Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3715/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 5739/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2004 aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin über den 11. September 2002 hinaus Verletztenrente zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Gewährung von Verletztenrente.
Die am 1947 geborene Klägerin, die nach eigenen Angaben Rechtshänderin ist, erlitt bei ihrer Tätigkeit als Verkäuferin am 30. April 2001 gegen 16:30 Uhr einen Arbeitsunfall, wobei sie auf einer Treppe drei Stufen hinabstürzte und mit der linken Schulter auf einen Kleiderständer prallte.
Bei der ersten ärztlichen Untersuchung am Folgetag fanden sich am distalen Mittel- und Endglied des linken Ringfingers eine Bewegungseinschränkung mit einer Schwellung und einem Hämatom. Außerdem bestand ein umschriebener Druckschmerz über dem Muskulus pectoralis rechts, ohne Dyspnoe und Schwindel. Röntgenologisch fand sich weder am Hemithorax, noch am Ringfinger der linken Hand eine knöcherne Verletzung. Die Diagnose lautete: Verdacht auf Beugesehnenruptur am linken Ringfinger und Prellung des rechten Brustmuskels. Am 8. Mai 2001 erfolgte bei der operativen Revision des Fingers eine Ringbandspaltung. Außerdem litt die Klägerin noch unter zunehmenden Schmerzen im Bereich der linken Schulter. Nachdem eine Rotatorenmanschetten-Verletzung ausgeschlossen werden konnte, wurde ein Impingementsyndrom der linken Schulter diagnostiziert. Nach Belastungserprobung und Wiedereingliederung war die Klägerin ab 3. Dezember 2001 wieder voll arbeitsfähig.
Nach einer Untersuchung vom 12. März 2002 erstattete Prof. Dr. H. ein Gutachten, demzufolge er als wesentliche Unfallfolgen eine posttraumatische Bewegungseinschränkung der linken Schulter und im Bereich des linken Ringfingers eine Bewegungseinschränkung, eine Asensibilität radialseitig und eine radiologische Veränderung mit Demineralisierung fand. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertet er vom 4. Dezember 2001 bis 11. März 2002 mit 20 v. H., danach mit 10 v. H. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 25. April 2002 anerkannte die Beklagte als Unfallfolgen "Einschränkung der Beweglichkeit in der linken Schulter und des linken Ringfingers; Einschränkung der groben Kraft und des Faustschlusses der linken Hand sowie röntgenologische Veränderungen und Herabsetzung der Sensibilität im Bereich des linken Ringfingers nach Prellung der linken Schulter und Zerrung des linken Ringfingers." und bewilligte eine Verletztenrente vom 3. Dezember 2001 bis 11. März 2002 nach einer MdE v. 20 v. H. Darüber hinaus lehnte sie die Gewährung einer Rente ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2002).
Deswegen hat die Klägerin am 5. August 2002 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben.
Das SG hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten des PD Dr. E. vom 22. März 2004 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 21. Mai 2004 eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, Unfallfolgen seien eine adhäsive Kapsulitis der linken Schulter mit erheblicher Bewegungseinschränkung sowie eine Bewegungseinschränkung des linken Ringfingers mit sensibler Komponente, des linken Kleinfingers und ein Endstadium einer vegetativen Dystrophie mit Überempfindlichkeit sowie eine Schmerzhaftigkeit und entsprechende distal fokussierte Beschwerden. Die Bewegungseinschränkung der linken Schulter bedinge eine MdE um 20 v. H. und die Symptomatik am linken Ringfinger eine MdE um 5 v. H. Aufgrund der sich nicht überschneidenden Teil-MdE ergebe sich ab 12. Februar 2004 eine Gesamt-MdE um 25 v. H. Er gehe von einer Besserung der Beweglichkeit der linken Schulter und insbesondere auch des linken Handgelenks im weiteren Verlauf aus.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 8. November 2004 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin vom 12. März 2002 bis 11. Februar 2004 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. und danach nach einer MdE um 25 v. H. zu gewähren.
