Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 4591/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 4142/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. August 2005 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der am 1945 in Kroatien geborene Kläger, der seit 1. September 2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der LVA Niederbayern-Oberpfalz bezieht, begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Auf den Kopf des Klägers fiel am 27. Januar 1998 bei seiner damaligen Beschäftigung als Maurer ein 5 bis 6 kg schwerer Ziegelstein aus ca. 3 bis 4 Metern Höhe und verursachte dort eine 5 mal 3 cm große Platzwunde. Privatdozent Dr. D. , Ärztlicher Direktor der unfallchirurgischen Abteilung des M. Stuttgart, beschrieb im Durchgangsarztbericht eine kurze Bewusstlosigkeit und verneinte eine Amnesie und Übelkeit. Er diagnostizierte eine Commotio cerebri. Eine computertomographische Untersuchung vom 28. Januar 1998 ergab keine intracraniellen Traumafolgen oder intracerebrale Blutungen. Der viertägigen unfallchirurgischen stationären Behandlung folgte eine solche in der HNO-Klinik. Chefarzt Dr. R. beschrieb dort einen beidseitigen Tinnitus und einen leichten Schwindel seit dem Unfall sowie einen vermutlich vorbestehenden symmetrischen Hochtonabfall, der Neurologe Dr. W. außerdem ein leichtes Halswirbelsäulen-(HWS-)Syndrom mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung bei vorbestehender Spondylarthrose der HWS rechtsbetont. Am 16. Februar 1998 wurde der Kläger nahezu beschwerdefrei hinsichtlich des Schwindels und bei gebessertem, linksseitigen nur noch leichtem Tinnitus aus der stationären Behandlung entlassen. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 20. März 1998.
Am 7. Dezember 2000 verunglückte der Kläger auf einer betrieblich veranlassten Fahrt mit einem Lkw, als er eine rote Ampel überfuhr und mit einem von links mit ca. 20 - 25 km/h kommenden Pkw kollidierte. Er war nach seinen Angaben zunächst 10 Minuten bewusstlos. Schon am Unfallort gab er Schwindelgefühle und Schmerzen im Nackenbereich. und Kopf an. Privatdozent Dr. G. , F.-Klinik F. , erwähnte im Durchgangsarztbericht starke Kopfschmerzen und Druck im linken Ohr; er diagnostizierte eine HWS-Distorsion und ein Schädelhirntrauma 1. Grades. Der Neurologe Dr. R. konnte im EEG vom 10. Januar 2001 keinen pathologischen Befund feststellen, ebenso wenig mittels Duplex-Sonografie der extracraniellen hirnversorgenden Arterien vom 1. Oktober 2001. Eine computertomografische Untersuchung vom 23. Januar 2001 ergab keinen Hinweis auf ein chronisch subdurales Hämatom; auch eine Kernspintomographie des Schädels vom 18. Januar 2002 ergab keinen pathologischen Befund. Der Kläger klagte über einen zwar unter Infusionstherapie gebesserten, aber fortbestehenden Tinnitus links stärker als rechts, über Kopfschmerzen, Bewegungseinschränkungen der HWS und Schwindelgefühle.
