Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SO 21/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24.04.2006 gegen den Bescheid vom 11.04.2006 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D aus H bewilligt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat im Zeitraum vom 30.10.2003 bis zum 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem damals geltenden Bundessozialhilfegesetz in Verbindung mit pauschaliertem Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz erhalten. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Antragstellerin kein Vermögen besitzt.
Am 18.04.2005 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, ihre Mutter habe - ohne Wissen der Antragstellerin - drei Sparbücher auf den Namen der Antragstellerin angelegt. Die Antragsgegnerin ließ daraufhin fast ein Jahr verstreichen und forderte die Antragstellerin unter dem 10.03.2006 auf, die Sparbücher vorzulegen.
Mit Bescheid vom 11.04.2006 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 6.840,84 Euro zurück. Außerdem nahm sie mit dem Bescheid die Bewilligungsbescheide über Sozialhilfe und Wohngeld nach § 45 SGB X zurück. In dem Bescheid ordnete die Antragsgegnerin hinsichtlich der Rücknahme des Verwaltungsaktes und der Rückforderung des o.g. Betrages die sofortige Vollziehung nach § 86a Sozialgerichtsgesetz - SGG - an. Zur Begründung der sofortigen Vollziehung führt die Antragsgegnerin in dem Bescheid Folgendes aus:
"Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgt im öffentlichen Interesse.
Vorliegend wurden von Ihnen Leistungen durch den Fachbereich Soziales der Stadt H in Anspruch genommen, obwohl Sparguthaben vorhanden war, das den geschützten Betrag erheblich überstieg. Wie oben ausgeführt, waren Sie für die Zeit vom 30.10.2003 bis 31.07.2004 zur Bestreitung Ihres Lebensunterhaltes nicht und für den Monat August 2004 lediglich teilweise auf die laufenden Zahlungen des Fachbereiches Soziales der Stadt H angewiesen. Bereits in der Erklärung zur Niederschrift vom 18.04.2005 bestätigten Sie, dass Ihnen erklärt wurde, dass Sie die erhaltene Hilfe zurückzahlen müssen. Bislang ist von Ihnen kein Ersatz der überzahlten Leistungen erfolgt.
Das öffentliche Interesse gebietet es vorliegend, dass bereits in der Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Rückzahlung der überzahlten Leistungen geregelt wird.
Im Rahmen meines pflichtgemäßen Ermessens habe ich daher die sofortige Vollziehung angeordnet.
Darüber hinaus besteht grundsätzlich ein fiskalisches Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Die Mittel für die Erfüllung der den Trägern der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben werden aus Steuermitteln von der Allgemeinheit aufgebracht. Diese Mittel dürfen nur nach Maßgabe der Gesetze verwendet werden, um im Bedarfsfalle den tatsächlich Bedürftigen zur Verfügung stehen zu können".
Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin unter dem 24.04.2006 Widerspruch ein und beantragte bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung.
Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.
Unter dem 19.05.2006 beantragte die Antragstellerin beim erkennenden Gericht sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine grundsätzliche Werteentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen (vgl. z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 1 B 18/05 AS ER, Beschluss vom 11.01.2006; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.02.2004, Az.: L 10 AL 1212/03 ER – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.09.2002, Az.: L 4 KR 122/02).
Von dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers kann nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 ausnahmsweise abgewichen werden, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist. Die Behörde muss dann die sofortige Vollziehung schriftlich begründen. Inhalt der Begründung muss daher sein, warum im vorliegenden Fall ausnahmsweise von der gesetzgeberischen Grundentscheidung abgewichen wird und die sofortige Vollziehung angeordnet wird.
