S 28 AS 157/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 AS 157/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der am 24.05.2006 von dem Antragsteller gestellte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,

hat keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte Anspruch –hier auf Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch –Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II)- (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes –die Eilbedürftigkeit-(Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die einschränkte gerichtliche Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewißheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im einstweiligen Verfahren (LSG NRW Beschluss vom 14.06.2005 –L 1 B 2/05 AS ER-). Die Entscheidung des Gerichtes im einstweiligen Rechtsschutz darf zudem grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache enthalten (vgl. Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 86 b Rdn. 31).

Im vorliegenden fehlt es an einer hinreichenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Das Gericht kann nicht erkennen, dass dem Antragsteller wesentliche Nachteile drohen würden, die abzuwenden wären (§ 86b Abs. 2 Satz 1 SGG), also die Gefahr der Vereitelung des Rechts bestünde oder er schwere rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile hätte, wenn er bis zur Entscheidung in der Hauptsache warten müsste. Die Gefahr, dass das beanspruchte Recht –hier Leistungen nach dem SGB II- rechtlich oder tatsächlich vereitelt würde, ist nicht ersichtlich, da der Anspruch im Rahmen des gültigen Rechts geltend gemacht und die leistungsverpflichtete öffentliche Hand nicht konkursfähig ist. Es verbleibt für die Annahme der Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile nur das Auftreten einer akuten, existenziellen Not des Antragstellers, die es rechtfertigen könnte, ausnahmsweise die Hauptsache vorweg zu nehmen und die Antragsgegnerin vorläufig zur Zahlung von Leistungen zu verpflichten (LSG NRW Beschluss vom 09.06.2005 -L 9 B 25/05 AS ER-). Eine akute, existenzielle Not, wie beispielsweise fehlende finanzielle Mittel zur Deckung des zum Leben unerlässlichen Bedarfs, Obdachlosigkeit oder drohender Verlust der Unterkunft wegen erfolgter Kündigung oder Räumungsandrohung o.ä., die das sofortige Einschreiten des Gerichtes notwendig macht, ist im Fall des Antragstellers nicht ersichtlich. Dem Antragsteller stehen zur Zeit hinreichende Mittel zur Sicherung seines unerlässlichen Lebensunterhaltes zur Verfügung, auch verfügt er über eine (ungekündigte) Unterkunft.