Gegen das ihr am 23. November 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Dezember 2004 Berufung eingelegt.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. L. vom 29. September 2005 eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, im Bereich des linken Ringfingers fänden sich Narben, Gefühlsstörungen, eine Überempfindlichkeit und eine Bewegungseinschränkung und an der linken Hand eine Blutumlaufstörung, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Aktuell fänden sich keine Unfallfolgen im Bereich des linken Schultergelenkes. Die Bewegungsschmerzen sowie die aktive und passive Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk seien unfallunabhängig. Unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. H. am 12. März 2002 erhobenen Befunde ergebe sich zu diesem Zeitpunkt eine MdE um 20 v. H. Im Übrigen sei hinsichtlich der Verletzungsfolgen der linken Hand keine wesentliche Veränderung eingetreten, jedoch im Bereich der linken Schulter eindeutig sukzessive eine Besserung der Beweglichkeit. Eine verbindliche zeitliche Staffelung der unfallbedingten MdE im Anschluss an die Begutachtung vom März 2002 sei nicht möglich. Derzeit betrage die MdE infolge der Unfallfolgen noch 10 v. H. Es sei anzunehmen, dass dieser Zustand spätestens etwa sechs Monate nach der Begutachtung durch Prof. Dr. H. eingetreten sei.
Aufgrund des Gutachtens des Prof. Dr. L. hat die Beklagte einen Rentenanspruch auch für die Zeit vom 12. März bis 11. September 2002 anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis angenommen.
Die Beklagte beantragt noch,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2004 insoweit aufzuheben, als sie zur Gewährung von Verletztenrente über den 11. September 2002 hinaus verurteilt worden ist und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet.
Streitgegenstand ist lediglich noch, ob die Klägerin über den 11. September 2002 hinaus einen Anspruch auf Verletztenrente hat, nachdem aufgrund des von ihr angenommenen Anerkenntnisses der Beklagten der Rechtsstreit für die Zeit vor dem 12. September 2002 erledigt ist. Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht indes für die Zeit ab 12. September 2002 nicht.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 2 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente für die Zeit ab 12. September 2002. Nach dem schlüssigen und den Senat überzeugenden Sachverständigengutachten des Prof. Dr. L. haben die anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. H. noch feststellbaren Unfallfolgen und Funktionseinschränkungen eine MdE um 20 v. H. bedingt. Hinsichtlich der Funktionseinschränkungen des Ringfingers und der linken Hand geht der Senat mit Prof. Dr. L. von einer Teil-MdE um 10 v.H. aus. Insofern ist eine wesentliche Änderung auch bis zur Untersuchung durch Prof. Dr. L. nicht eingetreten. Hinsichtlich der linken Schulter geht der Senat mit der - allerdings wohlwollenden - Einschätzung von Prof. Dr. L. auf Grund der von Prof. Dr. H. beschriebenen Funktionseinschränkungen von einer Teil-MdE um 10 v.H. aus. Allein vertretbar erscheint dies mit Blick auf die von Prof. Dr. H. beschriebene Begrenzung der Vorhebung des linken Armes auf 120 Grad (vgl. hierzu Schönberger/Merhtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 604) und trotz der besseren Beweglichkeit des linken Armes in der Bewegung körperwärts/seitwärts. Gegen eine weiter gehende Funktionseinschränkung sprechen auch die nahezu seitengleichen Umfangmaße im Bereich der Oberarme und die bei mehreren Untersuchungen erwähnte Aggravation. Es ist allerdings eine weitere Besserung der Funktionseinschränkungen im Bereich der linken Schulter jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. L. gegenüber der Untersuchung von Prof. Dr. H. eingetreten, wodurch sich ergibt, dass eine rentenberechtigende MdE zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. L. nicht mehr festzustellen ist. Dieser hat auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund des Verlaufs davon auszugehen ist, dass die Funktionseinschränkungen im Bereich der linken Schulter nach Ablauf von einem halben Jahr nach der Untersuchung durch Prof. Dr. H. , also am 12. September 2002, weiter gebessert waren und danach eine MdE im Bereich der linken Schulter und eine Gesamt-MdE in rentenberechtigendem Grade nicht mehr anzunehmen ist. Dem schließt sich der Senat an und geht bei der richterlich vorzunehmenden Festsetzung davon aus, dass seit 12. September 2002 eine MdE in Höhe von mehr als 10 v.H. nicht mehr besteht.
