L 10 U 5238/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1690/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5238/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtliche Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, die Verletztenrente herabzusetzen.

Bei dem 1935 geborenen Kläger, der seit Februar 1964 als Autolackierer gearbeitet hatte, wurde im September 1987 ein Bronchial-Karzinom im Stadium pT1 pNo Mo G3 festgestellt. Es erfolgte im Oktober 1987 eine Teilentfernung des linken Lungenoberlappens. Im Juli 1988 nahm der Kläger seine berufliche Tätigkeit wieder auf, arbeitete bis 20. August 1990 weiter als Lackierer, war danach arbeitsunfähig und bezieht seit 1. September 1995 Altersrente.

Nach Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) und Beiziehung von ärztlichen Äußerungen kam Dr. M. in einem Gutachten vom 17. Oktober 1989 und einer Stellungnahme vom 15. Juni 1990 u.a. zum Ergebnis, das Bronchial-Karzinom sei durch die berufsbedingte Exposition gegenüber Zinkchromat verursacht. Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion seien nicht zu objektivieren. Die CEA als möglicher Parameter für Krebsgewebe im Organismus sei noch erhöht. Aufgrund des erheblichen Metastasierungsrisikos bewertete er die durch die Erkrankung bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 100 v. H.

Die Beklagte anerkannte mit Bescheid vom 5. Februar 1991 eine Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie als deren Folge "Entfernung des linken Lungenoberlappens infolge Zinkchromat-Exposition. Missempfindungen an der linken unteren Thoraxseite." und bewilligte eine Verletztenrente nach einer MdE um 100 v. H. als Dauerrente.

Nach Eingang weiterer ärztlicher Äußerungen kam Dr. M. im Gutachten vom 28. Dezember 1992 zum Ergebnis, eine relevante Lungenfunktionsbeeinträchtigung sei nicht festzustellen (keine wesentliche Änderung gegenüber der Vorbegutachtung). Aufgrund der Erkrankung bestehe jedoch eine erhebliche psychische Belastung des Klägers, der zu diesem Zeitpunkt aber nicht in nervenärztlicher oder psychologischer Behandlung war und sich erstmals im Dezember 2004 in nervenärztliche Behandlung bei Dr. L. begeben hat. Hierauf setzte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 23. Februar 1993 die Rente mit Wirkung vom 1. April 1993 auf 60 v. H. der Vollrente herab. Gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des ersten Rentenbescheides sei eine wesentliche Änderung erfolgt, nachdem nach über fünfjähriger Beobachtung kein Rezidiv des Lungenkrebses mehr aufgetreten sei.

Nach Eingang weiterer ärztlicher Berichte kam Dr. R. in einem Gutachten vom 12. Dezember 1998 und ergänzenden Stellungnahmen vom 26. Mai und 29. November 1999 im Wesentlichen zum Ergebnis, im Vergleich zum Vorgutachten vom 28. Dezember 1992 bestehe eine leichtgradige Restriktion, im übrigen lasse sich keine Änderung feststellen. Bei immer noch vorhandenem Restrisiko, an einem Tumorrezidiv zu erkranken, bestehe eine erhebliche psychische Belastung. Er bewertete die MdE zunächst mit 40 v.H. und in der letzten Stellungnahme mit 30 v.H. (20 v.H. rein infolge Funktionsverlust wegen einer restriktiven Ventilationsstörung).

Nach Anhörung, setzte die Beklagte die Rente ab 1. Februar 2000 auf eine solche um 20 v. H. der Vollrente herab. Nach über zehnjähriger Beobachtung sei kein Rezidiv des Lungenkrebses mehr aufgetreten und die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen bedingten nur eine MdE um 20 v.H. (Bescheid vom 27. Januar 2000 und Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2000).

Deswegen hat der Kläger am 31. Juli 2000 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, eine zweimalige Neufeststellung mit dem Argument der Rezidivfreiheit sei nicht zulässig. Die Beklagte habe im Neufeststellungsbescheid vom 23. Februar 1993 auch nicht auf das Abwarten einer weiteren "Heilungsbewährung" hingewiesen. Die Rezidivfreiheit könne nun nicht nochmals eine Neufeststellung rechtfertigen. Im Übrigen sei in den tatsächlichen Einschränkungen eine wesentliche Besserung nicht festzustellen. Darüber hinaus habe kein Anlass für eine Verlängerung der "Heilungsbewährung über den üblichen Fünfjahreszeitraum hinaus" bestanden, da nach Dr. R. aus rein medizinischer Sicht nach dem TNM-Schema von Anfang an von einer eigentlich günstigen Prognose habe ausgegangen werden können. Das Argument der "Heilungsbewährung" sei mit der ersten Herabsetzung "verbraucht".

