L 3 AS 5010/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 948/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 5010/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der im Jahre 1957 geborene Kläger bezog bis zum Ablauf des Jahres 2004 Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit. Am 07.12. 2004 beantragte er bei der Agentur für Arbeit R. die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dabei gab er an, er verfüge über ein Sparguthaben sowie Geschäftsanteile der VR-Bank. Darüber hinaus bestünden eine Lebens- und drei private Rentenversicherungen, auf die er ebenso Beiträge zu leisten habe, wie auf weitere von ihm abgeschlossene Versicherungen.

Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen beträgt der monatliche Mietzins für die von ihm gemeinsam mit seinen Eltern bewohnte 95,35 qm große Dreizimmerwohnung EUR 342,75. Darüber hinaus fielen nach der eingereichten Betriebskostenabrechnung des Hausverwalters vom 09.12.2003 im letzten Abrechnungszeitraum Heizkosten von monatlich EUR 79,02 sowie weitere anteilige Nebenkosten (Strom, Abfallbeseitigung und Grundsteuer) von monatlich EUR 10,86 und Kosten für die Nutzung von Kabelfernsehen an. Nach der gleichfalls vorgelegten Jahresendabrechnung der star.E. GmbH & Co. KG vom 18.10.2004 waren zusätzliche Stromkosten von monatlich EUR 65,45 sowie weitere Abfallbeseitigungsgebühren von monatlich EUR 7,27 zu entrichten. An diesen Miet- und Heizkosten beteiligt sich der Kläger nach eigenen Angaben mit EUR 175,00 monatlich.

Mit Bescheid vom 29.12.2004 bewilligte die Agentur für Arbeit R. dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06. 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich EUR 645,92 (Regelleistung von 345,00 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung von EUR 140,92 sowie befristeter Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld von EUR 160,00).

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, gegen die Höhe der Regelleistung bestünden verfassungsrechtliche Bedenken. Zum einen sei die Leistungshöhe bereits vor Jahren festgelegt und seither den veränderten Verhältnissen nicht angepasst worden. Zum anderen gehe durch die Bezugsdauer von pauschal 30 Tagen pro Monat eine Zahlung für fünf Tage im Jahr verloren. Schließlich sei nicht zutreffend berücksichtigt, dass Vermögen aus verfassungsrechtlichen Gründen bis zu einer Höhe von EUR 520,00 pro Lebensjahr nicht angerechnet werden dürfe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2005 wies die Agentur für Arbeit R. den Widerspruch mit der Begründung zurück, die getroffene Entscheidung entspreche den gesetzlichen Regelungen. Eine Entscheidung über die Leistungen für Unterkunft und Heizung ergehe nicht, da hierfür der kommunale Träger zuständig sei.

Am 14.03.2005 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe gegen die Bundesagentur für Arbeit Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, er entrichte für seine Versicherungen, zu denen neben der Lebens- und den Rentenversicherungen eine Berufsunfähigkeitsversicherung, eine Kraftfahrzeugversicherung, eine Rechtsschutzversicherung und eine private Krankenversicherung zählten, schätzungsweise EUR 300,00 monatlich an Beiträgen. Die Versicherungen ruhend zu stellen, seit derzeit nicht möglich. Im übrigen bestehe gerade bei der Berufsunfähigkeitsversicherung das Problem, dass diese bei einer Neuaufnahme wesentlich teurer würde. Gleiches gelte für die private Krankenversicherung.

Nach am 01.06.2005 erfolgtem Übergang der Zuständigkeit für die Wahrnehmung der Aufgaben nach dem SGB II auf die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung hat der Kläger seine Klageanträge gegen diese gerichtet und ist das Klageverfahren mit dieser als Beklagter fortgeführt worden.

Mit Urteil vom 29.09.2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger erhalte die volle Regelleistung in Höhe von EUR 345,00 im Monat. Vermögen sei bei der Berechnung der ihm bewilligten Leistungen nicht berücksichtigt worden, so dass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge des § 12 Abs. 2 SGB II nicht ankomme. Die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung seien mit monatlich EUR 140,92 zutreffend in Ansatz gebracht worden. Angesichts des dem Kläger nach § 24 SGB I über die Regelleistung hinaus bewilligten befristeten Zuschlages in Höhe von EUR 160,00 sei das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum gesichert, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob die Regelsätze des § 20 Abs. 2 SGB II für sich allein hierzu ausreichten. Die vom Kläger geltend gemachten Versicherungsbeiträge von ungefähr EUR 300,00 im Monat seien dabei nicht berücksichtigungsfähig. Der hilfsweise beantragten Aussetzung des Verfahrens nebst Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der monatlichen Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II sowie der auf 30 Tage festgelegten monatlichen Bezugsdauer bedürfe es daher nicht. Diese Entscheidung wurde am 31.10.2005 zum Zwecke der Zustellung an den Kläger mittels Übergabe-Einschreiben zur Post gegeben.