Aus seiner Tätigkeit als Pizzafahrer erwirtschaftet der Antragsteller nach eigenen Angaben monatlich ca. 150,00 Euro. Des weiteren erhält er eine darlehensweise Unterstützung von Frau T in Höhe von 150,00 Euro monatlich. Vor dem Hintergrund, dass im Eilverfahren lediglich 80% des in einem Hauptsacheverfahren zuzusprechenden Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 SGB II (für alleinstehende Hilfebedürftige in Höhe von 345,00 Euro), d.h. folglich lediglich in Höhe von 276,00 Euro monatlich zu zusprechen sind (ständige Rechtsprechung des OVG NRW, beispielsweise Beschluss vom 10.05.2002 -12 B 423/02- in juris; ebenso SG Düsseldorf Beschluss vom 24.08.2005 -S 28 AS 15/05 ER-; SG Düsseldorf Beschluss vom 30.08.2005 -S 37 AS 152/05 ER-; a.A. 19. Senat des LSG NRW Beschluss vom 1.8.2005 –L 19 B 33/05 AS ER-), kann eine akute Bedarfslücke im Fall des Antragstellers nicht festgestellt werden, denn er verfügt über monatliche Einnahmen in Höhe von 300,00 Euro. Auch der Umstand, dass Frau T dem Antragsteller seinen Bedarf teilweise durch darlehensweise Zuwendungen vorfinanziert, rechtfertigt keine vorweggenommene Entscheidung im Eilverfahren. Denn Frau T hätte im Fall des Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache einen Erstattungsanspruch für die vorgestreckten Beträge (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 04.05.2005 –L9 B 4/05 ER-). Schließlich sind für das Gericht keine begründeten Anhaltspunkte ersichtlich, dass Frau T nicht auch weiterhin bereit wäre, dem Antragsteller darlehensweise Zuwendungen zu kommen zu lassen. Sie hat insoweit mit Schreiben vom 20.06.2006 bestätigt, den Antragsteller bis zur Klärung des "Alg II-Verfahrens" zu unterstützen, so dass sein unerlässlicher Lebensunterhalt für die Zeit des Hauptsacheverfahrens sichergestellt sein dürfte. Auch kann das Gericht nicht erkennen, dass der Antragsteller derzeit von Obdachlosigkeit bedroht ist. Die Mietzahlungen für seine Unterkunft zur Untermiete werden ihm nach eigenen Angaben von der Hauptmieterin Frau T gestundet. Dem Schreiben von Frau T vom 20.06.2006 ist zu entnehmen, dass sie sich die fristlose Kündigung –abhängig vom Ausgang des Verfahrens- vorbehält. Eine tatsächliche Kündigung der Unterkunft ist damit bislang nicht erfolgt. Das Gericht hat in seine Entscheidungsfindung auch einbezogen, dass es sich bei den Wohnverhältnissen des Antragstellers offensichtlich nicht um ein übliches Untermietverhältnis handelt, denn das laut Untermietvertrag vom 01.11.2005 an ihn vermietete 18 qm große Zimmer steht ihm ausweislich des Berichtes der Antragsgegnerin vom 13.06.2006 über einen Hausbesuch in der Wohnung der Hauptmieterin Frau T nicht zur separaten Verfügung. Es dürfte ein Zusammenleben des Antragstellers mit Frau T im Sinne eines gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens in der Wohnung von Frau T gegeben sein, was wiederum auf eine persönliche Beziehung zwischen den beiden hindeutet. Bei dieser Sachlage liegt es nach allgemeiner Lebenserfahrung nahe, dass Frau T den Antragsteller nicht ohne weiteres "auf die Straße setzt" und damit der Obdachlosigkeit aussetzt. Sollte Frau T dem Antragsteller in Zukunft tatsächlich den Wohnraum kündigen bzw. ihn aus ihrer Wohnung verweisen, steht es dem Antragsteller frei, erneut bei Gericht einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen, sofern das Hauptsacheverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die streitige Rechtsfrage, ob dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II zustehen und in diesem Rahmen die Klärung der Frage, ob von einer Bedarfsgemeinschaft bzw. eheähnliche Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau T auszugehen ist, allein im Hauptsacheverfahren zu klären ist.

Abschließend bleibt auszuführen, dass ein offensichtlich begründeter Anordnungsanspruch für den Antragsteller, der ggf. geeignet wäre, die Anforderungen an den Anordnungsgrund zurücktreten zu lassen, nicht festgestellt werden kann. Das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau T kann nicht von vorneherein ausgeschlossen werden, auch nicht aufgrund des Umstandes, dass er und Frau T erst seit November 2005 zusammenleben. Die kurze Dauer des Zusammenlebens steht für sich der Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht zwingend entgegen, denn eine zeitliche Mindestgrenze hinsichtlich der Dauer des Zusammenlebens der Partner (3 Jahre, 1 Jahr o.ä.), unterhalb derer das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft in jedem Fall verneint werden muss, kann nicht vertreten werden (vgl. 9. Senat des LSG NRW Beschluss vom 21.04.2005 –L 9 B 6/05 SO ER-). Vielmehr ist anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls festzustellen, ob eine die eheähnliche Gemeinschaft prägende Einstands- und Fürsorgegemeinschaft zwischen den Partnern besteht, welche grundsätzlich auch vom ersten Tag des Zusammenlebens an gegeben sein kann (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.12.2005 -L 8 AS 4496/05 ER-B-), so dass auch bei kürzerem Zusammenleben eine eheähnliche Gemeinschaft möglich ist (vgl. 20. Senat des LSG NRW Beschluss vom 20.02.2006 –L 20 B 2/06 AS ER-; a.A. offensichtlich 19. Senat des LSG NRW Beschluss vom 17.02.2006 –L 19 B 85/05 AS ER-).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Rechtskraft
Aus
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