Dr. R. stellte in einem Gutachten für die Beklagte vom Mai 2001 eine symmetrische Hochtonschwerhörigkeit (Hörverlust jeweils 15 %), einen Tinnitus überwiegend links und einen Belastungsschwindel fest, für die er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. (Schwerhörigkeit und Tinnitus 10 v. H., Schwindel 10 v. H.) annahm. Diesen Wert schätzte auch Dr. G ... Dr. J. bestätigte in seinem von der Beklagten erbetenen HNO-ärztlichen Gutachten vom Dezember 2001 die Diagnosen (Hörverlust beidseits sogar 20 %) und die MdE-Einschätzung Dr. R. s und ordnete diese dem Unfall vom 27. Januar 1998 zu, wenngleich er nicht sicher ausschließen konnte, dass der Unfall vom 7. Dezember 2000 die Ohrgeräusche und die Schwindelbeschwerden verschlimmert habe. Die geklagten Cephalgien seien als postkommotionelles Syndrom oder Folgen vertebragener Muskelverspannungen zu deuten und damit keine Unfallfolge. Prof. Dr. J. , Leiter der Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik U. , kam demgegenüber in seinem Gutachten nach Aktenlage zu der Einschätzung, dass eine vom Kläger nicht bemerkte Schwerhörigkeit mit Tinnitus vorbestanden habe. Die durch den Unfall vom 27. Januar 1998 bedingte HWS-Distorsion habe den Tinnitus vorübergehend verstärkt und vorübergehend zu Schwindelerscheinungen geführt. Der Chirurg Dr. R. sah in einem für die LVA Niederbayern-Oberpfalz im Dezember 2001 erstellten Gutachten Diskrepanzen zwischen den Klagen und dem Untersuchungsbefund; der Nervenarzt Dr. Sch. konnte zu diesem Zeitpunkt keine mit den Unfällen in Zusammenhang stehenden Auffälligkeiten, insbesondere keine Schwindelerscheinungen, verifizieren und sprach sich für eine Somatisierungsstörung aus. Prof. Dr. St. , der den Kläger im November 2002 für die Beklagte auf nervenärztlichem Fachgebiet begutachtete, stellte regelrechte Befunde fest. Der unfallchirurgische Gutachter Prof. Dr. W. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen, sah im Dezember 2002 als Folgen des Unfalls vom 7. Dezember 2000 allenfalls eine leichte Gehirnerschütterung und eine leichte HWS-Distorsion mit vorübergehender Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens an und bejahte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 6. Dezember 2001, anschließend ohne messbare MdE. Die geklagten Schwindelerscheinungen seien auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2003 und Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2003, zur Post gegeben am 12. Mai 2003, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2000 ab, da die leichte Gehirnerschütterung und die leichte Distorsion der HWS ausgeheilt seien. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 1 U 3032/03) hat der Kläger für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 26. März 2004 und Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. Januar 1998 ab, da die Kopfplatzwunde und die Gehirnerschütterung folgenlos verheilt seien.
Am 16. Juli 2004 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Mit Urteil vom 30. August 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2004 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 21. März 1998 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren. Zuzustimmen sei dem Gutachten von Dr. J. sowie dem Gutachten von Dr. R. , der die Gesamt-MdE jedoch nicht genau einem der Arbeitsunfälle zugeordnet habe. Zu berücksichtigen seien die Feststellungen und Diagnosen der bereits wenige Tage nach dem Arbeitsunfall erfolgten stationären Behandlung in der HNO-Abteilung des Marienhospitals. Danach habe der Kläger durch den Unfall vom Januar 1998 einen posttraumatischen Tinnitus bei Commotio labyrinthi verbunden mit leichter Schwerhörigkeit erlitten. Der Kläger habe gegenüber Dr. J. anamnestisch angegeben, dass sich nach seiner subjektiven Einschätzung die Beschwerden durch den zweiten Unfall eher intensiviert hätten und seither keinesfalls eine Besserung eingetreten sei. Die MdE-Einschätzung stimme mit den Vorgaben in der - näher dargelegten - versicherungsrechtlichen Literatur überein. Demgegenüber seien die Ausführungen von Prof. Dr. J. , der den Kläger lediglich nach Aktenlage beurteilt habe, nicht überzeugend. Allein die von ihm bewerteten Angaben des Klägers würden keine objektiven Anhaltspunkte dafür bieten, dass bereits vor dem Unfallereignis am 27. Januar 1998 eine Schwerhörigkeit mit Tinnitus bestanden habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 13. September 2005 zugestellte Urteil am 7. Oktober 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des Klägers und der fehlende Nachweis einer cochleären Läsion gegen eine unfallbedingte Schwerhörigkeit sprächen. Zudem sei der Kläger nach der Behandlung im Marienhospital beinahe beschwerdefrei, auch hinsichtlich etwaiger Schwindelsymptome, gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Erst aufgrund des Unfalls vom 27. Januar 1998 leide er unter Tinnitus und Schwindelbeschwerden.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und reichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 2 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die (als Unfallfolge geltend gemachte) Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985 - 2 RU 43/84 - SozR 2200 § 555a Nr. 1; Urteil vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86 - SozR 2200 § 548 Nr. 84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O; Urteil vom 20. Januar 1987, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 - SozR 2200 § 548 Nr. 38; Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Die durch Unfallfolgen bedingte MdE bestimmt sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Hiervon ausgehend kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Arbeitsunfall vom 27. Januar 1998 bei dem Kläger Folgen mit einer MdE um 20 v. H. ab 21. März 1998 hinterlassen hat.
