Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 RJ 36/04
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 224/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind zwischen den Beteiligten auch für den Berufungsrechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger eine Rente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) zusteht; insbesondere ist fraglich, ob der Kläger die Berufungsfrist gewahrt hat.
Der am 00.00.1924 in T/Polen geborene Kläger ist Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes. Er wanderte 1949 nach Israel aus und ist israelischer Staatsangehöriger.
Am 01.07.1990 stellte der Kläger den ersten Rentenantrag. In dem Fragebogen zum Rentenantrag gab er an, von 1930 bis 1936 Schüler der Talmud-Thora-Schule, anschließend bis 1938 des Gymnasiums und von Juli 1938 bis Februar 1940 als Lehrling der Fotografie im Atelier S tätig gewesen zu sein. Von Februar 1940 bis Ende 1942 sei er als Fotograf im Ghetto Lukow ebenfalls für das Atelier S tätig gewesen. Danach sei er bis Mai 1945 nach Auschwitz deportiert worden. Er habe für seine Fotografentätigkeit normales Entgelt erhalten. Von September 1945 bis Dezember 1948 habe er Gelegenheitsarbeiten als Fotograf in mehreren DP-Lagern ausgeführt.
Im Rahmen der am 21.05.1970 durchgeführten Sprachprüfung hat er keine Angaben zur Berufsausbildung und beruflichen Tätigkeit gemacht; dagegen hat er angegeben, bis 1939 das Gymnasium besucht zu haben. In einer Erklärung im Entschädigungsverfahren vom 18.05.1966 gab der Kläger an, seinem Vater in seinem Studium von frühester Kindheit geholfen zu haben. In einem Fragebogen zur Klärung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) machte der Kläger keine Angabe zur Berufstätigkeit während der Verfolgung. Er habe von seinem Vater die Grundlage für seine künstlerische Tätigkeit erhalten. In einem Ermittlungsbericht von Januar 1975 ist ausgeführt, der Kläger habe sich bei Beginn der Verfolgung in T aufgehalten und sei im Januar 1940 in das Ghetto Lukow eingewiesen worden. Seine Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 20 WGSVG wurde von der Beklagten anerkannt.
In einer Erklärung vom 22.10.1990 gab der Kläger an, den Beruf eines Fotografen von Grund auf bei seinem Vater ab seinem 10. Lebensjahr erlernt zu haben. Nach dem Beginn der Verfolgung habe er eine Arbeitserlaubnis gehabt, um deutsche Soldaten zu fotografieren.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 10.09.1991 ab mit der Begründung, der Kläger habe in der Zeit vom 01.07.1938 bis 30.09.1939 und 01.10.1939 bis 04.01.1940 nur eine unversicherte familienhafte Mitarbeit verrichtet. Ebenfalls legte die BfA mit Bescheid vom 17.12.1991 die beantragte Nachentrichtung gemäß §§ 21, 22 WGSVG ab.
Am 12.12.2002 beantragte der Kläger eine Rentenleistung nach dem ZRBG. Er gab an, von 1940 bis 1942 Reinigungsarbeiten im Ghetto Lukow bei Warschau verrichtet zu haben.
Die Beklagte zog erneut die Entschädigungsakten bei. In dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für Schaden an Körper und Gesundheit vom 19.05.1966 betreffen die Berufsangaben die Stellung seines Vaters. In der Anamnese des Gutachtens von Dr. T vom 25.03.1968 wurde ausgeführt, die Verfolgung habe 1939 als 15jähriger Schüler begonnen. Er sei nach Lukow bei Lublin verschleppt worden. In handschriftlichen Angaben zum dSK vom 10.09.1968 wurde eine eigene Berufstätigkeit erst ab 1949 angegeben. In der Anamnese eines Gutachtens von Dr. M vom 06.12.1973 wurde ausgeführt, der Kläger sei Ende 1939 mit seiner Familie ins Ghetto Lukow interniert worden. Die Eltern seien zur Zwangsarbeit angehalten worden. Der 15jährige Antragsteller habe herumgelungert. Ende 1942 sei er mit der ganzen Jugend nach Auschwitz transportiert worden. Die Untätigkeit und das Herumlungern des 15jährigen seien sehr bedrückend gewesen, der Aufenthalt mit der Familie im Ghetto sei schwer gewesen, besonders wegen der Unterernährung.
