bei ihm vorliegenden Grad der Behinderung mit mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten und die gleichfalls beigezogenen Akten des Sozialgerichts Stuttgart verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar verfolgt der Kläger sein auf Feststellung eines höheren GdB gerichtetes Begehren auch im Berufungsverfahren mit der - allein - statthaften kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 08.06.2005 -L 3 SB 13/05 - m. w. N.) weiter. Indes ist das angegriffene Urteil des Sozialgerichts in der Sache nicht zu beanstanden. Denn der Bescheid des Beklagten vom 28.01.2002 und der Widerspruchsbescheid vom 14.02.2003 verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, da er keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30 hat. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 23.03.2005 ausführlich und fehlerfrei dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist folgendes auszuführen:

Anders als der Kläger meint, leidet das angegriffene Urteil nicht an einem inneren Widerspruch. Denn das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es auf die vom Kläger erhobene Klage nicht berechtigt ist, den festgestellten GdB von insgesamt 30 herabzubemessen. Dafür, dass das Sozialgericht, wie der Kläger meint, angenommen haben könnte, auch der vom Beklagten hinsichtlich der Wirbelsäuleerkrankung in Ansatz gebrachte Einzel-GdB - bei dem es sich nur um ein Element der Berechnung der allein Feststellungswirkung entfaltenden Entscheidung über den Gesamt-GdB handelt - dürfe nicht herabbemessen werden, besteht schon nach dem Wortlaut der angegriffenen Entscheidung keinerlei Anhalt.

In der Sache ist das Sozialgericht zutreffend von einem GdB von 20 für die Wirbelsäulebeeinträchtigung ausgegangen. Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat insoweit überzeugend dargelegt, dass die Funktionseinschränkungen der drei Wirbelsäuleabschnitte in der Gesamtschau mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt gleichgesetzt werden können, die einen GdB von 20 bedingen. In der Vergangenheit bestehende Wurzelirritationen vermögen keine Berücksichtigung zu finden, nachdem sie im Rahmen der Begutachtung durch Dr. D. nicht vorlagen. Dass der Sachverständige sensible oder motorische Nervenwurzelreizerscheinungen seitens lumbaler Spinalnerven ausdrücklich verneint hat, lässt sich auch nicht auf - vom Kläger i. Ü. nur vermutete und in Bezug auf die durchgeführte Untersuchung nicht ansatzweise substantiierte - Verständigungsschwierigkeiten zurückführen. Vielmehr beruht diese Einschätzung auf einer detaillierten körperlichen Untersuchung des Klägers (vgl. S. 4 und 5 des Gutachtens). Weiterer Ermittlungen durch den Senat bedarf es daher nicht.

Soweit der Kläger einen Einzel-GdB von 20 für seine Hüftgelenkserkrankung in Ansatz bringen will, vermag der Senat dem in Ansehung der allenfalls leichten Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu folgen. Was schließlich seine Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet betrifft, sind die daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen durch eine ihm anzusinnende Gewichtsreduktion ohne weiteres zu beheben (vgl. hierzu die schriftliche sachverständige Zeugenaussage des Allgemeinmediziners und Internisten Dr. Kachel vom 23.01.2006).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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