Unstreitig bedingen die unfallchirurgischen Folgen - die Kopfplatzwunde - ab Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit am 21. März 1998 keine messbare MdE (mehr). Entscheidend ist daher, ob die beidseitige leichte Schwerhörigkeit mit Tinnitus vorwiegend links (einige Angaben eines vorwiegend rechtsseitigen Tinnitus sind nach der Überzeugung des Senats auf eine Seitenverwechslung durch die behandelnden Ärzte zurückzuführen) und die Schwindelbeschwerden mit Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge anzusehen sind. Dass die genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen zumindest in einem gewissen Umfang vorhanden sind, unterstellt der Senat zu Gunsten des Klägers. Für einen ursächlichen Zusammenhang konnten jedoch die Gutachten von Dr. J. und Dr. R. letztlich keine überzeugenden Argumente liefern. Vielmehr überwiegend die Zweifel, wie sie im Gutachten von Prof. Dr. J. dargelegt worden sind.
Die von Dr. J. erhobenen Befunde sprechen nicht eindeutig für eine Commotio labyrinthi, also eine traumatische Schädigung. So ließen die überschwelligen Testmethoden in ihrer Gesamtheit eine cochleäre Läsion nicht annehmen, wie dies bei einer Commotio labyrinthi zu erwarten gewesen wäre. Mit Prof. Dr. J. hält es auch der Senat für letztlich wahrscheinlicher, dass sich die leichte Schwerhörigkeit allmählich und unabhängig von dem Unfallgeschehen entwickelt hat. Das Hörvermögen des Klägers vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 ist unbekannt, denn er wurde nach den Angaben des arbeitsmedizinischen Dienstes nicht arbeitsmedizinisch untersucht. Auch war der Kläger, wie er im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten angab, vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 nicht in HNO-ärztlicher Behandlung; Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen HNO-ärztlicher Gesundheitsbeeinträchtigungen sind von der Krankenkasse des Klägers ebenfalls nicht mitgeteilt worden. Diese Umstände sprechen aber nicht entscheidend gegen eine vorbestehende Schwerhörigkeit, denn diese kann - wie von Prof. Dr. J. dargelegt worden ist - vom Kläger nicht bemerkt worden sein. Denn auch nach dem Unfall vom 27. Januar 1998 machte der Kläger von sich aus keine Beeinträchtigungen seines Gehörs geltend. Aus seiner Sicht hatte sich also sein Gehör durch den Unfall nicht merklich verschlechtert. Dies spricht wiederum dafür, dass es bereits vor dem Unfall, allmählich schlechter geworden ist. Auch Dr. R. ging bei seiner Behandlung im Februar 1998 davon aus, dass der symmetrische Hochtonabfall vermutlich vorbestehend gewesen sei.
Hinsichtlich des Tinnitus erfolgte nach dem Unfall vom 27. Januar 1998 unmittelbar eine Behandlung des Klägers in der HNO-Abteilung des Marienhospitals. Im Verwaltungsverfahren gab der Kläger an, vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 nicht wegen eines Tinnitus in Behandlung gewesen zu sein. Dem behandelnden Hausarzt Dr. I. ist der im Verwaltungsverfahren gegebene Hinweis zu verdanken, dass der Kläger vor dem Unfall auch keine Beschwerden wegen eines Tinnitus hatte. So hat sich der Kläger auch anlässlich der Untersuchungen durch Dr. J. und durch Dr. St. geäußert. Dies widerspricht aber seinen Angaben während der Behandlung durch Dr. R. , er habe bereits vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 einen leichten Tinnitus gehabt, der sich nach dem Unfall verstärkt habe. Zwar ist den sog. Erstangaben eines Versicherten nicht grundsätzlich ein höherer Beweiswert als dessen spätere Angaben zuzusprechen (BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R - SozR 4-1500 § 128 Nr. 2). Doch werfen die eigenen Angaben des Klägers hier Zweifel auf, die aus anderen, objektiven Hinweisen nicht ausgeräumt werden können. Diese Zweifel muss sich der Kläger entgegenhalten lassen.