Die im Entschädigungsverfahren vorgelegten Zeugen und sonstigen eigenen Erklärungen beinhalten keine Hinweise auf eine berufliche Tätigkeit des Klägers in seinem Geburtsort T bzw. in dem Ghetto Lukow.
Im Rahmen des ZRBG-Verfahrens präzisierte der Kläger im August 2003 seine Angaben dahingehend, er habe von Dezember 1939 bis Dezember 1942 Reinigungsarbeiten im Ghetto ausgeführt. Er sei von bewaffneten Soldaten bewacht worden. Es habe sich um Zwangsarbeit gehandelt. Er habe für die Arbeit weder Geld noch Sachbezüge erhalten. Er habe keinen Antrag bei der Claims Conference gestellt.
Mit Bescheid vom 05.09.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab mit der Begründung, anrechenbare Zeiten nach dem ZRBG seien nicht glaubhaft gemacht. Aufgrund der Angaben des Klägers sei von Zwangsarbeit auszugehen, die nicht unter das ZRBG falle.
Hiergegen legte der Kläger am 11.11.2003 Widerspruch ein. Er wies daraufhin, völlig blind und taub zu sein. Ein Freund, der die Formulare für ihn ausgefüllt hat, habe ihn offenbar missverstanden. Zutreffend sei, dass er von Ende 1939 bis Ende 1942 im Ghetto Lukow keine Zwangsarbeit geleistet habe, sondern freiwillig Tischler und Reinigungsarbeiten verrichtet habe. Er habe dafür von der Ghetto-Verwaltung 16 Sloti in der Woche erhalten.
Die Beklagte zog historische Unterlagen zu dem Ghetto Lukow bei. Danach hat das Ghetto in der Zeit von April 1941 bis etwa Mai 1943 bestanden. Nach den vorliegenden Informationen habe der Einfluss der Arbeitsverwaltung auf den jüdischen Arbeitseinsatz im Distrikt Lublin nach und nach zu Gunsten des SS- und Polizeiapparats abgenommen. ZRBG- Zeiten für das Ghetto Lukow kämen grundsätzlich für den Zeitraum von April 1941 bis 11. November 1942 in Betracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Seine jetzigen Angaben, wonach er freiwillig Tischlerarbeiten gegen Lohn verrichtet habe, könnten nicht überzeugen. Anlässlich der Rentenantragstellung im Jahre 1990 habe er angegeben, von 1940 bis 1942 im Fotoatelier S im Ghetto Lukow beschäftigt gewesen zu sein. Aus einem ärztlichen Gutachten vom 06.12.1973 aus dem seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren ergebe sich aufgrund seiner Angaben, dass der Aufenthalt im Ghetto zusammen mit der Familie sehr schwer gewesen sei. Auch die Untätigkeit und das Herumlungern sei sehr bedrückend gewesen. Diese Angaben widersprächen den jetzigen Ausführungen, wonach er Tischlerarbeiten verrichtet habe.
Hiergegen hat der Kläger am 24.02.2004 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Er hat vorgetragen, für seine Tätigkeit in der Tischlerei im Ghetto Lukow Geld erhalten zu haben. Es könne sein, dass ihm in seinen früheren Aussagen Fehler unterlaufen seien. Außer seiner Tischlerarbeit habe er auch im Fotoatelier S gearbeitet. Die Israel Organisation Former Nazi Prisoners hat ergänzend vorgetragen, der Kläger sei seit vielen Jahren blind, höre nicht und sei wegen Nervenkrankheit in psychiatrischer Behandlung. Seine Nachbarin habe für ihn seinerzeit die Formulare ausgefüllt, aber leider mit vielen Fehlern, die der Kläger leider unüberprüft unterschrieben habe. Seine jetzigen Angaben entsprächen der Wahrheit.
Der Kläger hat nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt,
ihm eine Rente nach dem ZRBG aufgrund von Beschäftigungszeiten im Ghetto Lukow von Dezember 1939 bis Dezember 1942 und anzurechnender Ersatzzeiten zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden berufen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.05.2005 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass es mit der Berufung angefochten werden könne, wobei die Berufungsfrist für den Kläger 3 Monate betrage, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfolge.
Gegen das am 18.05.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.11.2005 Berufung eingelegt.
