L 10 R 4693/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 6752/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 4693/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Umstritten ist, ob der Kläger alleine den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung zu tragen hat.

Der am 1940 geborene Kläger, Vater von drei Kindern (geboren am 1987, 1988 und 1994), bezog ab 1. Juni 2000 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit zuzüglich eines Beitragszuschusses zur Pflegeversicherung in Höhe von 0,85 % als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (entsprechend der Hälfte des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung von 1,7 %, Rentenbescheid vom 26. April 2000 und 28. April 2000).

Nach Wegfall der freiwilligen Versicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung berechnete die Beklagte die Rente mit Bescheid vom 17. April 2002 ab 1. April 2002 neu und zog vom Rentenbetrag den hälftigen Beitrag zur Pflegeversicherung in Höhe von 0,85 % ab.

Mit Bescheid vom 8. März 2004 berechnete die Beklagte nach einer Gesetzesänderung mit Wirkung vom 1. April 2004 den von der Rente abzuziehenden Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung neu und brachte nunmehr den gesamten Beitrag in Höhe von 1,7 % (26,74 EUR) in Abzug (Zahlbetrag der Rente 1.428,86 EUR). Der Widerspruch des Klägers, mit welchem er unter anderem geltend machte, die getroffene Regelung stelle eine finanzielle Ausbeutung der Familie dar, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. September 2004).

Deswegen hat der Kläger am 11. Oktober 2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, mit welcher er geltend gemacht hat, er habe nur den hälftigen Beitrag zur Pflegeversicherung zu zahlen. Die gesetzliche Neuregelung werde den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Schutz der Familie im Sozialversicherungsrecht nicht gerecht und stehe im Widerspruch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Benachteiligung der Familie im Steuer- und Sozialversicherungsrecht mit jedem Gesetzesschritt erkennbar zu verringern. Dennoch habe er 1994 die Pflegeversicherung ohne irgendwelche Korrekturen an der Beitragslast der Familien eingeführt. Mit der Ausbeutung seiner Familie durch den Staat müsse Schluss sein.

Mit Urteil vom 26. Oktober 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Aufgrund der Neufassung des § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zum 1. April 2004 sei eine wesentliche Änderung hinsichtlich des Pflegeversicherungsbeitrages und dessen Tragung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten. Danach hätten Versicherte, die nicht Beschäftigte seien, ab 1. April 2004 die Beiträge aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung zur gesetzlichen Pflegeversicherung alleine zu tragen. Die Beklagte habe lediglich die gesetzliche Regelung umgesetzt und sei an diese gebunden. Das Verfahren sei auch nicht nach Artikel 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, da die erkennende Kammer nicht von einem Verstoß der gesetzlichen Regelung gegen Verfassungsrecht, insbesondere Artikel 6 und Artikel 3 GG, überzeugt sei.

Gegen das am 7. November 2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. November 2005 Berufung eingelegt, mit welcher er sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2004 insoweit aufzuheben, als mehr als die Hälfte des Beitrages zur sozialen Pflegeversicherung von der Rente abgezogen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger sein früheres Vorbringen wiederholt und nichts rechtserhebliches Neues vorgebracht. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung der Beklagten - hier § 48 SGB X und § 59 SGB XI - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Entscheidung der Beklagten der Rechtslage entspricht. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Wie das SG sieht auch der Senat keinen Anhalt dafür, dass die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen gegen höherrangiges Recht verstoßen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch insoweit auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Auch der Senat ist somit der Auffassung, dass der Gesetzgeber angesichts seines weiten Gestaltungsspielraumes den vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (SozR 3-3300 § 54 Nr. 2) dadurch hinreichend Rechnung getragen hat, dass er für Kinderlose einen Beitragszuschlag eingeführt hat (§ 55 Abs. 3, § 59 Abs. 5 SGB X).

Die mit § 59 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz SGB XI eingetretene zusätzliche Belastung der Rentner zielte nicht auf eine Belastung der Familien, sondern beruht - neben dem Ziel, den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung beizubehalten (BTDrs. 15/1830 Seite 2) - auf der nachvollziehbaren und zulässigen Überlegung des Gesetzgebers, dass die Rentner in besonderem Maße von der Einführung der Pflegeversicherung profitieren, aber deutlich kürzere Zeiträume Beiträge zur Absicherung des Pflegerisikos zahlen, als die jetzt jüngeren Versicherten (BTDrs. 15/1830 Seite 10). Dies gilt auch für den Kläger. Dabei war der Gesetzgeber nach Auffassung des Senats nicht gehalten, Sonderregelungen aus Gründen des Familienlastenausgleiches für solche Rentner zu treffen, die - wie der Kläger - auch im Rentenalter ihren Kindern noch unterhaltspflichtig sind. Denn der Gesetzgeber darf auf Grund seines weiten Gestaltungsspielraumes in typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass die wesentliche Belastung der Familien durch die Erziehung der Kinder während des aktiven Erwerbslebens besteht. In diese Zeit fällt üblicherweise die finanzielle Belastung durch den Unterhalt für die Kinder, häufig kombiniert mit einer zeitweisen Aufgabe der Erwerbstätigkeit eines Elternteiles zum Zwecke der Kinderbetreuung. Insbesondere diesbezüglich hat der Gesetzgeber einen Familienlastenausgleich zu bedenken, wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dem vom Kläger herangezogenen "Trümmerfrauenurteil" (SozR 3-5761 Allg. Nr. 1) entnehmen lässt, ohne dass allerdings konkrete Vorgaben für die Umsetzung möglich wären. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat - in eben solcher typisierenden Betrachtung - dem Gesetzgeber hinsichtlich der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung sogar vorgegeben, den Ausgleich zwischen Eltern und kinderlosen Personen in der Erwerbsphase auszugleichen (SozR 3-3300 § 54 Nr. 2). Dass der Kläger aus der dargestellten Typik herausfällt, macht die Regelung nicht verfassungsrechtlich bedenklich.

Da der Senat von einer Verfassungswidrigkeit der angewandten gesetzlichen Bestimmungen nicht überzeugt ist, ist das Verfahren auch nicht gemäß Artikel 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Da das Urteil des SG nicht zu beanstanden ist, ist die Berufung zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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