Selbst wenn der Unfall vom 27. Januar 1998 einen linksbetonten Tinnitus herbeigeführt oder richtungsweisend verschlimmert hat, ist dessen Fortbestehen bis zum Unfall im Jahr 2000 und dessen Umfang unklar. Dr. R. wies zu Recht darauf hin, dass die Stärke des Tinnitus mehr oder weniger subjektiv ist. Daher sind die Hinweise beachtlich, der Tinnitus habe sich nach der Entlassung aus der HNO-Abteilung des M. deutlich gebessert, so dass der Kläger nahezu beschwerdefrei sei. Dies ist den Angaben von Privatdozent Dr. G. (Arztbrief vom 15. März 2001) zu entnehmen, außerdem einer Äußerung der behandelnden HNO-Ärztin Dr. Sailer (Arztbrief vom 12. März 2001). Bereits bei Entlassung aus dem Marienhospital am 16. Februar 1998 hatte der Kläger nur noch einen leichten Tinnitus links (Entlassungsbericht Dr. R. vom 18. Februar 1998). Auch der Kläger selbst hat sich anlässlich der Begutachtung durch Dr. Sch. , gegenüber Prof. Dr. St. und in seinem Widerspruchschreiben gegen den Bescheid vom 13. Februar 2003 dahingehend eingelassen, der Tinnitus sei Folge des - hier nicht streitgegenständlichen - Unfalls vom 7. Dezember 2000. Daher sind gegenteilige Angaben des Klägers bei Dr. J. , auf welche der seine Begutachtung wesentlich gestützt hat, nur unter Vorbehalt zu verwerten. Dies gilt insbesondere deswegen, weil im Gutachten von Dr. R. auf psychische Überlagerungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers hingewiesen worden ist und Prof. Dr. St. bei seiner Begutachtung Ausgestaltungstendenzen in Form der Vortäuschung von kognitiven Beeinträchtigungen, die so nicht vorlagen, feststellen konnte. Der Kläger war schließlich bereits am 21. März 1998 wieder arbeitsfähig und war - bis auf die zeitweise. Behandlung durch Dr. Sailer - wegen dem Tinnitus bis zu dem Unfall vom 7. Dezember 2000 nicht mehr in ärztlicher Behandlung.
Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein - dies unterstellt - heute bestehender Tinnitus mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall von 1998 zurückzuführen ist.
Aber selbst wenn ein Tinnitus Unfallfolge ist, folgt hieraus noch keine rentenberechtigende MdE. Nach den einschlägigen Vorgaben (Königsteiner Merkblatt, Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit, 4. Auflage 1996; 4.3.5) ist ein Tinnitus mit einer MdE bis 10 v. H. zu berücksichtigen, wobei dies nicht isoliert zu geschehen hat, sondern in Gesamtwürdigung mit der Schwerhörigkeit. Diese ist jedoch - wie oben ausgeführt - nicht mit Wahrscheinlichkeit Unfallfolge.
Keine Unfallfolge sind nach der Überzeugung des Senats die - zumindest zeitweise. als Folge des Unfalls vom 27. Januar 1998 geklagten - Schwindelbeschwerden. Zwar sind hier vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 weder Arbeitsunfähigkeitszeiten noch einschlägige ärztliche Behandlungen bekannt. Dr. I. verneinte ausdrücklich, dass der Kläger vor diesem Unfall Schwindelbeschwerden hatte. Jedoch sind nach dem streitgegenständlichen Unfall weder neurologische Ausfälle noch - im Rahmen der bildgebenden und sonographischen Verfahren - Schädigungen des Schädels nachgewiesen worden. Der Senat schließt sich der Einschätzung des Neurologen und Psychiaters Dr. D. an, der auf Grund von Untersuchungen vom 5. und 13. März 1998 einen regelrechten neurologischen Befund mitteilte, für eine posttraumatische intrakranielle Komplikation keine eindeutigen Hinweise. finden konnte und die Beschwerden auf ein linksbetontes Cervicalsyndrom zurückführte, wofür auch ein paravertebraler Druckschmerz im oberen und mittleren HWS-BeR. linksbetont spreche. Dies entspricht auch der Einschätzung, die Prof. Dr. W. in seinem Gutachten geäußert hat und wonach insbesondere die Schwindelbeschwerden auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen sind.