Diesem Begründungserfordernis werden die Ausführungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 11.04.2006 nicht einmal im Ansatz gerecht. Die Antragsgegnerin führt nämlich nicht aus, warum im Falle der Antragstellerin ausnahmsweise die sofortige Vollziehung anzuordnen ist, sondern sie führt aus, warum sie grundsätzlich der Auffassung ist, dass es im öffentlichen Interesse liege, überzahlte Leistungen schon vor Eintritt der Rechtskraft zurückzufordern. Diese Begründung beinhaltet eine Kritik an der gesetzgeberischen Grundentscheidung auch bei Rückforderungen von überzahlten Sozialleistungen die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen zuzulassen (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Az.: L 1 B 18/05 AS ER – Beschluss vom 11.01.2006). Eine ausreichende Begründung des o.g. Ausnahmefalls ist aber nicht erkennbar. Eine solche Begründung dürfte vorliegend auch gar nicht möglich sein, weil der zu beurteilende Sachverhalt nichts enthält, das auf einen Ausnahmefall hindeutet.
Auch im Falle der unzureichenden Begründung ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und nicht die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung die zutreffende gerichtliche Maßnahme. Der Gesetzgeber hat – in Kenntnis der seit Jahrzehnten bestehenden verwaltungsgerichtlichen Praxis, in Fällen der vorliegenden Art lediglich die Vollzugsanordnung aufzuheben – von einer entsprechenden Entscheidungsmöglichkeit in § 86a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz abgesehen. Für sie besteht auch kein praktisches Bedürfnis. Ungeachtet der Rechtskraft von Beschlüssen gem. § 86a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG wird auch durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Befugnis der Behörde nicht ausgeschlossen, mittels einer einwandfreien Begründung den Sofortvollzug ihres Bescheides erneut anzuordnen (LSG NRW a.a.O.).
Da die aufschiebende Wirkung schon mangels ausreichender Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges anzuordnen ist, kann dahinstehen, ob der Bescheid vom 11.04.2006 rechtmäßig ist. Das Gericht erlaubt sich allerdings anzumerken, dass die Antragsgegnerin die aufgrund des Vortrages der Antragstellerin nunmehr erforderlichen Ermittlungen bisher noch nicht durchgeführt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hat im Zeitraum vom 30.10.2003 bis zum 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem damals geltenden Bundessozialhilfegesetz in Verbindung mit pauschaliertem Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz erhalten. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Antragstellerin kein Vermögen besitzt.
Am 18.04.2005 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, ihre Mutter habe - ohne Wissen der Antragstellerin - drei Sparbücher auf den Namen der Antragstellerin angelegt. Die Antragsgegnerin ließ daraufhin fast ein Jahr verstreichen und forderte die Antragstellerin unter dem 10.03.2006 auf, die Sparbücher vorzulegen.
Mit Bescheid vom 11.04.2006 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 6.840,84 Euro zurück. Außerdem nahm sie mit dem Bescheid die Bewilligungsbescheide über Sozialhilfe und Wohngeld nach § 45 SGB X zurück. In dem Bescheid ordnete die Antragsgegnerin hinsichtlich der Rücknahme des Verwaltungsaktes und der Rückforderung des o.g. Betrages die sofortige Vollziehung nach § 86a Sozialgerichtsgesetz - SGG - an. Zur Begründung der sofortigen Vollziehung führt die Antragsgegnerin in dem Bescheid Folgendes aus:
"Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgt im öffentlichen Interesse.
Vorliegend wurden von Ihnen Leistungen durch den Fachbereich Soziales der Stadt H in Anspruch genommen, obwohl Sparguthaben vorhanden war, das den geschützten Betrag erheblich überstieg. Wie oben ausgeführt, waren Sie für die Zeit vom 30.10.2003 bis 31.07.2004 zur Bestreitung Ihres Lebensunterhaltes nicht und für den Monat August 2004 lediglich teilweise auf die laufenden Zahlungen des Fachbereiches Soziales der Stadt H angewiesen. Bereits in der Erklärung zur Niederschrift vom 18.04.2005 bestätigten Sie, dass Ihnen erklärt wurde, dass Sie die erhaltene Hilfe zurückzahlen müssen. Bislang ist von Ihnen kein Ersatz der überzahlten Leistungen erfolgt.