Der Kläger hat hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Wegen seiner völligen Erblindung und Taubheit sei er nicht in der Lage gewesen, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. Er versichert nochmals, im Ghetto Lukow im Gegensatz zum Konzentrationslager keinerlei Zwangsarbeit geleistet zu haben. Die abweichende Mitteilung, die sein Nachbar Egon Österreicher veranlasst habe, habe nicht im Zusammenhang von Ghettoarbeit gestanden. Im Ghetto Lukow habe er normal in der Tischlerei gearbeitet für seinen Lebensunterhalt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2004 zu verurteilen, ihm Altersrente unter Berücksichtigung einer Ghetto-Beschäftigungszeit von Dezember 1939 bis Dezember 1942 zuzüglich anzurechnender Ersatzzeiten ab 01.07.1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist gewährt (Beschluss vom 03.05.2006). Wegen der Begründung wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 03.05.2006 und wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (vgl. §§ 110, 126 SGG) ist der Kläger in der am 23.03.2006 zugestellten Terminsmitteilung hingewiesen worden.
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht erhoben worden. Dem Kläger war hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er infolge seiner glaubhaft dargelegten Erblindung und Taubheit nicht in der Lage war, die gesetzliche Frist einzuhalten (§§ 153, 67 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger nicht im Sinne des § 54 SGG in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rentenzahlungen gegen die Beklagte.
Nach § 35 Sechstes Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er u.a. die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten und gegebenenfalls Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI). Nach § 55 Abs. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (Satz 1). Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (Satz 2). Ersatzzeiten finden allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn sie bei Versicherten vorliegen, also bei Personen, für die vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (vgl. § 250 SGB VI). Allein durch die Zurücklegung einer Ersatzzeit wird eine Person noch nicht zum Versicherten. Nur aufgrund von Ersatzzeiten besteht daher kein Rentenanspruch (vgl. Bundessozialgericht Urteil vom 7.10.2004, Az. B 13 RJ 59/03 mit weiteren Nachweisen).
Diese Voraussetzungen für eine Rente sind nicht erfüllt. Der Kläger hat keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Insbesondere ist keine "Ghetto-Beitragszeit" im Sinne des § 2 ZRBG zu berücksichtigen, wonach für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Bei der von dem Kläger geltend gemachten Arbeit im Ghetto Lukow handelt es sich nicht um eine "Ghetto-Beitragszeit", weil die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Gesetzes gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG nicht erfüllt sind. Danach gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist (Abs. 1 Nr. 1 lit a), gegen Entgelt ausgeübt wurde (Abs. 1 Nr. 1 lit b) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war (Abs. 1 Nr. 2).
Wie das Sozialgericht sieht auch der Senat die Voraussetzungen für ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis während des Aufenthaltes des Klägers im Ghetto Lukow als nicht glaubhaft gemacht an. Insbesondere seine in früheren Entschädigungs- und Rentenverfahren getätigten Angaben stehen einer Glaubhaftmachung der jetzt geltend gemachten Reinigungs- und Tischlerarbeit entgegen. In den früheren Verfahren finden sich allenfalls Hinweise auf eine (nicht versicherte) familienhafte Mitarbeit im Fotoatelier seines Vaters, eine eigene Erwerbstätigkeit des bei Beginn der Internierung 15jährigen Klägers wird in den zeitnahen früheren Angaben an keiner Stelle deutlich. Vielmehr wurden die Fragen nach seiner Berufstätigkeit während der Verfolgung, wie z. B. in dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 19.05.1966, erkennbar mit der damaligen beruflichen Stellung des Vaters beantwortet oder, wie bei der Anamnese im Rahmen des Gutachtens von Dr. M vom 06.12.1973, unter Hinweis auf die von seinen Eltern verrichtete Zwangsarbeit beantwortet.
Der Senat legt Wert auf die Feststellung, das er die erlittene Verfolgung des Klägers während der Internierung im Ghetto Lukow nicht in Zweifel zieht. Nur ist das Vorliegen einer freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung während dieser Zeit, also die Voraussetzungen einer rentenrechtlichen Zeit nach dem ZRBG, nach der Überzeugung des Senats nicht überwiegend wahrscheinlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger eine Rente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto (ZRBG) zusteht; insbesondere ist fraglich, ob der Kläger die Berufungsfrist gewahrt hat.