Auf die Berufung der Beklagten ist das Urteil des Sozialgerichts deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der am 1945 in Kroatien geborene Kläger, der seit 1. September 2004 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der LVA Niederbayern-Oberpfalz bezieht, begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
Auf den Kopf des Klägers fiel am 27. Januar 1998 bei seiner damaligen Beschäftigung als Maurer ein 5 bis 6 kg schwerer Ziegelstein aus ca. 3 bis 4 Metern Höhe und verursachte dort eine 5 mal 3 cm große Platzwunde. Privatdozent Dr. D. , Ärztlicher Direktor der unfallchirurgischen Abteilung des M. Stuttgart, beschrieb im Durchgangsarztbericht eine kurze Bewusstlosigkeit und verneinte eine Amnesie und Übelkeit. Er diagnostizierte eine Commotio cerebri. Eine computertomographische Untersuchung vom 28. Januar 1998 ergab keine intracraniellen Traumafolgen oder intracerebrale Blutungen. Der viertägigen unfallchirurgischen stationären Behandlung folgte eine solche in der HNO-Klinik. Chefarzt Dr. R. beschrieb dort einen beidseitigen Tinnitus und einen leichten Schwindel seit dem Unfall sowie einen vermutlich vorbestehenden symmetrischen Hochtonabfall, der Neurologe Dr. W. außerdem ein leichtes Halswirbelsäulen-(HWS-)Syndrom mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung bei vorbestehender Spondylarthrose der HWS rechtsbetont. Am 16. Februar 1998 wurde der Kläger nahezu beschwerdefrei hinsichtlich des Schwindels und bei gebessertem, linksseitigen nur noch leichtem Tinnitus aus der stationären Behandlung entlassen. Arbeitsunfähigkeit bestand bis 20. März 1998.
Am 7. Dezember 2000 verunglückte der Kläger auf einer betrieblich veranlassten Fahrt mit einem Lkw, als er eine rote Ampel überfuhr und mit einem von links mit ca. 20 - 25 km/h kommenden Pkw kollidierte. Er war nach seinen Angaben zunächst 10 Minuten bewusstlos. Schon am Unfallort gab er Schwindelgefühle und Schmerzen im Nackenbereich. und Kopf an. Privatdozent Dr. G. , F.-Klinik F. , erwähnte im Durchgangsarztbericht starke Kopfschmerzen und Druck im linken Ohr; er diagnostizierte eine HWS-Distorsion und ein Schädelhirntrauma 1. Grades. Der Neurologe Dr. R. konnte im EEG vom 10. Januar 2001 keinen pathologischen Befund feststellen, ebenso wenig mittels Duplex-Sonografie der extracraniellen hirnversorgenden Arterien vom 1. Oktober 2001. Eine computertomografische Untersuchung vom 23. Januar 2001 ergab keinen Hinweis auf ein chronisch subdurales Hämatom; auch eine Kernspintomographie des Schädels vom 18. Januar 2002 ergab keinen pathologischen Befund. Der Kläger klagte über einen zwar unter Infusionstherapie gebesserten, aber fortbestehenden Tinnitus links stärker als rechts, über Kopfschmerzen, Bewegungseinschränkungen der HWS und Schwindelgefühle.