Die Beklagte hat geltend gemacht, die MdE richte sich nach den Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Es sei ohne Belang, ob mehrfach eine "Heilungsbewährung" als gegeben anzusehen sei. Im ersten Herabstufungsbescheid habe sie auch nicht auf eine mögliche weitere "Heilungsbewährung" hinweisen müssen.

Mit Urteil vom 28. März 2001 hat das SG den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf diese Entscheidung verwiesen.

Gegen das am 19. April 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Mai 2001 Berufung eingelegt, die der Senat mit Urteil vom 27. Februar 2003 (L 10 U 2131/01) zurückgewiesen hat. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 22. Juni 2004 (B 2 U 14/03 R) das Urteil des Senats aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Beklagte trägt nun im Wesentlichen vor, sie sei berechtigt gewesen, die Rente herabzusetzen, da eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Zur Zeit der Bescheiderteilung vom 21. Januar 2000 seien konkrete Befunde über eine weiter bestehende psychische Belastung nicht dokumentiert, habe der Kläger nicht in psychiatrischer Behandlung gestanden und seien die psychischen Belastungen infolge der Krebserkrankung abgeklungen. Im Gutachten vom 28. Dezember 1992 sei dagegen noch eine erhebliche psychische Belastung wegen der Tumorerkrankung festgestellt. Da sich der Bescheid auf eine tatsächlichen eingetretene wesentliche Änderung der Verhältnisse stütze, könne auch nicht von Vertrauensschutz ausgegangen werden. Es bestehe keinerlei Anlass, den Kläger insoweit besser zu stellen, als alle anderen Rentenbezieher, denen beim Nachweis einer wesentlichen Besserung in den Unfall- oder BK-Folgen die Rente ebenfalls herabgesetzt oder entzogen werde.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. März 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der zu fordernde Nachweis einer Besserung sei nicht erbracht. Falls von einer wesentlichen Änderung auszugehen sein sollte, sei zu klären, ob er aufgrund des Bescheides vom 20. Februar 1993 sowie der Begleitumstände Vertrauensschutz erworben habe, mit der Konsequenz, dass eine Aufhebung für die Zukunft nicht möglich sei.

Der Senat hat den behandelnden Internisten Dr. J. schriftlich als sachverständigen Zeugen zu den ab Februar 1991 erhobenen Befunden befragt. Er hat eine Verschlechterung psychischer Belastungen im Zeitraum 1991 bis 2000 verneint, die erhobenen Befunde mitgeteilt und Berichte vorgelegt (u. a. von Dr. L., Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, vom 29. Dezember 2004, Diagnose: ausgeprägte Schlafstörungen im Rahmen einer chronifizierten Belastungsreaktion nach Krebserkrankung). Außerdem hat der Senat ein Sachverständigengutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 5. August 2005 eingeholt. Dieser ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, Gesundheitsstörungen auf neurologischem Gebiet lägen - abgesehen von einer Hypästhesie im Bereich der linken Thoraxhälfte - nicht vor. Der Kläger habe nachvollziehbar über Schlafstörungen in der Folge seiner Krebserkrankung sowie Ängsten, ein erneutes Rezidiv zu erleiden, berichtet. Hinweise für eine Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet hätten sich nicht ergeben. Der psychische Befund sei in allen Teilen regelgerecht gewesen. Es hätten sich weder aktuell, noch im Längsschnitt Hinweise auf eine depressive Erkrankung im engeren Sinne ergeben. Auf Frage nach Funktionseinschränkungen und Erkrankungen z. Zt. der Begutachtung am 28. Dezember 1992 hat der Sachverständige angegeben, auf nervenärztlichem Gebiet ergäben sich keine Funktionseinschränkungen und Erkrankungen. Psychische Erkrankungen bzw. Leiden des psychiatrischen Fachgebietes hätten nicht vorgelegen. Eine MdE auf nervenärztlichem Gebiet liege nicht vor.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 124, Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist nicht begründet.