Soweit PD Dr. E. hiervon abweichend zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, vermag der Senat dem aus den von Prof. Dr. L. dargelegten Gründen nicht zu folgen. Hinsichtlich des linken Schultergelenkes fehlt es im Gutachten von PD Dr. E. an einer detaillierten Befunderhebung. Die Bewegungsstörung ist nicht genau beschrieben und die Bewegungsmaße sind nicht nachvollziehbar. Er differenziert auch nicht zwischen aktiver und passiver Bewegungsprüfung und eine funktionelle Untersuchung ist nicht dokumentiert. Umfangmaße der unverletzten rechten oberen Gliedmaßen wurden erfasst, nicht aber vom Oberarm und Ellenbogen oder Unterarm des Verletzten linken Armes. Außerdem wird die Funktionsstörung der linken Schulter in dem Gutachten nicht kritisch hinterfragt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestand, wie auch bei der Untersuchung durch Prof. Dr. L. , kein Hinweis mehr auf eine fortbestehende Reflexdystrophie. Die im Gutachten von Prof. Dr. H. beschriebene Mineralisationsstörung hat sich sowohl im Bereich der linken Schulter als auch des linken Handskelettes vollständig zurückgebildet. Außerdem hat PD Dr. E. die auch aus seiner Sicht nicht auszuschließende Aggravation nicht hinreichend gewürdigt. So sind die teilweise angegebenen Bewegungsmaße des linken Schultergelenkes nicht nachvollziehbar, insbesondere wird nicht nachvollziehbar erklärt, weswegen sowohl rechts als auch links Bewegungseinschränkungen zum Teil gleichen Ausmaßes (Vorwärtshebung jeweils rechts und links nur 80 Grad) vorliegen und sich die Abduktionsfähigkeit des linken Schultergelenkes durch den Unfall vom 30. April 2001 vom 12. März 2002 (Untersuchung durch Prof. Dr. H. ) bis zu seiner Untersuchung vom 12. Februar 2004 verschlimmert haben soll. Jedenfalls sind zur Zeit der Untersuchung durch Prof. Dr. L. die geklagten Funktionsstörungen der linken Schulter durch objektivierbare Befunde nicht zu erklären gewesen. Vielmehr hat auch Prof. Dr. L. demonstrierte Verhaltensauffälligkeiten festgestellt. Zwar ist ein Zusammenhang zwischen einer vorübergehenden bestehenden Schultersteife und dem Unfall wahrscheinlich, da gerade nach Schulterprellungen mit anschließender vollständiger oder teilweiser Immobilisierung solche Kapselverklebung häufig vorkommen, doch ist inzwischen eine auf das Unfallereignis zurückzuführende funktionelle Einschränkung der linken Schulter nicht mehr feststellbar. Nach der Untersuchung durch Prof. Dr. H. sind keine konkreten Funktionseinschränkungen der linken Schulter ärztlich belegt, insbesondere auch nicht im Bericht über ein vom 28. Mai bis 23. Juli 2002 durchgeführtes stationäres Heilverfahren, die bei der richterlichen Festlegung der MdE eine solche um mehr als 10 rechtfertigen können.
Somit ist der Gerichtsbescheid des SG insofern aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin über den 11. September 2002 hinaus Verletztenrente zu gewähren. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Gewährung von Verletztenrente.