Dr. R. stellte in einem Gutachten für die Beklagte vom Mai 2001 eine symmetrische Hochtonschwerhörigkeit (Hörverlust jeweils 15 %), einen Tinnitus überwiegend links und einen Belastungsschwindel fest, für die er eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v. H. (Schwerhörigkeit und Tinnitus 10 v. H., Schwindel 10 v. H.) annahm. Diesen Wert schätzte auch Dr. G ... Dr. J. bestätigte in seinem von der Beklagten erbetenen HNO-ärztlichen Gutachten vom Dezember 2001 die Diagnosen (Hörverlust beidseits sogar 20 %) und die MdE-Einschätzung Dr. R. s und ordnete diese dem Unfall vom 27. Januar 1998 zu, wenngleich er nicht sicher ausschließen konnte, dass der Unfall vom 7. Dezember 2000 die Ohrgeräusche und die Schwindelbeschwerden verschlimmert habe. Die geklagten Cephalgien seien als postkommotionelles Syndrom oder Folgen vertebragener Muskelverspannungen zu deuten und damit keine Unfallfolge. Prof. Dr. J. , Leiter der Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik U. , kam demgegenüber in seinem Gutachten nach Aktenlage zu der Einschätzung, dass eine vom Kläger nicht bemerkte Schwerhörigkeit mit Tinnitus vorbestanden habe. Die durch den Unfall vom 27. Januar 1998 bedingte HWS-Distorsion habe den Tinnitus vorübergehend verstärkt und vorübergehend zu Schwindelerscheinungen geführt. Der Chirurg Dr. R. sah in einem für die LVA Niederbayern-Oberpfalz im Dezember 2001 erstellten Gutachten Diskrepanzen zwischen den Klagen und dem Untersuchungsbefund; der Nervenarzt Dr. Sch. konnte zu diesem Zeitpunkt keine mit den Unfällen in Zusammenhang stehenden Auffälligkeiten, insbesondere keine Schwindelerscheinungen, verifizieren und sprach sich für eine Somatisierungsstörung aus. Prof. Dr. St. , der den Kläger im November 2002 für die Beklagte auf nervenärztlichem Fachgebiet begutachtete, stellte regelrechte Befunde fest. Der unfallchirurgische Gutachter Prof. Dr. W. , Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen, sah im Dezember 2002 als Folgen des Unfalls vom 7. Dezember 2000 allenfalls eine leichte Gehirnerschütterung und eine leichte HWS-Distorsion mit vorübergehender Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens an und bejahte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 6. Dezember 2001, anschließend ohne messbare MdE. Die geklagten Schwindelerscheinungen seien auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen.
Mit Bescheid vom 13. Februar 2003 und Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2003, zur Post gegeben am 12. Mai 2003, lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2000 ab, da die leichte Gehirnerschütterung und die leichte Distorsion der HWS ausgeheilt seien. Die hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 1 U 3032/03) hat der Kläger für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 26. März 2004 und Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 27. Januar 1998 ab, da die Kopfplatzwunde und die Gehirnerschütterung folgenlos verheilt seien.
Am 16. Juli 2004 hat der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Mit Urteil vom 30. August 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 26. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2004 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 21. März 1998 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren. Zuzustimmen sei dem Gutachten von Dr. J. sowie dem Gutachten von Dr. R. , der die Gesamt-MdE jedoch nicht genau einem der Arbeitsunfälle zugeordnet habe. Zu berücksichtigen seien die Feststellungen und Diagnosen der bereits wenige Tage nach dem Arbeitsunfall erfolgten stationären Behandlung in der HNO-Abteilung des Marienhospitals. Danach habe der Kläger durch den Unfall vom Januar 1998 einen posttraumatischen Tinnitus bei Commotio labyrinthi verbunden mit leichter Schwerhörigkeit erlitten. Der Kläger habe gegenüber Dr. J. anamnestisch angegeben, dass sich nach seiner subjektiven Einschätzung die Beschwerden durch den zweiten Unfall eher intensiviert hätten und seither keinesfalls eine Besserung eingetreten sei. Die MdE-Einschätzung stimme mit den Vorgaben in der - näher dargelegten - versicherungsrechtlichen Literatur überein. Demgegenüber seien die Ausführungen von Prof. Dr. J. , der den Kläger lediglich nach Aktenlage beurteilt habe, nicht überzeugend. Allein die von ihm bewerteten Angaben des Klägers würden keine objektiven Anhaltspunkte dafür bieten, dass bereits vor dem Unfallereignis am 27. Januar 1998 eine Schwerhörigkeit mit Tinnitus bestanden habe.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 13. September 2005 zugestellte Urteil am 7. Oktober 2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des Klägers und der fehlende Nachweis einer cochleären Läsion gegen eine unfallbedingte Schwerhörigkeit sprächen. Zudem sei der Kläger nach der Behandlung im Marienhospital beinahe beschwerdefrei, auch hinsichtlich etwaiger Schwindelsymptome, gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Erst aufgrund des Unfalls vom 27. Januar 1998 leide er unter Tinnitus und Schwindelbeschwerden.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und reichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 2 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die (als Unfallfolge geltend gemachte) Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985 - 2 RU 43/84 - SozR 2200 § 555a Nr. 1; Urteil vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86 - SozR 2200 § 548 Nr. 84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O; Urteil vom 20. Januar 1987, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 - SozR 2200 § 548 Nr. 38; Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Die durch Unfallfolgen bedingte MdE bestimmt sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Hiervon ausgehend kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der Arbeitsunfall vom 27. Januar 1998 bei dem Kläger Folgen mit einer MdE um 20 v. H. ab 21. März 1998 hinterlassen hat.