Der Bescheid am 27. Januar 2000 und der Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2000 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

Die Verletztenrente des Klägers wurde letztmals mit Bescheid vom 23. Februar 1993 mit Wirkung vom 1. April 1993 mit einer MdE um 60 v. H. bindend festgesetzt. Hiervon bzw. von dem dieser Regelung zugrunde liegenden Gutachten des Dr. M. vom 28. Dezember 1992 (genau: der dort niedergelegten Befunde) ist für die Frage einer von der Beklagten behaupteten Verbesserung des Gesundheitszustandes auszugehen.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bei der Feststellung der MdE in der gesetzlichen Unfallversicherungen ist eine solche wesentliche Änderung nur gegeben, wenn die Änderung mehr als 5 vH beträgt und bei Renten auf unbestimmte Zeit - wie vorliegend - länger als drei Monate andauert (§ 73 Abs. 3 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungs-medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Vom Grad der Behinderung (GdB) im Schwerbehindertenrecht ist die MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung, die auf die durch die Folgen des Versicherungsfalls verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens abstellt, grundsätzlich zu unterscheiden. Auch gelten die im Schwerbehindertenrecht und im sozialen Entschädigungsrecht bindend vorgeschriebenen Mindestvomhundertsätze für den GdB bzw die MdE für erhebliche äußere Körperschäden für die gesetzliche Unfallversicherung nicht. Gleichfalls gelten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 2004, im Folgenden: AHP) für die gesetzliche Unfallversicherung nicht unmittelbar, so das BSG in dem dem vorliegenden Verfahren vorausgegangenen Revisionsverfahren (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 1 m.w.N.).

Wie das BSG im vorgenannten Urteil weiter entschieden hat, folgt daraus nicht, dass die der Rechtsprechung zur Heilungsbewährung im sozialen Entschädigungs- und im Schwerbehindertenrecht zugrunde liegenden Grundsätze in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Berücksichtigung finden können. Sie sind vielmehr in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anzuwenden, soweit dies mit dem oben dargestellten Begriff der MdE im Einklang steht.

Da zu Rezidiven neigende, insbesondere lebensbedrohende Erkrankungen, zu Beeinträchtigungen führen, die über die reine Funktionseinschränkung des betroffenen Organs hinausgehen und sich auf das Erwerbsleben auswirken, sind bei derartigen Erkrankungen bei der Schätzung der MdE entsprechend den Verhältnissen des Einzelfalls ggf. bestehende besondere Aspekte der Genesungszeit wie das Vorliegen einer Dauertherapie, ein Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, Anpassung und Gewöhnung an den ggf. reduzierten Allgemeinzustand, die notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen (Antriebsarmut, Hoffnungslosigkeit), soziale Anpassungsprobleme usw, die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit haben, wie auch sonst bei der MdE-Bewertung zu berücksichtigen (BSG, a.a.O. m.w.N.).

Nicht zu berücksichtigen sind in der gesetzlichen Unfallversicherung Risiken hinsichtlich der unsicheren Entwicklung der Krankheit, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (BSG, a.a.O. m.w.N.). Mindert aber eine schon bestehende Rückfallgefahr bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit, so ist dies bei der Bemessung der gegenwärtigen MdE zu berücksichtigen ( BSG, a.a.O. m.w.N.). Dies gilt auch für die anderen genannten Aspekte und ist bei der MdE-Bewertung zu beachten. Ebenso wenig wie jedoch das allgemeine Rezidivrisiko eine pauschale MdE-Erhöhung zu begründen vermag, sondern nur besondere Aspekte der Genesungszeit, führt der bloße Ablauf einer bestimmten rezidivfreien Zeit in der gesetzlichen Unfallversicherung automatisch zu einer MdE-Herabsetzung. Es bedarf vielmehr einer Besserung der zuvor der MdE-Bemessung zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigungen bzw. besonderen Aspekte, die die Erwerbsfähigkeit beeinflussen (BSG, a.a.O. m.w.N.).

Inwieweit in der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl für die MdE-Heraufsetzung aufgrund typischer besonderer, die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender Aspekte in der Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen als auch für die Herabsetzung und die dabei zu berücksichtigenden Zeiten gewisse Pauschalierungen möglich und angezeigt sind ist eine Tatsachenfrage.