Die am 1947 geborene Klägerin, die nach eigenen Angaben Rechtshänderin ist, erlitt bei ihrer Tätigkeit als Verkäuferin am 30. April 2001 gegen 16:30 Uhr einen Arbeitsunfall, wobei sie auf einer Treppe drei Stufen hinabstürzte und mit der linken Schulter auf einen Kleiderständer prallte.
Bei der ersten ärztlichen Untersuchung am Folgetag fanden sich am distalen Mittel- und Endglied des linken Ringfingers eine Bewegungseinschränkung mit einer Schwellung und einem Hämatom. Außerdem bestand ein umschriebener Druckschmerz über dem Muskulus pectoralis rechts, ohne Dyspnoe und Schwindel. Röntgenologisch fand sich weder am Hemithorax, noch am Ringfinger der linken Hand eine knöcherne Verletzung. Die Diagnose lautete: Verdacht auf Beugesehnenruptur am linken Ringfinger und Prellung des rechten Brustmuskels. Am 8. Mai 2001 erfolgte bei der operativen Revision des Fingers eine Ringbandspaltung. Außerdem litt die Klägerin noch unter zunehmenden Schmerzen im Bereich der linken Schulter. Nachdem eine Rotatorenmanschetten-Verletzung ausgeschlossen werden konnte, wurde ein Impingementsyndrom der linken Schulter diagnostiziert. Nach Belastungserprobung und Wiedereingliederung war die Klägerin ab 3. Dezember 2001 wieder voll arbeitsfähig.
Nach einer Untersuchung vom 12. März 2002 erstattete Prof. Dr. H. ein Gutachten, demzufolge er als wesentliche Unfallfolgen eine posttraumatische Bewegungseinschränkung der linken Schulter und im Bereich des linken Ringfingers eine Bewegungseinschränkung, eine Asensibilität radialseitig und eine radiologische Veränderung mit Demineralisierung fand. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertet er vom 4. Dezember 2001 bis 11. März 2002 mit 20 v. H., danach mit 10 v. H. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 25. April 2002 anerkannte die Beklagte als Unfallfolgen "Einschränkung der Beweglichkeit in der linken Schulter und des linken Ringfingers; Einschränkung der groben Kraft und des Faustschlusses der linken Hand sowie röntgenologische Veränderungen und Herabsetzung der Sensibilität im Bereich des linken Ringfingers nach Prellung der linken Schulter und Zerrung des linken Ringfingers." und bewilligte eine Verletztenrente vom 3. Dezember 2001 bis 11. März 2002 nach einer MdE v. 20 v. H. Darüber hinaus lehnte sie die Gewährung einer Rente ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2002).
Deswegen hat die Klägerin am 5. August 2002 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben.
Das SG hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Sachverständigengutachten des PD Dr. E. vom 22. März 2004 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 21. Mai 2004 eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, Unfallfolgen seien eine adhäsive Kapsulitis der linken Schulter mit erheblicher Bewegungseinschränkung sowie eine Bewegungseinschränkung des linken Ringfingers mit sensibler Komponente, des linken Kleinfingers und ein Endstadium einer vegetativen Dystrophie mit Überempfindlichkeit sowie eine Schmerzhaftigkeit und entsprechende distal fokussierte Beschwerden. Die Bewegungseinschränkung der linken Schulter bedinge eine MdE um 20 v. H. und die Symptomatik am linken Ringfinger eine MdE um 5 v. H. Aufgrund der sich nicht überschneidenden Teil-MdE ergebe sich ab 12. Februar 2004 eine Gesamt-MdE um 25 v. H. Er gehe von einer Besserung der Beweglichkeit der linken Schulter und insbesondere auch des linken Handgelenks im weiteren Verlauf aus.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 8. November 2004 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin vom 12. März 2002 bis 11. Februar 2004 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. und danach nach einer MdE um 25 v. H. zu gewähren.