Der am 00.00.1924 in T/Polen geborene Kläger ist Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes. Er wanderte 1949 nach Israel aus und ist israelischer Staatsangehöriger.
Am 01.07.1990 stellte der Kläger den ersten Rentenantrag. In dem Fragebogen zum Rentenantrag gab er an, von 1930 bis 1936 Schüler der Talmud-Thora-Schule, anschließend bis 1938 des Gymnasiums und von Juli 1938 bis Februar 1940 als Lehrling der Fotografie im Atelier S tätig gewesen zu sein. Von Februar 1940 bis Ende 1942 sei er als Fotograf im Ghetto Lukow ebenfalls für das Atelier S tätig gewesen. Danach sei er bis Mai 1945 nach Auschwitz deportiert worden. Er habe für seine Fotografentätigkeit normales Entgelt erhalten. Von September 1945 bis Dezember 1948 habe er Gelegenheitsarbeiten als Fotograf in mehreren DP-Lagern ausgeführt.
Im Rahmen der am 21.05.1970 durchgeführten Sprachprüfung hat er keine Angaben zur Berufsausbildung und beruflichen Tätigkeit gemacht; dagegen hat er angegeben, bis 1939 das Gymnasium besucht zu haben. In einer Erklärung im Entschädigungsverfahren vom 18.05.1966 gab der Kläger an, seinem Vater in seinem Studium von frühester Kindheit geholfen zu haben. In einem Fragebogen zur Klärung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) machte der Kläger keine Angabe zur Berufstätigkeit während der Verfolgung. Er habe von seinem Vater die Grundlage für seine künstlerische Tätigkeit erhalten. In einem Ermittlungsbericht von Januar 1975 ist ausgeführt, der Kläger habe sich bei Beginn der Verfolgung in T aufgehalten und sei im Januar 1940 in das Ghetto Lukow eingewiesen worden. Seine Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 20 WGSVG wurde von der Beklagten anerkannt.
In einer Erklärung vom 22.10.1990 gab der Kläger an, den Beruf eines Fotografen von Grund auf bei seinem Vater ab seinem 10. Lebensjahr erlernt zu haben. Nach dem Beginn der Verfolgung habe er eine Arbeitserlaubnis gehabt, um deutsche Soldaten zu fotografieren.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 10.09.1991 ab mit der Begründung, der Kläger habe in der Zeit vom 01.07.1938 bis 30.09.1939 und 01.10.1939 bis 04.01.1940 nur eine unversicherte familienhafte Mitarbeit verrichtet. Ebenfalls legte die BfA mit Bescheid vom 17.12.1991 die beantragte Nachentrichtung gemäß §§ 21, 22 WGSVG ab.
Am 12.12.2002 beantragte der Kläger eine Rentenleistung nach dem ZRBG. Er gab an, von 1940 bis 1942 Reinigungsarbeiten im Ghetto Lukow bei Warschau verrichtet zu haben.
Die Beklagte zog erneut die Entschädigungsakten bei. In dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für Schaden an Körper und Gesundheit vom 19.05.1966 betreffen die Berufsangaben die Stellung seines Vaters. In der Anamnese des Gutachtens von Dr. T vom 25.03.1968 wurde ausgeführt, die Verfolgung habe 1939 als 15jähriger Schüler begonnen. Er sei nach Lukow bei Lublin verschleppt worden. In handschriftlichen Angaben zum dSK vom 10.09.1968 wurde eine eigene Berufstätigkeit erst ab 1949 angegeben. In der Anamnese eines Gutachtens von Dr. M vom 06.12.1973 wurde ausgeführt, der Kläger sei Ende 1939 mit seiner Familie ins Ghetto Lukow interniert worden. Die Eltern seien zur Zwangsarbeit angehalten worden. Der 15jährige Antragsteller habe herumgelungert. Ende 1942 sei er mit der ganzen Jugend nach Auschwitz transportiert worden. Die Untätigkeit und das Herumlungern des 15jährigen seien sehr bedrückend gewesen, der Aufenthalt mit der Familie im Ghetto sei schwer gewesen, besonders wegen der Unterernährung.
Die im Entschädigungsverfahren vorgelegten Zeugen und sonstigen eigenen Erklärungen beinhalten keine Hinweise auf eine berufliche Tätigkeit des Klägers in seinem Geburtsort T bzw. in dem Ghetto Lukow.