Da es sich bei der MdE-Erhöhung im Unfallversicherungsrecht nicht um eine Heilungsbewährung i. S. des sozialen Entschädigungsrechts oder Schwerbehindertenrechts handelt, sondern um eine Berücksichtigung besonderer Aspekte in der zum Teil sehr langen Genesungszeit bei zu Rezidiven neigenden Erkrankungen, ist kein Raum für eine schematische Übertragung der Grundsätze über die Heilungsbewährung. Dies bedeutet nicht, dass bestimmte in den Anhaltspunkten niedergelegte Erkenntnisse über die Entwicklung der entsprechenden Erkrankungen und ihrer Begleitumstände nicht berücksichtigt werden dürften. Jedoch ist immer der oben dargelegte grundsätzliche Unterschied zur gesetzlichen Unfallversicherung zu beachten (BSG, a.a.O.).

Daher ist es rechtlich nicht zwingend, die Genesungszeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ähnlich wie die Zeit der Heilungsbewährung im Schwerbehindertenrecht auf einen bestimmten Zeitraum von z. B. fünf Jahren zu beschränken. Die angesprochenen besonderen Aspekte der Genesungszeit lassen vielmehr - unter Beachtung des § 73 SGB VII - mehrere Abstufungen über einen längeren Zeitraum hinweg als denkbar erscheinen (BSG, a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze besteht keine rechtliche Grundlage für die von der Beklagten vorgenommene Herabsetzung der Verletztenrente, denn eine wesentliche Besserung der Folgen und Auswirkungen der BK im allgemeinen Erwerbsleben ist im Vergleich zwischen den zum Herabsetzungszeitpunkt vorliegenden funktionellen Einschränkungen und Beeinträchtigungen mit den dem Bescheid vom 23. Februar 1993 zugrunde liegenden Zustand, wie er sich aus dem Gutachten des Dr. M. vom 28. Dezember 1992 ergibt, nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Senats nicht feststellbar.

Wie sich für den Senat aus dem Gutachten von Dr. M. vom 28. Dezember 1992 ergibt, lagen zu diesem Zeitpunkt als Folgen der BK an rein funktionellen Einschränkungen Schmerzen im linken Kniegelenk und gelegentlicheSchmerzen in der rechten Schulter sowie Missempfindungen im Bereich des linken Thorax im Bereich der Operationsnarbe vor. Es fanden sich keine Zeichen einer cardialen oder pulmonalen Insuffizienz und keine wesentliche Beeinträchtigung der Ventilation sowie auch kein Hinweis auf eine Metastasierung oder ein Rezidiv. Darüber hinausgehende durch die BK bedingte organisch verursachte funktionellen Einschränkungen bestanden nicht. Insofern ist nach dem Gutachten des Dr. R. auch keine wesentliche Änderung eingetreten, jedenfalls keine Besserung, denn seine Untersuchungen haben in Ruhe und unter Alltagsbelastung keinerlei Beschwerdesymptomatik, insbesondere auch von Seiten der Luftwege ergeben. Gelegentlich kam es auch noch zu Dysästhesien am linken unteren Hemithorax. Die Lungenfunktionsanalyse ergab eine leichte Restriktion ohne sonstige Beeinträchtigung der Lungenfunktion. Kontrolleplethysmographisch war keine Obstruktion der großen Atemwege nachweisbar. Weiterhin fand sich auch kein Hinweis auf ein Rezidiv oder Metastasen. Insoweit hat Dr. R. die durch die unverändert vorliegenden organischen Funktionseinschränkungen bedingte MdE in Übereinstimmung mit der Literatur zur gesetzlichen Unfallversicherung und für den Senat schlüssig mit (unverändert) 20 v.H. bewertet. Da hinsichtlich dieser Einschränkungen eine Änderung gegenüber dem Gutachten von Dr. M. vom 28. Dezember 1992 nicht eingetreten ist, jedenfalls nicht im Sinne einer Besserung, steht für den Senat fest, dass - obgleich Dr. Mohrmann die MdE für die organisch bedingten Einschränkungen nicht gesondert ausgeworfen hat - die MdE hierfür und gleichfalls 20 v.H. betrug.