Unstreitig bedingen die unfallchirurgischen Folgen - die Kopfplatzwunde - ab Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit am 21. März 1998 keine messbare MdE (mehr). Entscheidend ist daher, ob die beidseitige leichte Schwerhörigkeit mit Tinnitus vorwiegend links (einige Angaben eines vorwiegend rechtsseitigen Tinnitus sind nach der Überzeugung des Senats auf eine Seitenverwechslung durch die behandelnden Ärzte zurückzuführen) und die Schwindelbeschwerden mit Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge anzusehen sind. Dass die genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen zumindest in einem gewissen Umfang vorhanden sind, unterstellt der Senat zu Gunsten des Klägers. Für einen ursächlichen Zusammenhang konnten jedoch die Gutachten von Dr. J. und Dr. R. letztlich keine überzeugenden Argumente liefern. Vielmehr überwiegend die Zweifel, wie sie im Gutachten von Prof. Dr. J. dargelegt worden sind.
Die von Dr. J. erhobenen Befunde sprechen nicht eindeutig für eine Commotio labyrinthi, also eine traumatische Schädigung. So ließen die überschwelligen Testmethoden in ihrer Gesamtheit eine cochleäre Läsion nicht annehmen, wie dies bei einer Commotio labyrinthi zu erwarten gewesen wäre. Mit Prof. Dr. J. hält es auch der Senat für letztlich wahrscheinlicher, dass sich die leichte Schwerhörigkeit allmählich und unabhängig von dem Unfallgeschehen entwickelt hat. Das Hörvermögen des Klägers vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 ist unbekannt, denn er wurde nach den Angaben des arbeitsmedizinischen Dienstes nicht arbeitsmedizinisch untersucht. Auch war der Kläger, wie er im Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten angab, vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 nicht in HNO-ärztlicher Behandlung; Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen HNO-ärztlicher Gesundheitsbeeinträchtigungen sind von der Krankenkasse des Klägers ebenfalls nicht mitgeteilt worden. Diese Umstände sprechen aber nicht entscheidend gegen eine vorbestehende Schwerhörigkeit, denn diese kann - wie von Prof. Dr. J. dargelegt worden ist - vom Kläger nicht bemerkt worden sein. Denn auch nach dem Unfall vom 27. Januar 1998 machte der Kläger von sich aus keine Beeinträchtigungen seines Gehörs geltend. Aus seiner Sicht hatte sich also sein Gehör durch den Unfall nicht merklich verschlechtert. Dies spricht wiederum dafür, dass es bereits vor dem Unfall, allmählich schlechter geworden ist. Auch Dr. R. ging bei seiner Behandlung im Februar 1998 davon aus, dass der symmetrische Hochtonabfall vermutlich vorbestehend gewesen sei.
Hinsichtlich des Tinnitus erfolgte nach dem Unfall vom 27. Januar 1998 unmittelbar eine Behandlung des Klägers in der HNO-Abteilung des Marienhospitals. Im Verwaltungsverfahren gab der Kläger an, vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 nicht wegen eines Tinnitus in Behandlung gewesen zu sein. Dem behandelnden Hausarzt Dr. I. ist der im Verwaltungsverfahren gegebene Hinweis zu verdanken, dass der Kläger vor dem Unfall auch keine Beschwerden wegen eines Tinnitus hatte. So hat sich der Kläger auch anlässlich der Untersuchungen durch Dr. J. und durch Dr. St. geäußert. Dies widerspricht aber seinen Angaben während der Behandlung durch Dr. R. , er habe bereits vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 einen leichten Tinnitus gehabt, der sich nach dem Unfall verstärkt habe. Zwar ist den sog. Erstangaben eines Versicherten nicht grundsätzlich ein höherer Beweiswert als dessen spätere Angaben zuzusprechen (BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 41/02 R - SozR 4-1500 § 128 Nr. 2). Doch werfen die eigenen Angaben des Klägers hier Zweifel auf, die aus anderen, objektiven Hinweisen nicht ausgeräumt werden können. Diese Zweifel muss sich der Kläger entgegenhalten lassen.