Im Rahmen des ZRBG-Verfahrens präzisierte der Kläger im August 2003 seine Angaben dahingehend, er habe von Dezember 1939 bis Dezember 1942 Reinigungsarbeiten im Ghetto ausgeführt. Er sei von bewaffneten Soldaten bewacht worden. Es habe sich um Zwangsarbeit gehandelt. Er habe für die Arbeit weder Geld noch Sachbezüge erhalten. Er habe keinen Antrag bei der Claims Conference gestellt.
Mit Bescheid vom 05.09.2003 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab mit der Begründung, anrechenbare Zeiten nach dem ZRBG seien nicht glaubhaft gemacht. Aufgrund der Angaben des Klägers sei von Zwangsarbeit auszugehen, die nicht unter das ZRBG falle.
Hiergegen legte der Kläger am 11.11.2003 Widerspruch ein. Er wies daraufhin, völlig blind und taub zu sein. Ein Freund, der die Formulare für ihn ausgefüllt hat, habe ihn offenbar missverstanden. Zutreffend sei, dass er von Ende 1939 bis Ende 1942 im Ghetto Lukow keine Zwangsarbeit geleistet habe, sondern freiwillig Tischler und Reinigungsarbeiten verrichtet habe. Er habe dafür von der Ghetto-Verwaltung 16 Sloti in der Woche erhalten.
Die Beklagte zog historische Unterlagen zu dem Ghetto Lukow bei. Danach hat das Ghetto in der Zeit von April 1941 bis etwa Mai 1943 bestanden. Nach den vorliegenden Informationen habe der Einfluss der Arbeitsverwaltung auf den jüdischen Arbeitseinsatz im Distrikt Lublin nach und nach zu Gunsten des SS- und Polizeiapparats abgenommen. ZRBG- Zeiten für das Ghetto Lukow kämen grundsätzlich für den Zeitraum von April 1941 bis 11. November 1942 in Betracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Seine jetzigen Angaben, wonach er freiwillig Tischlerarbeiten gegen Lohn verrichtet habe, könnten nicht überzeugen. Anlässlich der Rentenantragstellung im Jahre 1990 habe er angegeben, von 1940 bis 1942 im Fotoatelier S im Ghetto Lukow beschäftigt gewesen zu sein. Aus einem ärztlichen Gutachten vom 06.12.1973 aus dem seinerzeit durchgeführten Entschädigungsverfahren ergebe sich aufgrund seiner Angaben, dass der Aufenthalt im Ghetto zusammen mit der Familie sehr schwer gewesen sei. Auch die Untätigkeit und das Herumlungern sei sehr bedrückend gewesen. Diese Angaben widersprächen den jetzigen Ausführungen, wonach er Tischlerarbeiten verrichtet habe.
Hiergegen hat der Kläger am 24.02.2004 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Er hat vorgetragen, für seine Tätigkeit in der Tischlerei im Ghetto Lukow Geld erhalten zu haben. Es könne sein, dass ihm in seinen früheren Aussagen Fehler unterlaufen seien. Außer seiner Tischlerarbeit habe er auch im Fotoatelier S gearbeitet. Die Israel Organisation Former Nazi Prisoners hat ergänzend vorgetragen, der Kläger sei seit vielen Jahren blind, höre nicht und sei wegen Nervenkrankheit in psychiatrischer Behandlung. Seine Nachbarin habe für ihn seinerzeit die Formulare ausgefüllt, aber leider mit vielen Fehlern, die der Kläger leider unüberprüft unterschrieben habe. Seine jetzigen Angaben entsprächen der Wahrheit.
Der Kläger hat nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt,
ihm eine Rente nach dem ZRBG aufgrund von Beschäftigungszeiten im Ghetto Lukow von Dezember 1939 bis Dezember 1942 und anzurechnender Ersatzzeiten zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden berufen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.05.2005 abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Urteil enthält die Rechtsmittelbelehrung, dass es mit der Berufung angefochten werden könne, wobei die Berufungsfrist für den Kläger 3 Monate betrage, weil die Zustellung außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfolge.
Gegen das am 18.05.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.11.2005 Berufung eingelegt.