Am 23.11.2005 hat der Kläger Berufung eingelegt und ergänzend vorgetragen, es sei widersinnig, einerseits den Bürgern eine private Alterssicherung nahe zu legen, diese aber andererseits im Rahmen des Arbeitslosengeldes II nicht zu berücksichtigen. Er habe seine Versicherungen bereits in der Vergangenheit abgeschlossen, so dass er nicht in den Genuss der Vergünstigungen der "Riester Rente" komme.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2005 aufzuheben sowie den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. März 2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich EUR 900,00 zu bewilligen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der in § 20 Abs. 2 SGB II bestimmten monatlichen Regelleistung in Höhe von EUR 345,00 und zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der auf 30 Tage festgelegten monatlichen Bezugsdauer (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II) einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Leistungsakten der Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des Sozialgerichts Karlsruhe verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Der Kläger erstrebt bei sachdienlicher Auslegung seines Begehrens, wie es in seinem Klage- und Berufungsvorbringen sowie in dem von ihm erstinstanzlich gestellten Klageantrag zum Ausdruck kommt (§ 123 SGG), die Beklagte, die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung R., im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich insgesamt EUR 900,00 zu verurteilen und den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29.12.2004 sowie den von derselben erlassenen Widerspruchsbescheid vom 07.03.2005 entsprechend abzuändern.

Mit diesem Begehren ist die Berufung zulässig, jedoch nicht begründet.

Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die vom Kläger beim Sozialgericht erhobene Klage zunächst (allein) gegen die Bundesagentur für Arbeit gerichtet war. Denn der zum 01.06.2005 erfolgte Übergang der Zuständigkeit für die Wahrnehmung der nach § 6 Abs. 1 Satz 1, § 36 SGB II der Arbeitsagentur R. sowie dem Landkreis R. als kommunalem Träger zugewiesenen Aufgaben nach dem SGB II auf die nunmehr beklagte Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung R. (vgl. § 44 b Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB II) hat als gesetzlich vorgesehene Funktionsnachfolge einen nicht als Klageänderung anzusehenden und mithin zulässigen Beteiligtenwechsel auf der Beklagtenseite zur Folge (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, Rdnr. 6a zu § 99).

Die Klage ist aber auch nicht deshalb (teilweise) unzulässig, weil die Bundesagentur für Arbeit, die den hier in Rede stehenden Bewilligungsbescheid vom 29.12.2004 hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung lediglich im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit nach § 65 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Vertretung des gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 36 Satz 2 SGB II an sich zuständigen Landkreises R. erlassen hatte (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Rdnr. 6 zu § 65 a), insoweit ausdrücklich nicht über den vom Kläger erhobenen Widerspruch entschieden hat. Denn die zwischenzeitlich nach § 44 b Abs. 3 Satz 2 SGB II für die Entscheidung über den Widerspruch zuständige Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung R. (vgl. Eicher/Spellbrink, a. a. O.) hat sich als Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 29.09.2005 rügelos auf die auch die Kosten für Unterkunft und Heizung umfassende Klage eingelassen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., Rdnr. 3c zu § 78). Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 03.03.1999 (- B 6 KA 10/98 R -, SozR 3-5540 Anl. 1 § 10 Nr. 1) steht dem nicht entgegen. Denn sie betrifft die von der vorliegenden Fallgestaltung abweichende Konstellation einer zu Unrecht nicht erfolgten Befassung der zuständigen Behörde mit den Widerspruchsvorbringen des Klägers und des dadurch bedingten gänzlichen Wegfalls der Filterfunktion des Widerspruchsverfahrens. Im zur Entscheidung des Senats gestellten Fall hat demgegenüber die Bundesagentur für Arbeit über die vom Kläger erhobenen - gerade nicht die bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung betreffenden - Einwendungen ausnahmslos entschieden und ist eine weitergehende Entscheidung nur mangels eigener Zuständigkeit unterblieben. Nachdem Einwendungen gegen die gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung auch in der Folgezeit nicht erhoben worden sind und darüber hinaus die nunmehr auch insoweit für die Entscheidung über den Widerspruch zuständige Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung R. vermittels ihres Sachantrages zum Ausdruck gebracht hat, dass sie das Begehren des Klägers insgesamt für unbegründet hält, ist eine (teilweise) Nachholung des Vorverfahrens entbehrlich, da als bloße Förmelei anzusehen.

In der Sache hat das Sozialgericht die Klage ohne Rechtsfehler abgewiesen. Der Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29.12.2004 sowie der von derselben erlassene Widerspruchsbescheid vom 07.03.2005 verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn ihm können keine über das bewilligte Arbeitslosengeld II hinausgehende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt werden. Dies hat das Sozialgericht im Urteil vom 29.09.2005 ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass dem vom Kläger angeführten Gesichtspunkt der Altersvorsorge durch die in § 3 Satz 1 Nr. 3a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) grundsätzlich vorgesehene Pflichtversicherung von Leistungsempfängern nach dem SGB II in der gesetzlichen Rentenversicherung ausreichend Rechnung getragen ist. Was schließlich die Berechnung der Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) betrifft, sind Bedenken weder vorgetragen noch erkennbar.

Mangels verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Höhe der dem Kläger im streitigen Zeitraum gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht kein Anlass, gem. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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