Selbst wenn der Unfall vom 27. Januar 1998 einen linksbetonten Tinnitus herbeigeführt oder richtungsweisend verschlimmert hat, ist dessen Fortbestehen bis zum Unfall im Jahr 2000 und dessen Umfang unklar. Dr. R. wies zu Recht darauf hin, dass die Stärke des Tinnitus mehr oder weniger subjektiv ist. Daher sind die Hinweise beachtlich, der Tinnitus habe sich nach der Entlassung aus der HNO-Abteilung des M. deutlich gebessert, so dass der Kläger nahezu beschwerdefrei sei. Dies ist den Angaben von Privatdozent Dr. G. (Arztbrief vom 15. März 2001) zu entnehmen, außerdem einer Äußerung der behandelnden HNO-Ärztin Dr. Sailer (Arztbrief vom 12. März 2001). Bereits bei Entlassung aus dem Marienhospital am 16. Februar 1998 hatte der Kläger nur noch einen leichten Tinnitus links (Entlassungsbericht Dr. R. vom 18. Februar 1998). Auch der Kläger selbst hat sich anlässlich der Begutachtung durch Dr. Sch. , gegenüber Prof. Dr. St. und in seinem Widerspruchschreiben gegen den Bescheid vom 13. Februar 2003 dahingehend eingelassen, der Tinnitus sei Folge des - hier nicht streitgegenständlichen - Unfalls vom 7. Dezember 2000. Daher sind gegenteilige Angaben des Klägers bei Dr. J. , auf welche der seine Begutachtung wesentlich gestützt hat, nur unter Vorbehalt zu verwerten. Dies gilt insbesondere deswegen, weil im Gutachten von Dr. R. auf psychische Überlagerungen der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers hingewiesen worden ist und Prof. Dr. St. bei seiner Begutachtung Ausgestaltungstendenzen in Form der Vortäuschung von kognitiven Beeinträchtigungen, die so nicht vorlagen, feststellen konnte. Der Kläger war schließlich bereits am 21. März 1998 wieder arbeitsfähig und war - bis auf die zeitweise. Behandlung durch Dr. Sailer - wegen dem Tinnitus bis zu dem Unfall vom 7. Dezember 2000 nicht mehr in ärztlicher Behandlung.
Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein - dies unterstellt - heute bestehender Tinnitus mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall von 1998 zurückzuführen ist.
Aber selbst wenn ein Tinnitus Unfallfolge ist, folgt hieraus noch keine rentenberechtigende MdE. Nach den einschlägigen Vorgaben (Königsteiner Merkblatt, Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit, 4. Auflage 1996; 4.3.5) ist ein Tinnitus mit einer MdE bis 10 v. H. zu berücksichtigen, wobei dies nicht isoliert zu geschehen hat, sondern in Gesamtwürdigung mit der Schwerhörigkeit. Diese ist jedoch - wie oben ausgeführt - nicht mit Wahrscheinlichkeit Unfallfolge.
Keine Unfallfolge sind nach der Überzeugung des Senats die - zumindest zeitweise. als Folge des Unfalls vom 27. Januar 1998 geklagten - Schwindelbeschwerden. Zwar sind hier vor dem Unfall vom 27. Januar 1998 weder Arbeitsunfähigkeitszeiten noch einschlägige ärztliche Behandlungen bekannt. Dr. I. verneinte ausdrücklich, dass der Kläger vor diesem Unfall Schwindelbeschwerden hatte. Jedoch sind nach dem streitgegenständlichen Unfall weder neurologische Ausfälle noch - im Rahmen der bildgebenden und sonographischen Verfahren - Schädigungen des Schädels nachgewiesen worden. Der Senat schließt sich der Einschätzung des Neurologen und Psychiaters Dr. D. an, der auf Grund von Untersuchungen vom 5. und 13. März 1998 einen regelrechten neurologischen Befund mitteilte, für eine posttraumatische intrakranielle Komplikation keine eindeutigen Hinweise. finden konnte und die Beschwerden auf ein linksbetontes Cervicalsyndrom zurückführte, wofür auch ein paravertebraler Druckschmerz im oberen und mittleren HWS-BeR. linksbetont spreche. Dies entspricht auch der Einschätzung, die Prof. Dr. W. in seinem Gutachten geäußert hat und wonach insbesondere die Schwindelbeschwerden auf degenerative Veränderungen der HWS zurückzuführen sind.
Auf die Berufung der Beklagten ist das Urteil des Sozialgerichts deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
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