Gegen das ihr am 23. November 2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. Dezember 2004 Berufung eingelegt.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. L. vom 29. September 2005 eingeholt. Er ist im Wesentlichen zum Ergebnis gelangt, im Bereich des linken Ringfingers fänden sich Narben, Gefühlsstörungen, eine Überempfindlichkeit und eine Bewegungseinschränkung und an der linken Hand eine Blutumlaufstörung, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Aktuell fänden sich keine Unfallfolgen im Bereich des linken Schultergelenkes. Die Bewegungsschmerzen sowie die aktive und passive Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk seien unfallunabhängig. Unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. H. am 12. März 2002 erhobenen Befunde ergebe sich zu diesem Zeitpunkt eine MdE um 20 v. H. Im Übrigen sei hinsichtlich der Verletzungsfolgen der linken Hand keine wesentliche Veränderung eingetreten, jedoch im Bereich der linken Schulter eindeutig sukzessive eine Besserung der Beweglichkeit. Eine verbindliche zeitliche Staffelung der unfallbedingten MdE im Anschluss an die Begutachtung vom März 2002 sei nicht möglich. Derzeit betrage die MdE infolge der Unfallfolgen noch 10 v. H. Es sei anzunehmen, dass dieser Zustand spätestens etwa sechs Monate nach der Begutachtung durch Prof. Dr. H. eingetreten sei.
Aufgrund des Gutachtens des Prof. Dr. L. hat die Beklagte einen Rentenanspruch auch für die Zeit vom 12. März bis 11. September 2002 anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis angenommen.
Die Beklagte beantragt noch,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. November 2004 insoweit aufzuheben, als sie zur Gewährung von Verletztenrente über den 11. September 2002 hinaus verurteilt worden ist und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist unbegründet.
Streitgegenstand ist lediglich noch, ob die Klägerin über den 11. September 2002 hinaus einen Anspruch auf Verletztenrente hat, nachdem aufgrund des von ihr angenommenen Anerkenntnisses der Beklagten der Rechtsstreit für die Zeit vor dem 12. September 2002 erledigt ist. Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht indes für die Zeit ab 12. September 2002 nicht.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 2 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.
Gemessen an den vorstehenden Voraussetzungen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente für die Zeit ab 12. September 2002. Nach dem schlüssigen und den Senat überzeugenden Sachverständigengutachten des Prof. Dr. L. haben die anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. H. noch feststellbaren Unfallfolgen und Funktionseinschränkungen eine MdE um 20 v. H. bedingt. Hinsichtlich der Funktionseinschränkungen des Ringfingers und der linken Hand geht der Senat mit Prof. Dr. L. von einer Teil-MdE um 10 v.H. aus. Insofern ist eine wesentliche Änderung auch bis zur Untersuchung durch Prof. Dr. L. nicht eingetreten. Hinsichtlich der linken Schulter geht der Senat mit der - allerdings wohlwollenden - Einschätzung von Prof. Dr. L. auf Grund der von Prof. Dr. H. beschriebenen Funktionseinschränkungen von einer Teil-MdE um 10 v.H. aus. Allein vertretbar erscheint dies mit Blick auf die von Prof. Dr. H. beschriebene Begrenzung der Vorhebung des linken Armes auf 120 Grad (vgl. hierzu Schönberger/Merhtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 604) und trotz der besseren Beweglichkeit des linken Armes in der Bewegung körperwärts/seitwärts. Gegen eine weiter gehende Funktionseinschränkung sprechen auch die nahezu seitengleichen Umfangmaße im Bereich der Oberarme und die bei mehreren Untersuchungen erwähnte Aggravation. Es ist allerdings eine weitere Besserung der Funktionseinschränkungen im Bereich der linken Schulter jedenfalls zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. L. gegenüber der Untersuchung von Prof. Dr. H. eingetreten, wodurch sich ergibt, dass eine rentenberechtigende MdE zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Prof. Dr. L. nicht mehr festzustellen ist. Dieser hat auch schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund des Verlaufs davon auszugehen ist, dass die Funktionseinschränkungen im Bereich der linken Schulter nach Ablauf von einem halben Jahr nach der Untersuchung durch Prof. Dr. H. , also am 12. September 2002, weiter gebessert waren und danach eine MdE im Bereich der linken Schulter und eine Gesamt-MdE in rentenberechtigendem Grade nicht mehr anzunehmen ist. Dem schließt sich der Senat an und geht bei der richterlich vorzunehmenden Festsetzung davon aus, dass seit 12. September 2002 eine MdE in Höhe von mehr als 10 v.H. nicht mehr besteht.