Der Kläger hat hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Wegen seiner völligen Erblindung und Taubheit sei er nicht in der Lage gewesen, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. Er versichert nochmals, im Ghetto Lukow im Gegensatz zum Konzentrationslager keinerlei Zwangsarbeit geleistet zu haben. Die abweichende Mitteilung, die sein Nachbar Egon Österreicher veranlasst habe, habe nicht im Zusammenhang von Ghettoarbeit gestanden. Im Ghetto Lukow habe er normal in der Tischlerei gearbeitet für seinen Lebensunterhalt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.05.2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.09.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2004 zu verurteilen, ihm Altersrente unter Berücksichtigung einer Ghetto-Beschäftigungszeit von Dezember 1939 bis Dezember 1942 zuzüglich anzurechnender Ersatzzeiten ab 01.07.1997 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist gewährt (Beschluss vom 03.05.2006). Wegen der Begründung wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 03.05.2006 und wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden. Auf diese verfahrensrechtliche Möglichkeit (vgl. §§ 110, 126 SGG) ist der Kläger in der am 23.03.2006 zugestellten Terminsmitteilung hingewiesen worden.
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere fristgerecht erhoben worden. Dem Kläger war hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er infolge seiner glaubhaft dargelegten Erblindung und Taubheit nicht in der Lage war, die gesetzliche Frist einzuhalten (§§ 153, 67 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger nicht im Sinne des § 54 SGG in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rentenzahlungen gegen die Beklagte.
Nach § 35 Sechstes Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er u.a. die Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten und gegebenenfalls Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI). Nach § 55 Abs. 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind (Satz 1). Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (Satz 2). Ersatzzeiten finden allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn sie bei Versicherten vorliegen, also bei Personen, für die vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt (vgl. § 250 SGB VI). Allein durch die Zurücklegung einer Ersatzzeit wird eine Person noch nicht zum Versicherten. Nur aufgrund von Ersatzzeiten besteht daher kein Rentenanspruch (vgl. Bundessozialgericht Urteil vom 7.10.2004, Az. B 13 RJ 59/03 mit weiteren Nachweisen).
Diese Voraussetzungen für eine Rente sind nicht erfüllt. Der Kläger hat keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Insbesondere ist keine "Ghetto-Beitragszeit" im Sinne des § 2 ZRBG zu berücksichtigen, wonach für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt gelten. Bei der von dem Kläger geltend gemachten Arbeit im Ghetto Lukow handelt es sich nicht um eine "Ghetto-Beitragszeit", weil die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Gesetzes gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG nicht erfüllt sind. Danach gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist (Abs. 1 Nr. 1 lit a), gegen Entgelt ausgeübt wurde (Abs. 1 Nr. 1 lit b) und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war (Abs. 1 Nr. 2).
Wie das Sozialgericht sieht auch der Senat die Voraussetzungen für ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis während des Aufenthaltes des Klägers im Ghetto Lukow als nicht glaubhaft gemacht an. Insbesondere seine in früheren Entschädigungs- und Rentenverfahren getätigten Angaben stehen einer Glaubhaftmachung der jetzt geltend gemachten Reinigungs- und Tischlerarbeit entgegen. In den früheren Verfahren finden sich allenfalls Hinweise auf eine (nicht versicherte) familienhafte Mitarbeit im Fotoatelier seines Vaters, eine eigene Erwerbstätigkeit des bei Beginn der Internierung 15jährigen Klägers wird in den zeitnahen früheren Angaben an keiner Stelle deutlich. Vielmehr wurden die Fragen nach seiner Berufstätigkeit während der Verfolgung, wie z. B. in dem Antrag auf Gewährung einer Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 19.05.1966, erkennbar mit der damaligen beruflichen Stellung des Vaters beantwortet oder, wie bei der Anamnese im Rahmen des Gutachtens von Dr. M vom 06.12.1973, unter Hinweis auf die von seinen Eltern verrichtete Zwangsarbeit beantwortet.
Der Senat legt Wert auf die Feststellung, das er die erlittene Verfolgung des Klägers während der Internierung im Ghetto Lukow nicht in Zweifel zieht. Nur ist das Vorliegen einer freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigung während dieser Zeit, also die Voraussetzungen einer rentenrechtlichen Zeit nach dem ZRBG, nach der Überzeugung des Senats nicht überwiegend wahrscheinlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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