Das öffentliche Interesse gebietet es vorliegend, dass bereits in der Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung die Rückzahlung der überzahlten Leistungen geregelt wird.
Im Rahmen meines pflichtgemäßen Ermessens habe ich daher die sofortige Vollziehung angeordnet.
Darüber hinaus besteht grundsätzlich ein fiskalisches Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Die Mittel für die Erfüllung der den Trägern der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben werden aus Steuermitteln von der Allgemeinheit aufgebracht. Diese Mittel dürfen nur nach Maßgabe der Gesetze verwendet werden, um im Bedarfsfalle den tatsächlich Bedürftigen zur Verfügung stehen zu können".
Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin unter dem 24.04.2006 Widerspruch ein und beantragte bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung.
Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.
Unter dem 19.05.2006 beantragte die Antragstellerin beim erkennenden Gericht sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.04.2006 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine grundsätzliche Werteentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen (vgl. z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 1 B 18/05 AS ER, Beschluss vom 11.01.2006; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.02.2004, Az.: L 10 AL 1212/03 ER – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.09.2002, Az.: L 4 KR 122/02).
Von dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers kann nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 ausnahmsweise abgewichen werden, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist. Die Behörde muss dann die sofortige Vollziehung schriftlich begründen. Inhalt der Begründung muss daher sein, warum im vorliegenden Fall ausnahmsweise von der gesetzgeberischen Grundentscheidung abgewichen wird und die sofortige Vollziehung angeordnet wird.
Diesem Begründungserfordernis werden die Ausführungen der Antragsgegnerin im Bescheid vom 11.04.2006 nicht einmal im Ansatz gerecht. Die Antragsgegnerin führt nämlich nicht aus, warum im Falle der Antragstellerin ausnahmsweise die sofortige Vollziehung anzuordnen ist, sondern sie führt aus, warum sie grundsätzlich der Auffassung ist, dass es im öffentlichen Interesse liege, überzahlte Leistungen schon vor Eintritt der Rechtskraft zurückzufordern. Diese Begründung beinhaltet eine Kritik an der gesetzgeberischen Grundentscheidung auch bei Rückforderungen von überzahlten Sozialleistungen die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen zuzulassen (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Az.: L 1 B 18/05 AS ER – Beschluss vom 11.01.2006). Eine ausreichende Begründung des o.g. Ausnahmefalls ist aber nicht erkennbar. Eine solche Begründung dürfte vorliegend auch gar nicht möglich sein, weil der zu beurteilende Sachverhalt nichts enthält, das auf einen Ausnahmefall hindeutet.
Auch im Falle der unzureichenden Begründung ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und nicht die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung die zutreffende gerichtliche Maßnahme. Der Gesetzgeber hat – in Kenntnis der seit Jahrzehnten bestehenden verwaltungsgerichtlichen Praxis, in Fällen der vorliegenden Art lediglich die Vollzugsanordnung aufzuheben – von einer entsprechenden Entscheidungsmöglichkeit in § 86a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz abgesehen. Für sie besteht auch kein praktisches Bedürfnis. Ungeachtet der Rechtskraft von Beschlüssen gem. § 86a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG wird auch durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Befugnis der Behörde nicht ausgeschlossen, mittels einer einwandfreien Begründung den Sofortvollzug ihres Bescheides erneut anzuordnen (LSG NRW a.a.O.).
Da die aufschiebende Wirkung schon mangels ausreichender Begründung der Anordnung des Sofortvollzuges anzuordnen ist, kann dahinstehen, ob der Bescheid vom 11.04.2006 rechtmäßig ist. Das Gericht erlaubt sich allerdings anzumerken, dass die Antragsgegnerin die aufgrund des Vortrages der Antragstellerin nunmehr erforderlichen Ermittlungen bisher noch nicht durchgeführt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
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