Soweit PD Dr. E. hiervon abweichend zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, vermag der Senat dem aus den von Prof. Dr. L. dargelegten Gründen nicht zu folgen. Hinsichtlich des linken Schultergelenkes fehlt es im Gutachten von PD Dr. E. an einer detaillierten Befunderhebung. Die Bewegungsstörung ist nicht genau beschrieben und die Bewegungsmaße sind nicht nachvollziehbar. Er differenziert auch nicht zwischen aktiver und passiver Bewegungsprüfung und eine funktionelle Untersuchung ist nicht dokumentiert. Umfangmaße der unverletzten rechten oberen Gliedmaßen wurden erfasst, nicht aber vom Oberarm und Ellenbogen oder Unterarm des Verletzten linken Armes. Außerdem wird die Funktionsstörung der linken Schulter in dem Gutachten nicht kritisch hinterfragt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestand, wie auch bei der Untersuchung durch Prof. Dr. L. , kein Hinweis mehr auf eine fortbestehende Reflexdystrophie. Die im Gutachten von Prof. Dr. H. beschriebene Mineralisationsstörung hat sich sowohl im Bereich der linken Schulter als auch des linken Handskelettes vollständig zurückgebildet. Außerdem hat PD Dr. E. die auch aus seiner Sicht nicht auszuschließende Aggravation nicht hinreichend gewürdigt. So sind die teilweise angegebenen Bewegungsmaße des linken Schultergelenkes nicht nachvollziehbar, insbesondere wird nicht nachvollziehbar erklärt, weswegen sowohl rechts als auch links Bewegungseinschränkungen zum Teil gleichen Ausmaßes (Vorwärtshebung jeweils rechts und links nur 80 Grad) vorliegen und sich die Abduktionsfähigkeit des linken Schultergelenkes durch den Unfall vom 30. April 2001 vom 12. März 2002 (Untersuchung durch Prof. Dr. H. ) bis zu seiner Untersuchung vom 12. Februar 2004 verschlimmert haben soll. Jedenfalls sind zur Zeit der Untersuchung durch Prof. Dr. L. die geklagten Funktionsstörungen der linken Schulter durch objektivierbare Befunde nicht zu erklären gewesen. Vielmehr hat auch Prof. Dr. L. demonstrierte Verhaltensauffälligkeiten festgestellt. Zwar ist ein Zusammenhang zwischen einer vorübergehenden bestehenden Schultersteife und dem Unfall wahrscheinlich, da gerade nach Schulterprellungen mit anschließender vollständiger oder teilweiser Immobilisierung solche Kapselverklebung häufig vorkommen, doch ist inzwischen eine auf das Unfallereignis zurückzuführende funktionelle Einschränkung der linken Schulter nicht mehr feststellbar. Nach der Untersuchung durch Prof. Dr. H. sind keine konkreten Funktionseinschränkungen der linken Schulter ärztlich belegt, insbesondere auch nicht im Bericht über ein vom 28. Mai bis 23. Juli 2002 durchgeführtes stationäres Heilverfahren, die bei der richterlichen Festlegung der MdE eine solche um mehr als 10 rechtfertigen können.
Somit ist der Gerichtsbescheid des SG insofern aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin über den 11. September 2002 hinaus Verletztenrente zu gewähren. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
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