Soweit über die organisch bedingten Funktionseinschränkungen hinaus die MdE auf Grund des Gutachtens von Dr. M. vom 28. Dezember 1992 mit 60 v.H. bewertet wurde, vermag der Senat eine wesentliche Änderung gleichfalls nicht festzustellen. Nach den den Senat überzeugenden schlüssigen Ausführungen des Dr. H. haben Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet und daraus resultierende Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben sowie eine dadurch bedingte MdE weder zur Zeit der Begutachtung durch Dr. M. noch zur Zeit der Herabsetzung der Verletztenrente mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid und auch darüber hinaus nicht vorgelegen. Soweit Dr. M. in seinem Gutachten zur Rechtfertigung der Erhöhung der MdE auf 60 v.H. auf das nach Ablauf von fünf Jahren noch erhebliche Risiko einer Wiedererkrankung hingewiesen hat, rechtfertigt dies allein nicht eine Erhöhung der MdE. Eine Erhöhung der MdE würde sich im Einzelfall nur unter Berücksichtigung besonderer Aspekte der Genesungszeit bei einer Erkrankung wie der des Klägers rechtfertigen, wenn daraus resultierende Umstände wie Folgen einer Dauertherapie, ein Schmerzsyndrom mit Schmerzmittelabhängigkeit, notwendige Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes, psychische Beeinträchtigungen wie Antriebsarmut und Hoffnungslosigkeit, soziale Anpassungsprobleme oder Ähnliches Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit gehabt hätten bzw. haben (BSG, a.a.O.). Dies ist hier indes nicht der Fall. Dr. M. gab zwar eine "insgesamt erhebliche psychische Belastungen auf Grund der Tumorerkrankung" an, doch fehlt es hierfür an jedweden dies tragenden Befundangaben. Es fand weder einer Dauertherapie statt, noch litt der Kläger unter einem Schmerzsyndrom oder Schmerzmittelabhängigkeit, noch bedurfte er besonderer Schonung zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes. Außerdem sind psychische Beeinträchtigungen, insbesondere eine Antriebsarmut oder Hoffnungslosigkeit von Dr. M. nicht festgestellt worden. Entsprechendes vermag der Senat auf Grund des Ermittlungsergebnisses im Nachhinein auch nicht festzustellen, zumal der Kläger vor Dezember 2004 weder in nervenärztlicher oder psychologischer Behandlung war, Dr. J. bei seiner Aussage als sachverständiger Zeuge auch für die Zeit ab Februar 1991 eine psychische Auffälligkeit verneinte und in keinem der von Dr. J. vorgelegten oder in den Verwaltungsakten enthaltenen Arztberichten aus der Zeit ab 1991 psychische Belastungen oder gar psychische Befunde beschrieben sind. Damit enthält auch das hier maßgebliche Vergleichsgutachten des Dr. M. keine objektive Rechtfertigung für die von ihm angenommenen Erhöhung der MdE auf Grund des organisch bedingten Befundes von 20 v.H. auf 60 v.H. Er hat vielmehr in Verkennung dessen, dass die Grundsätze der Heilungsbewährung, die im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht gelten, nicht anwendbar sind, eine höhere MdE vorgeschlagen, als sie unter Berücksichtigung der tatsächlichen Funktionseinschränkungen gerechtfertigt war. Dies hat die Beklagte im Bescheid vom 23. Februar 1993 dann - wohl entsprechend ihrer damaligen Praxis - übernommen.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass im Gutachten des Dr. M. vom 28. Dezember 1992 noch von erheblichen psychischen Belastungen die Rede gewesen sei, die im Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheides nicht mehr vorgelegen hätten, verkennt sie, dass auch Dr. R. in seinem - dem streitigen Bescheid zugrunde liegenden Gutachten - von eben solchen erheblichen psychischen Belastungen spricht, diese aber ebenso wenig wie Dr. M. konkretisiert. Ein Wegfall psychischer Belastungen - welcher Art auch immer - kann somit nicht festgestellt werden.

Nachdem der Senat den behandelnden Arzt Dr. J. schriftlich als sachverständigen Zeugen zu den ab 1991 erhobenen Befunden gehört hat und dieser die ihm vorgelegenen Arztbriefe übersandt hat und die daraus resultierenden Angaben wie auch der Inhalt der Akten der Beklagten von Dr. H. berücksichtigt wurden, sieht der Senat auch keinen Anlass und keine Möglichkeit, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Die Beklagte war nicht berechtigt, die Rente herabzustufen. Das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, weswegen die Berufung der Beklagten zurückzuweisen war. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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